SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Nähmaschinen! Wir brauchen Nähmaschinen! – Rights, not Privileges! It’s that easy.

Zwei Näherinnenfilme – Dokumentarische Fiktion oder Schmonzettisierung?

„Es geht um Rechte, nicht um Privilegien! So einfach ist das.“

Heute stehen zwei Filme über nähende Frauen im Mittelpunkt, die auf historischen Figuren und wahren Begebenheiten beruhen. Es sind keine Dokumentar- sondern Spielfilme, entsprechend viel wird dazugedichtet. Auffällig indes die Unterschiede: im einen Fall gewinnen die Figuren und die Zeit an Tiefe, im anderen Fall wird die Hauptfigur und ihr Lebenswerk durch die Zudichtung kleiner gemacht.

MADE IN DAGENHAM (deutscher Titel WE WE WANT SEX, UK 2010) erzählt die Geschichte der 187 Autositz-Näherinnen im größten Fordwerk Großbritanniens (Dagenham), die 1968 erfolgreich gegen eine Einstufung als „ungelernt“ und für eine gerechtere Bezahlung kämpften. Dieser Arbeitskampf führte zwei Jahre später indirekt zum Equal Pay Act, dem britischen Lohngleichheitsgesetz.

Der Fernsehfilm MARGARETE STEIFF (D 2005) handelt vom Leben der schwäbischen Stofftiernäherin und Unternehmerin Margarete Steiff (1847-1909). Er beginnt, als sie 10 Jahre alt ist, und endet mit der Leipziger Spielwarenmesse 1903, auf der Steiff mit dem 55 PB, dem ersten beweglichen Stoffbären (,Teddybär’), ihr weltweiter Durchbruch gelingt.

Made in Dagenham. UK 2010

„Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen, ich und meine Brüder. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet und unsere Tante Lil dafür bezahlt, tagsüber auf uns aufzupassen. Und es war schwer für sie. Besonders weil sie in der Fabrik nur die Hälfte von dem bekam, was die Kerle bekamen, für dieselbe Arbeit. Aber es stand nie an, dass sich das jemals änden könnte. Nicht für sie. Es muss endlich mal jemand dafür sorgen, dass diese Ausbeuterschweine nicht mehr damit durchkommen, nach all diesen Jahren.“

Das antwortet Vorarbeiter / Gewerkschafter Albert Passingham (gespielt von dem großartigen, traurigerweise vor einigen Tagen verstorbenen Bob Hoskins) in dem Film MADE IN DAGENHAM auf die Frage, warum er sich so engagiert für den Arbeitskampf der Näherinnen im Fordwerk in Dagenham, dem britischen Wolfsburg, einsetzt.

1968, als der Film spielt, arbeiteten in den Fordwerken rund 55.000 Arbeiter und 187 Arbeiterinnen. Diese Näherinnen (women sewing machinists) fertigten die Bezüge für die Autositze an. Weil sie nach einer Umstrukturierung (regrading) als ungelernte Arbeiterinnen mit dazugehöriger schlechterer Bezahlung eingestuft worden waren, obwohl sie qualifizierte Arbeit leisteten und für eine Einstellung u.a. zwei Jahre Nähtätigkeit nachweisen mussten, traten sie in den Ausstand und und forderten – erstmals in der Geschichte – die gleiche Eingruppierung und Entlohnung wie ihre männlichen Kollegen. Diese Arbeitsniederlegung, die sich zu einem längeren Streik und Arbeitskampf ausweitete, die teilweise unwilligen Gewerkschaftsfunktionäre, die die Anliegen der Frauen hintenan stellen wollten, unsolidarische Arbeiter, die schrottige Halle als Arbeitsplatz, das Treffen mit Labour-Arbeitsministerin Barbara Castle bis hin zum ausgehandelten Ergebnis – die Näherinnen wurden als semi-skilled eingestuft und ihre Löhne zunächst auf 92 % der Männerlöhne angehobenentsprechen den Tatsachen.

Beeindruckend. Es ist immer schön, wenn ein Goliath (in diesem Fall ein großer, kapitalistischer Konzern) von einem pfiffigen David, bzw. hier einer Davina, in die Knie gezwungen wird. Und wenn im Zuge dieses Arbeitskampfes auch noch die Kollegen und Ehemänner der Davinas dazulernen ist das ein Bonus. In Nigel Coles Sozialkomödie sind die Protagonist/innen bis auf Arbeitsministerin Barbara Castle (Miranda Richardson) frei erfunden, und mit ihnen ihre Nebengeschichten: Da gibt es die Hauptfigur Rita (gespielt von Sally Hawkins) mit Familie und finanziellen Sorgen und einem Sohn, der in der Schule vom Lehrer geschlagen wird, Betriebsrat Connie (Geraldine James) mit ihrem älterem, traumatisierter Kriegsveteran-Ehemann, Lisa (Rosamund Pike), studierte Historikerin, die als Ehefrau und schmückendes Anhängsel des Fordwerkbosses für Haushalt und Kinder zuständig ist (auch ihr Sohn wird in der Schule geschlagen, sie organisiert im Off eine Elternpetition, die zur Versetzung des Lehrers führt) und noch viele andere Geschichten von privaten und beruflichen Träumen von Arbeiterinnen, eingepackt in die Mode, Frisuren und Musik der sich verändernden Gesellschaft in den Swinging Sixties. Ich sprach mit Vertreterinnen der britischen Gewerkschaft TUC und der Forschungsstelle zur Gewerkschaftsgeschichte an der Londoner Universität, die betonten, dass die WIRKLICHEN Frauen völlig anders aussahen, „wesentlich weniger glamourös“ Die Anführerin im Film Rita O’Grady gab es nicht, treibende Kraft war Rose Boland, aber, „es ist ja nie nur eine, die es macht“.

Reproduced by kind permission of the Financial Times

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Financial Times. Original 13. Feb. 1969

Der Film sollte im Original ursprünglich WE WANT SEX heißen, basierend auf einer ,wahren Anekdote’: die Näherinnen hatten auf ein Streiktransparent We want Sex Equality geschrieben (Wir wollen Gleichberechtigung), allerdings wurde das Spruchband zunächst nicht vollständig ausgerollt, so dass ,equality’ nicht zu sehen war. Der Titel wurde jedoch in MADE IN DAGENHAM geändert, was eine gute Entscheidung ist, denn der erste Titel hätte etwas anderes versprochen als einen Meilenstein der Gewerkschaftsgeschichte und der Frauenrechte. Leider hat der deutsche Verleih genau diesen verworfenen englischen Titel reaktiviert. Das ist doppelt unglücklich, denn das Wortspiel Sex / Sex Equality funktioniert in der deutschen Übersetzung natürlich nicht (Sex / Geschlechtergleichheit). OK, die Autostadt Dagenham ist hier vermutlich nicht bekannt, und Made in Wolfsburg wäre nicht gegangen, aber irgendein sinnvoller Titel hätte doch gefunden werden können, selbst so was wie „Die Autofrauen von Dagenham“ wäre besser gewesen.

Bemerkenswert schließlich noch die Parallelen zwischen Arbeiterinnenführerin O’Grady und Arbeitsministerin Castle („Wir sind keine Politikerinnen, wir sind arbeitende Frauen, und das sind Sie auch“), die das gleiche günstige Kleid von Brenninkmeijer besitzen. Beide haben gegen männliche Borniertheit und Bevormundung in ihrem Umfeld zu kämpfen, beide beschreiten neue Wege. „Das Risiko, von dem Sie sprachen, werde ich jetzt eingehen müssen.“ sagt Barbara Castle am Ende zum US-amerikaischen Ford Vertreter, der gedroht hatte, die Autowerke in andere Länder zu verlagern, wenn die Forderungen der Frauen erfüllt würden. Ob das in echt auch so war weiß ich nicht, aber fiktional ist es natürlich schön, wenn die Politik sich gegen die Wirtschaft wehrt.

MADE IN DAGENHAM / WE WANT SEX. UK 2010. Regie Nigel Cole, Buch William Ivory. Casting Lucy Bevan. Mit Sally Hawkins, Bob Hoskins, Miranda Richardson, Geraldine James, Rosamund Pike, Andrea Riesborough, Jaime Winstone u.a.m.

Margarete Steiff. D 2005

Ein Krüppel findet keinen Mann, und eine Arbeit schon gleich gar nicht.“

Dies sagt Mutter Steiff (gespielt von Suzanne von Borsody) zur 10-jährigen Margarete im Film. Margarete Steiff (1847-1909) litt seit ihrem 2. Lebensjahr an Kinderlähmung, beide Beine und der rechte Arm, die rechte Hand waren betroffen. Sie lernt mit links schreiben, macht eine Ausbildung zur Näherin, kauft die erste Nähmaschine in ihrer Stadt (Giengen / Brenz), gründet mit 30 ein Filzwarenkonfektionsgeschäft, erfindet hochwertige Stofftiere, die Steifftiere, und macht ihr Familienunternehmen zu einen global player der Spielzeugbranche. Als ich den Film vor Jahren das erste Mal sah war ich ganz erstaunt, ich hatte von kleinauf viele Steifftiere besessen, aber nicht gewusst, dass sie nach der Erfinderin benannt waren. Ich dachte, die Tiere heißen Steifftiere, weil sie steif und fest waren. (Ja, natürlich hatte ich mich über die 2 F gewundert!) Es ist nicht leicht, einen biographischen Film zu drehen, der eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten umfasst. In diesem Fall geht es um fast 50 Jahre, der Film beginnt in Margaretes Kindheit (gespielt von Annika Luksch) und endet mit der Leipziger Spielwarenmesse 1903, als Steiff 56 Jahre alt war. Die Schauspielerin der erwachsenen Steiff, Heike Makatsch, war zum Drehzeitpunkt 33. Auf diesem Foto aus dem Jahr 1895 ist Margarete Steiff 48 Jahre alt.

Margarete Steiff und Mitarbeiter/innen. Um 1895. Foto: Margarete Steiff GmbH.

Margarete Steiff und Mitarbeiter/innen. Um 1895. Foto: Margarete Steiff GmbH.

 Steiffs Biographie ist wirklich sehr beeindruckend. Eine Frau aus armen Verhältnissen mit einer Behinderung, einer Frau im 19. Jahrhundert, als Bildungs- und Berufschancen für Frauen und Männer noch wesentlich weiter auseinander lagen als heute. Ihr Motto „Für unsere Kinder ist nur das Beste gut genug“ ist bemerkenswert in einer Zeit, in der in Schulen und Familien noch legal geprügelt wurde. Natürlich (und vor allem leider) wurde die Geschichte umgearbeitet. Margarete wird verjüngt und schlanker und hübscher gemacht. Aber vor allem: Eine Liebesgeschichte mit dem Handlungsreisenden Julius (Hary Prinz) wurde dazuerfunden, Warum? Ich sprach mit einer PR-Frau der Steiff GmbH, die sagte, dass ,die Leute so was immer gerne sehen, und der Film dann mehr Zuschauer/innen erreicht’. Nicht dass die Lovestory nicht gut gemacht wäre, die Kennenlernszene im Zug hat ihren eigenen Charme, die Chemie zwischen Beiden stimmt und der dramaturgische Bogen Kennenlernen – Trennung – überraschendes Wiedersehen – Verlieben – Trennung – Wiedervereinigung – Bruch funktioniert auch. Dazu dann noch der eifersüchtige jüngere Bruder Fritz (gespielt von dem 4,5 Jahre älteren Felix Eitner), und fertig ist das persönliche Drama. Aber es ist befremdlich, dass die erfundene Liebesgeschichte, vielmehr Julius, Motor hinter allen entscheidenden Handlungen von Margarete ist und der Auslöser eines Großteils der Dreh- und Wendepunkte dieser Filmgeschichte.

Margarete lernt Julius auf der Zugreise zu einer Behandlung und Kur in Wien kennen:

J:    Maschinen sind die Zukunft.
M:   Bei uns daheim geht noch alles von Hand.
J:    Das muss sich ändern. Maschinen machen das Leben leichter. Auch für Sie!
M:   Maschinen sind doch was für Männer!
J:    Ich versuche vor allem das Leben der Frauen zu beglücken. z.B. mit Nähmaschinen.

Monate später besucht er sie in Giengen, besorgt ihre erste Nähmaschine und auch den Stoff für das erste schicke Kleid, mit dem sie als Schneiderin Erfolg hat. Die beiden kommen sich näher, der erste Kuss beim Bad im Fluss. Julius hilft ihr beim Aufbau ihres Betriebs, und als er nach einiger Zeit abreisen will, sagt sie „Ich brauch dich hier, du bist der einzige, der sich mit der Maschine auskennt, der weiß, wie man das Schwungrad ölt (…) Bleib! Julius, bitte!“ Er bleibt zunächst. Der Kauf einer zweiten Nähmaschine steht an. Julius kommt tagelang nicht zurück. Sie blättert in einer Wiener Modezeitung, die natürlich Julius ihr besorgt hatte, entdeckt darin das Schnittmuster für einen Elefanten, und weil sie nächtelang aus Sehnsucht nicht schlafen kann, näht und näht und näht sie Filzelefäntles, ursprünglich als Nadelkissen, die aber dann ihr erstes Stofftier für Kinder werden. Julius kommt zurück, mit der zweiten Nähmaschine, aber er hat sich inzwischen in Margaretes beste Freundin verliebt, und geht mit dieser nach Salzburg. Margarete bricht mit ihrem Bruder (weil der sie nicht gewarnt hatte) und stürzt sich in die Arbeit, um ihren Kummer zu vergessen, so sehr, dass sie nach kürzester Zeit – der Film macht da keine Angaben – einen großen Betrieb mit zig Näherinnen leitet. Nach Julius’ Abgang dauert der Film nur noch ein Viertelstunde, in der Steiff nach anscheinend jahrelangem Erfolg nun Absatzschwierigkeiten hat, Probleme mit ihrer Bank bekommt, sich mit ihrem Bruder versöhnt und mit ihm zusammen die Stoffbären entwickelt, die ihre Rettung sind durch eine 3000 Stück-Großbestellung aus den USA.

Ja, die Eckdaten stimmen, und wie gesagt ist es völlig legitim, Dinge dazu zu erfinden. Aber warum diese Liebesgeschichte? Um zu zeigen, dass sie ja doch eine normale Frau ist? Und warum dieser Julius? Um zu zeigen, dass sie von alleine gar nicht auf das gekommen wäre, was in der Realität zur Margarete Steiff GmbH wurde? Wer hat das entschieden? Susanne Beck und Thomas Eifler, die das Drehbuch schrieben? Die Redaktion? Die Produktionsfirma?

Geschichten über Pioniere werden nicht aufgesext oder durch Liebesgeschichten abgelenkt. Da kann es einen Film über das Rennen zum Südpol geben, wahlweise aus Amundsens oder Scotts Perspektive, und es kommt kein weibliches Wesen vor. Höchstens am Rande Frau Scott („my widow“) in dem letzten Brief vor dem Erfriertod, oder vielleicht Amundsens treue Schlittenhündin. Wenn es Frauen gibt, dann sind sie helfend, aber nicht maßgeblich. Sie kochen Tee und stellen den Kontakt zu Finanziers her (Hedwig Ehrlich in PAUL EHRLICH – EIN LEBEN FÜR DIE FORSCHUNG). Nur sind sie nicht der Auslöser für die Leistungen der Männer.

Aber die Geschichte der Pionierin Margarete Steiff reicht nicht als Filmstoff. Warum? Weil eine Marktforschung ergeben hat, dass zur Geschichte einer Frau eine Liebesgeschichte gehört? Egal ob erfunden oder wahr, egal ob glücklich oder unglücklich, Hauptsache, es kommt ein Mann vor als Love Interest? Weil so was angeblich Frauen sehen wollen, und Männer sowieso keine Filme angucken, die von Frauen handeln?

MARGARETE STEIFF. Fernsehfilm 2005. Regie: Xaver Schwarzenberger. Buch: Susanne Beck, Thomas Eifler. Casting Birgit Geier. Mit Heike Makatsch, Felix Eitner, Hary Prinz, Suzanne von Borsody, Herbert Knaup, Harald Krassnitzer, Bernadette Heerwagen, Annika Luksch u.a.

Ein Vergleich der Vor- und Abspanne

Bei MADE IN DAGENHAM gibt es den für „nach einer wahren Geschichte“-Filme üblichen Textvorspann: „1968 waren 55.000 Männer im Fordwerk Dagenham beschäftigt“ (neues Bild) „und 187 Frauen“, dazu Aufnahmen aus Ford-Werbefilmen der 1960er Jahre. Besonders sehenswert der Abspann, in einer Split screen laufen die Schlusstitel, und daneben Aufnahmen der echten Dagenham-Näherinnen (und Barbara Castle) 1968 und im 21. Jahrhundert, wo sie bestens gelaunt von damals berichten. Davor gab es noch eine Textüberblendung: “Zwei Jahre später, im Mai 1970, trat das Lohngleichheitsgesetz in Kraft. Ähnliche Gesetze folgten schnell in den meisten industrialisierten Ländern weltweit.” Apropos, wie sieht es eigentlich mit Equal Pay in der Filmbranche aus, vor und hinter der Kamera? Bekommen Frauen und Männer das gleiche Geld für die gleiche Arbeit? Das ist ein Thema für einen anderen Tag.

MARGARETE STEIFF verzichtet auf Vor- und Schlusstitel. Leider, denn am Ende wäre ein „Vier Jahre später, im Jahr 1907 wurden 974.000 Teddybären gefertigt. Margarete Steiff starb 1909 im Alter von 61 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Die Firmenleitung übernahmen ihre drei Neffen. Bis heute hat die Steiff Retail GmbH ihren Firmensitz in Giengen / Brenz.“ informativ gewesen.

Trotz aller Kritik sind beide Filme unbedingt sehenswert, nicht zuletzt weil sie die inspirierenden Geschichten von Näherinnen erzählen, die durch ihre Arbeit und ihr Nichtaufgeben den Lauf der Geschichte maßgeblich beeinflusst haben, nicht nur für sich, sondern für viele nach ihnen.

Ich habe mir jetzt jedenfalls erst einmal eine Nähmaschine gekauft.

Ein Steifftier und eine Nähmaschine. Foto: SchspIN

Ein Steifftier und eine Nähmaschine. Foto: SchspIN