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Gedanken einer Schauspielerin

Fernsehen: der öffentliche Anspruch

Der Anspruch an die öffentlich-rechtlichen Sender

Heute geht es um die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, ihren im Rundfunkstaatsvertrag festgeschriebener Auftrag und die Rundfunkräte, die dessen Umsetzung überwachen sollen. Ist sichergestellt, dass die Programme von ARD und ZDF dem öffentlichen Anspruch gerecht werden? Es wird die Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats betrachtet, und dazu drei ZDF-Beispiele: SPORT, MORD und SHOW.

„Und so etwas wird mit meinen GEZ-Gebühren finanziert?“  – diese Frage haben bis vor kurzem die meisten von uns sicher schon mal gehört oder gestellt. Seit dem 1. Januar 2013 heißt es nun: „Und so etwas wird mit meinem Rundfunkbeitrag finanziert?“ oder „Dürfen die Sender das überhaupt?“

Die gesetzlichen Grundlagen

Grundsätzlich gelten natürlich auch für die Macher/innen in den Rundfunkanstalten das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Freiheit für Kunst und das Verbot der Zensur (Art. 5 Grundgesetz / GG). Im Speziellen regeln weitere Gesetze und Vorschriften das Fernsehgeschehen, allen voran  der Rundfunkstaatsvertrag / RStV., in dessen § 11 der Auftrag der durch Rundfunkgebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Sender beschrieben wird:

 (1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, (…) als Medium der öffentlichen Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. (Sie) haben (…) einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. (…)
(2) Die (…) Rundfunkanstalten haben (…) die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.

Zusätzlich haben ARD und ZDF eigene Staatsverträge: den ARD Staatsvertrag / ARD StV, der das „gemeinsame Fernsehvollprogramm Das Erste“ der in der ARD zusammen-geschlossenen Landesrundfunkanstalten behandelt, und den ZDF-Staatsvertrag (ZDF StV) der das ZDF-Programm regelt.  Der ZDF StV ist wesentlich ausführlicher (33 gegenüber 9 Paragraphen), und behandelt im § 5 die „Gestaltung der Sendungen“:

(1) In den Sendungen des ZDF soll (…) insbesondere ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit vermittelt werden. Die Sendungen sollen eine freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung fördern.
(2) Das Geschehen in den einzelnen Ländern und die kulturelle Vielfalt Deutschlands sind angemessen im Programm darzustellen.
(3) (…) Die Sendungen sollen dabei vor allem die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland fördern sowie der gesamtgesellschaftlichen Integration in Frieden und Freiheit und der Verstän­digung unter den Völkern dienen und auf ein diskriminierungsfreies Miteinander hinwirken.

Frauen werden zwar nicht explizit erwähnt, sind aber vermutlich in irgendeinem Punkt mitgemeint.
Auf dem Papier sind alle Menschen in Deutschland, d.h. die 41,7 Mio. Frauen und die 40,3 Mio. Männer gleich (Art. 3 GG), – aber ihre gesellschaftliche Realität unterscheidet sich leider immer noch sehr. Dies wird auch vom Staat so gesehen, deshalb lautet der 2. Absatz des Artikel 3 GG:

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

In gewisser Weise stellen die öffentlich-rechtlichen, fiktionalen Programme eine Fortsetzung dieser Benachteiligung mit anderen Mitteln dar. Natürlich sind fiktionale Formate, also Fernsehfilme, Reihen, Serien, ja genau das: fiktional, ausgedacht. Spielfilme sind keine Alltagsdokumentationen, keine Aufzeichnung von Überwachungskameras. Sondern sie erzählen außergewöhnliche, bemerkenswerte, besondere Geschichten, die so passieren, passierten oder passieren könnten, im Positiven wie im Negativen (von Romanze bis Horrorthriller), sie setzen Zukunftvisionen filmisch um (Science Fiction, Utopien, Dystopien), sie liefern erfundene Inhalte.
Allerdings gibt es keinen schlüssigen Grund, warum diese erfundenen Geschichten hauptsächlich von Männern handeln, und Frauen zur Randgruppe und Minderheit werden müssen. Ich nenne das Retro-Realität, und beschreibe sie über drei Parameter:

  • 1 zu 2 – deutlich weniger Frauen- als Männerrollen
  • 40minus – Verschwinden von Frauen ab 40
  • 1950er – antiquierte Geschlechterstereotype und Schmonzettisierung

Wie konnte es dazu kommen, wenn doch der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ist, ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit zu vermitteln sowie auf gesamtgesellschaftliche Integration, Frieden, Freiheit, Völker-verständigung und ein diskriminierungsfreies Miteinander hinzuwirken?

Anspruch und Wirklichkeit – wer passt (nicht) auf?

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden von Intendant/innen geleitet.
In der ARD gibt es im Fernsehbereich neun: Ulrich Wilhelm (BR, seit dem 1.2.2011), Dr. Helmut Reitze (HR, seit dem 13.1.2003), Karola Wille (MDR, seit dem 1.11.2011), Lutz Marmor (NRD, seit dem 13.1.2008), Jan Metzger (Radio Bremen, seit dem 1.8.2009), Dagmar Reim (RBB, seit dem 1.5.2003), Thomas Kleist (SR, seit dem 1.7.2011), Peter Boudgoust (SWR, seit dem 1.5.2007) und Tom Buhrow (WDR, seit dem 1.7.2013).

Das ZDF hat einen Intendanten, Dr. Thomas Bellut (seit dem 15. März 2012). Zuvor war er Programmdirektor, sein Nachfolger wurde am 1. April 2012 Dr. Norbert Himmler.

Nach § 27 ZDF StV. ist der Intendant „für die gesamten Geschäfte des ZDF einschließlich der Gestaltung der Programme verantwortlich.“ Er beruft „im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat“ unter anderem den Programmdirektor.

Darüber, dass die Sender ihren Auftrag erfüllen und in der Programmgestaltung berücksichtigen, wachen die 9  Rundfunkräte der ARD und der ZDF-Fernsehrat. Diese Räte sind Kontrollgremium und Vertretung der Gesellschaft zugleich. So heißt es auf den Senderwebseiten: „Bei sämtlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (…) (ist der Rundfunkrat) die Vertretung der Allgemeinheit und das höchste, mit der Programmkontrolle beauftragte Aufsichtsgremium.“ (ARD) und „Der Fernsehrat nimmt seine Aufgaben stellvertretend für die Gesellschaft wahr und soll die in der Gesellschaft bestehende Meinungsvielfalt zum Ausdruck bringen.“ (ZDF)

Wer vertritt die Gesellschaft?

Die Zusammensetzung der 9 Rundfunkräte der ARD folgt in Kürze, heute zunächst die des ZDF-Fernsehrats. In diesem Gremium, das die Gesellschaft repräsentieren soll, sitzen 22 Frauen und 55 Männer (Verhältnis 1 : 2,5), die „im Sinne der Zuschauer/innen“ zu beraten und beschließen, „für die Sendungen des ZDF Richtlinien aufzustellen und den Intendanten in Programmfragen zu beraten“ haben (§ 20 ZDF StV). Das Gremium tagt vier Mal im Jahr, gewählter Vorsitzender ist Ruprecht Polenz.

ZDF_Fernsehrat

Die letzte Gruppe, die „Übrigen“, heißt in Wirklichkeit „Erziehungs- und Bildungswesen, Wissenschaft, Kunst, Kultur, Filmwirtschaft, Freie Berufe, Familienarbeit, Kinderschutz, Jugendarbeit, Verbraucherschutz und Tierschutz“ und hat 16 Plätze im Rat. Fast die Hälfte (10) der 22 weiblichen Fernsehratmitglieder sind hier zu finden. Wobei aus der ZDF-Übersicht nicht ganz hervorgeht, wer die Vertreter/innen benannt bzw. entsandt hat.

ZDF_Fernsehrat_2

Die größte Gruppe im Fernsehrat sind Politiker/innen bzw. Staatsvertreter/innen. Alle 16 Landesplätze werden von Männern eingenommen, das sind z.B. Staatssekretäre, Minister, Landesvorsitzende von Parteien. Das ist erstaunlich, denn in allen Landesparlamenten gibt es auch weibliche Abgeordnete, in allen Landesregierungen gibt es auch Ministerinnen, und in vier Bundesländern auch Ministerpräsidentinnen (NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen). Warum also nur männliche Landesvertreter, reiner Zufall?

Vom Bund werden auch 3 Politiker/innen geschickt, dazu kommen 12 Vertreter/innen von Parteien. Auch unter den „Übrigen“ sind 6 Politiker/innen.

Natürlich sind Politiker/innen und Staatsbedienstete, also Vertreter/innen der Legislative und der Exekutive, auch Teil der Gesellschaft und des Fernsehpublikums. Aber es ist schon beachtlich, dass ungefähr die Hälfte des 76-köpfigen Gremiums Politiker/innen sind, sie aber nicht die Hälfte der Gesellschaft stellen. Das tun andererseits die Frauen, die in diesem Gremium nur zu einem Drittel vertreten sind.

Alles gut?

Die Rundfunkräte sind ein Aufsichtsgremium und sollen die gesellschaftliche Meinungsvielfalt zum Ausdruck bringen, unabhängig davon, ob sie repräsentativ zusammengesetzt sind oder nicht.
Aber wie läuft es im konkreten Fall ab, haben sie ausreichende Kompetenzen und nutzen sie ihre Möglichkeiten?
Wenn der Fernsehrat tagt gibt es hinterher eine Pressekonferenz und eine Pressemitteilung, die meist recht einvernehmlich wirkt. Vielleicht gibt es aber dennoch kontroverse Diskussionen, werden Entscheidungen der ZDF-Verantwortlichen modifiziert, Programminhalte und Produktionen infrage gestellt oder sogar vom Fernsehrat initiiert. Das gilt es weiter zu recherchieren.

Zum Abschluss drei Beispiele aus dem ZDF-Programm: es wäre interessant zu erfahren, was die Mitglieder des ZDF-Fernsehrats hier unternommen haben, als Aufsichtsgremium, als Repräsentant/innen der Gesellschaft, als Gegenpart zu den ZDF-Hauptamtlichen.
Das Männerübergewicht und die Retrorealität im fiktionalen Bereich lasse ich heute einmal außen vor, stattdessen ein kurzer Blick auf SPORT, MORD und SHOW.
(Und demnächst geht es dann auch um die ARD und die Dritten Programme. Versprochen.)

SPORT: erstens ziemlich teuer, zweitens Männersache

2010 bis 2013 lag der Anteil von Sportsendungen im Hauptprogramm des ZDF zwischen 5,7 und 7,4 %, mit durchschnittlichen jährlichen Kosten bei 227 Mio. €. Quelle ZDF) 2014 dürften sie weitaus höher liegen. Dazu gleich mehr.
Von den 227 Mio. € wurden im Schnitt 171 Mio. € für Nutzungsrechte gezahlt, das sind 62 %. Einen sehr großen Teil davon machen die Übertragungsrechte der Fußballchampionsleague (CL) – der Männer – aus, hier zahlt das ZDF jährlich mindestens 50 Millionen € seit der Saison 2012/13. Zuvor wurden diese Spiele von Sat 1, einem Free TV Sender, übertragen. Intendant Thomas Bellut begründete den Kauf der Rechte u.a. damit, dass auf diese Weise neue Publikumsgruppen für das heute journal gewonnen würden, das in den Halbzeiten ausgestrahlt wird.
Ganz abgesehen davon, dass nicht sicher ist, ob die Fußballzuschauer/innen in der Halbzeit wirklich das heute journal sehen und nicht vielleicht nur den Fernseher laufen lassen während sie zum Kühlschrank oder ins Badezimmer gehen oder die erste Halbzeit diskutieren, – warum 50 Millionen € pro Jahr für etwas, das es vorher auch kostenlos zu sehen gab?
Die Fußballspiele laufen abends, zu der Zeit wird im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine Werbung mehr gezeigt. Im Gegensatz zu Sat1 kann das ZDF nicht teure Werbeminuten zur Gegenfinanzierung verkaufen. Um einmal die Relation zu sehen, 50 Millionen € (= jährliche CL-Übertragungsrechtepreis) entsprechen:

  • der Produktion von 125 Folgen der ZDF-Vorabendserien, Folgenpreis durchschnittlich 400.000 € für 45 min.,
  • gut 35 ZDF Fernsehfilmen „Sendeplätze am Hauptabend“, durchschnittliche Kosten 1,4 Mio. €,
  • 31 Samstagabend-Eventshows à 150 min, durchschnittliche Kosten 1,6 Mio. €
  • 208 ,großen Prime-Time Dokumentationen’ ZDFzeit, durchschnittliche Kosten 240.000 €.
  • der Hälfte der täglichen Nachrichten / tagesaktuellen Informationsmagazine im ZDF, jährlicher Gesamtaufwand 102 Mio. €.

Wie dachten die Mitglieder des Fernsehrates über die hohen Ausgaben für die CL? Haben sie die einstimmig oder mehrheitlich gebilligt? Wurden sie in die Entscheidung über eine Rechteverlängerung einbezogen? Welche Kompetenzen hat der Fernsehrat eigentlich?

Und noch ein teures Fußballbeispiel:
Dieses Jahr wurde in Brasiien die Weltmeisterschaften der Männer ausgetragen, ARD und ZDF berichteten ausgiebig, vorher, währenddessen und hinterher. So ziemlich alle Spiele der WM 2014 wurden übertragen und von Experten teilweise mehrere Stunden vor- und nachbereitet. ARD und ZDF haben – vermutlich sehr hohe – Beträge für die WM-Übertragungsrechte gezahlt. Zusätzlich zu den eigenen Nutzungsrechten mussten ARD und ZDF auch die Pay TV-Übertragungsrechte kaufen. Hierzu schrieb mir die Zuschauerredaktion des ZDF:

„Grundsätzlich hängt der Umfang der vom ZDF zu erwerbenden Rechte davon ab, wie die Rechte vom Rechteinhaber angeboten werden. Für die WM 2014 wie auch für die WM 2018 sind die Rechte von der FIFA nur in Form eines einzigen, alle Rechte umfassenden Pakets für Deutschland angeboten worden. Die insoweit miterworbenen Pay TV-Rechte für die WM 2014 haben ARD/ZDF über ihre Sportrechteagentur SportA umfassend im deutschen Markt zur Sublizenzierung angeboten. Anders als bei früheren Events (z.B. WM 2010) hat Pay TV für die WM 2014 kein Interesse an einem Rechteerwerb gezeigt. Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass ARD/ZDF alle Spiele der WM live im Free TV gezeigt haben.

Sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, dass wir auf weitere Einzelheiten aus Gründen vereinbarter Vertraulichkeit nicht eingehen können.“

Von der ARD bekam ich folgende Auskunft:
„Ich habe Ihre Frage an die ARD Sportkoordination weitergeleitet. Die Kollegen haben mir mitgeteilt, dass sie zu vertraglichen Details grundsätzlich keine Auskunft erteilen können.“

Dass die Rechte nur im Paket angeboten wurden ist unerfreulich und wie viele andere Entscheidungen der FIFA zu kritisieren (das wäre aber ein anderes Thema). Allerdings werden die Spiele der eben erwähnten Champions League der Männer auch parall von ZDF und SKY übertragen, das allein kann also SKY nicht vom WM-Rechtekauf abgehalten haben. Was dann? Die WM-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender, die oft 2 Stunden vor dem ersten Spiel an einem Abend begann und 2 Stunden nach dem letzten endete?

Die übrigens trotz der ausgedehnten Dauer keinen Platz für Frauen hatte. Genau, alle Spiel wurden von Männern kommentiert, nicht einmal die sehr erfahrene ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann durfte ans Mikro. Auch die Expertise in der Nachbetrachtung kam nur von Männern, von ehemaligen Fußballprofis zum Beispiel. Natürlich gäbe es auch jede Menge turniererfahrene Expertinnen, z.B. aktuelle oder ehemalige Nationalspielerinnen, – die DFB-Frauen gewannen bekanntlich 2003 und 2007 die WM, und halten aktuell schon zum 6. Mal seit 1995 den EM-Titel. Aber ARD und ZDF blieben ihrer reinen Männerlinie treu. Nein, das stimmt nicht ganz. Für das ZDF lieferte Katrin Müller-Hohenstein (ZDF) atmosphärische Interviews und Berichte aus dem Umfeld der deutschen Nationalelf. ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz erklärte die Absicht dahinter gegenüber der WELT so: „Fußball ist bei einer WM nicht nur Sache von eingefleischten Fußballfans. Hier schauen ganze Familien zu, der Frauenanteil ist zum sonstigen Fußballalltag überproportional hoch.“ Ah ja.

Doch nochmal die Frage: Gab es in den Rundfunkräten im Nachhinein eine kritische Würdigung der WM-Berichterstattung? Wurde im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag für ein ausgewogenes Programm darüber gesprochen, dass es tatsächlich Menschen in Deutschland gibt, die sich nicht für Fußball interessieren, oder denen es reichte, nur die Spiele zu sehen? Menschen, die auch während der 4-Wochen WM noch Spiel- und Dokumentarfilme, politische Magazine, Reportagen und mehr sehen wollten, und das zu guten Sendezeiten? Wurde über den Zockerskandal von ARD und ZDF gesprochen, das verlorene Geld? Über die fehlenden Frauen? Oder war für den Intendanten und den Programmdirektor und den Fernsehrat mit 2/3 Männern alles in Ordnung, Fußball ist König (sic!), es kann gar nicht genug Sendungen geben, und kein Preis ist zu hoch?

KRIMIS: mehr Morde als im wirklichen Leben

Die höchste Einschaltquote für fiktionale Formate im deutschen Fernsehen haben die ARD-TATORTE, also scheinen Krimis eine gute Bank zu sein.

Nun kann das ZDF natürlich nicht den TATORT einkaufen, aber eigene Kriminalfilme drehen, z.B. in der Montagabendschiene (FERNSEHFILM DER WOCHE). Oder im Serienbereich. Und eigene beliebte Formate immer wieder kopieren. DIE ROSENHEIM-COPS (ZDF) ist eine erfolgreiche TV-Vorabendserie, also werden auch noch die GARMISCH-COPS produziert. Seit 1978 läuft die SOKO 5113 erfolgreich im ZDF-Vorabendprogramm. Mittlerweile gibt es 5 weitere Soko-Krimiserien, in Wismar, Köln, Leipzig, Kitzbühel und Stuttgart, – und sogar einen österreichischen Ableger, die SOKO DONAU (ORF eins).

ZDF und ZDFneo senden täglich zu jeder Tages- und Nachtzeit Krimiformate, deutsche, internationale und Ko-Produktionen, alles von neuen 90-Minüter-Premieren bis zu jahrzehntealten Serienwiederholungen.

Laut Fernsehprogramm liefen in der 34. Woche (18.-24.8.14) im ZDF 26 deutsche und 10 internationale Krimis sowie ein deutsch-internationaler. In der gleichen Woche gab es bei ZDFneo 52 Krimis: 19 deutsche, 32 internationale und 1 ko-produzierten. Das sind in einer Woche insgesamt 37 + 52 = 89 Krimis bzw. Krimifolgen, darunter 45 deutsche Produktionen. Niedrig geschätzt würde ich im Durchschnitt pro Krimi/Krimifolge einen Mord annehmen, also zeigten ZDF und ZDFneo zusammen mehr als 12 Morde täglich. Dazu gibt es noch die Krimis in ARD und den dritten Programmen, nicht zuletzt die vielen (wiederholten) TATORTE.

Es ist schon erstaunlich – um es neutral auszudrücken – wie viele Geschichten im Fernsehen über Krimis erzählt werden. Fehlen die Ideen, oder ist das einfach ,Nummer sicher’, Krimis kommen ja immer gut an. Was nicht schwer ist, denn es gibt ja bald kaum noch was anderes.

Wie ist das in echt? In Deutschland gab es im Jahr 2012 laut Polizeistatistik 2.126 registrierte Morde, das sind durchschnitt 40 pro Woche oder knapp 6 pro Tag. Also zum Glück wesentlich weniger, als die öffentlich-rechtlichen Sender täglich im Programm haben.

Wird so etwas in Sitzungen des Fernsehrats thematisiert? Da wird vermutlich das alte und neue Programm vorgestellt. Wird darüber gesprochen, wenn es schon wieder einen neuen Soko-Ableger geben soll? Wird gefragt, warum unter der Marke „Fernsehfilm der Woche“ so viele Krimis laufen? (2013 waren von 46 Filmen 15 Krimis und 17 Thriller. Siehe ZDF Fernsehfilme der Woche 2013).

Vielleicht. Aber haben Diskussionen im Fernsehrat überhaupt irgendwelche Auswirkungen? Würde es womöglich ohne ein Einschreiten von Fernsehratsmitgliedern noch mehr Krimis im Programm geben? Oder finden das alle so in Ordnung, der Rat ist nur zum Abnicken da?

Eine kurze Bemerkung noch zu ZDFneo.

Die Wochenprogrammauswertung zeigt, dass im ZDFneo noch mehr Krimis laufen als im ZDF – 52 gegenüber 37, darunter beispielsweise täglich nachmittags je zwei Folgen von MAGNUM (US-Fernsehserie, 1980 – 1988) und DREI ENGEL FÜR CHARLIE (US-Fernsehserie, 1976 – 1981). Das ist schon erstaunlich, denn nach eigenem Anspruch ist ZDFneo „intelligentes und unterhaltendes Fernsehen für ein Publikum zwischen 25 und 49 Jahren, das sich für attraktive internationale Serien, originelle Shows, lebensnahe Reportage- und Dokutainmentformate begeistert. In ZDFneo treffen die Zuschauer auf charismatische, inspirierende und leidenschaftliche Typen und erleben echte und mitreißende Geschichten. ZDFneo macht Spaß und bietet Unterhaltung mit Anspruch.“

SHOWS: Right or Wrong, My Einschaltquote

Es ging ja bereits ausführlich durch die Medien: die Ergebnislisten der ZDF-Ratingshows DEUTSCHLANDS BESTE MÄNNER und DEUTSCHLANDS BESTE FRAUEN sind gezielt manipuliert worden, d.h. bestimmte Männer oder Frauen wurden auf den veröffentlichten Listen höher platziert als ihrem Ranking entsprach. (Genaugenommen waren das keine Deutschlands Beste-Wahlen sondern eine „Wählt Eure Lieblingsleute aus dieser Liste von 100 Leuten“. Denn die waren vorgegeben. Aber das ist ein anderes Thema.)

In einer ZDF-Pressemitteilung vom 17.7.2014 heißt es:
Das ZDF wird die Reihe „Deutschlands Beste!“ nicht fortsetzen und dem Programmausschuss des Fernsehrats, der am 25. Juli tagt, Maßnahmen vorschlagen, mit denen eine Wiederholung eines solchen Falls ausgeschlossen wird.“

Wer genau da die Maßnahmen vorschlagen wird ist nicht ganz klar. Ich habe nach dem 25. Juli keine Pressemittelung des Programmausschusses gefunden, allerdings finden sich einige interessante Aussagen von ZDF-Intendant Thomas Bellut in dem Artikel „ZDF-Fernsehrat nach Show-Skandal – Tätige Reue“ in der Süddeutschen Zeitung vom 25. Juli 2014 von David Denk. Demnach endete die nicht-öffentliche Programmausschusssitzung laut Bellutmit der Empfehlung an den Fernsehrat, Deutschlands Beste! in seiner Sitzung am 19. September zu missbilligen“.

Das mit der Missbilligung war auch schon vorher verbreitet worden, es klingt nicht nach einem eigenständigen Fernsehrat, sondern eher nach einem Gremium, das ausführt, was ihm angetragen wird. Das unterstreicht auch diese Passage: „Bellut nutzte das Gespräch mit der SZ, um zu demonstrieren, wer der Herr im Hause auf dem Mainzer Lerchenberg ist:  ,Alles, was entschieden wurde, ist von mir entschieden worden'“, sagte der 59-Jährige.
Das entspricht auch seiner eingangs genannten Aufgabe: „Der Intendant ist für die gesamten Geschäfte des ZDF einschließlich der Gestaltung der Programme verantwortlich.“ (§ 27 ZDF StV.), aber genauso wurde eingangs erwähnt, dass der Fernsehrat „die in der Gesellschaft bestehende Meinungsvielfalt zum Ausdruck bringen“soll (Senderwebseite) soll und „den Intendanten in Programmfragen zu beraten“ hat (§ 20 ZDF StV). Geschieht das tatsächlich? Mit welchen Auswirkungen?

Übrigens hatte auch der NDR seinen Skandal um manipulierte Rankingshows. Dort wurden Abstimmungsergebnisse (Rankings) nachträglich verändert, um „eine bessere Sendungs-Dramaturgie zu erzielen oder ansprechenderes Bildmaterial verwenden zu können“ (Zapp, 8.8.14). Dort wurden Abstimmungsergebnisse (Rankings) nachträglich verändert, um „eine bessere Sendungs-Dramaturgie zu erzielen oder ansprechenderes Bildmaterial verwenden zu können„.

Abstimmungs- oder Wahlergebnisse manipulieren ist natürlich immer schlecht. Es erstaunt aber schon etwas mehr, wenn so etwas bei öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten passiert, die nicht dem gleichen Einschaltquotendruck unterliegen wie die werbefinanzierten Privatsender (siehe auch: Um Himmels Willen, die TV-Quoten!). Das soll aber jetzt keine Verdächtigung gegenüber den Privatsendern sein, sie würden per se Sendungen manipulieren.

Der ZDF-Staatsvertrag enthält auch einen Passus zu bzw. gegen Einschaltquotendruck, im § 3 (Programmerstellung, Verwertung) heißt es ausdrücklich: „Das ZDF (…) darf jedoch Fernsehproduktionen nicht in erster Linie zum Zwecke der wirtschaftlichen Verwertung erwerben, herstellen oder herstellen lassen.“

Horizontal statt vertikal

Allen drei Beispielen – SPORT, MORD und SHOW – ist gemeinsam, dass das Erreichen einer hohen Einschaltquote die Richtschnur für Programmentscheidungen und –konzipierungen war.

Das heißt, es wird auf eine größtmögliche Einschaltquote für eine einzelne Sendung hingearbeitet – der Sportevent, die Megashow usw. – anstatt ein ausgewogenes vielfältiges Programm zu verschiedenen Tageszeiten und damit gleichzeitig für verschiedene Publikumsgruppen anzubieten, innerhalb von 24 Stunden oder innerhalb einer Woche. 4 Wochen Fußballdauerberieselung, 89 Krimis in einer Woche, das wirkt nicht wirklich vielseitig.

 Es wäre schön, wenn sich die Mitglieder des Fernsehrats etwas emanzipieren und für qualitative Breite stark machen, anstatt die Ausgaben und Bemühungen der Sender für Einschaltquotenspitzen abzunicken. Ganz zu schweigen von einem Einsatz gegen Retro Realität in fiktionalen Fernsehformaten.

Fernsehratsmitglieder, übernehmen Sie!