SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Die Empirie schlägt zurück – STAR WARS – Empiricism Strikes Back

Heute geht es um zwei Star Wars Filme und ihre Besetzung, den allerersten, der 1977 als STAR WARS in die Kinos kam (und 1981 um den Untertitel „Teil IV – EINE NEUE HOFFNUNG“ ergänzt wurde) und den bislang zuletzt erschienenen Teil VII, DAS ERWACHEN DER MACHT, aus dem Jahr 2015. Die Fotos heute sind von ARS, die Figuren und Auswertungen von SchspIN.

STAR WARS und die Rollen

Das erste Bild zeigt alle Sprechrollen und die prozentuale Aufteilung des gesprochenen Textes – je weiter vorne eine Figur steht desto mehr Text hat sie im Film. Wie immer sind die weiblichen Figuren in hellblau, die männlichen in pink. schspin_star-wars-1Zwei Männer bei 18 % und eine Frau bei 15 % – nein, das sind nicht Luke, Han Solo und Prinzessin Leia aus dem ersten Film der Reihe, sondern Finn, Han Solo und Rey, drei Hauptfiguren aus  DAS ERWACHEN DER MACHT.
Bild 2 zeigt eine relativ vertikale Sicht auf denselben Set, i
n den letzten drei Reihen stehen die Rollen mit weniger als 1 %  Textanteil. Der Frauenanteil insgesamt beträgt knapp 23 %.

THE FORCE AWAKENS - Star Wars VII. Sprechrollen nach %-Anteil am Gesamttext. F = blau, M = pink. Foto: ARS

THE FORCE AWAKENS – Star Wars VII. Sprechrollen nach %-Anteil am Gesamttext. F = blau, M = pink. Foto: ARS

Der allererste STAR WARS (Buch und Regie George Lucas) hatte tatsächlich nur zwei weibliche Sprechrollen (Prinzessin Leia und Lukes Tante Beru). Zwei. In einem Sprechcast von knapp 60 Personen. Insofern sind die 22,9 % für den siebten Teil der Saga schon eine enorme Steigerung, dazu kommt die weibliche Hauptrolle in einem Science Fiction Film. Aber da ich filmisch nicht mit Hollywood sozialisiert wurde löst dies bei mir keine Ekstase aus. Es ist nicht schlecht, aber wieso werden im 21. Jahrhundert weiter Science Fiction Filme gedreht, in dem Frauen nur als Ausnahmeerscheinung vorkommen?

Zurück zur Hauptrollen-Frage. In meinem letzten Text (Schäfchen zählen ist leicht) habe ich u.a. darüber gesprochen, dass es mit einer objektiven Kategorie Hauptrolle so eine Sache ist, und dass die Berühmtheit der Darsteller*innen oder schlicht eine Definition kleinere Rollen zu Hauptfiguren machen können.
Betrachten wir einmal die Besetzung im Filmabspann, die auch dem IMDB-Eintrag zugrunde liegt, dann sehen wir Han Solo, Luke (kein Text, gefühlt eine Szene) und Leia, gefolgt von Kylo Ren, Rey und Finn als die ersten sechs Namen. Gut, die ersten drei, die Held/innen der Ursprungstrilogie, sind Zugpferde. aber selbst nach ihnen kommt nicht direkt Rey. Sie ist aber tatsächlich die erklärte Hauptfigur, das geht u.a. aus Pressetexten und ihrer zentralen Position auf dem Filmplakat hervor. Dass es allerdings vielleicht nicht alle bei Disney ernst mit einer weiblichen Hauptrolle in diesem Filmgenre meinten zeigte sich u.a. daran, dass zunächst keine Rey-Plastikfiguren im Merchandiseangebot vorgesehen waren (in den USA heißen sie action figures).
Ein ähnliches Schicksal erlitt schon Prinzessin Leia beim STAR WARS Start in den späten Siebziger Jahren. Selbst 2014, als wieder einmal neue, alte Star Wars Plastikfiguren auf den Markt kamen, war sie nicht dabei. Es ist nicht zuletzt der britischen Wissenschaftlerin Natalie Wreyford und der von ihr gestarteten #WeWantLeia-Kampagne zu verdanken, dass sie doch noch ihren Spielzeug-Platz – der zuvor an einen namenlosen weißen Soldaten (storm trooper) vergeben worden war – einnehmen konnte.

Wer ist denn nun die Hauptfigur?

Es gibt eine schöne Passage in Woody Allens Film THE PURPLE ROSE OF CAIRO aus dem Jahr 1985, in der sich die Figuren eines Films über die Bedeutung ihrer Rollen unterhalten:

RITA
Tom war der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte.

JASON
Das stimmt, obwohl es ja im Grunde meine Geschichte ist.

HENRY
Wie meinst Du das, Deine Geschichte? Es ist die Geschichte der Suche eines Mannes nach Selbstverwirklichung.

JASON
Es ist die Geschichte einer komplexen, gequälten Seele.

RITA
Ach hört doch auf. Es geht darum, welche Auswirkungen Geld auf wahre Liebe hat.

JASON
Ich glaube, um Geld geht es überhaupt nicht.

RITA
Meine Erziehung, mein Reichtum, meine Privatschulen…

HENRY
Ich bin derjenige, der in den Adel einheiratet. Ich bin derjenige, ein demütiger Junge…

RITA
Das interessiert niemanden.

HENRY
Wie meinst Du das, das interessiert niemanden? Sie würden nicht eine einzige Karte verkaufen, wenn der Film von Dir handeln würde…

(Alle reden gleichzeitig)

THE PURPLE ROSE OF CAIRO (1985). Buch und Regie: Woody Allen.

Wenn zwei das gleiche tun ist es noch lange nicht dasselbe

Nur mal ein Gedankenspiel: Könnten wir glaubhaft argumentieren, dass Finn (und nicht Rey) die Hauptfigur von ERWACHEN DER MACHT ist? Nicht nur, weil er den meisten Text hat, sondern aufgrund der Handlung (es wäre dann die Geschichte eines Mannes, der – wie sicher in späteren Folgen noch erklärt wird – aus irgendeinem tragischen Grund bei den Bösen landete und Soldat / storm trooper wurde. Und dann desertiert, einem Widerständler (Poe) zur Flucht verhilft, Kumpel von Rey wird, mit ihr rumreist (sie helfen sich gegenseitig), völlig intuitiv ein Lichtschwert halten und damit kämpfen kann, erwachsen wird, Verantwortung übernimmt, ,seine Prinzessin’ retten will usw. usf.? Schon möglich.
Zumal, wenn wir im Hollywoodreporter lesen, wie Schauspieler John Boyega von seiner Besetzung erzählt: „“They wanted to make sure they got the right person for the job. I learned that I got the part over a nice breakfast in Mayfair. J.J. said, ‚John, you’re the new star of Star Wars,‘ and everything froze for a moment.“ (Hervorhebung durch SchspIN: „John, Du bist der neue Star von Star Wars“).

Wohlgemerkt, da steht: der neue Star von Star Wars, nicht: ein neuer Star.
Keine Sorge, ich will nicht die Hauptfigur Rey in Frage stellen, zumal Finn ja auch ein bisschen für den Spaß zwischendurch zuständig ist. Nur – und das zeigt auch die statistische Auswertung des Drehbuchs und des Abspanns – sie ist nicht so eine deutliche Hauptfigur wie es Luke in George Lukas‘ ersten Film war. Die nächsten drei Abbildungen zeigen die Kategorien Text, Sprechszenen und Gesamtszenen und den Anteil, den die jeweiligen Figuren prozentual haben. Dargestellt sind alle Figuren mit mindestens 2 % Anteil (Fotos: ARS):

Finn führt die Kategorien Text und Sprechszenen an, Rey mit größerem Abstand vor Finn die Gesamtszenen. In den Gesamtszenen sind es u.a. deshalb mehr Figuren, weil Chewbacca und BB-8 dazukommen, die zwar sprechen, aber im Drehbuch nicht als Sprechrollen mit Dialogen (mit uähhh bzw. piepbiepiep) aufgeführt sind.
Zum Vergleich
in den nächsten drei Bildern die entsprechenden Auswertungen des ersten Star Wars Films (Fotos: ARS). Luke führt in allen Kategorien, und zwar sehr deutlich. Das könnte Zeichen dafür sein, dass einer Heldin nicht so viel Handlungsraum und Bedeutung zugestanden wird wie dem Helden einer Geschichte.

Im entsprechenden IMDB-Eintrag, der auch wieder der Abspann-Namensfolge folgt, stehen die drei Hauptfiguren Luke, Han Solo und Leia, deren Darsteller*innen vielleicht ähnlich unbekannt waren wie die drei jungen Hauptrollen 2015 (Kylo Ren, Rey and Finn) , ganz oben auf Platz 1 bis 3.

Ich hätte gerne noch ein Diagramm eingefügt, das die Gagen der männlichen und weiblichen Hauptrollen damals und heute zeigt, also 1977 und 2015, aber da fehlen leider öffentlich zugängliche, zuverlässige Zahlen. Ein Thema für einen anderen Tag.

Zur Methodik: Die heutigen statistischen Auswertungen habe ich mit der Drehbuchsoftware DramaQueen gemacht.

dramaqueen-logo

Der Witz-Test: ROGUE ONE

2016 kam ein weiterer Film aus der STAR WARS-Sphäre in die Kinos, der allerdings nicht in die offizielle Reihe gehört: ROGUE ONE oder ROGUE ONE: A STAR WARS STORY (und keinen deutschen Titel kennt). Auch dieser Film hatte eine weibliche Hauptrolle, Jyn (gespielt von Felicty Jones). Neben sieben männlichen:

schspin_star-wars-9

Twitterbeitrag vom 14.10.16 mit Bildschirmfoto Wikipediaeintrag ROGUE ONE. hellblau und rosa Punkte ergänzt durch SchspIN.

Wo sind eigentlich die Frauen in diesem Star Wars-Universum, werden die alle schon als Embryonen abgetrieben? Und die wenigen, die es schaffen, das Erwachsenenalter zu erreichen, sterben die dann im Kindbett? Oder – große Ausnahmen! – sie dürfen als singuläre, einsame Figuren ein bisschen mitmischen, zum Beispiel beim Militär oder bei den Widerstandsbewegungen? Oder in Parlamenten als 5 % Quotenfrauen? Im Jedirat (den gab es in den 3 Prequel-Flmen) gab es nicht einmal diese, nur Männer und andere männliche Wesen.
Wer denkt sich eigentlich solche Stoffe aus? Ja ich weiß, das ist Fiktion. Aber das macht es nicht unangreifbar und weniger unerfreulich.

Es gibt eine schlichte Definition von frauenfeindlichen Witzen. Nach ihr sind das Witze, die nicht mehr funktionieren, wenn man die Frauen in ihnen durch Männer ersetzt.
Wenden wir doch einmal den Witz-Test auf ROGUE ONE und die Star Wars Filme an. Könnten die noch funktionieren, wenn Frauen und Männer ihre Rollen tauschen?
Würde das Publikum, die Star War-Fans und die Vertreter der “Das ist Fiktion”-Argumentation eine ROGUE ONE-Fassung sehen wollen, in der es nur einen einzigen Mann gibt, der einen latenten Mutterkomplex hat und sich einer Frauenwiderstandsbewegung anschließt? Oder (DAS ERWACHEN DER MACHT) würde ihnen als Projektionsfläche bzw. Identifikationsfigur ein junger Mann – Rey – reichen, der mit den unterschiedlichsten Frauen durch die Sonnensysteme reist, um verschiedene böse Frauengestalten zu bekämpfen? Oder (in den drei STAR WARS Filme von 1977, 1980 und 1983) würden sie die Geschichte um eine Frau sehen wollen, die zur Jedi wird, von alten Meisterinnen geschult wird, Freundinnen für die Weltraumreisen und Luftschlachten hat und gegen – wie sich am Ende herausstellt – ihre böse Mutter kämpft? Würde es sie so gar nicht stören, dass es fast keine Männer gibt? Und dass einer dieser Männer gar in einem Film fast nackt und erniedrigt mit einem Eisen um den Hals als Sklave vorkommt – aber unzählige Frauen im Publikum das einfach nur sexy finden? Reicht es ihnen, dass einer der ebenso wenigen Männer in den (in der Handlungschronologie) frühesten Filmen, den Prequels von 1999, 2002 und 2005, immerhin ein König und ein Diplomat ist, aber ab dem zweiten Film nur noch dadurch auffällt, dass er bei jedem Auftritt etwas anderes anhat und eine andere Frisur, ansonsten auf seine Herzensdame wartet und schließlich an gebrochenem Herzen stirbt?
Es wäre ja alles nur Fiktion?

Besser als der Witz-Test wäre natürlich, diese Filme wären alle einem NEROPA-Check unterzogen, d.h. alle 50 bis 60 Rollen in Bezug auf ihr Geschlecht hinterfragt worden. Muss diese Rolle männlich sein? – Ja? Warum? – Nein? Gut, dann ist sie jetzt neutral – und alle neutralen Rollen werden am Ende paritätisch in Frauen- und Männerfiguren gewandelt, bevor die Dreharbeiten beginnen.
Es ist natürlich ziemlich eindeutig, dass der NEROPA-Check nicht stattgefunden hat (die Methode habe ich ja auch erst 2016 erfunden), – schon gar nicht bei ROGUE ONE; zu dem die Filmkritikerin Sophie Charlotte Rieger in ihrem Blog Filmlöwin schreibt:

Die Abwesenheit von Frauen* ist in diesem Film derart eklatant, dass ich es kaum glauben kann. Ist denn beim Schreiben und Lesen des Scripts, dem Casting, dem Kostümentwurf, der Maske, ja bei irgendeinem der vielen, vielen Schritte einer Filmproduktion niemandem aufgefallen, dass außer Felicity Jones nur Männer* im Raum sind?
Blockbuster Check: ROGUE ONE – A Star Wars Story

Hierauf gibt es mindestens zwei mögliche Antworten. Doch, es ist aufgefallen, hat aber niemanden gestört. Und Nein, es ist niemandem aufgefallen.
Für die zweite Möglichkeit könnten die Biographien von Drehbuchautoren und Regisseur sprechen, und die Masse der Hollywood-Filme, mit denen sie vermutlich aufgewachsen sind.
ROGUE ONE wurde inszeniert von dem britischen Regisseur Gareth Edwards, der über den ersten STAR WARS (1977) sagt, dass dieser Film „eindeutig der Grund ist, warum ich Filmemacher werden wollte“. In dem Guardian-Artikel THE FILM THAT CHANGED MY LIFE: GARETH EDWARDS  (Text. Jessica Hopkins) heißt es außerdem:

Ab dem Alter 6 habe ich den Film jeden Tag gesehen, mindestens zwei Jahre lang. Ich muss ihn mehr als 200 mal gesehen hab. Meine Mammi erinnert, wie ich auf langen Autofahren den Film Wort für Wort zitieren konnte. Einmal hab ich das mit dem ganzen Film gemacht. Sie wussten nicht genau ob ich ein großer Fan oder Autist war. (…)
Für so viele Menschen meines Alters ist der Film der Klassiker schlechthin. Er hat wirklich einen Nerv getroffen. Das ist genau die Geschichte die Du als kleiner Junge hören möchtest, dass Du irgendwie an eine Waffe kommst und von Älteren und Mentoren lernst, dass Dir Größeres bestimmst ist und Du eines Tages das Mädchen kriegst und den Bösen umbringst und die Welt rettest
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Ja, sicher, vielleicht ist das die Geschichte, die viele kleine Jungen hören wollen. Aber was ist mit Mädchen? Was wird ihnen gezeigt, was versprochen?
Interessanterweise wollte Edwards ursprünglich Luke Skywalker werden und sich Rebellen anschließen und einen Todesstern in die Luft jagen. Als er Jahre später lernte, dass das Ganze nicht ging weil es nur Fiktion gewesen war entschied er sich, Filmemacher zu werden.  Und schließt mit der erdrückenden Männerlastigkeit von ROGUE ONE an den allerersten STAR WARS von George Lucas an.
Und es geht weiter. Das Drehbuch des für Ende 2017 geplanten achten Teil der Star Wars Saga mit dem Titel THE LAST JEDI wurde wie alle anderen zuvor von Männern geschrieben. Wie bei allen anderen Teilen auch wird es keine Regisseurin geben. Das gleiche gilt für den zweiten Spin-Off, für 2018 ist ein Film über die Vorgeschichte von Han Solo vor dem ersten STAR WARS geplant, auch hier Drehbuch und Regie weiter fest in Männerhand.

Mehr als nichts ist nicht genug

»Willst du nicht ein wenig mehr Thee?« sagte der Faselhase sehr ernsthaft zu Alice.

»Ein wenig mehr? ich habe noch keinen gehabt,« antwortete Alice etwas empfindlich, »also kann ich nicht noch mehr trinken.«

»Du meinst, du kannst nicht weniger trinken,« sagte der Hutmacher: »es ist sehr leicht, mehr als keinen zu trinken.«

Lewis Carroll: ALICE’S ABENTEUER IM WUNDERLAND (1865), Kapitel 7: Die tolle Theegesellschaft. Übersetzung Antoine Zimmermann 1869.

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