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Gedanken einer Schauspielerin

Augen auf – Stereotype – Open Eyes

English Version follows German.

Ich blogge mittlerweile seit vier Jahren über die Branche und eine Reaktion die ich immer wieder bekomme ist „Doppelt so viele Männer- wie Frauenrollen? Das war mir nie aufgefallen, – aber jetzt achte ich darauf, und sehe es auch.“
Ähnlich ist das mit den Stereotypen, die wir von klein auf in Film, Fernsehen und Radio erleben und die unsere Sicht auf die Gesellschaft und die Menschen in ihr und auch von uns selbst prägen. Sie sind so weit verbreitet und normal, dass wir sie oft gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, als Verallgemeinerung, Zerrbild, Auslassung, Vorurteil oder schlimmstenfalls Diffamierung.
Letzten Sonntag 12.2. fand die diesjährige Berlinale-Veranstaltung von Pro Quote Regie in der Akademie der Künste statt: ein „Reality Check“ zu Stereotypen, Rollenklischees und Vorbildern vor und hinter der Kamera, als tolle, bunte Show aus Vorträgen, Gesprächen, Songs und Performances. Gemeinsam mit den Kolleginnen Nina Kronjäger und Julia Thurnau war ich zum Schauspielerinnenpanel geladen, an dessen Ende mich Regisseurin und Pro Quote Regie-Kernmitglied Barbara Rohm zu möglichen Wegen aus der Misere befragte. Ich habe an das von mir Anfang 2016 entwickelte Besetzungstool NEROPA erinnert, mit dem alle Rollen eines Films – von den Protagonist*innen bis zu den kleinsten Nebenfiguren – durchgecheckt werden, um den Frauenanteil im Cast zu erhöhen. Und ich schlug eine neue Aktion vor, mit der wir alle helfen können, Stereotype abzubauen.
(Die Sache hatte ich mir am Tag vorher spontan überlegt; nicht zuletzt, weil die Filmkritikerin Sophie Charlotte Rieger aka Filmlöwin in ihrem Gastbeitrag im Missy Magazin einen Hashtag anmahnte (Berlinale:
Von Frauenquoten, sexualisierter Gewalt vor der Kamera und der Macht des Filmschnitts), gibt es den Text nebst #Augenauf jetzt)

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Augen auf und Mund auf! Stereotype erkennen und benennen

Das Ganze ist denkbar einfach und geht so:
Dir fällt ein Stereotyp auf zu Gender, zu Frauen oder Männern, zu einer anderen Bevölkerungsruppe und und und, beispielsweise in einem Kino- oder Fernsehfilm, einer Radiosendung, in der Medienberichterstattung? Sprich die Verantwortlichen darauf an. Das geht am schnellsten in den social media (mit Hashtag #Augenauf). Oder per Email. Also bei einem Fernsehfilm an den Account des Senders oder der Produktionsfirma, bei einem Kinofilm an die Produktionsfirma oder den Verleih, oder / und die Verantwortlichen für Regie oder Drehbuch, bei einer Radiosendung an die Redaktion oder einfach nur den Sender, bei einem Werbespot an die werbende oder die ausführende Firma, bei einem Artikel an die Zeitung und so weiter und so fort.
Wenn wir das regelmäßig machen, zum Beispiel einmal im Monat oder einmal in der Woche, – und die Posts anderer zu dieser Aktion lesen, teilen und verbreiten – wird das Spuren hinterlassen und zu Veränderungen führen.

Warum? Weil darüber gesprochen wird. Weil die Macher*innen auf Stereotype hingewiesen werden, die ihnen vielleicht selber nicht bewusst waren. Oder ganz einfach, weil es keine gute PR ist, fortwährend auf ewig gestrige Geschlechterklischees angesprochen zu werden.
Da bin ich optimistisch, denn ich kann schon auf zwei kleine Erfolge verweisen:

  • Die Deutschlandradiokultur-Kindersendung Kakadu sendete am 2.11.13 den Beitrag VON DER POLIZEI VERHAFTET – UND DANN? Darin gibt es einen Angeklagten, einen Verteidiger, einen Staatsanwalt, einen Richter und einen Zeugen. Die Gerichtswelt wird als reine Männerwelt dargestellt, auch wenn heute mehr Richterinnen als Richter, mehr Staatsanwältinnen als Staatsanwälte angestellt werden und mehr als 50 % der Studierenden weiblich sind. Nachdem ich darüber gebloggt hatte (Früh übt sich…) schrieb ich die Macherinnen der Sendung an, eine Autorin und eine Redakteurin, die mir auch antworteten. Es ist kaum zu glauben, aber ihnen war das überhaupt nicht aufgefallen. Die Chancen stehen gut, dass sie so einen einseitigen Beitrag nicht mehr produzieren oder unkommentiert anmoderieren werden (durch die Sendung führte eine Moderatorin).
  • ZDF Intendant Thomas Bellut antwortete auf meine Nachfrage zum eklatanten Rollenungleichgewicht während einer Fernsehrat-Pressekonferenz (Live dabei: Die ZDF-Fernsehrat-Pressekonferenz vom 19.9.14) noch: „Nee, ich kenn Ihre Zahl auch nicht, wie Sie dazu kommen. (ungläubig) Dass mehr Männer als Frauen in Fictionangeboten auftreten? Aha. Da würde mich mal die Quelle interessieren. Um das überprüfen zu können.“ Diese Zahlen liefere ich seit Jahren, mittlerweile ist das Thema auch bei den Fernsehsendern angekommen, wie die vergangenen Montag von ZDF und ARD mitgetragene FFA-Studie Gender und Fernsehen zeigt.
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Das war meine Zeichnung zum Neujahr 2016, dem Jahr des Feueraffen

Ich schreibe und twittere regelmäßig zu Stereotypen, Verallgemeinerungen und Auslassungen, hier aus der Erinnerung einige Anlässe für #Augenauf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Gewichtung in der Reihenfolge:

  • Wenn der Film wieder deutlich weniger Frauen- als Männerfiguren hat, sowohl bei den Haupt- als auch Nebenrollen,
  • wenn in dem Film keine Frau einen erkennbaren Beruf hat, die Männer aber schon,
  • wenn ein Krimi schon wieder mit der brutalen Vergewaltigung / Ermordung einer halbnackten Frau beginnt,
  • wenn die Bösen schon ganz böse aussehen. Der Arabischdolmetscher, der bei seinem ersten TATORT-Auftritt (MELINDA) schon so verdächtig guckte und mit den Augen rollte, dass niemand verstand, wieso die Kommissar/innen ihn alleine mit dem kleinen Mädchen lassen,
  • wenn die normale Familie / das Paar im Film eine luxuriöse Wohnung hat, die es nicht unter 2.000 € monatlich gibt,
  • wenn Schwule und schwarze Männer in der deutschen Synchronfassung gefühlt eine Oktave höher sprechen als in der Originalfassung (gilt oft auch für Frauenstimmen übrigens)
  • wenn die weibliche Hauptrolle nur passives Objekt der männlichen Begierde ist (in diesem Zusammenhang siehe Blockbuster-Check: Passengers von Filmlöwin)
  • wenn die Medikamentewerbung mit den Satz „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ endet, und bei uns 70 % der Medizin- und 75 % der Pharmaziestudis weiblich sind,
  • wenn Eurosport bei den Australian Open Männertennis und Frauentennis nur von Männern kommentieren lässt,
  • wenn die Männerfußball-WM 2006 in Deutschland nur mit Schuhplattlern, Lederhosenträgern und Goaßlschnalzhern eröffnet wird,
  • wenn ARD und ZDF zur Olympiawettkampfberichterstattung fast nur Männer nach Rio 2016 schicken,
  • wenn die Zeitung sämtliche Ergebnisse von der Bundes-, 2. und 3. Liga im Männerfußball abdruckt, aber die Bundesligaergebnisse der Frauen nirgends zu finden sind,
  • wenn in der Radiosendung nur von Ärzten und Krankenschwestern gesprochen wird aber nie von Ärzinnen und Pflegern,
  • wenn die taffe, erfolgreiche, biestige Businessfrau im Film erst locker wird, wenn der richtige Mann kommt,
  • wenn die leicht dämlicher Heldin in der Komödie natürlich eine Brille trägt (siehe Katja Nicodemus: Die Heldin? Die mit der Brille!)
  • wenn die xte Frau, von der ein Radiobericht oder Feature handelt – Künstlerin, Aktivistin, Filmschaffende, Autorin o.a.m. – als „zierlich“ bezeichnet wird,
  • und und und

Es gibt bereits die Social Media Kampagne #ichkaufdasnicht gegen diskriminierende Produkte, Werbeanzeigen und Medien (Stichwort rosa-hellblau gegenderte Spielsachen, Speisen und Kleidung) und das Online-Portal Leidmedien, das Journalist*innen für die Berichterstattung über Behinderung sensibilisiert. Da ist #Augenauf als eine Aktion gegen Stereotype in Filmen und Medien die passende Ergänzung.

Soeben habe ich meinen ersten #Augenauf-Tweet gepostet, denn während ich dies schrieb lief im Radio (Deutschlandradio Kultur) anlässlich der Berlinale ein Interview mit der Schauspielkollegin Jasmin Tabatabai. Die Moderatorin Britta Bürger sprach sie darauf an, wie sie es denn trotz ihrer drei Kinder schaffen konnte, ihre Rolle in der Serie LETZTE SPUR BERLIN weiter zu spielen. Würde so eine Frage auch einem Schauspieler gestellt?

Und jetzt Ihr!
Gerne könnt Ihr auch ,Eure‘ Stereotype und vor allem mögliche Antworten von den Verantwortlichen auch hier als Kommentar posten oder mir per mail schicken. Egal ob generelle Anmerkungen oder ganz konkret auf einzelne Sendungen oder Artikel bezogen. Merci!

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English Version

Open Eyes – Stereotypes

I’ve been analyzing and blogging about the industry some four years now and one of the  common reactions I get is this: “Twice as many male roles? I was never aware of that,- but since I’ve started watching it more closely I must say I’ve been noticing it all the time.” It’s somehow similar with stereotypes in films, on TV or on the radio, we grow up with them and they influce the way we see our society and the people in it and even our image of ourselves. Stereotypes are widespread and so much part of our culture that we hardly notice them any more as generalizations, distortions, omissions, prejudices or in the worst case defamations.
Last Saturday Pro Quote Regie held their annual Berlinale event at the Akademie der Künste / Academy of Arts near the Brandenburger Tor: a Reality Check of stereotypes, clichés and role models in front of and behind the camera, with a great, colourful show of key notes, talks, songs and performances. Alongside colleagues Nina Kronjäger and Julia Thurnau I was invited to Pro Quote Regie’s actresses panel at the end of which director and PQR member Barbara Rohm asked me about possible ways out of the misery. I mentioned the casting tool NEROPA that I developed early last year, a method with which all characters in a film are checked – the protagonists and larger roles as well as the smaller ones and all in between – to raise the share of women in the cast. And I proposed a new piece of action with which we could all help to put the focus on stereotypes and help to get rid of them: #OpenEyes.

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Open Eyes and Open Mouths – Observing and Challenging Stereotypes

It is quite easy and this is how it’s done:
You notice a stereotype on gender, on women or men, on some other group in society or or or, in cinema or in a TV film or series, a radio show, in the media? Approach whoever is responsible for this. This is easily done via social media (using the hashtag #OpenEyes), or email. So when it’s a TV movie you find the account of the broadcasting or production company, for a feature film it’d be the production company or the distributor, the director or scriptwriter, for a radio show you look for the comissioning editors, for an advertising spot it’s either the company who produced the spot or the company whose product is being advertised, for a newspaper article you find the editor and so on and so forth.

If we all do this regularly, maybe once a month or once a week, – and read and share the posts of others in this campaign – then it will have an impact and lead to change.

Why? Because stereotypes will be discussed. Because the people responsible are made aware of stereotypes they may not have been conscious of. Or simply because it isn’t good publicity to be constantly addressed regarding your stuck in the mud gender stereotypes.

I am optimistic because I’ve been a little successful on two occasions:

  • There is a children’s programme on public radio Deutschlandradiokultur, called Kakadu (cockatoo). In the programme from 2.11.13 they broadcast a feature called ARRESTED BY THE POLICE – WHAT HAPPENS NEXT? There we get to know the defendant, his barrister, the prosecutor, a judge and a witness. The world of a law court is presented as a male world, even if we have more female than male judges, more female than male prosecutors in Germany and also more than 50 % female law students. After I had blogged about this (´Tis early practice only…..) I wrote to the author and the contributing editor and they wrote back. As unbelievable as it may seem, they hadn’t even noticed the male bias when they produced the feature and appeared to be somewhere between surprise and shock. I think there is a good chance that they would produce such a one-sidedly cast programme again.
  • Thomas Bellut, director general of the ZDF (German pulic televison channel two) at a press conference of the ZDF TV board two and a half years ago answered this to my question concerning the blatant male bias of casts: “No, I don’t know your figures, and I also don’t know how you came by them. (incredulous) That there should be more men than women in fictional programmes? I see. I would like to see the source for that. To be able to verify it.” I’ve been providing these numbers for years, and now finally the issue has reached broadcasters as well, as shown by the latest FFA research on Gender and television (in German only).
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This was my drawing for the New Year in 2016, the year of the fire monkey

 I’m writing – for example here and on twitter – regularly about stereotypes, generalizations and omissions, so here are a few occassion suitable for #OpenEyes, without any claim to completeness and without any weighing in the order:

  • When a film clearly has more male than female characters, both for leads and supporting roles,
  • when no woman in the film has a profession, but the men do,
  • when a crime drama starts with the violent rape / murder of a half-naked woman,
  • when the bad guys really looks like a baddie, right from the start (especially if he is from an ethnic minority),
  • when the normal family or couple live in a luxurious flat that will cost 2.000 € monthy rent at least,
  • when gays and black men are dubbed by German actors that talk at least an octave higher than in the Original version (the same applies to female voices at times),
  • when the female lead is objectived and has no depth and no will of her own (read Alex Casey’s review on PASSENGERS)
  • when commentary on men’s Grand Slam tennis matches is never by a woman but women’s matches are mostly covered by men,
  • when the opening ceremony of the men’s football world cup in Germany 2006 consisted only of cultural elements from Bavaria,
  • when the two German public TV broadcasters sent 90 % male reporters to Rio 2016,
  • when every newspaper will print the results of the top 3 men’s football league but not a single mention on the Bundesliga top league of the women,
  • when pharmaceutical advertisments only mention Ärzte (male doctors) and Apotheker (male pharmacists), even though 70 % of medical students and 75 % of pharmacy students are female,
  • when the radioshow only talks of Ärzte (male doctors) and Krankenschwestern (female nurses) but never does it the other way around,
  • when the tough, successful, mean business woman in a film will only start to relax and be likeable when the right man comes along,
  • when the slightly stupid female lead in a comedy is of course wearing glasses
  • and more and more and more

Yesterday I tweeted for the first time with #Augenauf (that’s the German hashtag), having listened to a radio interview with German actress Jasmin Tabatabai at the Berlinale Berlin International Film Festival. She was asked by journalist Britta Bürger how she could manage to continue in German TV series LETZTE SPUR BERLIN despite her three children. Would an actor who is a father be asked something similar?

And now it’s your turn!
If you like you can also post “your” stereotypes and possible answers by those responsible for them as a commentary under this blog text or send them to me via mail, no matter if it’s general remarks or specific criticism of a single programme or article. Dankeschön!