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Gedanken einer Schauspielerin

Berlinale 2014 und die Decke aus Celluloid

Der Wettbewerb der Berlinale 2014 und die Decke aus Celluloid

Heute stehen die Wettbewerbsfilme der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin und eine Intervention der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić zum Geschlechterungleichgewicht in der Filmbranche im Mittelpunkt.

Vor ein paar Tagen ging die diesjährige – schneefreie – Berlinale zuende. Für mich ragten aus den 11 spannenden, anregenden Tagen und Nächten zwei Ereignisse besonders hervor: zum einen hatte ich das Glück, eine Karte für die Premiere des japanischen Wettbewerbsbeitrags 小さいおうち / CHIISAI O UCHI (Das kleine Haus) von Yôji Yamada zu ergattern. Ein sehr toller Film, dessen eine Hauptdarstellerin, Haru Kuroki, mit dem silbernen Bären ausgezeichnet wurde.
Außerdem lernte  ich die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić kennen, ihren beeindruckenden Film ESMAS GEHEIMNIS – GRBAVICA hatte ich vor 8 Jahren auf der Berlinale gesehen, als er den Goldenen Bären gewann. Zbanic nahm dieses Jahr an der vom Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund Köln organisierten Podiumsdiskussion „Get yourself connected – a discussion on the status of women in film and gender equity” teil. Sie begann die Veranstaltung mit einer Intervention, und hat mir netterweise erlaubt, diese für mein Blog zu übersetzen und abzudrucken. Hvala puno!

Doch zuvor ein statistischer Blick auf den Berlinale Wettbewerb: den diesjährigen Gewinner des Goldenen Bären BA RI YAN HUO (Black Coal, Thin Ice) von Regisseur Yinan Diao und die 19 anderen Filme.

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6-Gewerke-Check Berlinale Wettbewerb

Ich habe den 6-Gewerke-Check durchgeführt, d.h. die Frauenanteile unter den Hauptverantwortlichen der Bereiche Regie, Drehbuch, Produzent/in, Kamera, Ton und Schnitt im 2014er Wettbewerb ermittelt.

Quellen hierfür waren das Programm der Berlinale, Webseiten der Filme und die Datenbanken von Crew United und IMDB. Ein besonderser Dank an Mayho Ho (Hong Kong), die mir bei der Genderzuordnung einer Reihe von Crewmitgliedern der chinesischen Wettbewerbsfilme half. (Mayho hatte gestern Geburtstag, herzlichen Glückwunsch nachträglich!)

Die folgende Abbildung zeigt die Werte für 2014, und kariert im Hintergrund die für den Wettbewerb des Vorjahres.
In fünf Gewerken liegt der Frauenanteil diesmal – teilweise weit – unter 30 %, lediglich für Schnitt wird ein Wert von 36 % erreicht, das ist etwas mehr als ein Drittel.

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Vier Regisseurinnen waren im Wettbewerb vertreten: Claudia Llosa mit ALOFT, Celina Murga mit LA TERCERA ORILLA, Sudabeh Mortezai mit MACONDO und Feo Aladag mit ZWISCHEN WELTEN. Zwei Filmteams hatten eine Kamerafrau: HISTORIA DEL MIEDO (Soledad Rodriguez) und ZWISCHEN WELTEN (Judith Kaufmann). Bei keinem Film war eine Frau für den Ton zuständig, sechs Filme hatten überhaupt keine weibliche Hauptverantwortliche in den sechs Gewerken: ´71,   AIMER, BOIRE ET CHANTER,  THE GRAND BUDAPEST HOTEL,  KRAFTIDIOTEN,  TO MIKRO PSARI,  WU REN QU.  Dazu noch die außer Konkurrenz laufenden MONUMENTS MEN von George Clooney.

 Und wie sah es vor der Kamera aus?

Abbildung 2 zeigt eine Auswertung der Hauptcasts, im Programmheft (eher Programmbuch) der Berlinale sind zwischen 3 und 15 Rollen je Film aufgeführt, insgesamt 54 Schauspielerinnen und 115 Schauspieler.

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Die gestreiften Hütchen, die die Säulen aufhaben, symbolisieren die erstgenannten Rollen, 6 mal war diese weiblich, 14 mal männlich. In der x-Achse unten ist über die Farben der Zahlen die Regie der 20 Filme dargestellt. Zwei Filme, ´71 (Regie Yann Demange) und PRAIA DO FUTURO (Regie: Karim Ainouz) hatten keine Frauenrollen im Hauptcast, fast alle anderen Filme hatten ein mehr oder weniger deutliches Männerübergewicht. Lediglich HISTORIA DEL MIEDO hat mehr Frauen- als Männerrollen (6:5), zwei Filme (CHIISAI O UCHI und BOYHOOD) einen  ausgeglichenen Hauptcast.

In den 20 Filmen arbeiten in den untersuchten Stabpositionen und im Hauptcast locker doppelt so viele Männer wie Frauen, ein ähnliches Ergebnis wie im letzten Jahr.

Mag sein, dass das der Alltag der Filmrealität ist. Aber gut ist es nicht, denn eine große Gruppe – alle Frauen – werden so immer nur als kleine Minderheit dargestellt (vor der Kamera) oder beschäftigt (hinter der Kamera).  Überspitzt gesagt: Wir sehen nicht, was in der Welt los ist, sondern was in Männerwelten los ist. Wir erleben nicht die Kreativität von Menschen aus aller Welt, sondern die von Männern.

Wesentlich eloquenter drückte sich Regisseurin und Drehbuchautorin Jasmila Žbanić aus.

Hier nun ihre Intervention:

Jasmila Žbanić. Photo: Birgit Kleber

Jasmila Žbanić. Photo: Birgit Kleber

„Vielen Dank Dank für die Ausrichtung dieser Veranstaltung und dafür, dass Ihr die Aufmerksamkeit auf die ungerechte Behandlung von Frauen in der Europäischen und weltweiten Filmbranche lenkt.
Wenn ich ins Kino gehe ist es mir egal, ob der Film von einem Mann oder einer Frau gemacht ist, so lange er mir eine Geschichte erzählt, mir Bilder bietet, die Licht auf meine Existenz werfen, Figuren, mit denen ich mich identifizieren und Witze über die ich lachen kann.
Leider ist das bei vielen Filmen nicht der Fall, und einige Filme ärgern mich, weil sie altmodische und teilweise faschistische Bilder von Frauen zeichnen, mit denen ich mich nicht identifizieren und über die ich schon mal gar nicht lachen kann.
Film ist die liberalste aller Künste und gleichzeitig kann er aber auch sehr konservativ sein. Das Geld, das für’s Filmmachen im Umlauf ist, geht hauptsächlich an Männer und so entsteht eine Decke aus Celluloid für Frauen, der Weg nach oben ist für sie versperrt. Eine Untersuchung in den USA ergab, dass nur 9 % des Geldes an Frauen gehen, um ihre Geschichten zu erzählen, obwohl Frauen 50 % des Kinopublikums ausmachen, und sie / WIR nicht glücklich sind über das, was dort zu sehen ist.
Als Filmzuschauerin und Filmemacherin möchte ich mich beteiligen und Geschichten von Frauen und Männern erzählen, die uns weiter bringen, ich möchte Filme kreieren, die andere Bereiche unser Herzen und Gehirne ansprechen, Geschichten, die aus einem anderen Blickwinkel erzählt werden.
Jane Campion hat gesagt: „Wir sollten festlegen, dass 50 % aller hergestellten Filme von Frauen sind. Das wäre über öffentliche Gelder möglich. Sofort würde sich die Kultur ändern. Das kann erreicht werden.“

Sie hatte auch einen Rat für weibliche Filmschaffende: „Spielt nicht die Frauen-Karte aus. Tut Euch nicht selber leid. Macht einfach Eure Arbeit und lasst Andere sich um die Politik kümmern.“
Ich stimme ihr zu hundert Prozent zu in Bezug auf das kein Selbstmitleid haben und die eigene Arbeit machen und nicht die Frauen-Karte ausspielen, aber leider weiß ich nicht, wer das sein sollte, diese Anderen, die sich in unserem Namen um die Politik kümmern sollen.
Wir sollten unseren Männern und unseren Vätern nicht das Recht geben, uns zu repräsentieren, wir haben Freundinnen und Freunde wie Euch, die uns unterstützen – aber der Hauptteil der Arbeit liegt bei uns selbst. Wir sollten sie mit Liebe und Würde erledigen, und uns nicht selber leid tun, sondern einen Wandel einfordern in der Darstellung von Frauen im Film, wir sollten das Recht einfordern, unsere Geschichten zu erzählen, unsere Leidenschaft, unsere Bedürftnisse, unsere Fantasie, und Witze, über die wir lachen können – anstatt uns über sie ärgern zu müssen. Denn – Leute – es ist nicht witzig!“

NACHTRAG:

Am 23.2.2014 wurde Jasmila Žbanić in Hamburg der mit 75.000 € dotierte KAIROS-Preis verliehen: „Auf exemplarische Weise zeigt Jasmila Žbanić, dass von künstlerischen Interventionen entscheidende gesellschaftliche Impulse ausgehen können. (Der KAIROS-Preis wird seit 2007 (…) verliehen. Ausgezeichnet werden sowohl künstlerische Individualleistungen als auch die Leistungen derer, die Kultur in Europa ermöglichen und ihr entscheidende Impulse geben)“