SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Hör mal wieder Radio

Wen hören wir im Radio?

Lange her, in den ersten Jahren meiner Analysetätigkeit habe ich mitunter auch Radiosendungen untersucht. Zum einen war mir der Beitrag „Von der Polizei verhaftet – und dann?“ in der DLF-Kindersendung Kakadu vom 2.11.13 unangenehm aufgefallen, nachzulesen hier: Früh übt sich … . Außerdem habe ich von 2013 bis 15 das Radiofeuilleton IM GESPRÄCH, das Samstags von 9 bis 11 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur gesendet wird, unter die Lupe – oder das Hörrohr? – genommen. Falls ihr die Sendung nicht kennt: das ist die Sendung von DLF mit Publikumsbeteiligung. Es gibt eine/n Moderator:in und ein bis zwei Fachleute, die sich über ein Thema austauschen, das Publikum wird per Anruf oder Emailbeitrag einbezogen. Mir war aufgefallen, dass sehr viele Experten und sehr wenige Expertinnen eingeladen waren. Dazu hatte ich vier Artikel verfasst:

Und ich hatte im ersten Jahr die Redaktion der Sendung darauf angesprochen, vielmehr angeschrieben. Es ist kein Problem, wenn es reine Männersendungen gibt, Aber immer wieder? DKultur meinte damals zu seiner Gästeauswahl:

„Wir führen keinerlei Statistik über das Geschlecht der Studiogäste, die wir zu unserer samstäglichen Sendung „Radiofeuilleton im Gespräch“ einladen. Die Gesprächspartner werden aufgrund Ihrer Kompetenz für das jeweilige Thema ausgewählt, Geschlechterparität oder Quote spielen dabei ebenso wenig eine Rolle wie bei den Hörern, die sich in der Sendung zu Wort melden.

Wenn das Geschlecht der Gäste egal war, warum gab es dann ein so deutliches Männerübergewicht?

Ein Vortrag in Köln

Letzte Woche war ich für eine Keynote beim Founders Talk, einer Veranstaltung vom Mediengründerzentrum NRW, engagiert (war aber alles auf Deutsch). Mein Thema lautete Von der Randerscheinung in die Schlüsselpositionen – Frauen in der Medienbranche. Und da ich nicht nur über Film und Fernsehen sprechen wollte habe ich wieder einmal die genannte Radiosendung bzw. ihre Gästelisten geprüft.

Belinde Ruth Stieve beim Founders Talk. Foto MGZ NRW / Hojabr Riahi

Gute Nachrichten von DLF Kultur Radiofeuilleton IM GESPRÄCH.

Wie Ihr der folgenden Abbildung entnehmen könnt: der Anteil von Expertinnen in der Sendung beträgt 2023 über 40 %! Genau genommen sind es sogar 46,4 %.

Das ist ein enormer Sprung, wenn wir es mit den Jahren 2013 bis 2015 vergleichen. Prima. Was ist geschehen? Hat die Redaktion angefangen, der herkömmlichen Männerlastigkeit bewusst gegenzusteuern? Wurde eine „Statistik über das Geschlecht der Studiogäste“ angefangen? Spielt Geschlechterparität mittlerweile eine Rolle? Oder wie kam es zu dieser großen Veränderung?

Ich weiß es nicht. Und die Redaktion der Sendung hat bis jetzt noch nicht auf meine Fragen und Nachfragen geantwortet. Sollten sie es noch tun werde ich es hier selbstverständlich nachtragen.

Setzt sich der positive Trend eigentlich im nicht mehr ganz so neuen Jahr 2024 fort? Hm, so sieht es gerade nicht aus. Die nächste Abbildung zeigt die FrauMann Gast-Anteile für die ersten zehn Sendungen 2024 (35 : 65) – und als Vergleich den selben Zeitraum 2023 (52,6 : 47,4). Dieses Jahr hat nicht so gut angefangen:

Bis ich eine Antwort von der Redaktion habe kann ich nur mutmaßen. Lasst uns beispielsweise einmal die Sendungen mit nur einem Gast ansehen. Die meisten Male war dieser einzelne Gast ein Mann.

Könnten wir daraus folgen, dass die „leeren Gastsessel“ nach und nach mit Expertinnen besetzt wurden? Vermutlich. Aber nur zum Teil. Denn 2023 gab es immerhin noch sieben Sendungen mit nur einem Gast, sechsmal war dies ein Mann, einmal eine Frau.

Eine gewagte These – die ich nicht überprüfen kann, solange das Sendungsteam nicht mit mir in Kontakt tritt – wäre, dass es auch noch einen Covid-Nebeneffekt gibt. Dergestalt, dass weniger Gäste ins Berliner Studio kamen und mehr Gäste womöglich von zu Hause oder ihren Büros aus in die Samstagssendung dazugeschaltet wurden. Es also leichter war, zwei Gäste für eine Sendung zu buchen. Im Grunde könnte ich das statistisch erfassen, ich müsste ,nur‘ alle gut 200 Podcasts der Sendungen 2013 bis 15 und 2023 anhören, zumindest die ersten zehn Minuten, in der die Gäste vorgestellt werden, in der Regel mit dem Zusatz „per Telefon zugeschaltet“ oder „aus dem Essener Studio“ oder „mir gegenüber“ oder etwas in der Art. Gut, eine Aufgabe für einen anderen Tag. Hier zur Übersicht die Gästezahlen für die vier Jahre:

Sendungen Gäste Gäste / Sendung
2013 52 90 1,7
2014 52 88 1,7
2015 50 87 1,7
2023 52 97 1,9

2013 bis 15 waren durchschnittlich 1,7 Gäste in einer Sendung, 2023 stieg der Wert auf 1,9. Aber na gut, aus vier Jahrgängen großartige Schlussfolgerungen zu ziehen ist ähnlich riskant wie zu behaupten, dass meine Analysen, Artikel und Mails vor zehn Jahren dazu geführt haben, dass die Redaktion Maßnahmen für ausgewogenere Gästelisten ergriffen hat.  Also lassen wir das.

Stattdessen zwei Abbildungen, die die Frauen- und Männeranteile unter den Fachleuten für alle Sendungen der vier Jahrgänge wiedergeben. Zur Orientierung: beide Säulen eines Jahres müssen nicht 100 % ergeben, aber angestrebt werden sollten ähnliche Anteile. Nehmt die Werte für 2014: nur in einem Drittel aller Sendung gab es Expertinnen, wohingegen in fast allen Sendungen Experten in Mikrofone sprachen. Und nein, das ist nicht egal. Denn wenn wir zu jedem Thema Männer sprechen hören und nur recht selten Frauen, dann macht das etwas mit uns. Manche werden Frauen für weniger kompetent halten oder in ihrer Gesamtheit für weniger breit aufgestellt. Und Männer als diejenigen sehen, die sich auskennen und immer etwas zu sagen haben.

Ein öffentlich-rechtlicher Sender, eine vermutlich mit Steuergeldern finanzierte Sendung, steht da besonders in der Verantwortung (wobei ich gar nicht weiß, ob die Gäste ein Honorar erhalten, aber das ist ein anderes Thema).

Das nächste Bild zeigt, dass 2023 der Frauen– und Männeranteil unter den Gästen fast gleich war – im Gegensatz zu 2013-15. Die Männerbeteiligung hatte 2023 ihren Tiefstwert mit 80,8 % und den Höchstwert 2014 mit  98,1 %. Die Frauenbeteiligung liegt zwischen 38,4 % (2014) und 69,2 % (2023). Das sollte der Redaktion zu denken geben:

Auch hier noch die Daten für die ersten zehn Sendungen 2024 und 2023. Diese kamen letztes Jahr sowohl bei den weiblichen als auch den männlichen Fachleuten auf 90 %. Dass der Wert nicht bei 100 liegt finde ich gut muss ich sagen, denn es ist völlig in Ordnung, wenn es auch einmal Sendungen gibt, in denen nur die Einen oder nur die Anderen zu Wort kommen. Aber dieses Jahr liegen die beiden Säulensplateaus weit auseinander, um 30 Prozentpunkte getrennt:

Das zeigt, was wir schon gesehen haben, 2024 hat einen richtig schlechten Start. Wird das übrige Jahr besser? Ich fürchte nein, an das 2023er Endergebnis wird 2024 nicht herankommen. Das ist nur so ein Gefühl, aber ich kenne das von vielen Untersuchungen, beispielsweise den 6-Gewerke-Checks bei den leidigen TATORTEN: die Frauenanteile in den allermeisten untersuchten Gewerken sinken im Laufe eines Jahres, in der ersten Jahreshälfte sind sie meist klar höher als zum Jahresende.

Und worüber wurde gesprochen?

Alle Themen aufzulisten, um die es in den 52 Sendungen letztes Jahr ging, und zusätzlich alle Themen die es vielleicht etwas überraschend nicht in dieses Samstagsformat geschafft hatten, wird heute den Rahmen sprengen. Stattdessen habe ich alle Sendungen, die nur weibliche Fachleute oder nur männliche Fachleute am Mikrofon hatten, gegenübergestellt und erblicke hier Stereotype und da Vielfalt. Stereotype bezüglich der Themen, zu denen nur Frauen geladen waren, und thematische Vielfalt bei den Sendungen mit Experten:

IM GESPRÄCH, nur weibliche Gäste 2023:

  • Literaturtipps. Kraft der Poesie.
  • Adoption. Wie Kinder fördern. Kitaplatzanspruch. Eltern-Kind-Verhältnis. Vererben ohne Streit. Elternhaus entrümpeln.
  • Einsamkeit.
  • Neuanfang.

Nur männliche Gäste:

  • Gesundheitschecks. Sport für Kinder. Rauchen. Rückenschmerzen. Corona, Grippe & Co.
  • Autofahren bis ins hohe Alter.
  • Gelebte Nachhaltigkeit. Energiefresser Internet. Energiewende von unten. Müll.
  • Online-Betrug. Digitales Bezahlen.
  • Sprichwörter. Wie berührt Musik?
  • 4-Tage-Woche.
  • Der DLF-Intendant im Hörertalk.

Wer hat moderiert?

Stimmt, die Daten dazu habe ich auch erfasst, in der Vergangenheit und aktuell. Aber auch das ist – vielleicht in Verbindung mit den Themen – etwas für einen anderen Tag. Vielleicht habe ich bis dahin auch eine Antwort der Redaktion erhalten und erfahren, wie die Moderator:innen möglicherweise in die Themenfindung und Gästeeinladungen eingebunden sind. Wer weiß. 

Eine Bemerkung am Rande:In der werktäglichen Variante von IM GESPRÄCH – die Sendung dauert da nur eine Stunde und es ist immer nur eine Person zu Gast, ohne Publikumsbeteiligung – hörte ich neulich den Schauspieler und Sänger Tom Schilling. Mir fiel auf, dass er immer nur von Regisseuren, Schauspiel- und Musikerkollegen und Bandmitgliedern sprach und ich wartete auf die Frage der Moderatorin Britta Bürger, ob er denn nicht (oder auch) mit Frauen arbeiten würde. Aber sie fragte nicht. Hatte sie es nicht bemerkt?

Schluss 

2023 hatte ein Großteil der DLF IM GESPRÄCH Samstagssendungen zwei Gäste, und darunter wiederum eine Mehrheit jeweils einen Mann und eine Frau. Der Frauenanteil unter den 97 Fachleuten in 52 Sendungen lag bei 46,4 %. Knapp 70 % aller Sendungen hatte Frauen zu Gast, gut 80 % Männer. Das sind im Vergleich zu den sehr stark männerdominierten Sendungen 2013, 14 und 15 erfreuliche Veränderungen. Lediglich die Sendungen mit nur weiblichen oder nur männlichen Fachleuten sind bedenklich, zwei Expertinnen oder eine Expertin alleine wurden überwiegend zu Kinder- und Elternthemen gebucht, wohingegen die Sendungen mit einem oder zwei Experten insgesamt eine deutlich größere Vielfalt aufweisen, von Gesundheits-, Umwelt- und Digitalisierungsthemen bis hin zur 4-Tage-Woche.

Hörtipps (mit mir)

Da es heute um Deutschlandradio Kultur geht hier noch der Hinweis auf drei Beiträge, an denen ich als Gast beteiligt war:

Wie es zu dem ersten Interview kam habe ich hier beschrieben, Ausgangspunkt war eine frauenleere Sendung zum Politischen Buch. Und ein folgender Anruf von Tarik Ahmia von der DLF Redaktion Hintergrund Kultur und Politik, der die Vorbereitung und Aufnahme meines Kommentars begleitete. Ihm (und natürlich auch Gesa Ufer und Max Oppel herzlichen Dank für das Interesse an meiner Nebenarbeit.