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Gedanken einer Schauspielerin

Vorhang auf für Bühnenmütter

Bereits vor elf Jahren, im zweiten Text von diesem Blog ging es um das Theater: Eine Blume auf der Bühne (22.1.13) Auch die zum Theatertreffen eingeladenen Produktionen habe ich mehrere Jahre beleuchtet (klick!), das letzte Mal allerdings 2016 – höchste Zeit das mal wieder zu machen, und vielleicht auch die eine oder andere Theater-/ Spielplananalyse.

Heute soll es um ein anderes Theaterthema gehen, die

Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Theaterbranche

  • Ein Verein
  • Ein Spagat
  • Ein Familiensiegel
  • Eine Pilotstudie
  • Ein Werkzeugkasten
  • Ein Maßnahmenkatalog
  • Ein Aside

Ein Verein

Ich freue mich sehr, dass es die Bühnenmütter gibt, einen 2021 gegründeten Verein, der „Bühnenkünstlerinnen mit Kindern“ unterstützt und vernetzt und sich „für familienfreundliche Strukturen in Theatern und kulturellen Institutionen ein(setzt).“

Ihre Webseite wird demnächst – wenn die ehrenamtlichen Aktivistinnen dafür Zeit finden oder eine unverhoffte finanzielle Unterstützung erhalten – optisch überarbeitet (hoffentlich gibt es dann auch eine Suche-Funktion!). Aber die Seite ist inhaltlich auch so wie sie ist eine Schatztruhe für alle, die an öffentlichen Bühnen oder in der freien Szene arbeiten. Und das neue Logo ist schon fertig.

Ein Spagat

Die Bühnenmütter beschreiben das Nebeneinander von Familie und Bühnenberuf wird als Spagat (klick!),

„denn ein Spagat ist etwas, das unangenehm Spannung aufbaut, piekt, zieht, dann schmerzt und schlussendlich droht zu reißen. Ein Spagat kann uns überfordern. Und eine Überforderung kann, wenn sie übertrieben wird, Schaden verursachen, der bleibt.“

Ich würde gerne ergänzen – als Schauspielerin, nicht als Tänzerin – dass gut ausgeführte Spagate auch Erfolgserlebnisse sind und bei Betrachtenden Bewunderung auslösen. Das gilt sicher auch für Kolleginnen, die die Vereinbarkeit von Bühnenberuf mit Familienverpflichtung oder -wahl hinbekommen, denn das setzt Kräfte und Glückshormone frei und kann anderen ein Vorbild sein und inspirieren.

Indes, einfach ist es nie, denn

Die Strukturen kultureller Institutionen machen es nach wie vor nahezu unmöglich, den künstlerischen Beruf mit der Gründung einer Familie zu vereinbaren – viele Mütter verschwinden – hochqualifiziert – nach der Kinderpause aus ihren Berufen.

Das gesellschaftliche Bild einer “Künstlerin” scheint mit dem einer “Mutter” nicht vereinbar. Künstlerinnen verschweigen ihre Mutterschaft um der Karriere willen. Das Thema ist ein Tabu, das im öffentlichen Diskurs kaum verhandelt wird.

Überhaupt sind Mütter auf Bühnen wenn sie überhaupt vorkommen nicht gerade positive Identifikationsfiguren, besonders nicht, wenn sie Kinder und Berufstätigkeit (z.B. als Zauberin, Königin, Marketenderin) verbinden: Medea, Gertrude, die Königin der Nacht, Mutter Courage – aber auch das werden die Bühnenmütter ändern, vielleicht.

Der Verein der Bühnenmütter wirkt dieser Problematik mit Empowerment von Betroffenen, durch Vernetzung und Schaffung einer Plattform des Austauschs, einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit und mit lösungsorientierten Formaten politisch und direkt unterstützend entgegen.(Quelle)

Ein Familiensiegel

Als ich das erste Mal Kontakt mit den Bühnenmüttern hatte arbeitete ich gerade im Auftrag von Pro Quote Film an der Webseite ffd PQF – Familienfreundliches Drehen. In einer Arbeitsgruppe dachten wir u.a. auch über ein Familiensiegel für Produktionen nach (erst mal aufgeschoben). Eine vergleichbare Idee gab und gibt es auch bei den Bühnenmüttern, so bot sich ein Austausch an, nicht nur darüber.

Wir planen ein „Familiensiegel“, das an kulturelle Institutionen verliehen werden soll. Das Siegel soll eine Auszeichnung für die Umsetzung von familienfreundlichen Arbeitsbedingungen sein und Theatern einen Anreiz schaffen, sich dahingehend als Vorbild zu präsentieren.(Bühnenmütter – Politische Arbeit)

Um eine solche Auszeichnung bzw. die Erfüllung der erforderlichen Kriterien beispielsweise in der Filmbranche noch attraktiver zu gestalten böte sich an, es zur Bedingung für öffentliche Gelder zu machen – aber das ist ein Thema für einen anderen Tag. Denn hier und jetzt geht es nicht um Film sondern um die Bretter, die die Welt bedeuten. Arbeit der Bühnenmüttern. Und das ist einiges. Zum Beispiel

Eine Pilotstudie

Die Bühnenmütter haben vor zwei Jahren eine Pilotstudie zur „Lebenssituation von Bühnenkünstlerinnen mit Kindern“ veröffentlicht, in der es um die „Belastungen, Bedürfnisse und Herausforderungen von Bühnenmüttern“ geht. (PDF 86 Seiten – klick!). Sie weist unter anderem nach,

dass Bühnenkünstlerinnen mit Kindern es durch die mangelhaften, als familienfeindlich erlebten Arbeitsbedingungen als große Herausforderung und zum Teil starke Belastung erleben, Mutterschaft und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren.

Das ist jetzt tatsächlich keine große Überraschung – welche Arbeitsumfelder speziell in der Kulturbranche sind schon wirklich familienfreundlich? Aber es ist natürlich eine große Hilfe für die politische Arbeit, über Zahlenmaterial zu verfügen, und Erfahrungen anderer Mütter am Theater zu kennen, über die persönlichen Erfahrungen der Macherinnen hinaus:

Die wenigen existierenden (Teil-) Untersuchungen deuten darauf hin, dass Bühnenkünstlerinnen mit Kindern das Ausüben ihres Berufes im Kulturbereich besonders schwer und manchmal unmöglich gemacht wird. Dies deckt sich auch mit den Erfahrungen der Autorinnen, die erleben mussten, dass am Tag des errechneten Geburtstermins in einem persönlichen Gespräch eine Nichtverlängerung des bestehenden Vertrages ausgesprochen wurde, dass, eine Agentur die Zusammenarbeit aufkündigte, als die Sängerin im Wochenbett lag oder dass ein drittes Kind als Beweis für die angebliche Unzuverlässigkeit und das mangelnde Engagement bei der Arbeit am Theater herangezogen wurde. Die Erkenntnis, dass diese und andere Erlebnisse kein individuelles, sondern ein systematisches Problem sehr vieler Frauen sind, wuchs über Jahre langsam und durch zahlreiche Gespräche mit Kolleginnen aller Sparten, denen ähnliches widerfahren war.

Belastungen, Bedürfnisse und Herausforderungen von Bühnenmüttern – Eine Pilotstudie zur Lebenssituation von Bühnenkünstlerinnen mit Kindern. Herausgegeben von BÜHNENMÜTTER e. V. Annika Sophie Mendrala und Verena Usemann. S. 12 / 13)

Bühnenmütter. Foto Heidi Scherm

Insofern sind die Antworten auf die offenen Fragen in der Studie lesenswert und eindringlich, siehe Pilotstudie S. 61 – 86. Aus den durch die Studie gewonnenen Erkenntnisse leitete der Bühnenmütter e.V. einen Forderungskatalog ab (siehe Pilotstudie S. 53 – 55):

Wir fordern einen offenen und konstruktiven Austausch zu den Themen der Vereinbarkeit von Familie in Bühnenberufen, in der freien Szene oder an staatlich geförderten Theaterinstitutionen. Unser Ziel ist, die Perspektive der „Mutterschaft“ im politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu stärken und sichtbar zu machen.

Ein Werkzeugkasten

Eine weitere Hilfestellung an der die Bühnenmütter beteiligt waren entstand über das „artist lab„, diesmal ging es um die Ermöglichung bzw. Erleichterung von Theaterbesuchen für Menschen mit Kindern:

In zwei Think Tanks (23.-24.09. Hamburg Kampnagel und 07.-09.10. Berlin Feuerwache) trafen Rezipient*innen und Produzent*innen der Freien Szene, deren Alltag von Sorgearbeit geprägt ist, auf Vertreter*innen aus dem Bereich der Festivalleitung, Veranstaltung und Intendanz. Das Toolkit baut auf ein vertieftes Wissen der Künstlerinnen/Mütter aus dem Rechercheprojekt »BEYOND RE:production – Mothering in the performing arts« (Take That 2022) auf und nutzt Expertisen aus dem Umfeld der Initiative »Bühnenmütter«.

Es ist Zeit, Barrieren abzubauen und einem Recht auf Teilhabe an Kunst und Kultur für Eltern und andere Menschen mit Care-Verpflichtungen nachzukommen. Das Lab hat ein Heft mit konkreten Anleitungen und Vorschlägen für eine entsprechende Transformation der Produktionsorte, Produktionsweisen und Förderstrukturen erarbeitet. (Download der bunten 26 Seiten-Broschüre als PDF über diese Seite)

Und jetzt komme ich zum neuesten Material, das die Bühnenmütter ausgegeben haben.

Ein Maßnahmenkatalog

Wir wollen dazu verführen, im Wandel Schönheit zu erkennen.
Wir wollen Mut machen, Verbindungen zu schaffen mit Potenzial in die Zukunft.
Wir wollen soziale Nachhaltigkeit leben und fördern.
Denn wir alle können Dinge anders tun als bisher.

Auch unabhängig vom Familiensiegel war die „AG Familiensiegel” der Bühnenmütter nicht untätig, sie haben einen beeindruckenden Maßnahmenkatalog erstellt, – wobei der im Grunde die möglichen Bedingungen für ein Siegel zusammenfasst.

Die Vorschläge wurden innerhalb eines Think Tanks mit  Akteur*innen aus den Darstellenden Künsten überprüft und Anfang Mai als 7-Seiten-Papier „HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN für die Vereinbarkeit von Sorge- und künstlerischer Arbeit an Theatern“ veröffentlicht. Ich zitiere aus der Präambel (!):

Mit diesem Katalog wollen wir Bühnenmütter* einen Beitrag dazu leisten, dass Familie und Kunst kein Entweder-Oder mehr sein müssen, sondern beides angstfrei und zu guten Bedingungen vereinbar wird.
Wir empfehlen, die Begriffe Familie und Care sorgfältig für sich und die eigene Institution zu definieren sowie möglichst vielfältige Perspektiven einzubeziehen.
Sucht Euch die Aspekte aus, an die Ihr besonders glaubt und in die Ihr investieren wollt.
Habt Mut, ungewohntes Terrain zu betreten.
Macht einen Schritt nach dem anderen.
Wertschätzt jede Veränderung.
Seid geduldig mit Euch und anderen.
Denn bereits mit einer kleinen Bewegung beginnt ein Prozess.
Wir wollen dazu verführen, im Wandel Schönheit zu erkennen.
Wir wollen Mut machen, Verbindungen zu schaffen mit Potenzial in die Zukunft.
Wir wollen soziale Nachhaltigkeit leben und fördern.
Denn wir alle können Dinge anders tun als bisher.
Wir Bühnenmütter* glauben daran, dass diejenigen Kulturbetriebe, die mit Kreativität und Hingabe bestehende gesellschaftliche Werte hinterfragen, Triebfedern sein können, um Care- und künstlerische Arbeit in Einklang zu bringen, und dadurch zukunftsfähig werden.
Dieses Papier kann nur ein Anstoß sein.
Der Wandel ist das, was wir alle gemeinsam daraus machen.
Die nachfolgenden Maßnahmen sind ein Werkzeugkasten an Handlungsempfehlungen und Anregungen, zusammengestellt für die Umsetzung in Theater- und Kulturinstitutionen.
Ergänzt werden sie um Forderungen nach Veränderungen auf politischer Ebene, die den Rahmen für eine nachhaltige Transformation der Institutionen schaffen.

Eine schöne Sprache, die zu Künstlerinnen passt, und dass nicht Forderungen sondern Tatsachen formuliert werden, also etwas, das in (naher?) Zukunft einfach so ist, einfach so gemacht wird. Was ich auch mag ist die persönliche Note der Präambel. So etwas wurde an der ffd PQF-Seite (konkret an den Tipps für Einzelpersonen) kritisiert, aber ich finde das wichtig. Wir sind Menschen keine Maschinen.

Der Präambel folgen Vorschläge für die Theaterinstitutionen und die Gesetzgebung:

  1. Mögliche Maßnahmen auf betrieblicher Ebene („Sie können eigenverantwortlich oder im Rahmen einer Zielvereinbarung zwischen Institutionen und Zuwendungsgebern bzw. der Verwaltung umgesetzt werden.“ S. 3 – 4) und
  2. Notwendige Veränderungen auf legislativer Ebene („Die Umsetzung folgender Maßnahmen steht für relevante Themen der Gleichberechtigung, die auf politischer Ebene umgesetzt werden müssen. Sie bilden einen verbindlichen Rahmen für branchenspezifische Handlungsempfehlungen und können auch gesamtgesellschaftliche Transformation fördern. S. 5).

Beides sehr ergiebig und sehr lesenswert.

Zum Schluss erlauben die Bühnenmütter einen Blick hinter die Kulissen mit der Frage „Quo Vadis Maßnahmenpapier?“. Nach der gerade stattgefundenen Veröffentlichung des Papiers (Mai) ist für den Sommer ein Pressegespräch zusammen mit dem BFDK (Bundesverband Freie Darstellende Künste) unter Berücksichtigung des vom Landesbüro NRW entwickelten “Leitfaden für Eltern-gerechtes* Produzieren in den Freien Darstellenden Künsten” (vom Landesbüro NRW) stattfinden.

Und der nächste Schwerpunkt liegt auf einem Weiterbildungs-/Workshopangebot für „Institutionen der Darstellenden Künste zur Erläuterung und Implementierung des Maßnahmenkatalogs“, ab der kommen Spielzeit.

Mehr in der Mache. Bestimmt.

Ein Aside / Beiseite gesprochen

Wenn von Familienfreundlichkeit die Rede ist darf es über kurz oder lang nicht nur um (die eigenen) Kinder gehen, sondern weiter gefasst auch um pflegebedürftige Angehörige, egal ob das Kinder, oder Eltern oder Partner:innen sind. Auch für Theaterschaffende.

Und dass die Bühnenmütter-Webseite dringend eine Suchfunktion braucht habe ich bereits erwähnt – denn einige der Unterseiten, die ich in diesem Artikel verlinkt habe konnte ich nicht über die Menüs (der Desktop- bzw. mobilen Version der Seite) finden. Kann aber auch an mir liegen. Aber egal, ein Suchfeld ist immer gut, und vielleicht auch eine Stichwortwolke? (nur so ein Gedanke).

Ansonsten an Euch alle die Empfehlung, nicht nur die Handlungsempfehlungen (= Maßnahmenkatalog) sondern die gesamte umfangreiche Webseite zu studieren – muss ja nicht auf einmal sein – und sie weiter zu empfehlen, zu verlinken, sichtbar zu machen. Oder wenn ihr in der entsprechenden Position seid, kontaktiert doch einfach die Bühnenmütter und erkundigt Euch nach ihren Workshopangeboten.

Wenn Ihr am Theater oder in der freien Szene arbeitet und Kinder habt oder welche plant oder Euch schon mal gedanklich mit der Pflege von Angehörigen auseinandersetzt, wendet Euch an die Bühnenmütter, tretet dem Verein bei, arbeitet mit – auch sonst könnt Ihr natürlich ihre Arbeit unterstützen durch eine nette Nachricht, ein „Like“ in den sozialen Medien, ein Teilen der URL und natürlich durch eine finanzielle Spende.

Dieses Papier kann nur ein Anstoß sein.
Der Wandel ist das, was wir alle gemeinsam daraus machen.

Vielen Dank, liebe Bühnenmütter, für Eure tolle Arbeit, und weiter alles Gute, viel Freude und Erfolg!

Fünf Links: