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Gedanken einer Schauspielerin

Eine Blume auf der Bühne

Gedanken zu Theaterrollen

Eine Blume auf der Bühne

Vor dem Film gab es das Theater, und es gibt es natürlich immer noch. An dieser Stelle ein erster Blick in die klassische Theaterliteratur. Die war besonders männerlastig, was zum einen an den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten lag, zum anderen vielleicht auch daran, dass Frauen der Zugang zur Schauspielerei verboten war. Frauenrollen wurden lange Zeit von Männern gespielt. Frauen waren gesellschaftlich extrem benachteiligt. Nichtsdestotrotz gab es auch Stücke, die von Frauen handelten, hier drei Beispiele für Titelheldinnen: 

Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans (uraufgeführt 1801)
Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn (uraufgeführt 1810)
Anton Tschechow: Drei Schwestern (uraufgeführt 1901)

Die folgenden Links weisen auf die jeweiligen Stücktexte, die im PROJEKT GUTENBERG online verfügbar sind.

DIE JUNGFRAU VON ORLEANS. Die Titelfigur Johanna (Johanna von Orleans, bzw. Jeanne d’Arc) tritt im 1. Akt, 1. Aufzug erstmals auf. In der Besetzungsliste wird sie an 20. Stelle genannt. Die Liste weist 6 Frauenrollen und 20 Männerrollen aus, daneben weitere Figuren wie Ratsherren, Soldaten und Volk, Bediente, Bischöfe, Mönche u.a.m.

DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN. Die Titelfigur Käthchen (oder Katharina Friedborn, wie vermutlich ihr voller Name lautet) tritt das erste Mal im 2. Aufzug des 1. Aktes auf. In der Besetzungsliste steht sie an 13. Stelle. Es gibt insgesamt 7 Frauenrollen und 18 Männerrollen. Das sind die namentlich Genannten, dazu kommen noch weitere Figuren wie z.B. ein Herold, zwei Köhler, Bediente, Boten, Häscher, Knechte, Volk und „Kunigundens alte Tanten“.  Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass von Kleist seinem Drama den Untertitel „Ein großes historisches Ritterschauspiel“ gab.

DREI SCHWESTERN. Die Titelfiguren – Olga, Mascha und Irina Prozorowa – treten direkt im 1. Akt, 1. Aufzug auf, in der Besetzungsliste sind sie nach ihrem Bruder an 2. bis 4. Stelle genannt. Im Stück gibt es 5 Frauenrollen und 9 Männerrollen, dazu Bediente und Soldaten.

Diese Statistiken sagen noch nicht wirklich viel aus über den Inhalt der Stücke und die Bedeutung der weiblichen Figuren, aber sie wirkten und wirken sich auf die Ensemblezusammensetzung an Deutschen Stadt- und Staatstheatern aus. Faustregel: 1/3 Schauspielerinnen, 2/3 Schauspieler – obwohl natürlich nicht nur Klassiker auf dem Spielplan stehen.

Betrachten wir noch ein anderes Stück:

Georg Büchners Leonce und Lena (erschienen 1836, uraufgeführt 1895).


LEONCE UND LENA klingt nach der Geschichte eines Paares, ist aber mehr Politsatire als Liebesgeschichte, und  tatsächlich könnte das Stück auch Leonce und Valerio heißen, die beiden führen die längeren und tiefer gehenden Gespräche. In der Besetzungsliste steht Leonce an 2. und Lena an 3. Stelle, es gibt 5 namentlich genannte Figuren (2 Frauen, 3 Männer). Dazu 7 Figuren (1 Frau, 6 Männer), die einzeln aufgeführt sind, von der Gouvernante über den Präsidenten bis zum Schulmeister, und schließlich folgen „Bediente, Staatsräthe, Bauern“.  Leonce tritt in 7 Szenen auf, Lena in 6 (Valerio auch in 7).

Das klingt ja schon mal ganz gut. Allerdings, eine kurze statistische Analyse des Textes, genauer: der Anzahl der gesprochenen Worte, zeigt folgendes Bild:
leonce_lena

Lenas Text in der letzten Szene lautet:
Ja.
Leonce?
Ich bin betrogen.
O Vorsehung.

Ihr letzter ,Dialog‘ mit Leonce:
Leonce: Wollen wir ein Theater bauen?
(Lena lehnt sich an ihn und schüttelt den Kopf.)

Und das ist nachvollziehbar. Was sollte sie mit einem Theater anfangen, wenn sie zwar eine Hauptfigur ist, aber gleichzeitig nicht viel zum Sagen hat?

Noch kurz zum Inhalt des Stückes – aus Lenas Sicht: Lena flieht mit ihrer Gouvernante, weil sie verheiratet werden soll (übrigens mit Leonce, der aus dem gleichen Grund aus seinem Palast flieht). Die beiden lernen sich dann kennen, ohne zu wissen, wer sie sind – nämlich Prinz vom Reiche Popo und Prinzessin vom Reiche Pipi – und heiraten am Ende inkognito, und merken dann erst, dass sie die ursprünglich zu Verheiratenden sind.
Lena unterhält sich in ihren kurzen Auftritten meistens mit ihrer Gouvernante, und in diesen Gesprächen geht es in den wenigsten Fällen um den Prinzen oder überhaupt um Männer. Aber das ist ein anderes Thema.

Falls Ihr Euch gerade fragt, warum dieser Eintrag „Eine Blume auf der Bühne“ heißt, der Hintergrund ist folgender. Vor Jahren, bevor ich das erste Mal nach Japan reiste, las ich jede Menge Bücher zur Vorbereitung, u.a. ein altes Taschenbuch mit dem Titel „Frauen in Japan“ (das ich seit Tagen suche, aber leider noch nicht gefunden habe. Ich werde das nachtragen). In diesem Buch gab es ein Kapitel, das hieß „Die Blume des Büros“, und darin ging es um die benachteiligende Arbeitssituation von Frauen. Wie gesagt, ich habe dieses alte – und hoffentlich maßlos überholte – Buch noch nicht gefunden, aber so wie ich es erinnere hieß es, dass Frauen weniger Arbeits- und Aufstiegschancen hätten, da u.a. Tee kochen und ähnliche Tätigkeiten ihnen oblägen, und sie deshalb nicht zusammenhängend an wichtigen Arbeiten sitzen könnten. Dieses schöne und traurige Bild habe ich hier übernommen.

Natürlich gibt es jede Menge vor allem natürlich moderne Theaterstücke, in denen Frauenrollen nicht nur die Randerscheinung sind, aber das ist ein anderes Thema. Hier ging es jetzt nur um einen ersten Eindruck, der natürlich den meisten Theaterschauspieler/innen und Theaterinteressierten schon aufgefallen sein wird. Aber eben vielen anderen Leuten noch nicht, deshalb habe ich diesen Text als Einstieg in das Thema Theater geschrieben.