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Gedanken einer Schauspielerin

Einfach und direkt: #2von6

#2von6 – Ansatz für die Branche

Am 1. April hatte ich auf Instagram die FFA-Meldung FFA setzt auf Beteiligung von Frauen, neue Förderrichtlinie in Kraft veröffentlicht:

und mit folgender Erläuterung versehen:

Die FFA verlangt ab der 3. Förderrunde 2023, dass die vorgelegten Projekte mindestens eine Frau „in den sechs maßgeblichen Gewerken“ beteiligen müssen. Ein kleiner Anfang ist gemacht, hoffentlich folgen die anderen öffentlichen Filmförderungen mit ähnlichen Vorstößen. Wobei, besser, wirksamer und geschlechtergerechter wäre mein Vorschlag #2von6.

Das war ein Aprilscherz. Die FFA hat noch keine derartige Maßgabe. Schade. Denn sie könnte etwas verändern, Produktionsfirmen, die ihre Hauptgewerke nur an Männer vergeben, müssten umdenken und sich nach Filmfrauen umsehen.
Und was war das nochmal mit #2von6?

#2von6 – Besser als eine Quote?

Den Ansatz #2von6 (zwei von sechs) habe ich mir 2018 ausgedacht und am 28. Juni erstmals im Blog beschrieben: Was tut sich am TATORT? – #2v6pN. (pN steht für plus NEROPA – dazu mehr an einem anderen Tag oder an anderer Stelle).

#2von6 bedeutet, dass an zwei von sechs betrachteten Hauptgewerken Frauen beteiligt sind. Nicht zwingend alleinverantwortlich, aber zumindest mitbeteiligt. Die sechs Gewerke sind üblicherweise Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Schnitt und Musik. Wir sehen, #2von6 gibt ein klares Ziel vor und seine Erfüllung kann eindeutig überprüft werden. Das ist smart, einfach und konkret.

Die Einsatzmöglichkeiten von #2von6 sind vielfältig, so könnte beispielsweise die Vergabe von Fördergeldern oder öffentlich-rechtliche TV-Aufträge daran geknüpft werden. #2von6 könnte auch die Selbstverpflichtung einer Redaktion, einer Produktionsfirma, eines Sendeplatzes sein (falls ein Sendeplatz sich zu etwas verpflichten kann, aber Ihr versteht schon, wie es gemeint ist).

Und in wieweit ist das besser als eine oder mehrere Quoten?

Eine Quote, ein Proporz, ein Anteil, eine Zielvorgabe ist etwas für eine Gruppe. Zum Beispiel sollen 50 % der Listenplätze an Frauen gehen, 30 % der im Radio gespielten Songtitel französische sein, jedes vierte am Messestand vorgestellte Buch weniger als 200 Seiten haben. Das wird durchgeführt von der Mitgliederversammlung, der Musikredaktion, dem Verlag.

Schwieriger wird das schon bei Film und Fernsehen. Nehmen wir die Vorgabe „25 % der Herzkinofilme sollen von einer Kamerafrau gefilmt werden“. Gibt es eine Herzkinoredaktion, die alle Fäden in der Hand hat, alle Aufträge vergibt und den Überblick behält, wie viele Projekte mit Kameramännern schon eingekauft oder genehmigt wurden, und die bei den noch ausstehenden Filmen durchsetzt, dass Frauen hinter der Linse sitzen oder stehen?

Und was wird, wenn mehrere Quoten gleichzeitig bedient werden sollen, z.B. mindestens 25 % Kamerafrauen und Komponistinnen, 50 % Frauen bei Regie, Drehbuch und Montage, 15 % Tonfrauen? Multitargeting ist nicht so einfach, und das Risiko andere Aspekte zu vernachlässigen wenn einer gefördert wird ist sehr hoch. Wir erinnern uns: als die Degeto ihre 20 % Zielvorgabe für Tatort-Regisseurinnen bekannt gab führte das in der Folge zwar zu mehr Regisseurinnen, mit dem angepassten Ziel über 30 % hinaus, aber gleichzeitig zu weniger Filmfrauen in den anderen Gewerken.

Außerdem, es wäre doch schön, wenn jede Produktion zum Umdenken angeregt wird und neue Wege beschreitet, nicht nur eine Redaktion oder ein verantwortlicher Mensch. Bleiben wir bei den TATORTEN: In den zehn Wiesbaden-Fällen seit 2011 beispielsweise gab es noch nie eine Regisseurin, noch nie eine Drehbuchautorin, noch nie eine Kamerafrau, noch nie eine Tonmeisterin, noch nie eine Komponistin. (Und nur zweimal, 2011 und 2013, eine Editorin). Denken die Verantwortlichen etwa: „Sollen doch die anderen Tatorte mit Filmfrauen arbeiten und die Gesamtquoten erfüllen, wir bleiben ein Männerverein“? Oder soll Produzent:in ABC rumtelefonieren und fragen wie es bei den anderen Projekten gerade aussieht, wie viele Autoren gab es schon, ah, dann ist jetzt wohl eine Frau dran? Nicht wirklich praktikabel.

Frauenquoten werden nicht erst seit gestern in der Film- und Fernsehbranche thematisiert. Aber bis jetzt sind alle die sie fordern eine Antwort schuldig geblieben, wie das konkret gewerkeübergreifend erreicht werden soll. Naja, schuldig, darum geht es nicht. Sondern um die Verknüpfung mehrerer Quoten, für mehrere Gewerke gleichzeitig.  Denn mit Fordern und Wünschen und Wollen allein ist es nicht getan. Und da tritt #2von6 auf den Plan. Alle betroffenen Produktionen würden von nun an auch mit Frauen ganz oben in den Abteilungen arbeiten. Die Frauenquoten werden automatisch steigen, in allen sechs Gewerken. 

Liebe Redaktionen, liebe Produktionsfirmen, liebe Sender, liebe Fördereinrichtungen! Es geht schon lange genug. Ihr arbeitet mit öffentlichen Geldern, nicht nur mit öffentlichen Männer-Geldern. Bitte leitet grundlegende Veränderungen ein, bitte baut die Männerquoten ab.

Zwei TATORT-Jahrgänge im Vergleich

Es ist zum Glück nicht so, dass sich gar nichts ändern würde. Die nächste Abbildung zeigt den 6-Gewerke-Check für die je 36 erstausgestrahlten TATORTE 2011 und 2022. Deutlich erkennbar der um 1.289 % stark gestiegene Regisseurinnenanteil (36,1 Prozentpunkte). Bei Autorinnen und Komponistinnen liegt der Anstieg um die 70 %.

Kurz zur Unterscheidung Prozent und Prozentpunkte: ein Anstieg von 14 auf 28 wäre eine Verdoppelung, also ein Anstieg von 100 % bzw. von 14 Prozentpunkten.

Der Regisseurinnenanstieg resultiert aus dem Fokus auf dieser Berufsgruppe, nicht zuletzt dank der Lobbyarbeit von Pro Quote Regie seit Mitte der Zehner-Jahre. Der Autorinnenanstieg kann auch auf engagierte Autorinnen wie z.B. mittels des Tatort: Drehbuch-Brandbriefs zurückzuführen sein. Und die Veränderungen in den anderen Gewerken? Bei Kamera und Musik immerhin +3,4 Prozentpunkte. Das mag auch an den gestiegenen Regisseurinnenanteil gekoppelt sein, da sie im Gegensatz zu ihren TATORT-Kollegen insgesamt mit mehr Frauen in den Hauptgewerken arbeiten.
(
Am Ende von meinem Text Noch mehr Morde. TATORT 2021 findet Ihr den sechs-Gewerke-Check für 2011 bis 2021, der die Entwicklung in Jahresschritten zeigt.)

Als nächstes die #2von6 Auswertung für die TATORTE 2011 und 2022. Rosa schraffiert bedeutet „erfüllt die Kriterien nicht“ (weil Frauen nur an einem oder gar keinen Gewerk mit beteiligt sind), blau schraffiert zeigt, dass die #2von6 Kriterien erfüllt wurden.

Waren es 2011 noch 75 %, die #2von6 nicht erfüllten, sank dieser Wert 2022 auf 52,8 %. Ziel ist hier allerdings 0 %, bzw. 100 % für #2von6. Also noch viel Luft nach oben. Sicher gibt es auch andere Wege, die Redaktionen könnten gezielt mehr Drehbücher bei Autorinnen in Auftrag geben, verstärkt Kontakt zu den Cinematographinnen und den Filmtonfrauen aufnehmen, – das Potenzial ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Unabhängig eröffnet der Ansatz #2von6 allen Produktionen die Möglichkeit, selber sofort etwas zu tun, zu verändern, was auch schön ist. Außerdem, das eine schließt das andere nicht aus.

Achso, und falls Ihr denkt es ist damit getan eine Parität zwischen Regisseurinnen und Regisseuren herzustellen, nein. Das Ziel ist mehr weibliche Teilhabe in allen Gewerken und allen Produktionen, (nicht nur) in diesem, dem teuersten renommiertesten deutschen Format im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und überhaupt. Das würde vielleicht mit 90 % Regisseurinnenanteil erreicht, aber so eine Einseitigkeit, so eine Bevorzugung eines Geschlechts, das würde es doch im öffenlich-rechtlichen Fernsehen  nie geben?

Die nächsten beiden Abbildungen verdeutlichen, wie TATORT-Produktionen mit einem Regisseur weiterhin auf Männerteams bauen.

2011 gab es nur eine Regisseurin, Franziska Meletzky (ZWISCHEN DEN OHREN, Münster), 2022 immerhin vierzehn. Das bedeutet im Umkehrschluss 35 bzw. 22 Regisseure. 74,3 % von ihnen haben vor 12 Jahren mit keiner oder nur einer Filmfrau in den übrigen fünf Gewerken gearbeitet, letztes Jahr lag der Anteil mit 72,7 % fast genauso hoch. Genau, also keine signifikante Änderung 2022 gegenüber 2011 bei den TATORTEN mit Regisseuren.

Von den 14 Regisseurinnen 2022 hatten 10 (= 71 %) in zwei weiteren Hauptgewerken Frauen im Team, die Regisseurin Mia Spengler (SCHATTENLEBEN, Hamburg) hatte lediglich den Komponisten Marc Fragstein im Team, die Produktion kommt also auf 5 von 6 Gewerke mit Frauenbeteiligung.

Es macht wenig Sinn zu warten, bis die große Mehrheit der Regisseure den Impuls verspüren, auch mal mit einer Kamerafrau, einer Tonmeisterin oder einer Komponistin zu arbeiten. Vielleicht sind Gewohnheiten und alte Männernetzwerke einfach zu starr verankert. Auch für sie wäre #2von6 eine Chance.

Und natürlich für das Publikum, das über Jahrzehnte auf den male gaze konditioniert wurde. Und andere Filme, andere Erzählweisen, andere Bilder, eine andere Tonalität verdient hat.

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