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Gedanken einer Schauspielerin

Was tut sich am TATORT? – #2v6pN

TATORT-Analyse 2011-18: Sechs Gewerke und der Hauptcast


Zum 1. August 2015 hatte sich die ARD-Tochter Degeto Film GmbH zunächst für drei Jahre verpflichtet, den Regisseurinnenanteil in ihren Produktionen auf 20 % zu erhöhen:

Damit greift Christine Strobl eine Forderung auf, die „Pro Quote Regie“ im vergangenen Jahr formuliert hatte. Zwanzig Prozent aller Filme in der Regie von Frauen, das sei ein „maßvolles Ziel“, sagt Christine Strobl (…). Sie will damit in der Branche, bei Produzenten und in den Redaktionen für ein „verändertes Bewusstsein“ sorgen.
(Manfred Hanfeld: Zwanzig Prozent Regisseurinnen FAZ 8.7.15)

Ob es zu den 20 % Regisseurinnen gekommen ist und auch zum veränderten Bewusstsein in Redaktionen weiß ich nicht – es ist auch gar nicht so einfach, die Degeto-Produktionen eines Jahrgangs herauszufinden – aber zumindest kann ich sagen, dass die ARD- TATORTE (die nicht von der Degeto sondern von Landesrundfunkanstalten produziert werden) im ersten Halbjahr 2018 die Regisseurinnenmarke von 20 % fast erreicht haben.

Ich habe außerdem noch einen weitergehenden Selbstverpflichtungs-Vorschlag, aber dazu später mehr, am Ende des Textes (2v6pN). Jetzt erst mal die TATORTE.

Das erste TATORT-Halbjahr 2018

4 von bislang 21 TATORTEN 2018, das sind 19 %, wurden von Frauen inszeniert. Im gleichen Zeitraum gingen allerdings die Frauenanteile in einigen anderen Gewerken  in den Keller. Keine Frau lieferte die Bilder, keine den Ton, und auch die Geschichten, die Dialoge schrieben nur zu 7 % Frauen. Das zeigt die folgende linke Abbildung.
Besteht womöglich ein Zusammenhang zum erhöhten Regisseurinnenanteil? Diese Vermutung äußerten letztes Jahr einige Kamerafrauen, sie hätten – nicht bei TATORTEN – bereits mehrfach gehört „wir haben jetzt schon eine Regisseurin, da können wir nicht auch noch eine Kamerafrau nehmen“. Oder kommen die ganzen TATORTE die von Frauen geschrieben und gefilmt wurden in der zweiten Jahreshälfte? Oder ist es einfach nur Zufall?
Vor der Kamera hat sich auch einiges getan, im ersten Halbjahr (und auch schon 2017) lag der Anteil der gemischten Ermittlungsteams in den ausgestrahlten TATORTEN bei über 60 % – eine ziemliche Steigerung, wenn wir 2011 mit weniger als 40 % betrachten. Und Hannover ist auch nicht mehr der einzige TATORT ohne Hauptermittler (siehe die folgende rechte Abbildung).

Sechs Monate sind natürlich nicht so aussagekräftig, deshalb ein Blick zurück.

TATORT 6-Gewerke-Check: Die Daten und die Quellen

2011 bis Sommer 2018, das sind siebeneinhalb Jahre mit insgesamt 276 TATORTEN, bei 6 Gewerken also insgesamt 1656 Teampositionen. Die TATORTE selber gibt es schön übersichtlich auf der ARD-Webseite, dort werden Sendetermine, Titel, Städte und Ermittlungsteams genannt und auf den Unterseiten dann eine inhaltliche Kurzbeschreibung (um die es nicht gehen wird), sowie meistens die Teampositionen Regie, Drehbuch, Kamera und Musik und das, was ich den Hauptcast nenne. Die fehlenden Angaben, denn manchmal gibt es nur Regie und Drehbuch und Ton und Schnitt kommen gar nicht vor, recherchiere ich bei filmportal,de, crew united, IMDB und Wikipedia. Am schwierigsten gestaltete sich die Suche nach den Tonmeister*innen – wenn es die Angabe bei filmportal nicht gab war meist die letzte Hoffnung IMDB mit dem Problem unterschiedlicher Begrifflichkeiten – und den Komponist*innen, die ich bei fehlenden filmportal-Rubriken erstaunlich häufig bei Wikipedia fand, wobei ich nicht weiß, woher die Angaben dort stammen. Und für eine Handvoll TATORTE habe ich gar keine Tonleute auftun können.
Um es kurz sagen: es war viel Arbeit (nach Recherche und Analyse, d.h. als ich anfing  den Text zu schreiben, hatte ich mehr als 60 Stunden auf der Stechuhr) und alles ist ohne Gewähr, obwohl ich natürlich so sorgfältig wie möglich gearbeitet und alle Berechnungen mehrfach wiederholt habe.
Hinweis 1: Alle Abbildungen – auch die Bildergalerien – werden durch Anklicken größer zum Betrachten.
Hinweis 2: Ihr könnt gerne mit meinen Ergebnissen, Analysen und Grafiken arbeiten und sie verwenden, aber bitte gebt mich als Urheberin an. Immer.

6-Gewerke-Check: Regie Drehbuch Kamera Komposition Ton Schnitt

Das Fehlen von Kamera- und Tonfrauen 2018 hatte ich bereits angesprochen. Über alle Jahre gab es  fünf mal eine Null, in den insgesamt 48 Jahreswerten (= 8 untersuchte Jahre, 6 Gewerke), das sind 10 %:

Die nächste Abbildung zeigt alle sechs Gewerke für den untersuchten Zeitraum und als Referenzwert in fünf Fällen die Alumniangaben, also die Frauanteile unter den Absolvierenden, so wie sie in der FFA-Studie Gender und Film (2017) angegeben werden. Das Ansteigen der Regisseurinnen nach dem Zwischenhoch 2012 ist deutlich zu erkennen, ebenso die traurige Drehbuchsituation der letzten beiden Jahre. Die TATORTE sind fiktionale Stoffe aber sie sollen in unserem Land spielen, in der Gegenwart. Warum erzählen das fast nur noch Männer? Dass von den Alumni fast 50 % Frauen sind macht deutlich, dass Autorinnenmangel nicht wirklich der Grund sein kann. 2018 gab es mehr TATORTE deren Musik von einer Frau komponiert wurde als welche, deren Geschichten von Frauen stammen.
Im Gegensatz zur Tonausbildung schließen bei Kamera ein Viertel Frauen ab, was ist also die Erklärung für die beide Löcher 2015 und 2018? Können weibliche DoPs kein Blut sehen oder sind ihnen Verfolgungsjagden zu schnell? Ernsthafter: kennen die Redaktionen einfach keine (es gibt sie, siehe Kamera: mit ihren Augen) oder haben die TATORTE Stammkameramänner? Zumindest zur letzten Frage kann ich etwas beisteuern, etwas weiter unten. Der Frauenüberhang im Schnittbereich – bei mittlerweile ausgeglichenen Ausbildungszahlen – macht das Bild immerhin etwas bunter:

Die nächste Galerie liefert Detailansichten und Umfeld der sechs Gewerke. Zunächst sind die Berufsanfänger*innen (entsprechend den Alumni), den Verbandsmitgliedern und den im Beruf stehenden gegenübergestellt. Für letzteres habe ich die Volleinträge in der Datenbank von Crew United verwendet (Stand 2017). Es bleiben aktuell deutlich weniger Regisseurinnen und Kamerafrauen als Drehbuchautorinnen in den Projekten ,übrig‘. Hat das vielleicht auch mit der leichteren Vereinbarkeit von Beruf und Familie der Autorinnen zu tun? Damit, dass Drehbücher zu Hause oder im Büro geschrieben werden können, über längere Zeiträume, alleine oder im Team? (Auch bei den TATORTEN gab es jedes Jahr recht viele Ko-Autor*innen. Wobei oftmals auch Regieleute die Bücher mitschrieben, aber das war eine Minderheit unter den Teams).
Bei Komposition fehlen verständlicherweise zwei Werte, nämlich Ausbildung und Verband. Interessant wird es beim Schnitt, wobei, ich habe schon öfter drüber geschrieben: im Verband ist der Frauenanteil (noch) so hoch, weil Schnitt in analogen Zeiten ein klassischer Frauenberuf war und Männer sich erst verstärkt seit der Digitalisierung zum Editor ausbilden lassen. Die Ausbildungszahlen sind aktuell grob 50 : 50, im Beruf haben die Männer schon im Schnitt das Übergewicht (ja, das Wortspiel war Absicht), im Verband stellen sie zumindest im Vorstand auch die Mehrheit (5 : 2).
Das zweite Bild zeigt den 6-Gewerke-Check für die 100 erfolgreichsten Kinofilme 2012 bis 2015 und als drittes und viertes dazu die TATORTE aus dem gleichen Zeitraum bzw. von  2015 bis heute. Im ersten Zeitabschnitt gibt es prozentual mehr Kinoregisseurinnen und -drehbuchautorinnen als beim TATORT, und gleichzeitig arbeiten prozentual wesentlich mehr Editoren im Kino als im TATORT. (Galerie anklicken, dann könnt Ihr mit den Pfeilen links und rechts hin- und herwandern).

Meine Entschuldigung an die Gewerke Komposition und Schnitt, denn in der Folge betrachte ich noch einmal die anderen vier Gewerke, in vier Abbildungen.
Als Einstieg das kommende linke Bild 1 mit den Frauenanteilen bei Alumi, im Beruf, den Top 100 Filmen und den beiden TATORT-Gruppen. Bild 2 zeigt, wie viele Leute absolut in den siebeneinhalb Jahren in allen vier Gewerken arbeiteten – also nicht die Teampositionen sondern die Frauen und Männer die zum Einsatz kamen. Es waren ungefähr gleich viele Regisseure, Kameramänner und Tonmeister (ca. 110),  also keine Handvoll Stammkameramänner, die allen anderen – Frauen wie Männern – den Weg zum Set versperren. Drehbuchautoren gab es deutlich mehr, 155, was vermutlich auch mit den Schreibteams (von 2 bis 4 Leuten) zusammenhängt. Dem standen wie zu erwarten war deutlich weniger Frauen gegenüber, die von 33 (Drehbuchautorinnen) bis  4 (Tonmeisterinnen) reichten.
Bild 3 und 4 zeigen, in wie vielen TATORTEN jeder Mann bzw. jede Frau durchschnittlich gearbeitet hat, in den Zeiträumen 2012 bis 2015 und 2015 bis Sommer 2018. Die Werte der Männer in jedem Gewerk sind relativ stabil, insgesamt arbeiteten sie in  1,6 bis 2,1 TATORTEN. Bei den Frauen zeigt sich ein anderes Bild, mit sehr unterschiedlichen Werten in den beiden Zeitabschnitten. 2012 bis 2015 konnten nur 6 verschiedene Regisseurinnen TATORTE inszenieren, 2015 bis 2018 waren es immerhin schon 16, das Verhältnis Regisseurinnen zu Regisseuren sank von 1 : 12 auf 1 : 4. Beachtlich. Gleichzeitig sank die Anzahl von TATORTEN pro Regisseurin von 2 auf etwas über 1, viele inszenierten ihren ersten und bislang einzigen TATORT. Ob sie auch den zweiten, dritten und vierten bekommen, wird sich in ein paar Jahren zeigen. Von 2011 bis 2018 waren es übrigens 17 verschiedene Regisseurinnen.
Im Kamerabereich gab es den entgegengesetzten Trend, die Zahl der Kamerafrauen nahm ab: statt 8 nur noch 5 verschiedene Kamerafrauen, und die TATORTE pro Frau sanken noch drastischer. Die Drehbuchautorinnen sind nur geringfügig weniger geworden, von 25 (2012-15) zu 18 (2015-18), die TATORT-Bücher pro Person haben sich kaum verändert. In beiden Zeiträumen kamen jeweils drei verschiedene Tonmeisterinnen zum Einsatz (es gibt einfach nur sehr wenige, in der Crew United Datenbank stehen 18), und bei den Top 100 Kinofilmen kommen auch nur rund 5 verschiedene pro Jahrgang vor, allerdings andere als bei den TATORTEN.  (Randbemerkung:  es gibt bei Crew United 15 Komponistinnen und 321 Editorinnen. Und über Frauen und Filmton schreibe ich ein anderes Mal ausführlicher.) Hier nun die Bilderreihe:

Die TATORTE pro Person sind Durchschnittswerte. Die Spitzenreiter*innen der vier Gewerke, bezogen auf die siebeneinhalb Jahre waren:
Regie: Florian Baxmeyer (12 TATORTE) und Franziska Meletzky (5 TATORTE)
Drehbuch: Jürgen Werner (17) und Dagmar Gabler (5)
Kamera: Jürgen Carle (14) und Christine A. Meier (4)
Ton: Wolfgang Wirtz (21) und Katja Schenk (6)

Auch eine ziemliche Diskrepanz zwischen Männern und Frauen.

Und noch eine letzte Korrelation: Anzahl reiner Männergewerke pro TATORT und Jahr. Als Hilfe zum Lesen der nächsten linken Abbildung: die kleine hellgrüne Säule bei „Zwei“ bedeutet, dass es unter den 2012er TATORTEN einen Film gab, bei dem zwei der sechs Gewerke mit Männern besetzt waren. Die hellblaue Säule ganz rechts wiederum zeigt, dass 2018 bislang in vier TATORTEN alle sechs Gewerke männlich geführt wurden, also ohne jegliche Frauenbeteiligung. Den höchsten Wert in jedem Jahr liefert die „Fünf“, d.h. fünf Gewerke wurden an Männer und eins an eine Frau vergeben. Es gibt keine TATORTE mit fünf oder sechs ,Frauengewerken‘, und insgesamt nur drei Filme mit vier Frauengewerken, wobei eins jeweils die Regie ist:

  • Frankfurt-Tatort DIE GESCHICHTE VOM BÖSEN FRIEDRICH (2016). Regie Hermine Huntgeburth, Ton Katja Schenk, Schnitt Silke Franken und Musik Christine Aufderhaar. Erste Rolle Margarita Broich.
  • Konstanz-Tatort WOFÜR ES SICH ZU LEBEN LOHNT (2016). Regie Aelrun Goette, Buch Aelrun Goette mit Sathyan Ramesh, Kamera Conny Janssen, Schnitt Saskia Metten. Erste Rolle Eva Mattes.
  • Bremen-Tatort ORDNUNG IM LOT (2012). Regie und Buch Claudia Prietzel und Peter Henning, Kamera Bella Halben, Schnitt Elke Schloo. Erste Rolle Sabine Postel.

Nicht unerwähnt bleiben sollen an dieser Stelle die fünf TATORTE von Regisseuren, die ebenso wie die gerade genannten drei Regisseurinnen mit drei Frauen in den genannten Gewerken drehten:

  • Konstanz-Tatort DER SCHÖNE SCHEIN (2011). Regie René Heisig, Buch Susanne Schneider, Kamera Cornelia Wiederhold, Schnitt Martina Butz. Erste Rolle Eva Mattes.
  • Leipzig-Tatort RENDEZVOUS MIT DEM TOD (2011). Regie Buddy Giovinazzo. Buch Meike Hauck mit Clemens Schönborn, Musik Susan DiBona, Schnitt Katja Dringenberg. Erste Rolle Simone Thomalla.
  • Ludwigshafen-Tatort TÖDLICHE HÄPPCHEN (2012). Regie Josh Broecker, Buch Frauke Hunfeld mit Josh Broecker, Kamera Cornelia Wiederhold, Schnitt Katja Habermehl. Erste Rolle Ulrike Folkerts.
  • Und die beiden Bremen-Tatorte DIE WIEDERKEHR (2015). Regie Florian Baxmeyer, Buch Stefanie Veith mit Matthias Tuchmann, Ton Tina Schulte, Schnitt Friederike Weymar. Erste Rolle Sabine Postel. und
  • NACHTSICHT (2017). Regie Florian Baxmeyer, Buch Stefanie Veith mit Matthias Tuchmann, Ton Tina Dobbertin, Schnitt Friederike Weymar. Erste Rolle Sabine Postel.

Alle 8 Filme hatten eine weibliche erste Rolle. Noch so ein Zufall? Die zweite – hellblaue – Abbildung zeigt den prozentualen Anzahl von TATORTEN mit mindestens zwei Gewerken, an denen Frauen beteiligt waren von den sechsen – das können auch Frau-Mann-Drehbuchteams sein. Und es ist nicht jedes Mal Schnitt dabei. Der Mittelwert über die Jahre liegt bei 31 %.


63 TATORTE hatten null Frauen in den sechs Gewerken. Bezogen auf die Gesamtzahl (276) sind das 22,8 %, von den 247 TATORTEN mit Regisseuren ist das ein Viertel, 25,5 %. Dieser Wert wird – vielleicht überraschend – auch bei den Regisseurinnen-TATORTEN erreicht. 8 von 31 TATORTEN hatten keine weitere Frau in den sechs Gewerken, das sind 25,8 %.
Eine Reihe von Regisseuren und eine Regisseurin tauchen mehr als einmal in dieser Null-Kategorie auf. Aber egal, es soll ja kein Pranger sein, sondern ein Denkanstoß. Insofern wäre es vielleicht interessant zu sehen, ob bestimmte TATORT-Städte bzw. -Redaktionen häufiger durch diesen Frauenmangel auffalen, aber das habe ich auch nicht recherchiert.

Wir können jedenfalls festhalten, dass es in jedem der sechs Gewerke qualifizierte und TATORT-erprobte Filmfrauen gibt (zugegebenermaßen sehr wenige für Ton und Musik). Männer natürlich auch. 

Jetzt noch ein Blick vor die Kamera, das lässt sich relativ knapp in nur drei Abbildungen analysieren: Noch einmal die Zusammensetzung der Ermittlungsteams, dann in der Mitte die Frauenanteile für die erstgenannten Rollen und die auf den ARD TATORT-Seiten aufgeführten Hauptcasts. Im ersten Halbjahr 2018 wurde von den erstgenannten Frauenrollen erstmals die 50 % Linie überschritten. Ich weiß nicht, ob dieser Wert am Ende des Jahres bestehen bleibt, denn es kommen ja noch die ganzen Filme der zweiten Hälfte. Aber bemerkenswert ist das schon. Die dritte Abbildung zeigt erstgenannte Rollen und Hauptcasts für die acht Jahrgänge:

Am aufschlussreichsten finde ich das dritte Bild, aus zwei Gründen.
1. Der Frauenanteil unter den ersten Rollen ist schrittweise angestiegen. Das kann viele Gründe haben. Zum Beispiel das Bemühen der Verantwortlichen um mehr Kommissarinnen. Oder, dass bei den meisten neuen mixed Ermittlungsteams Frauen zuerst genannt werden, auch wenn es keine so deutliche Hierarchie gibt wie beispielsweise bei den Kiel-, Dortmund oder Saarbrücken-Tatorten.
2. Die Genderzusammensetzung der Hauptcasts ist eigentlich unverändert. Warum? Vielleicht werden Frauen als wirkliche Handlungsträgerinnen vergessen, und weiter mehrheitlich als Ehefrau, Partnerin, Tochter oder Mutter von Verdächtigen, oder Prostituierte angelegt. Auch die Tatsache, dass dermaßen viele Drehbücher von Männern geschrieben werden (2017 und 2018 jeweils 93 %!) kann eine Rolle gespielt haben.

Was wäre, wenn jedes TATORT-Drehbuch zu Produktionsbeginn mit der NEROPA-Methode von einem Dreierteam überprüft würde? Das verändert zwar  die Geschichten nicht groß, aber zumindest wird es zu mehr Frauenrollen führ, mit mehr Berufen und auch älteren, denn es werden vermutlich in den meisten Filmen die eine oder andere zusätzliche Frauenrolle, d.h. genderumgewandelte Männerrollen, rausspringen, nicht nur bei den kleinen namenlosen Tagesrollen.


Ich hatte es ja eingangs schon angekündigt, ich möchte ich zum Schluss eine Idee für eine Selbstverpflichtung aller TATORT-Verantwortlichen (und auch anderer) vorstellen:

2 von 6 plus NEROPA  –  #2v6pN

  • In jedem zu produzierenden TATORT werden mindestens zwei der Gewerke Regie, Drehbuch, Kamera, Komposition, Ton und Schnitt mit Frauen besetzt (Heads of Department). Wird eine Position von mehreren geteilt wie es z.B. bei Drehbuch, Ton oder Musik öfter der Fall ist, zählt das auch.
  • Mit jedem TATORT-Drehbuch wird zu Produktionsbeginn der NEROPA-Check durchgeführt.

Zwei Gewerke, das sind ein Drittel von den sechs, und es entspricht gleichzeitig dem Mittel der fünf Alumniwerte (für Musik habe ich keinen Wert).

Diese Selbstverpflichtung könnte beispielsweise ab 2020 eingeführt werden, die 2019er TATORTE werden bzw. wurden teilweise ja schon gedreht bzw. besetzt. Der Vorteil einer Verpflichtung für jeden TATORT – und nicht einer Zielgröße für die gesamte Reihe für nur ein Gewerk – ist, dass die autonom produzierten Filme bzw. Produktionsfirmen sich nicht mit anderen absprechen müssen, und dass es schneller zu (nicht nur statistischen) Veränderungen führen kann. Das Konzept der Diversitätsklausel (Inclusion Rider) von Dr. Stacy Smith (siehe auch Der Inclusion Rider) hat mich nicht wirklich überzeugt, weil da nur „ladet auch jeweils eine Frau im Bewebungsprozess für zehn Gewerke ein“ – das muss zu keiner Beschäftigung führen. #2von6pN schon.
Warum ich auch gut finde, dieses Modell, diese Zielvorgabe für die TATORTE anzunehmen ist, dass es zum einen die vielleicht prestigeträchtigsten öffentlich-rechtlichen Fernsehfilmproduktionen sind, die seit Jahrzehnten eine Männerdomäne waren – und jetzt vielleicht andere Formate anstecken können. Außerdem sind TATORTE wirklich überschaubar, quasi ein begrenztes Filmotop, so dass sie sich für Testlauf von #2v6uN geradezu aufdrängen.

Die Alumnizahlen und die Angaben der Crew United Datenbank sowie die Auswertung der acht TATORT-Jahrgänge haben gezeigt, dass es in jedem Gewerk qualifizierte Filmfrauen gibt, und wenn wir voraussetzen, dass die Ausbildung an den deutschen Filmhochschulen nicht schlecht ist, kommen noch mehr dazu, als potenzielle Auswahl für die Entscheider*innen.
Würden durch diese Selbstverpflichtung Männer benachteiligt? Hm, wenn wir von durchschnittlich 36 TATORTEN in einem Jahr ausgehen, bleiben immer noch (maximal) 144 Head-Positionen für Männer in den 6 Gewerken übrig. Das sind weitaus mehr als  Frauen bislang zur Verfügung standen. Und dass ein Großteil der Bremen-TATORTE von Florian Baxmeyer (und soweit ich weiß – anderes Beispiel – alle TATORTREINIGER von Arne Feldhusen) inszeniert wurden hat auch noch niemand als Diskriminierung der anderen bezeichnet.
Werden mehr Frauen in den Gewerken zu einem filmischen Qualitätsabfall führen? Nein. Warum sollte eine qualifizierte Frau weniger gute Ergebnisse abliefern als ein qualifizierter Mann, per se? Es geht ja nicht darum irgendeine Frau einzustellen die noch nie an einem Filmset gearbeitet hat, aber ganz fit mit Handycam und Kopfhörern kann.
Ich habe  die Daten nicht unter inhaltlichen Aspekten oder vermuteten Publikumszahlen analysiert und auch nicht die weiblich vergebenen Gewerke mit den dubiosen, sogenannten Einschaltquoten korreliert. Allerdings möchte ich trotzdem die Behauptung aufstellen, dass zwei oder drei Frauengewerke niemanden zum Abschalten bringen werden, und dass die Beliebtheit beispielsweise der Münsteraner TATORTE nicht daran liegt, dass meist nur eine Frau (die Editorin) in den 6 Gewerken auftaucht.
Zur Erinnerung, aktuell machen die TATORTE, bei denen mindestens 2 der 6 Gewerke mit Frauen besetzt sind, ein Drittel aus. Dies auf 100 % zu steigern wirkt enorm, aber warum nicht mal einen größeren Schritt gehen, der zudem kein Risiko birgt?
Noch toller wäre es, wenn von alleine Frauen wie Männer an der Spitze von und in Teams arbeiten, und die Stoffe sowohl von Frauen als auch Männern stammen und handeln. Nur, dieses ,von alleine‘ scheint ja nicht immer so gut zu funktionieren.
Ein weiteres Thema für diese sechs Gewerke ist die Bezahlung und Fair Pay, aber das ist nun wirklich ein Thema für einen anderen Tag.

Und was denkt Ihr über 2 von 6 plus NEROPA?

Nachtrag Februar 2019: Hier der Folgeartikel: Verbrechen aus Männersicht, der u.a. erstausgestrahlten TATORTE 2018 auswertet.

k.

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