SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Verbrechen aus Männersicht

TATORTE 2011-18, was tut sich hinter der Kamera?

Vergangenen Sommer hatte ich eine Auswertung der TATORTE 2011 bis 2018 erstes Halbjahr veröffentlicht, es ging um sechs Gewerke hinter der Kamera – Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Musik und Schnitt – und die erstgenannten Rollen und den Hauptcast (Was tut sich am TATORT? – #2v6pN).
Heute gibt es die ergänzten Statistiken mit dem vollständigen 2018er –  insgesamt 37 – TATORT-Premieren sowie einigen zusätzlichen Untersuchungen zu den Regisseurinnen und Regisseuren, wie  dem Alter bei ihren TATORT-Debüts und der Anzahl aller bis Ende 2018 übernommenen TATORT-Regieaufträge, auch schon bevor 2011.

Fast 20 % Frauenanteil bei Regie, wie toll ist das?

Es ist keine große Neuigkeit mehr, dass es deutlich weniger Filme von Regisseurinnen umgesetzt werden als von Regisseuren, und zwar auch deutlich weniger, als dem Anteil der Regie-Absolventinnen an den Filmhochschulen entspricht (44 %) und auch weniger als ihrem aktiven Anteil in der Branche entspricht (Referenzwert Crew United Datenbank: Regisseurinnenanteil 25,3 %). Darüber forsche und schreibe ich seit Januar 2013 (SchspIN – Gedanken einer Schauspielerin), Pro Quote Regie trat im Oktober 2014 erstmals an die Öffentlichkeit, u.a. mit dem Ruf nach einer gestaffelten Frauenquote für ihr Gewerk sowie mit der Forderung „einer wissenschaftlichen Studie zum Werdegang und beruflicher Situation von Regisseurinnen in Deutschland sowie zur Vergabepraxis von Rundfunkanstalten und Fördergremien“, und der 94-seitige 1. Diversitätsbericht des Regieverbandes BVR „zum Anteil von Regisseurinnen an fiktionalen Film- und Fernsehproduktionen über den Zeitraum 2010-2013“ erschien im November 2014.

Vielleicht etwas langsam reagieren Sender, Produktionsfirmen und Redaktionen, mal ist von 20 % Regisseurinnen als Zielvorgabe die Rede, mal wird deutlich mehr erreicht – zum Beispiel beim ZDF Kleines Fernsehspiel. Und bei den TATORTEN?

2018 waren insgesamt 30 TATORTE von einem Regisseur und 7 von einer Regisseurin in Szene gesetzt. Das ist ein Frauenanteil von 18,9 % – also fast die anvisierten 20 %. Zum Halbjahr waren es 19 %, also keine große Veränderung.
Um etwas mehr ins Detail zu gehen,  es waren 6 Regisseurinnen mit 7 verschiedenen TATORTEN: Samira Radsi, die mit 50 erstmals einen TATORT übernahm bzw. gleich 2, Theresa von Eitz (40) ebenfalls mit TATORT-Premiere 2018. Barbara Eder mit ihrem zweiten, sie hatte ihr Debut in dieser Reihe im Vorjahr, mit 41. Christine Hartmann drehte ihren siebten, der erste wurde bereits 2002 ausgestrahlt, als sie 34 war. Hermine Huntgeburth wiederum hatte ihre TATORT-Premiere gerade erst 2016 mit 59 Jahren, 2018 folgte ihr zweiter. Maris Pfeifer kommt mittlerweile auf vier TATORTE, ihre Premiere hatte sie 2006, mit 46.
Das durchschnittliche TATORT-Einstiegsalter der Regisseurinnen und Regisseure liegt nicht weit auseinander, wie die folgende linke Tabelle zeigt, für 2011 bis 18, und verkürzt für 2015 bis 18. Die Debüt-Altersspanne ist bei den Männern weiter als bei den Frauen: Lars Kraume inszenierte 2003 im Alter von 30 Jahren den TATORT SAG NICHTS, und Robert Dornheim 2015 GIER im Alter von 68. Katrin Gebbe (FÜNF MINUTEN HIMMEL 2016) ist 33 Jahren die jüngste Regisseurin, und Hermine Huntgeburth war mit 59 Jahren die älteste, 2016 mit DIE GESCHICHTE VOM BÖSEN FRIEDRICH.
Ein großer Unterschied ist aber die durchschnittliche Anzahl von TATORTEN pro Regiemensch wie die rechte Tabelle zeigt, egal ob mit oder ohne Berücksichtigung der jeweiligen Spitzenleute Claudia Garde mit 11 und Kaspar Heidelbach mit 20 TATORTEN, die Regisseure kommen auf durchschnittlich 2 TATORTE mehr als die Regisseurinnen (Quellen: ARD-Webseite, Filmportal, Wikipedia).

2011 bis 2018 waren insgesamt 17 Regisseurinnen und 70 Regisseure tätig.

 

… und bei Drehbuch, Kamera, Ton, Musik, Schnitt?

Um mit einer hohen Zahl anzufangen: der Anteil der Editorinnen liegt – im Verhältnis zu den Referenzwerten überproportional zwischen 50 und 70 %. Es wird interessant, wenn wir diesen Zahlen die Editorinnen der Top 50 deutschen Kinofilme 2013 bis 17 gegenüberstellen, denn deren Anteil liegt zwischen 20 und 30 % (Quelle SchspIN). Aber die Kinofilme sind ein Thema für einen anderen Tag.
Um noch niedrigere Frauenanteile zu sehen reicht ein Blick auf die folgende Abbildung, insbesondere 2018 – das Jahr, in dem die Regisseurinnen an der 20 % Marke kratzten ist ein Trauerspiel, 5,5 % Drehbuchautorinnen, 0 % Kamerafrauen, 0 % Tonmeisterinnen:

Tatorte 2011-18, 6-Gewerke-Check

 

Welche Verbrechen vorkommen, wie die Geschichten erzählt und wie sie visualisiert werden, das ist fest in Männerhand. In diesem Zusammenhang ein Hinweis auf meinen Text 19 Vorschläge für Film / TV / Bühne, im speziellen auf den Unterpunkt #Frauenmord-Detox.
Da ich nicht unterstellen möchte, dass die ARD entschlossen ist, die TATORT-Narrativen und -Bilder ausschließlich Männern zu überlassen, oder noch aktiver: Frauen bewusst außen vor zu lassen bleibt nur die wenngleich unbefriedigende Vermutung, dass es einfach niemandem aufgefallen ist. Das wird eventuell auch dadurch begünstigt, dass es ja verschiedene regionale Sender, Produktionenfirmen und Sender beteiligt sind und vielleicht niemand den Überblick hatte? Das ist ab sofort anders, denn die letzte Abbildung sprach eine deutliche Sprache.

Wir geloben Besserung!

Zugegeben, das hat bis jetzt noch niemand gesagt, aber wenn sie es sagen würden, die Redaktionen, die Produktionsfirmen, die ARD-Spitze, dann ist das lobenswert und vor allem recht leicht zu bewerkstelligen.
Verpflichtet Euch, bei jeder Produktion meinen Vorschlag „2 von 6 plus NEROPA“ #2v6pN anzuwenden. In anderen Worten: in jeder Produktion sind mindestens zwei der sechs Gewerke Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Musik und Schnitt von Frauen zu verantworten (und die NEROPA Methode anzuwenden, dazu später mehr).
Ich habe bereits geschrieben, dass ich einige Schwierigkeiten sehe, wenn Filmförderanstalten oder Fernsehsender, Redaktionen u.a mit mehreren Frauenquoten in Filmteams kombiniert arbeiten sollen. Und es gibt soweit ich weiß auch noch keine Modelle, die mehrere Quoten integrieren. Außerdem wird dabei die einzelne Produktion aus der Verantwortung entlassen, denn nach dem Sankt Florians-Prinzip kann sie hoffen, dass irgendeine andere Produktion eine Regisseurin oder eine Kamerafrau nimmt, und so die eigene, reine Männercrew ausgeglichen wird.

Mit #2v6pN ist das anders, denn da ist jede Produktion gefragt, denn das wäre eine Vorgabe, eine Soll-Bestimmung für jeden mit öffentlichen Geldern (ko-)finanzierten Auftrag. Welche zwei Positionen es sein werden, bleibt der Produkiontsleitung überlassen. Wer die sechs Gewerke partout nur mit Männern besetzen will – oder wie beispielsweise im Falle von BABYLON BERLIN 5 1/3 von 6 Gewerken – kann das machen, aber dann ohne öffentliche Förderung.

Die folgenden drei Abbildungen zeigen

  • links: die Anzahl der der TATORTE 2011–18, die in 0 bis 6 der sechs Gewerke eine Frau an der Spitze hatten. Die senkrechte orange Linie trennt links alle Filme, die die Bedingung 2 von 6 nicht erfüllt haben, und rechts alle, die es taten.
  • Mitte: zur Verdeutlichung für jedes Jahr den prozentualen Anteil der Filme, die 2 von 6 erreicht haben. (Das müssten in Zukunft 100 % sein, wenn #2v6pN eingeführt wird).
  • rechte Tabelle:  ist nur für das Jahr 2018 und zeigt, wie viele – oder sagen wir besser: wie wenige – weitere Frauen die Regisseurinnen und Regisseure in ihren Teams hatten.

Wer besetzt die Gewerke, hat da die Regie keinerlei Mitspracherecht oder ist das von Fall zu Fall verhandelbar? Samira Radsi und Barbara Eder arbeiteten in ihren drei TATORTEN ohne Frauen in den 5 übrigen Gewerken, beide sind Neulinge in dieser Reihe, besteht da ein Zusammenhang, oder wollten sie nur mit Männern arbeiten?

Zwei Fragen, die mir im Zusammenhang mit #2v6pN immer wieder gestellt werden, möchte ich noch kurz zitieren und beantworten.

  1. „Gibt es genug Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen, Kamerafrauen, Tonmeisterinnen, Komponistinnen und Editorinnen, um echt für jede Produktion zwei zu finden?“
    Antwort: Ja.
  2. „Warum forderst Du nur 2 von 6 und nicht 3 von 6, also 50 %?“
    Antwort: Weil in den sechs Gewerken in ihrer Gesamtheit aktuell nicht gleich viele Frauen und Männer ausgebildet werden, ein Drittel entspricht dem weiblichen Proporz. Insofern kann bei #2v6pN keine Rede von einer Bevorzugung von Frauen sein, nur von einer Hilfe, ihnen zu ihrem kreativen Recht zu verhelfen. (Und nebenbei für bessere Filme zu sorgen, denn wenn 40 % des Talentpools nicht genutzt wird….)

Mehr Kommissarinnen, aber immer noch männliche Gesamtcasts

Ich hatte es in meinem TATORT-Text vom Juni 2018 bereits vermutet, der Frauenanteil unter den erstgenannten Rollen, der im Sommer 2018 noch über 50 % lag, würde zum Jahresende niedriger ausfallen weil viele Kommissarinnen-TATORTE in der ersten Hälfte gelaufen waren. Und in der Tat, statt 52,4 % sind es für das gesamte Jahr nur noch 43,2 % Kommissarinnen, die die Besetzungsliste anführen (siehe die folgende Abbildung). Die dunkelblauen Säulen, die die Frauenanteile der Hauptcasts anzeigen, liegen relativ gleichmäßig um die 39 %, und solange das Gegenteil nicht bewiesen ist vermute ich weiterhin, dass die Gesamtcasts noch männerlastiger ausfallen, also wenn die namenlosen, kleinen Rollen auch noch berücksichtigt werden. 


Zur Erinnerung: ich habe die Angaben zu den Besetzungen der ARD TATORTE Webseite entnommen, den Hauptcast bilden alle Rollen und ihre Darsteller*innen, die dort aufgeführt sind, einschließlich der erstgenannten.
Meine Methode NEROPA würde zu einer Erhöhung des Frauenanteils in den meisten Drehbüchern führen, auch bei TATORTEN (wie sie funktioniert steht auf der offiziellen NEROPA-Webseite, oder ruft mich an und wir verabreden eine produktionsbegleitende Beratung).

Ausblick

Wenn das in diesem Tempo weitergeht, wie lange wird es dauern, bis der Anteil der Regisseurinnen 44 oder gar 50 % beträgt? Und wie lange noch, bis darüber gesprochen wird, dass Filmfrauen auch nicht länger von der Spitze der anderen Gewerke ferngehalten bleiben sollten und die Casts ausgeglichener werden? Ich weiß es nicht, ich schätze aber zu lange. Deshalb wie ausgeführt mein Vorschlag „zwei von sechs plus NEROPA“.

Ihr denkt das werden die Produktionsfirmen nicht mitmachen. Sicher nicht? Wenn sie sonst den Auftrag nicht bekommen, wohl schon. Oder andere übernehmen den TATORT.
Gibt es denn genug Autorinnen? Ja. Gibt es denn genug Kamerafrauen? Ja, Gibt es denn genug Regisseurinnen? Ja. Editorinnen? Das sowieso. Gibt es denn genug Tonfrauen, genug Komponistinnen? Mehr als null gibt es. Außerdem muss ja nicht in jedem Film jede dieser sechs Positionen weiblich besetzt werden. Wobei das auch einmal interessant sein könnte, denn umgekehrt gab es 2011 bis 2018 insgesamt 63 (dreiundsechszig) TATORTE, in denen keine einzige Frau an der Spitze eines dieser sechs Gewerke beschäftigt war. Warum nicht mal spiegeln?