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Gedanken einer Schauspielerin

TATORTE und Standorte, was läuft FM-mäßig?

Die TATORTE und die Standorte 2011 bis Sommer 2019

In meiner heutigen Analyse in 15 Abbildungen werfe ich einen Blick auf die 22 neuen TATORTE im ersten Halbjahr 2019, konkret auf die Frauen– und Männerverteilung in den sechs Gewerken Regie, Drehbuch, Bildgestaltung, Ton, Schnitt und Komposition. Außerdem auf die Erstgenannten Rollen und die Hauptcasts, das sind die auf den ARD TATORTE-Seiten genannten, durchschnittlich 12 Rollen pro Film.

Anschließend füge ich die 2019er Werte mit den TATORTEN 2011 bis 2018 zusammen, wieder bezüglich der sechs Gewerke, und stelle dem meinen Vorschlag 2 von 6 (#2v6pN) gegenüber.

Im dritten Teil schließlich geht es um die TATORT-Standorte bzw. Ermittlungsteams. Ich überprüfe, wie hier die Genderanteile für die sechs Gewerke ausfallen. Gibt es Unterschiede zwischen den Städten? Ja, gibt es. In einigen Städten wurde noch nie ein Drehbuch verfilmt, das nur von Autorinnen verantwortet wurde. Genaugenommen in 15 von 28. Das ist nicht gut. Alleinige weibliche Regie gab es im untersuchten Zeitraum in 9 der 28 TATORT-Städte nicht. Mehr dazu weiter unten.

Dieser Artikel schließt an meine jüngsten TATORT- und POLIZEIRUF-Analysen  Verbrechen aus Männersicht  und Nachgereicht: Der Polizeiruf 110 hinter der Kamera an.

Quelle für meine Untersuchungen ist die ARD-TATORTE-Unterseite mit allen Fällen und Erstausstrahlungsterminen, den Hauptcasts und einigen Angaben zur Crew. Den Rest habe ich überwiegend bei Filmportal und Crew United recherchiert. Für die Altersanalysen der SchauspielerInnen habe ich die Datenbanken Filmportal, Filmmakers, Crew United / Schauspielervideos sowie SchauspielerInnen- und Agenturwebseiten verwendet.

TATORTE 2019 im ersten Halbjahr

Hinter der Kamera

Die gute Nachricht zuerst, dass der Regisseurinnenanteil in den 22 TATORTEN bei 22,7 % liegt, das ist seit Beginn meiner Auswertungen 2011 ein neuer Höchstwert. Er ist natürlich noch weit entfernt von dem Frauenanteil unter den RegieabsolventInnen an Filmhochschulen – denn der ist 44 % – aber er nähert sich zumindest den 25,3 % Frauenanteil in der Crew United Datenbank, und er erreicht die 20 % Vorgabe, die die Degeto ausgegeben hat. Aber hier wird wie bereits schon in Verbrechen aus Männersicht beschrieben ein gleichzeitiger Nachteil dieser eingewerklichen Zielvorgabe deutlich: der Tunnelblick auf Regie ignoriert die anderen Gewerke. Bei einem ausgestrahlten TATORT 2019 war bislang eine Kamerafrau verantwortlich (Jutta Pohlmann beim Luzern-Schweizerischen AUSGEZÄHLT). Tonmeisterinnen? Genau wie im Vorjahr bislang Fehlanzeige. Ein Frankfurt TATORT hatte eine Komponistin: Iva Zabkar (DAS MONSTER VON KASSEL). 12,1 % der TATORT-Drehbücher wurden von Autorinnen geschrieben (Sommer 2018 war der Wert 7,1 %), aber nicht eigenverantwortlich sondern in drei Teams mit Autoren. Kein TATORT wurde nur von einer Frau oder einem Frauenteam geschrieben, wie gehabt werden die Geschichten in erster Linie aus Männersicht erzählt. Schnitt ist wieder einmal eine überdurchschnittliche Frauendomäne (Editorenanteil 22,7 %).

Die Drehbuchaufträge gingen wie gehabt an Männer. Lediglich bei drei TATORTEN schrieben Frauen mit.

Es macht wirklich Sinn, über Modelle nachzudenken, die mehrere Gewerke im Blick haben. Wie zum Beispiel #2v6pN – für jede Produktion müssen 2 der sechs Gewerke eine Frau an der Spitze haben (gemischte Teams sind möglich). Außerdem soll die Methode NEROPA angewendet werden. 2019 erfüllen bislang nur sieben der 22 TATORTE die 2 von 6-Bedingung, das ist ein knappes Drittel. Nehmen wir die Wien- und Luzern-Tatorte GLÜCK ALLEIN und AUSGEZÄHLT raus und betrachten nur die deutschen Produktionen sind es fünf von 19, das ist nur noch ein knappes Viertel. Der Ansatz 2 von 6 ist einfach, hat den weiteren Blick und nimmt jede Produktion in die Pflicht. Quoten können ja immer auch die anderen erfüllen…

TATORTE 2019 – Vor der Kamera

Vor der Kamera zeigt sich unter den erstgenannten Rollen ein deutlich niedrigerer Wert als 2018, nämlich 30,4 % Frauen (Sommer 2018: 52,4 %, Jahresende 43,2 %). Das kann verschiedene Gründe haben, ganz banal, dass bei den Ermittlungsduos auf der ARD-Webseite mal der eine und mal der andere Name der beiden an erster Stelle steht und 2019 zufälligerweise eher die Männer zuerst kamen. Ein anderer Grund kann sein, dass die Männerduos wie z.B. die aus Köln und München, sehr viel häufiger produziert werden als beispielsweise Konstanz (beendet 2016), Ludwigshafen und Hannover mit weiblichen Hauptfiguren, aber das ist nichts Neues. 2019 wurden schon drei Köln-Tatorte gesendet.

Der Frauenanteil im Hauptcast ist gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen, er liegt bei 39,4 % (Sommer 2018: 37 %, Ende 2018 37,5 %). Die Gesamtcasts kann ich leider nicht auswerten, da mir die Gesamtbesetzungslisten zuverlässig nicht vorliegen.

Eine Nachricht erreichte mich, die mich sehr freute und gleichzeitig auch optimistisch stimmt. Es geht! Regisseurin Julia von Heinz schrieb mir zu ihrem FÜR IMMER UND DICH:

Bei meinem Tatort, der nächste Woche läuft, habe ich NEROPA angewendet: aus Polizeimeister Liebermeister wurde Polizeimeisterin Liebermeister, aus Jonas von der Tankstelle wurde JONA, nun zwei grandiose weibliche Figuren. Nebenrollen sind damit paritätisch. Danke für die Inspiration.

Wie sähen die TATORTE aus, wenn alle Produktionen mit meiner Methode arbeiten? (Schreibt mich gerne an für Infos und Schulungen – klick!).

Das Alter der SchauspielerInnen

Ich hatte vor einigen Jahren Altersauswertungen von Casts gemacht, was eine recht aufwändige Geschichte war (siehe auch Alter: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte) und das seither detaillierter belegte Phänomen aufzeigte, dass ab 40 die Frauenrollen deutlich abnehmen. Neulich erzählte eine Kollegin, sie hätte nach Sichtung einer Reihe von Filmen im Zuge einer Jurytätigkeit den Eindruck, dass es mehr ältere Frauenrollen gibt. Ich habe deshalb die Hauptcasts der 2019er TATORTE analysiert:

Leider zeigt sich das alte Bild, die Spitze bei den Frauen nach Häufigkeit der Rollen liegt in der Gruppe der 36- bis 40-Jährigen, danach nehmen die Rollen stetig ab, mit einem drastischen Einbruch in der ersten folgenden Altersgruppe. Bei den Männerrollen hat sich die Spitze noch weiter ins Alter verschoben. Waren es 2013 noch die 51- bis 55-jährigen Schauspieler, sind es nun die in der Altersgruppe der 56- bis 60-Jährigen, was nicht nur an den alten Kommissaren in München und Köln liegen kann, denn es betrifft ja mehr als 25 Rollen. Die Köln-Kommissare Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär sind z.B. dreifach in dieser Altersgruppe der Statistik, da es 2019 drei Köln-TATORTE gab.  Besonders auffällig ist 2019 die Gruppe der 36- bis 40-jährigen Schauspieler, die einen deutlichen Peak oberhalb der Normalkurve aufweist. Es sind wie gesagt nur 22 TATORTE, aber die Geschlechtertrennung im Alter ist eindeutig weiterhin vorhanden. Hier zum Vergleich die 2013er Abbildung:

Die TATORTE 2011 bis Sommer 19 

Der TATORT ist ein lohnendes Analyseobjekt, weil es eine Reihe ist, und weil es innerhalb dieser Reihe Unterreihen (die Städte bzw. KommissarInnen) gibt. Die ARD stellt auf ihrer Webseite einen Teil der Crew und einige Rollen (die ich als Hauptcast nehme) zur Verfügung. Außerdem gibt es eine lückenlose Auflistung aller Fälle über die Jahre. Andere Filmreihen auszuwerten ist da deutlich schwieriger.

TATORTE sind außerdem das Prestigeprojekt der ARD, es heißt, dass dort mehr verdient werden kann als mit anderen TV-90-Minütern und allein deshalb schon sollten sie einen diskriminierungsfreien Zugang aufweisen. Wobei das sicher nicht für alle gilt, aber z.B. für die Drehbücher, sicher auch für viele der Hauptrollen, für Regie, Kamera – was ist mit den anderen Abteilungen, Kostüm, Maske? Zahlen auf den Tisch, ich kenne sie nicht. Ebenso weiß ich nicht, ob irgendwelche armen SchauspielkollegInnen bei einem Tatort auch schon einmal eine Sondergage für eine 2-Tages-Rolle annehmen mussten („sonst kriegt die Rolle jemand anderes„), weil das Besetzungsbudget durch die Hauptrollen sehr strapaziert wird. Das kommt leider bei Fernsehproduktionen nicht selten vor.

Hinter der Kamera

Die nächste Abbildung zeigt für alle 314 TATORTE 2011 bis Sommer 2019 die Frauenanteile in den sechs bereits untersuchten Gewerken. Referenzwerte sind die AbsolventInnen sowie die aktive Berufstätigkeit anhand der Datenbank Crew United:

Die folgende Abbildung zeigt aufgeschlüsselt die UrheberInnen der Drehbücher mit ihrer nicht übersehbaren Männerlastigkeit. Schielt mal kurz eine Abbildung zurück, ja es gibt die Autorinnen, nicht nur an den Filmschulen (48 %) sondern auch in der Berufspraxis (38,4 %):

Die 2019er Daten sind bezüglich der Autorinnen noch schlechter als die 2011-18 Mittelwerte. Die Männer- und Männerteams liegen ungefähr auf gleicher Höhe um die 59 % respektive 22,5 %, allerdings fehlen wie erwähnt 2019 bislang TATORTE die nur von Autorinnen einzeln / im Team verantwortet wurden (0 % / 0 % 2019 gegenüber knapp 8 % und unter 1 %). Dementsprechend liegen die gemischten Teams dieses Jahr ungefähr doppelt so hoch wie in den acht Vorjahren:

Das Modell „2 von 6“ bzw. #2v6pN habe ich eingangs erwähnt, hier die Werte für die 314 TATORTE 2011 bis Sommer 2019. Euch fällt vielleicht auf, dass es keine 50 % Referenzlinie gibt. Das liegt daran, dass nicht 50 sondern 100 % erreicht werden sollen. Alle Filme sollten das Kriterium erfüllen, nicht nur die Hälfte. Das macht die Umsetzung im Grunde leichter als bei kombinierten Quoten für sechs verschiedene Gewerke. Ich hoffe, dass eine Redaktion oder eine Produktionsfirma diesen Ansatz einmal ausprobiert und ich gehe davon aus, dass alle sechs Gewerke profitieren werden. Denn ich rechne nicht damit, dass auf einmal alle nur Regisseurinnen und Tonmeisterinnen beschäftigten werden.

Die TATORTE 2011 bis 19: Vor der Kamera

Und hier die Frauenanteile unter den  Erstgenannten Rollen und in den Hauptcasts. Die 50 %-Linie wird nirgends annähernd erreicht. Da könnte NEROPA sicher noch einiges rausholen:


Die TATORT Standorte

Ich denke es kann ganz interessant sein, die TATORTE nicht nur nach Jahren zu analysieren sondern nach den Regionalsendern, den Ermittlungsduos, den Städten. Das habe ich für den gleichen Zeitraum gemacht, also 2011 bis Sommer 2019, 314 TATORTE insgesamt in  28 Städten. Wobei, eigentlich in 25 Städten. Die doppelten Städte sind Berlin alt (Dominic Raacke / Boris Aljinovic) und Berlin (Meret Becker / Mark Waschke),  Frankfurt alt (Joachim Król, anfangs mit Nina Kunzendorf) und Frankfurt (Margarete Broich / Wolfram Koch), sowie Hamburg alt (Mehmet Kurtuluş) und Hamburg (Til Schweiger).

Hinter der Kamera – Die Nuller-Städte

Die erste Abbildung zeigt die Anzahl der Gewerke von sechs (Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Schnitt, Musik), die keinmal nur an eine Frau bzw. an mehrere Frauen vergeben wurden. Kein TATORT hat den Wert Null, das bedeutet, dass es für jeden Standort mindestens ein Gewerk gab, dessen Spitze noch nie rein weiblich besetzt war in wenigstens einem Film.

Die nächste Tabelle zeigt das etwas detaillierter. Hier sehen wir, um welche Gewerke es sich handelt, in denen noch nie nur eine Frau bzw. ein Frauenteam die Leitung hatte. In der letzten Spalte ist die jeweilige Anzahl der TATORT-Folgen im untersuchten Zeitraum angegeben. Die besonders niedrigen und die besonders hohen Zahlen sind farblich markiert. Erfurt mit nur 2 Filmen lässt sich natürlich nicht wirklich mit Köln und München (jeweils 25 Filme) vergleichen.

Um noch einmal auf die Drehbücher zurück zu kommen – und Ihr könnt es natürlich auch in der Tabelle sehen: kein Drehbuch ohne Beteiligung eines Autors, das heißt nur von einer Frau oder einem Frauenteam verfasst, gab es in folgenden Tatort-Städten (die Zahl in Klammern ist die Anzahl der Filme 2011 bis Sommer 2019, und die Namen sind die HauptdarstellerInnen). Berücksichtigt sind nur Standorte mit mindestens 5 Filmen:

  • Dortmund (13) – Jörg Hartmann
  • Dresden (7) – Karin Hanczewski / Cornelia Gröschel
  • Frankfurt alt (7) – Joachim Krol (teilw. mit Nina Kunzendorf)
  • Frankfurt (9) – Margarete Broich / Wolfram Koch
  • Hamburg (5) – Til Schweiger
  • Hannover / Niedersachsen (9) – Maria Furtwängler
  • Norddeutschland (11) – Wotan Wilke Möhring
  • Stuttgart (15) – Richy Müller / Felix Klare
  • Weimar (8) – Nora Tschirner / Christian Ulmen
  • Wiesbaden (6) – Ulrich Tukur 

Überrascht da die eine oder andere Nennung?  (Nochmal:  Autorinnen die in einem gendergemischten Team schrieben sind hier nicht berücksichtigt, ebenso keine TATORTE vor 2011).

Keine alleinverantwortliche Regisseurin gab es in folgenden Standorten:

  • Bremen* (17) – Sabine Postel / Oliver Mommsen
  • Franken (5)  – Fabian Hinrichs, Dagmar Manzel, Eli Wasserscheid, Andreas Leopold Schadt, Matthias Egersdörder
  • Frankfurt alt (7) – Joachim Krol (teilw. mit Nina Kunzendorf)
  • Hamburg  (5) – Til Schweiger
  • Saarbrücken (10) – Devid Striesow
  • Stuttgart (15) – Richy Müller / Felix Klare
  • Wiesbaden (6) – Ulrich Tukur

* Bei ORDNUNG IM LOT (Bremen 2012) führten Claudia Prietzel und Peter Henning gemeinsam Regie und schrieben auch das Drehbuch.

Elf Standorte hatten nie auch nur eine Kamerafrau,  zwanzig Standorte keine Tonmeisterin.

Hinter der Kamera – Der 6-Gewerke-Check für die TATORT Standorte

Die nächsten beiden Abbildungen zeigen die Frauenanteile in den sechs untersuchten Gewerken für zwei Gruppen von TATORT-Standorten. Zunächst von denen im Untersuchungszeitraum acht bis vierzehn Filme gesendet wurden. Und anschließend die Standorte mit sechzehn bis fünfundzwanzig Folgen. Die Städte sind nicht alphabetisch sortiert sondern nach Anzahl der Folgen, je weniger desto weiter links. Die Farben geben eine Tendenz wieder, Rottöne für die Männerteams bzw. Einzelmänner, Grün für die gemischten Duos, und die Standorte mit weiblichen Hauptrollen sind blau gemustert dargestellt. Das sind bei der ersten Abbildungen Hannover (Maria Furtwängler) und Konstanz (Eva Mattes):

Der hohe Regisseurinnenanteil in Hannover sticht hervor (er entspricht dem Anteil der Filmhochschul-Absolventinnen), ihm gegenüber leider eine bereits erwähnte Abwesenheit von Drehbuchautorinnen. Dazu der deutlich höchste Kamerafrauenanteil (je zwei  der neun TATORTE mit Eeva Fleig und Jutta Pohlmann – Alumniwert 25 % Frauen) und ein erstaunlich niedriger Editorinnenwert.

Den höchsten Autorinnenwert finden wir in Konstanz, allerdings immer noch unter 25 %, ebenfalls um die 20 % Berlin und Saarbrücken. Für den hohen und gleichzeitig einzigen Tonmeisterinnenanteil in Frankfurt ist Katja Schenk mit drei der neun TATORTE verantwortlich.

In der zweiten Grafik mit den häufigeren TATORTEN sind Bremen (Sabine Postel) und Ludwigshafen (Ulrike Folkerts) gemustert dargestellt.

In Bremen finden wir den Höchstwert an Editorinnen: 88,2 %. Tatsächlich sind das zwei Editorinnen: Elke Schloo mit zwei und Friederike Weymar mit zwölf der siebzehn TATORTE.

Es gibt große Unterschiede in den Standorten bzw. den regionalen Sendeanstalten. Beispielsweise im Drehbuch: außer Stuttgart gibt es keinen Standort ohne Autorinnen. Allerdings liegen die meisten Werte um bzw. unter 10 %. Die Werte sind generell bis auf beim Schnitt flacher, es gibt weniger Ausreißer. In München durfte einmal eine Regisseurin arbeiten (Dagmar Seume bei AUSGENUTZT, 2015), ansonsten  24 Regisseure. Woran liegt so etwas?

TATORT-Standorte und „2 von 6“

Wie bereits aus der Abbildung weiter oben deutlich wurde erfüllt die Mehrheit der TATORTE das „2 von 6“-Kriterium nicht. Die höchste Frauenverantwortung gab es bei zwei TATORTEN in Frankfurt und Konstanz mit vier Gewerken:

  • DIE GESCHICHTE VOM BÖSEN FRIEDRICH 2016, Regie Hermine Huntgeburth
  • WOFÜR ES SICH ZU LEBEN LOHNT 2016, Regie Alrun Goette, der letzte Fall mit Eva Mattes.

Auch die TATORTE mit drei Frauen in Gewerken haben meistens eine Regisseurin, so die beiden Wien-Tatorte 2012 und 2013 und ein Kiel-Tatort 2014 von Sabine Derflinger, sowie FRÜHSTÜCK FÜR IMMER (Leipzig 2014) von Claudia Garde. Allerdings gibt es auch DIE LIEBE EIN SELTSAMES SPIEL (München 2017), wo Regisseur Rainer Kaufmann mit drei weiblichen Heads of Department arbeitete, und mehrere Tatorte, wo es FM-Regie- und Drehbuch-Teams gab.

In den folgenden Städten findet sich kein TATORT, in dem Frauen mehr als zwei Gewerke (mit-)verantworteten:

Berlin
Dortmund (7 von 14 ganz ohne Frauen)
Franken
Hamburg (alle 5 ohne Frauen)
Hannover
Köln (6 von 25 ohne Frauen)
Leipzig
Luzern
Münster
Norddeutschland (7 von 11 ganz ohne Frauen)
Saarbrücken
Stuttgart (2 von 16 ganz ohne Frauen, 12 mit nur einer Frau, meistens im Schnitt)
Weimar (5 von 8 ganz ohne Frauen, die übrigen 3 mit je einer)
Wiesbaden (4 von 6 ganz ohne Frauen, die anderen 2 Filme lediglich mit der Editorin Ulrike Hano).

TATORT-Standorte: Die Stars und die Macht

Ich gehe davon aus, dass diese Lücken den meisten nicht aufgefallen sein werden, ebenso den wenigsten HauptdarstellerInnen, denn sie machen ja keine Teamstatistiken sondern sind darauf konzentriert, ihren Text zu lernen (kleiner Schauspielwitz). Nee, ernsthaft, vielleicht öffnen die Zahlen dem einen oder der anderen die Augen und sie gucken bei der nächsten Produktion hin und fragen nach. Vergessen wir nicht, diejenigen, die schon seit Jahren TATORT-KommissarInnen spielen haben nicht nur sehr hohe Gagen, sie haben auch Mitsprachemöglichkeiten. Ich hoffe, es gibt keine ,KommissarInnen‘, die durchsetzen, dass Frauen nicht für die Kerngewerke engagiert werden. Aus anderen Formaten, z.B. Vorabendserien, ist dies ja leider überliefert.

Positiv denken: Wie wäre es, wenn die HauptdarstellerInnen sich für Gleichberechtigung in Stoffentwicklung und Erzählen einsetzen? Für mehr Gleichberechtigung hinter und vor der Kamera? Für mehr Frauenrollen? Für NEROPA?

Die Standorte und die Rollenverteilung

Diese Grafik zeigt die Frauenanteile in den gesamten Hauptcasts der Standorte. Lediglich der Schwarzwaldtatort schafft es in seinen vier Filmen, auf über 50 % Frauenrollen zu kommen. Allerdings wurden für diese Tatorte nur durchschnittlich 8 Rollen angegeben, für Saarbrücken waren es beispielsweise durchschnittlich 13 Rollen in 10 Filmen. Alle Standorte ohne alleinige Drehbuchautorinnen liegen in der oberen Hälfte der Aufstellung:

Schlussgedanken

Die Auswertungen der bisherigen 2019er TATORTE in den sechs betrachteten Gewerken Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Schnitt und Musik haben wieder einmal das massive Genderungleichgewicht aufgezeigt. Hinter und vor den Kameras. Was die TATORT-Standorte betrifft findet sich auch keiner, bei dem eine größere Ausgewogenheit in Crew (oder Cast) existiert, es gibt nur einige, die noch schlechter sind als andere. (Dortmund! Hamburg! Norddeutschland! Stuttgart! Weimar! Wiesbaden!)

Mit der 20 % Zielvorgabe für Regisseurinnen hatte die Degeto einen ersten Schritt in mehr Frauenmitwirkung hinter der Kamera in diesem Format gemacht. Es müssen allerdings dringend weitere Impulse folgen, auch für die anderen zentrale Gewerke, idealerweise als positiver Anreiz und nicht als lästiges Übel. Mehr Vielfalt ist immer eine Bereicherung, und wenn sie auch zunächst ,nur‘ ein Aufbrechen der männlich dominierten Teams bedeutet. Dies haben ja zuletzt engagierte Drehbuchautorinnen für ihren Bereich gefordert in ihrem offenen Brandbrief an die ARD Sender und Rundfunkratmitglieder (Tatort Drehbuch. siehe auch „Warum arbeitet Ihr nicht mit Drehbuchautorinnen?“).

Es bleibt grundsätzlich die Frage, ob eine Quote das Allheilmittel ist, zumal in Bezug auf verschiedene Kategorien. Und vor der Kamera macht sie sowieso keinen Sinn. Ich gehe davon aus, dass es sehr viele Filmleute in verantwortlicher Position oder in Interessensverbänden und -organisationen gibt, die an Wegen arbeiten, wie es zu einem gendergrechten und damit auch produktiveren Arbeitsumfeld kommen kann.

Für die Zwischenzeit, als relativ leicht umsetzbare Maßnahme schlage ich #2v6pN (Zwei von Sechs plus NEROPA) für jede einzelne Produktion vor. Ich sage „relativ leicht umsetzbar“, weil dem weniger sachliche Gründe als eher irrationale Vorbehalte entgegenstehen. Und diese lassen sich abbauen. Einfach mal probieren – Learning by doing! Zum Beispiel NEROPA über einen Workshop kennen lernen. Immer mal wieder Filmfrauen aus den Gewerken treffen und mehr über ihre Arbeitsweise und -vision erfahren.

Und wer keine Filmfrau kennt, keine Regisseurin, keine Kamerafrau, keine Tonmeisterin, keine Komponistin, keine Editorin, keine Drehbuchautorin kann sich ja einfach an die entsprechenden Zusammenschlüsse (z.B. Cinematographinnen, Filmtonfrauen, Track 15 Komponistinnen) oder an Filmfrauenorganisationen wie Pro Quote Film, Women in Film and Television Germany und EWA European Audiovisual Network wenden. Oder bei den Berufsverbänden für Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Schnitt, Komposition nach weiblichen Mitgliedern fragen.

Ergänzung am 29.8.: Damit das nicht untergeht: die TATORTE werden mit öffentlich-rechtlichen Geldern finanziert und sollten deshalb der Chancengleichheit noch stärker verpflichtet sein.
Und zum Argument „Es ist doch egal ob ein Mann oder eine Frau eine Position hält, Hauptsache kompetent“ – gut, dann bitte die nächsten 100 TATORTE mit Frauenübergewicht vor und hinter der Kamera, denn es ist doch egal ob Mann oder Frau, und ausreichende Kompetenz gibt es bei allen Geschlechtern.