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Gedanken einer Schauspielerin

Nachgereicht: Der Polizeiruf 110 hinter der Kamera

Letzten Monat habe ich meine Untersuchung inklusive 6-Gewerke-Check der TATORTE 2011 bis 18 veröffentlicht – Verbrechen  aus Männersicht, nachdem Ende Juli die TATORT-Analyse für die sechseinhalb Jahre bis zur Sommerpause 2018 als Was tut sich am TATORT? – #2v6pN erschienen war.
Zur Erinnerung: die Entwicklung ist alles andere als gut, 2018 waren nur 5,5 % Drehbuchautorinnen und jeweils 0 % Kamerafrauen und Tonmeisterinnen in den Teams. Als mich kurz darauf jemand nach den POLIZEIRUF 110-Zahlen fragte musste ich passen, denn den kleinen Vetter der TATORTE hatte ich mir noch nie wirklich angeguckt. Weil es ja immer nur eine Handvoll Filme pro Jahr sind, woraus schwerlich substanzielle Schlüsse zu ziehen sind. Oder doch?
Heute nun also die erstausgestrahlten POLIZEIRUFE der Jahre 2011 bis 18, einzeln und zusammengenommen mit den jeweiligen TATORTEN, mit herzlichem Dank an Ariela und Susanne für den Anstoß.

Tatüü Tataa, der Polizeiruf ist da!

POLIZEIRUF 100 ist eine Fernsehreihe aus der DDR, die erstmals am 27.6.1971 ausgestrahlt wurde als  DER FALL LISA MURNAU. Bis 1990 produziert vom Fernsehen der DDR, bis 1993 vom DFF Deutschen Fernsehfunk und danach von den verschiedenen ARD Sendeanstalten. Zum Vergleich: der erste der ursprünglich westdeutschen TATORTE wurde am 29.11.1970 in der ARD gesendet, TAXI NACH LEIPZIG.
Die ersten Jahrzehnte POLIZEIRUFE spielten logischerweise in der DDR, später dann in ostdeutschen Städten. Es gab und gibt aber Ausnahmen: Wien (4 Filme), Heilbronn (3), München/Nürnberg (6), Offenbach (8), Volpe (8), Bad Homburg (4) und München (36) (wobei alle Zahlen ohne Gewähr sind, denn ich habe sie von Wikipedia, und das ist keine 100 % zuverlässige Quelle. Mehr zur Geschichte des POLIZEIRUFS findet sich auf der ARD-Seite.
Ich kann nur mutmaßen, wieso es auch POLIZEIRUFE in Städten der ehemaligen BRD gibt. Was ich aber nicht verstehe ist, warum es seit 1998 auch einen in München gibt, denn dort ist bereits seit 1991 das TATORT-Team gespielt von Miroslav Nemec (*1954) und Udo Wachtveitl (*1958) am Start, bisher in rund 80 Fällen.

Aktuell gibt es gefühlt 612 TATORT-Teams, tatsächlich sind es 22. (Auf der ARD-Webseite werden 23 Teams gelistet, davon 2 für den Schwarzwald). Hingegen POLIZEIRUFE werden derzeit für vier Städte geschrieben:

Rostock: seit 2011 mit Charly Hübner (* 1972) und Anneke Kim Sarnau (* 1972)
Frankfurt / Oder: seit 2012 Maria Simon (*1976) und Lukas Gregorowicz (*1976)
Magdeburg: seit 2013 Claudia Michelsen (*1969) und Matthias Matschke (*1968)
München: ab 2019 Verena Altenberger (*1987).

Warum ich die Geburtsjahre der gleichaltrigen Ermittlungsteams erwähne hat einen Grund: München. Dort gab es auch Teams in der Vergangenheit, allerdings jeweils mit einem älteren Mann als Alphatier und einer jüngeren, niederrangigen Kollegin oder Assistentin an seiner Seite. (Für die TATORTE habe ich das noch nicht untersucht, da gibt es beispielsweise Eva Mattes, Sabine Postel und Maria Furtwängler mit jüngeren Teampartnern, aber dann auch Teams wie Kiel und Dortmund usw. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag).

Zurück nach München. Dort begann 1998 Edgar Selge (50), 3 Jahre später (Selge mittlerweile 53) kam die 49-Jährige Michaela May dazu. Als Nachfolger kam der 66-jährige Jörg Hube, seine Assistentin spielte Stefanie Stappenberg (35). Aufgrund des frühen Todes von Jörg Hube übernahm 2011 Matthias Brandt (50), die ersten drei Jahre spielte die anfangs 29-jährige Anna Maria Sturm seine Assistentin, Im letzten Fall von Brandt (57) Ende 2018 spielte Maryam Zaree (35) seine Kollegin. Ihre Figur Nadja Micoud wurde ja leider aufgrund des Fehlverhaltens des Kollegen von Meufels im Dienst erschossen (s.a. Kommentar von Susan Ville auf Twitter). Wobei ich hoffe, dass im ersten Fall der jungen Nachfolgerin zumindest im Nebensatz ein Disziplinar- oder Dienstaufsichtsvergehenverfahren oder wie das heißt gegen ihren Vorgänger zur Sprache kommt.
Ältere Männer, jüngere Frauen, so waren die München-Teams. Die Figur Constanze Herrmann (gespielt von Barbara Auer) zähle ich nicht als Teil eines Teams dazu, sie kam nur in den drei von Christian Petzold geschriebenen POLIZEIRUFEN als von Meufels „Love Interest“ vor (s.a. Kommentar von sara-maria auf Twitter).

Die 110 und andere Zahlen – POLIZEIRUFE im 6-Gewerke-Check 

Die erste Abbildung zeigt den 6-Gewerke-Check (Regie, Drehbuch, Kamera, Komposition, Ton und Montage) für die 8 Jahre POLIZEIRUFE. Die Filme habe ich der ARD-Webseite entnommen, fehlende Angaben über Filmportal, Crew United und IMDB ergänzt.
Bei durchschnittlich weniger als acht POLIZEIRUFEN im Jahr ist es leider nicht überraschend, dass große Lücken klaffen, es gab allein vier Jahrgänge, in denen außer bei der Montage nur noch in jeweils einem Gewerk überhaupt eine Frau arbeitete (2012, 2013, 2015 und 2017), und es gab kein Jahr, in dem in allen sechs Gewerken mindestens eine Frau im Team war.

Erstausgestrahlte Polizeirufe 2011-18, 6-Gewerke-Check

Im einzelnen betrachtet: Nur eine Tonmeisterin, Petra Gregorzewski, kam in den acht Jahren überhaupt zum Einsatz (CRASH 2018), wobei es einige Tonmeister gibt, die an bestimmte POLIZEIRUF-Standorte gekoppelt sind, so nahm beispielsweise Thorsten Schröder bei allen 14 Rostock-Krimis den Ton auf, unter 7 verschiedenen Regisseuren, und seit 2014 arbeitete Peter Preuss in 8 von 9 München POLIZEIRUFEN, und Erich Lutz 11 von 14 mal in Frankfurt / Oder, beide ebenfalls unter wechselnder Regie.  Für Magdeburg gab es keinen Haupt-Tonmeister. Ob es üblich ist, dass Tonmeister*innen von den Produktionsfirmen empfohlen, ausgewählt oder gar vorgegebenen sind weiß ich nicht, bei den TATORTEN war mir so eine Häufung nicht aufgefallen, aber das müsste ich noch mal überprüfen.

Zweimal gab es bei POLIZEIRUFEN Bildgestalterinnen, Bella Halben (DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN 2011) und Jutta Pohlmann (MORGENGRAUEN 2014) – die unterschiedlichen prozentualen Anteile liegen an der unterschiedlicher Anzahl von Filmen in den Jahren. In drei Jahrgängen gab es insgesamt 4 Komponistinnen: Alexandra Barkovskaya, Christiane Aufderhaar und Kat Kaufmann, sowie Caroline Kox gemeinsam mit zwei Kollegen.
Jedes zweite Jahr wurde genau ein POLIZEIRUF an eine Regisseurin vergeben (Esther Wenger, Angelina Maccarone, Hermine Huntgeburth und Maris Pfeiffer).
Und die Montage? Ja, jeder Jahrgang mit Frauen, und kein Wert unter 40 %, 2012 sogar 100 %. Gut, bei den TATORTEN waren es sogar immer über 50 %, was dem Frauenanteil unter den Montage-Alumni (51 %) entspricht, – Filmeditorinnen wird im Fernehen einiges zugetraut, im Kinofilm weniger (siehe auch Die deutschen Kinofilme der letzten Jahre). Warum?  Ein Thema für einen anderen Tag.

Zurück zu den POLIZEIRUFEN mit einem Blick auf die Geschichten, die Stories, die Inhalte – wer hat die Drehbücher geschrieben? ,Nur‘ drei Jahre ohne Frauenbeteiligung, und 2017 gibt es beeindruckende 60 %, aber warum muss es so außergewöhnlich sein, dass Autorinnen auch einmal überproportional vertreten sind? Autoren sind das fast jedes Jahr, und zwar wesentlich deutlicher.
Die folgende Abbildung liefert Auskunft über die Urheberschaft der 59 POLIZEIRUF-Drehbücher:

Erstausgestrahlte Polizeirufe 2011-18: Einzelautor*innen und Teams

37 Autoren und 2 Autorinnen schrieben ihre Bücher alleine. Es gab ein Frauenteam, Ariela Bogenberger und Astrid Ströher (NACHTDIENST 2017, Regie Rainer Kaufmann) und acht gemischte Teams. Von denen schrieben sieben in der Verbindung Drehbuchautorin / Regisseur. Von den elf Männerteams schrieben sechs als Drehbuchautor / Regisseur. Wie das im Einzelnen zustande gekommen ist weiß ich natürlich nicht. Vielleicht gibt es Regisseure, die ein bereits fertiges Drehbuch umschreiben, und so einen Credit als Co-Autor bekommen. Sicher gibt es aber auch Regisseure, die ihre Drehbücher selbst schreiben, nur eben von Anfang an mit einer Ko-Autorin. Regisseur Eoin Moore beispielsweise schrieb drei Drehbücher alleine (FEINDBILD 2011, STILLSCHWEIGEN 2012 und FAMILIENSACHE 2014), und fünf weitere gemeinsam mit Annika Wangard (bei den Büchern für die WENDEMANÖVER-Filme war außerdem noch Thomas Kirchner beteiligt, bzw. sogar an erster Stelle genannt). Nur bei DÜNNES EIS 2017 führte er nicht selber Regie, da war es Jochen Alexander Freydank.

Nochmal zusammengefasst: von 59 Büchern wurden nur 3 von Frauen geschrieben ohne Männerbeteiligung.

Wie eingangs bereits angesprochen sind die POLIZEIRUFE alleine analysiert vielleicht nicht so aussagekräftig (obwohl, ein bisschen schon). Aber da sie sich ja den Sonntagabendkrimisendeplatz der ARD mit den TATORTEN teilen können wir auch  einmal beide zusammengefasst betrachten.

Gegenüberstellung: POLIZEIRUFE und TATORTE 2011 bis 2018

2011 bis 2018 waren es zusammengenommen 351 neue ARD-Sonntagabendkrimis, das sind durchschnittlich 43,9 Filmpremieren in 52 Wochen, davon im Mittel 36,5 TATORTE und 7,4 POLIZEIRUFE. Der Anteil der POLIZEIRUFE an den Krimis lag zwischen 13 % (2015) und 21,7 % (2011).

Tatorte und Polizeirufe, Häufigkeit 2011-18

Die nächste Abbildung zeigt die drei 6-Gewerke-Checks nebeneinander (anklicken zum Vergrößern): TATORTE, POLIZEIRUFE und beide Formate zusammengenommen. So gesehen fallen die POLIZEIRUFE nicht aus den Rahmen, wenn man die erste und dritte Abbildung vergleicht, sie modifizieren die TATORT-Werte minimal:

Und schließlich die Frauenanteile in den 3 Gruppen getrennt nach dem Gewerk. Die hellblaue Bezugslinie ist der Frauenanteil unter den Filmhochschulabsolvierenden im jeweiligen Gewerk, das sind die gleichen Werte wie in den vorangegangenen drei Abbildungen, nur eben nach Gewerken getrennt:

Die Kritik mag berechtigt sein, dass bei den bisherigen Abbildungen der Fokus zu sehr auf den Filmfrauen lag. Deshalb hier die sechs Gewerke noch einmal für die drei Filmgruppen TATORTE, POLIZEIRUFE und beide zusammen, diesmal die prozentualen Anteile der in den Gewerken tätigen Filmmänner. Die rosa-gepunktete Linie zeigt den Anteil der Absolventen an den Filmhochschulen im Gewerk als Bezugsgröße (Für Komposition gibt es keinen Vergleichswert). Bis auf den Bereich der Montage wurden Männer fast immer und überall deutlich überproportional beschäftigt:

Ausblick

Das dargestellte Zahlenmaterial ist weder besonders spaßig noch zufriedenstellend, und wirklich neu sind die nachgewiesenen Verhältnisse auch nicht. Aber da muss es ja nicht stehenbleiben. Denn wie immer wäre es möglich, die #2v6pN-Forderung umzusetzen und für jeden POLIZEIRUF 2 der 6 Gewerke an Frauen (mit-) zu vergeben (zu dem Vorschlage siehe auch Die deutschen Kinofilme der letzten Jahre). Es könnten als Versuch eines Ausgleichs für die letzten Jahre oder Jahrzehnte im Jahr 2020 nur TATORTE und POLIZEIRUFE verfilmt werden, deren Bücher von einer Frau geschrieben wurden. Oder aber – die abgeschwächte Variante – an deren Drehbüchern Frauen mitgearbeitet haben, zumindest als Ko-Autorin. Die ARD könnte sich freiwillig verpflichten, keinen POLIZEIRUF-Jahrgang mehr durchgehen zu lassen, an denen nicht in jedem der sechs Gewerke wenigstens einmal eine Frau an die Teamspitze geholt wurde. Es können ernstzunehmenden Quoten für Regisseurinnen, Kamera- und Tonfrauen aufgestellt werden. Egal was unternommen wird, so wie bisher kann es nicht weitergehen.

Zur Erinnerung, wir schreiben das Jahr 2019.