Tausch die Adjektive! Ein Test
Vor ein paar Tagen erhielt ich einen Programmhinweis von Real Film Berlin / Studio Hamburg, es ging um den Sendestart einer sechsteiligen „Thriller-Serie“ auf Netflix. Diese heißt SCHLAFENDE HUNDE und basiert auf der israelischen Serie IKARON HAHACHLAFA עקרון ההחלפה von Noah Stollmann und Ori Weisbrod (2016), was in etwa als „Tauschprinzip“ übersetzt werden kann. Die deutschen Drehbücher stammen von Christoph Darnstädt.
Nun habe ich nicht gedacht „Juchuh! Endlich eine neue Krimiserie!“ oder „Supi! Endlich wird eine erfolgreiche israelische Serie neuverfilmt!“ (wir kennen beispielsweise schon HATUFIM חטופים / „Entführte“ und BETIPUL בטיפול / „In Behandlung“, wobei mir die Originalfassungen grundsätzlich lieber sind, aber das ist ein anderes Thema).
Nein, mir fiel die Kurzskizzierung der Hauptfiguren auf, die doch ein bisschen ärgerlich anmutet. Interessant wurde es erst, als ich die beschreibenden Adjektive der weiblichen und männlichen Rollen tauschte, und daraus entstand mein heutiger Vorschlag für eine neue Kampagne.
#TauschdieAdjektive
- Ihr seid Autor:in und entwickelt gerade einen neuen Stoff? Seht Euch die Kurzbeschreibungen Eurer weiblichen und männlichen Hauptrollen an und tauscht einmal die Adjektive aus.
Zugegeben, das ist manchmal nicht so leicht zu bewerkstellen, wenn es mehr Männer- als Frauenfiguren gibt. Aber so muss es ja nicht bleiben – da hilft beispielsweise meine Methode NEROPA. - Ihr seid Schauspieler:in und bekommt eine Hauptrolle angeboten? Seht Euch die Kurzbeschreibungen der weiblichen und männlichen Hauptrollen an und tauscht einmal die Adjektive aus.
- Ihr sitzt an verantwortlicher Position in einer Filmförderung, bei einem Sender, in einer Redaktion oder der Vorjury eines Festivals, einer Produktionsfirma oder oder oder, und Ihr bekommt eine Bewerbung oder einen Pitch für ein Projekt auf den Tisch? Dann seht Euch die Kurzbeschreibung, die Inhaltsangabe, die Synposis oder die Beschreibung der Hauptrollen an, tauscht die Adjektive der weiblichen und männlichen (Haupt-)rollen und lest die Beschreibung noch einmal.
Mit #TauschdieAdjektive könnt Ihr blasse Figuren, Geschlechterklischees und Diskriminierungen aufspüren. Mit etwas Aufmerksamkeit sind sie auch so zu entdecken, #TauschdieAdjekte macht sie nur leichter sichtbar für den unbedarften Blick. Und es ist ein kleiner Test, sogar noch unaufwändiger als der Bechdel-Wallace-Test. Ich nenne ihn den Adjektest:
Adjektest
In dem genannten Beispiel SCHLAFENDE HUNDE lesen sich die Figuren nach #TauschdieAdjektive dann so:
Neben Luise von Finckh als abgestürzter Top–Anwältin und Max Riemelt als jungem Polizisten Atlas stehen Peri Baumeister als seine undurchsichtige Partnerin Lenni und Carlo Ljubek als einfühlsamer Dienstkollege Luka Zaric im Zentrum der packenden Krimi-Serie.
Gerade fällt mir auf, dass die Anwältin keinen Namen hat, der Polizist und die Partnerin zumindest Vornamen und der Dienstkollege sogar Vor- und Nachnamen. Aber das nur nebenbei.
Ich könnte mir vorstellen, dass ein Schauspieler, dem eine Hauptrolle als „Du spielst einen jungen Polizisten“ angeboten wird, das etwas dürftig finden dürfte. Hingegen regt „abgestürzt“ und vormals sehr erfolgreich („Top-“) direkt die Fantasie an. Auch „undurchsichtig“ klingt nicht uninteressant und ausbaufähig.
Bei den weiblichen Hauptrollen wird mit „jung“ bzw. „einfühlsam“ wohl kaum ein Freudentaumel ausgelöst. Aber immerhin, Hauptrollen! (Hoffentlich gibt es in der Produktion wenigstens gleiche Bezahlung für Frauen und Männer, aber auch das ist ein anderes Thema). Und vielleicht macht das Drehbuch mehr her und die Frauenfiguren sind klasse und vielschichtig geschrieben. Nur, warum wird das nicht in einem Adjektiv vorweg geschickt? In der deutschen Sprache gibt es mehr als 7.000 davon, da muss doch für Frauenfiguren mehr als „jung“ und „einfühlsam“ drin sein. Außerdem, jung, ist das eine Handlungsanweisung oder ein Wesenszug, wie soll ich das spielen?
Mir sind gerade noch zwei, drei andere beliebte Frauen-Adjektive eingefallen. Allen voran körperliche Beschreibungen wie „zierlich“, „schlank“ oder „bildhübsch“. Ihr ahnt schon, #TauschdieAdjektive ist nicht nur etwas für die Filmbranche, sondern auch beispielsweise für Buchverlage, Literaturhäuser, Konzertlocations, für das Gästeprogramm von Radiosendern und Talkshows, Panels, Zeitungsinterviews, PR-Agenturen u.a.m..
Und auch woanders greift der Adjektest
Wenn Ihr möchtet könnt Ihr auch die Adjektive von anderen ,Paaren‘ tauschen. Was ist zum Beispiel mit jung und alt, arm und reich, mit oder ohne Behinderung? Bei wem werden eher Äußerlichkeiten thematisiert oder Klischees bedient?
Habt Ihr zum Beispiel jemals gelesen „Heute haben wir den umstrittenen Rollstuhlfahrer und die tapfere Autorin zu Gast“?
SchspIN – Kampagnen
An anderer Stelle hier im Blog (Noch mehr Morde: TATORT 21) hatte ich bereits die ,Anfangstoten’ in TATORTEN des Jahrgangs 2021 gelistet und darauf hingewiesen, dass die ermordeten Frauen überdurchschnittlich oft jung, tot und namenlos waren während die ermordeten Männer länger gelebt, wesentlich öfter einen Namen und nicht selten einen Beruf und sogar Charaktereigenschaften hatten. Das ist bald zweieinhalb Jahre her, Die Kampagne vom Februar 2020 hieß #mehralsLeichen, und sie ist immer noch nicht obsolet. (Krimis – Schauspielerinnen können mehr als Leichen spielen).
In einer noch älteren vorgeschlagenen Kampagne von mir ging es übrigens auch schon um Klischees: #Augenauf Stereotype! vom Februar 2017.
Und nun #TauschdieAdjektive. Ich freue mich, wenn Ihr mitmacht und auch anfangt Adjektive zu tauschen. Schreibt mir gerne Eure Erfahrungen und Beobachtungen, oder postet sie in den sozialen Netzwerken mit dem Hashag #TauschdieAdjektive. Ich bin gespannt!
(die Kommentare werden leider immer noch nicht richtig unter dem Text angezeigt, deshalb hier:
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KOMMENTARE:
Julia Peh, 20.6.23 – 20:34 Uhr
voll gute Idee! Das probiere ich gleich aus.
Ruth Reinicke, 24.6.23, 5:43 Uhr
Was für eine große Tat!DankeDir!!!!!!!!!#TauschdieAdjektive.
Habe mich so oft geärgert über die sprachliche Verarmung und Oberflächlichkeit und blödsinnige Zuschreibung.
Z.B. ihre mütterliche Art, noch nie gelesen: seine väterliche Art…..
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