SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Babylon Männersoap Berlin – Zwischen den Weltkriegen

In meinem heutigen Text geht es um zwei Serien die mir nicht bzw. sehr gut gefallen haben:
BABYLON BERLIN
und KRIEG DER TRÄUME: 1918 1939.

Frauen im Top-Management

Kürzlich berichtete die Allbright Stiftung wieder einmal über die gendermäßige Zusammensetzung der Vorstände von börsennotierten deutschen Unternehmen. Rund die Hälfte, also 79 von 160, haben reine Männervorstände:

(…) 79 Firmen, die keine einzige Frau im Vorstand haben und die sich für die kommenden Jahre entweder gar kein Ziel oder aber das Ziel gesetzt haben, keine einzige Frau im Vorstand zu haben. (…). Nur 37 Unternehmen planen tatsächlich eine konkrete Erhöhung des aktuellen Frauenanteils. (…)
Diesen Unternehmen kann nicht bewusst sein, was für ein verheerendes Signal sie mit dieser »Zielgröße Null« aussenden: an die Managerinnen im Unternehmen (Ihr werdet hier nichts), an interessierte externe Top-Managerinnen (Ihr seid hier nicht willkommen), an die Öffentlichkeit (Wir sind nicht fähig und willens, uns an veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Voraussetzungen anzupassen).
Quelle: Die Macht der Monokultur – Erst wenigen Börsenunternehmen gelingt Vielfalt in der Führung.

Und gestern las ich einen Artikel von Jim Waterson aus dem Guardian über eine Initiative der Financial Times, mehr Leserinnen zu erreichen durch eine App, die überprüft, ob auch ausreichend Expertinnen in Artikeln zitiert werden und nicht nur Experten, und dass auf den begleitenden Fotos nicht nur Männer zu sehen sind. Gleichzeitig wird ein Augenmerk auf ethnische und geographische Diversität gelegt (Financial Times tool warns if article quotes too many men)


Es gibt also schlechte und gute Nachrichten zur Frauenrepräsentanz in der Geschäftswelt. Nach diesem Exkurs zurück zurm Fiktionalen. Wer wäre das Top-Management einer Film- oder Fernsehproduktion, die Produzent*innen?

Nehmen wir als Beispiel die „ErfolgsserieBABYLON BERLIN, die „teuerste deutsche Serie aller Zeiten“ (ca. 3,5 Mio. € pro 45-minütiger Folge), mit drei Produzenten, Stefan Arndt, Uwe Schott und Michael Polle, und zwei Koproduzenten, Jan Mojto und Dirk Schürhoff – und keinen Frauen (Quelle X-Filme).

Der 6-Gewerke-Check (Drehbuch, Regie, Kamera, Filmton, Montage, Komposition) ergibt ein ähnlich einseitiges Bild, 15 Männer und eine Frau. (siehe linke Abbildung). Die mittlere Tabelle zeigt 17 von 31 ausgewerteten Teampositionen, die bei BABYLON BERLIN ausschließlich an Männer vergeben wurden (siehe auch Filmgewerke – 2017), und die dritte Abbildung  die 107 in der crew united Datenbank für diese Positionen Gelisteten, 80 Männer und 27 Frauen: für alle untersuchten Gewerke:

 

Ist das niemandem aufgefallen? Nicht den Fernsehsendern (Sky, ARD, WDR) die diese Serie mitfinanziert haben? Nicht den Filmfördereinrichtungen, die die Serie reichlich – größtenteils aus Kinofördertöpfen – bedacht haben? (für drei Staffeln  3,3 Mio. Euro vom Medienboard Berlin-Brandenburg, 3,2 Mio. Euro von der Film- und Medienstiftung NRW, 8,7 Mio. Euro vom German Motion Picture Fund / Wirtschaftsministerium = 15,2 Mio. Euro. Quelle: Ellen Wietstock, persönliche Auskunft). Hat es X Filme Creative Pool, Beta Film und die Degeto nicht gestört? War das kein Thema für die Medien, 2017 oder 2018?

Die Zuschauer des Ersten dürfen sich auf die Free-TV-Premiere dieser einzigartigen deutschen Serie freuen, einer rauschhaften Inszenierung des turbulenten Lebens im Berlin der Weimarer Zeit. ‚Babylon Berlin‘ vereint Erzählkunst vor zeitgeschichtlichem Hintergrund mit dem Schauwert des großen Kinos.
Volker Herres, Programmdirektor ARD (Quelle ARD)

Babylon Berlin‘ ist das Serienhighlight des Jahres und die derzeit spannendste und innovativste Serie aus Deutschland. Wir setzen mit ‚Babylon Berlin‘ weiter auf deutsche Qualitätsserien made by ARD Degeto.
Christine Strobl, Programmgeschäftsführerin ARD Degeto (gleiche Quelle)

Was ist an der Serie innovativ? Und wo sind die Frauen? Sie wurden vergessen, übergangen, ausgeschlossen, trotz vergleichbarer Qualifikation selbstredend. Vor allem, da es Instrumente gibt, die verhindern, das von vornherein die Hälfte des Talentpools ausgeschlossen wird, wie zum Beispiel die Quote, Zielvorgaben / Selbstverpflichtungen und #2v6pN.

Zielgröße Null

Die ARD-Tochter Degeto hat – nicht zuletzt aufgrund der jahrelangen Lobbyarbeit von Pro Quote Regie – zwar noch keine Quote beschlossen, aber für einzelne Produktionsbereiche und Reihen eine 20 %-Zielgröße für Regisseurinnen ins Spiel gebracht. Das hätte für die 16 Folgen BABYLON BERLIN bedeutet, dass mindestens drei Folgen von Regisseurinnen hätten inszeniert werden müssen. Das war bei der – etwas ungewöhnlichen – Produktionsweise nicht umsetzbar, und vermutlich wurde es auch gar nicht erst thematisiert, denn die drei Regisseure Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries, die auch die Drehbücher geschrieben haben (sehr frei nach den Gereon Rath-Kriminalromanen von Volker Kutscher) haben unter sich nicht die Folgen aufgeteilt sondern die Drehorte (was bedeuten konnte, dass eine Figur, die z.B. erst im Präsidium ist, von dort eine kurze Autofahrt ins Kabarett unternimmt und dort ein Gespräch führt – dabei mit drei verschiedenen Regisseuren arbeitete).

Eine Quote lässt sich für eine einzelne Produktion – oder in diesem Fall eine Serie – schwer umsetzen, und noch komplizierter wird es, wenn es gleichzeitig Quoten für verschiedene Gewerke geben soll. Dafür werden hoffentlich bald Lösungsansätze diskutiert. Aber es gibt jetzt schon einen Vorschlag, den ich vor ein paar Monaten ins Spiel gebracht habe und den ich 2 von 6 plus NEROPA nenne (siehe Was tut sich am TATORT – #2v6pN). #2v6pN bedeutet, dass mindestens zwei der sechs genannten Gewerke mit einer Frau besetzt werden und dass außerdem in der Vorproduktion alle Rollen mit dem NEROPA Check überprüft werden. Das berücksichtigt zwar nur sechs Gewerke, und ist von einem 50:50 noch entfernt, aber in der augenblicklich desolaten Situation kann #2v6pN schon viel verändern und vor allem sofort angewendet werden, ob für einzelne Filme, Serien oder Reihen.

Jetzt soll es aber nur um die genannten sechs Gewerke und BABYLON BERLIN gehen. Zwei müssten komplett von Frauen verantwortet werden, oder in allen Gewerken insgesamt so viele Frauen beteiligt werden, dass Ihr Anteil ein Drittel wird. Das wären 6 der 16 Filmleute. Die Serie weist aber mit 1 Frau unter 16 Beschäftigten nur den traurigen Wert 0,3 von 6 Gewerken auf. Ich fürchte, auch in der dritten Staffel wird sich das nicht ändern, aber vielleicht ja doch?

Da ich kein Sky-Abo habe kann ich zu dem Sender wenig sagen, aber dort, wo BABYLON BERLIN zuerst lief (und u.a. mit „Berlin Stadt der Sünde“ beworben wurde), startet demnächst DAS BOOT – Die Serie. Und sie zeigen pro Saison gut 700 Männerfußballspiele  (Quelle Sky). Ist Sky ein Sender, der auf Männer fixiert ist?

BABYLON BERLIN – eine Männersoap

Nicht nur hinter, auch vor der Kamera häufen sich bei BABYLON BERLIN die Männer. Die nächsten Abbildungen zeigen die Frauen– und Männerfiguren, die in 3 bis 16 Folgen (links) bzw. in 1 bis 2 Folgen der Serie (rechts) vorkommen. Quelle ist IMDB, in der Datenbank sind 128 männliche und 38 weibliche Sprechrollen gelistet.

Eine Korrektur habe ich vorgenommen, bei IMDB werden für die Rolle Greta Overbeck 16 Folgen angegeben, ich erinnere aber, dass sie erst später auftaucht (siehe auch Episodenguide von fernsehserien.de), und habe den Wert 16 deshalb auf 13 korrigiert.  Die größten Hauptrollen sind mit 16 Folgen Gereon Rath, Charlotte Ritter, Bruno Wolter und August Benda, im 3:1 Verhältnis. In der Gruppe „3 bis 16 Folgen“ sind es 47 Männer und 16 Frauen (Rollenverhältnis 3:1), und für „1 bis 2 Folgen“ wiederum 81 Männer und 22 Frauen (Rollenverhältnis 4:1). Jetzt werden einige vielleicht einwenden, dass dies am Plot liegt, – aber WARUM muss schon wieder eine Geschichte erzählt werden, opulent, aufwändig, überwiegend mit öffentlichen Geldern finanziert, in der Frauen nur eine Randerscheinung sind? Zur Erinnerung: auch in den 20er Jahren gab es nicht weniger Frauen als Männer in Deutschland (siehe auch Planet Wissen), und Frauen haben mehr gemacht als ihre Brüste zu entblößen. Vielleicht hätte meine Methode NEROPA das Rollenverhältnis noch etwas korrigieren können, aber die Drehbücher sind natürlich schon sehr männerzentriert angelegt (Gesamtverhältnis 1 Frau auf 3,4 Männer).


Serientheoretisch ist Soap vielleicht der falsche Begriff, DALLAS und DENVER CLAN waren ja auch keine Soaps, und an die wurde ich mehrfach erinnert. Nicht zuletzt, weil vermeintlich Tote oder Sterbende in BABYLON BERLIN weiterleben. Dass Anno Rath (Jens Harzer) doch nicht tot ist war mir ab der ersten Rückblende klar – selbst wenn sein Bruder Gereon (Volker Bruch) ihn bis kurz vor Schluss nicht erkennt, nicht einmal an der Stimme. Ich gehe auch stark davon aus, dass August Benda (Matthias Brandt) das Attentat überlebt hat (auch wenn er im Babylon Berlin Wiki als getötet genannt wird) – und würde sogar eine kleine Außenseiterwette auf ein Wiedersehen mit Bruno Wolter (Peter Kurth) in der dritten Staffel abschließen – immerhin hat ja auch Steven Carrington eine Explosion auf einer Ölbohrplattform und J.R. Ewing diverse Attentate überlebt.  Auch die  Rettung von Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) nach dem Autosturz ins Wasser war keine dramaturgische Überraschung, höchstens eine medizinische. Es heißt Ertrinkende geraten oft in Panik, klammern sich an ihre Retter*innen und ziehen diese unter Wasser, so dass schlimmstenfalls niemand überlebt. Charlotte war die allermeiste Zeit ruhig und milde und sogar bereit, – fast wie eine Heilige – auf ihr Leben zu verzichten, damit Gereon Rath sich durch seine Rettungsversuche nicht weiter verausgabt, oder was war ihre Motivation? Gestoppte fünf Minuten dauerte es von ihrem letzten Ausatmer unter Wasser, bis sie nach den Wiederbelebungbemühungen von Rath an Land wieder das Bewusstsein erlangte.

Ich habe alle Folgen von BABYLON BERLIN gesehen und mir hat die Serie nicht gefallen, sie hat mich nicht gepackt, nicht berührt, und um spannend oder interessant zu sein hätte es für mich auch nicht die teure, aufwändige, „opulente“ Ausstattung geben müssen, keine 3.000 Kompars*innen oder Maschinengewehrgemetzel, keine realistische Einschuss- und Austrittslöcher in Köpfen – nicht die vielen Actionszenen (Stunt Koordinatorin Dani Stein, lt. crew united Datenbank 19 Stuntmänner und 1 Stuntfrau). Ich hätte mir einfach bessere Drehbücher und schlüssigere Figuren gewünscht und ein differenziertes Bild von Berlin und der Weimarer Republik, nicht nur als Hintergrundskulisse für eine teure Krimiserie. (ein befreundeter Historiker schrieb mir „Dann sah ich auch noch, dass die Hauptfigur bei der Sittenpolizei ist und dass einer der Hauptschauplätze ein Nachtklub ist, und das seit CABARET allgegenwärtige Klischee von der „sündhaften“ Weimarer Republik habe ich langsam über.“) Ich bin kein Fan von James Bond- oder Superhelden-Filmen, so dass ich mit Gereon Rath, der es locker mit drei Gegnern auf einmal aufnimmt und gewinnt, und von Schüssen nicht getroffen wird, wenig anfangen konnte (die Bösen sind immer schlechte Schützen, kennen wir ja schon aus STAR WARS). Alle Frauen liegen ihm zu Füßen (die Vermieterin (Fritzi Haberlandt), die Frau seines Bruders (Hannah Herzsprung) und Charlotte steht auch kurz davor) – einzige Ausnahme ist die Kommunistin und Armenärztin Dr. Völcker (Jördis Triebel), die aber spätestens gegen Ende der zweiten Staffel zur Bösen wird, denn sie hetzt einen Schlägertrupp auf Rath und verkündet sogar sein Todesurteil, das aber nicht umgesetzt wird, denn Rath wird natürlich gerettet. Überhaupt, die Kommunist*innen, entweder sind sie Dr. Völcker oder sie sind Fritz (Jacob Matschenz), der ist noch böser, denn er läuft zu den Nationalsozialisten über (nicht dass es das in Wirklichkeit nicht gegeben hätte). Oder sie sind Russen und werden massenerschossen.

Charlotte als Männerphantasie

Und die weibliche Hauptfigur, Charlotte Richter? In den Originalkrimis kommt sie auch vor, allerdings ziemlich anders als in der Fernsehserie. Hier die Beschreibung des Romanautors Volker Kutscher:

Von Freunden und Kollegen „Charly“ genannt. Juristin. Geboren am 23. Oktober 1907 in Berlin-Moabit. Besuchte die 206. Gemeindeschule in Moabit, ab 1917 das X. Städtische Lyzeum (später Kleist-Lyzeum). Nach dem Abitur beginnt sie 1927 ein Jurastudium an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Lebt mit ihrer Freundin Greta Overbeck in einer Wohnung in der Spenerstraße in Moabit, was einige Nachbarn misstrauisch beobachten. Um ihr Studium zu finanzieren arbeitete Charly zeitweise als Stenotypistin in der Inspektion A, wird dort auch bei Ermittlungen eingesetzt. In der Mordinspektion lernt sie auch Gereon Rath kennen, zu dem sie sich sofort hingezogen fühlt — bis sie die weniger angenehmen Seiten seines Charakters kennenlernt. Seit es die ersten Frauen bei der Berliner Kriminalpolizei gibt, ist es ihr Berufswunsch, einmal als Kriminalbeamtin zu arbeiten. Zunächst aber muss sie ihren juristischen Vorbereitungsdienst im Amtsgericht Lichtenberg absolvieren.
Quelle: gereonrath.de

Also eine Juristin, die neben dem Studium als Stenotypistin jobbt.
Die drei Drehbuchautoren / Regisseure Tykwer, Handloegten und von Borries haben Charlotte Richters Biografie stark verändert, z.B. in Bezug auf ihre Herkunft – sie hat nun das Etikett Arbeiterschicht. Das wird in den Szenen bei ihr zu Hause mit ihrer in beengten und sehr ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie gezeigt. Ansonsten merkt man es nicht besonders finde ich. Sie sieht blendend aus, hat makellose Zähne, makellose Haut, dies alles trotz Mangelernährung, und weder sie noch ihre Kleidung scheinen zu riechen, auch wenn ihre heimischen Waschmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Egal wo sie ist, nie ist sie eingeschüchtert. Welche Schul- oder sonstige Bildung soll sie eigentlich genossen haben? Für ihre Tätigkeit bei der Polizei ist sie ausreichend qualifiziert, wie das?

Neben ihrer Herkunft wurde aber noch etwas dazu erfunden, was erstaunlich selten bzw. eher gar nicht in Interviews oder Artikeln zum Vergleich Romanfiguren – Serienfiguren thematisiert wird. In BABYLON BERLIN arbeitet Charlotte Ritter nebenbei als Prostituierte, auch noch, nachdem sie eine Anstellung bei der Polizei erhalten hat („ich brauche Geld“). Da haben wir es, die Heilige und die Hure in einer Person. Diese Prostitution wird allerdings auf der ARD-Webseite nicht erwähnt, und das Proletarische findet sich höchstens in dem Wort „arm“ – wobei Proletarier*innen ja nicht die einzigen Armen waren:

Resolut und erfinderisch, arm, aber sexy. Stenotypistin in der Mordinspektion, wird im Verlauf der Geschichte nicht nur Raths Assistentin. Die einzige Frau zwischen all den staubigen Beamten. Ernst genommen wird sie nur von wenigen – aber sie kann sich wehren: Viel und schnell reden. Viel wissen. Viel lernen. Viel feiern … Charlotte kennt alle in der Stadt. Alle, alles und jeden.

Hätte sie nicht einfach Kellnerin im Moka Efti sein können? Zigarettenverkäuferin? Fabrikarbeiterin?

Nein, Prostituierte, das haben sich die drei Drehbuchautoren für sie ausgedacht. Ein Job, der Ritter nicht besonders viel ausmacht, auch nicht, als Bruno Wolter sie erpresst und mehrfach – vermutlich kostenlosen – Sex von ihr einfordert. Ein so normaler Job, dass er auch das erste ist, das ihr einfällt, als ihre Bekannte Greta Overbeck (Leonie Benesch) in die Stadt kommt und Arbeit sucht. Die kann dann aber leider nicht als Prostituierte arbeiten, denn sie hatte mal einen Kaiserschnitt, und die Narbe ist nicht schön verheilt. Na gut, dann eben eine Anstellung als Dienstmädchen. Für eine Aushilfstätigkeit bei der Polizei als Fotosortiererin oder Stenotypistin ist Greta wohl aufgrund mangelnder Fähigkeiten nicht geeignet, sie gehört zur Arbeiterschicht und hat natürlich nicht lange die Schule besucht. Im Gegensatz zu Charlotte Ritter, die ja, äh, auch aus dem armen Proletariat stammt aber Steno kann. Deren familiäres Umfeld erscheint zudem nicht nur elend sondern auch hässlich-ungepflegt, dumpf und böse-bedrohlich – der Schwager Erich (Pit Bukowski), der seltsamerweise auch Ritter mit Nachnamen heißt, wird vermutlich in der nächsten Staffel Charlottes kleine Schwester Toni (Irene Böhm) an seine pädophilen Freunde verschachern -, was Charlotte natürlich noch mehr strahlen lässt.

Zur Umwandlung der Figur sagt Romanautor Volker Kutscher gegenüber der FAZ bzw. dem NDR:

Ja, die Figuren sind anders angelegt als im Roman. Aber es gab ein Wiedererkennen. Liv Lisa Fries kommt Charlotte, Charly, wie ich sie mir vorstelle, schon vom Aussehen sehr, sehr nah. Sie hat einen anderen sozialen Hintergrund als im Roman, sie muss sich von weiter unten nach oben kämpfen, aber vom Charakter her ist es dieselbe Figur, eine Frau, die die neuen Freiheiten der Republik nutzen möchte, um sich zu emanzipieren. Im Roman sind es kleinbürgerliche Verhältnisse, aus denen sie herauswill. Hier ist es ein Milieu der Armut, das im Roman von den Hauptfiguren nicht bespielt wird.

Sie ist ja auch in meinem Roman Stenotypistin, vor allen Dingen muss sie Geld verdienen, um studieren zu können. Sie hat einen kleinbürgerlichen Hintergrund, sie ist keine Studentin aus reichem Hause. Sie muss sich auch nach oben arbeiten. Das haben beide Figuren gemeinsam. Aber ich glaube, der wichtigste Grund für die drei Regisseure und Autoren, sie in dieses Milieu zu versetzen, war der, dass man das Elend des Proletariats nicht nur am Rande zeigen wollte. Das war in den 20er-Jahren wirklich ein Elend, diese Armut kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Sie wollen das an die Hauptfigur binden, das kann ich sehr gut nachvollziehen – und das passt auch ganz gut.

Gehört Prostitution für Kutscher so sehr zum Elend einer Proletarierin, dass sie nicht extra erwähnt werden muss? Dazu habe ich auch keinen Kommentar der Regisseure / Drehbuchautoren gefunden, aber vielleicht wurden sie auch einfach nur nie darauf angesprochen.

Was ich auch nicht gefunden habe, weder auf der Webseite von X-Filme, noch bei filmportal, crew united, IMDB oder ARD sind Angaben zu Dramaturg*innen bzw. Script Consultants oder auch zu historischer Beratung. Haben die drei Autoren die Bücher ganz alleine und ohne nennenswerte Beratung geschrieben? Ohne einen Blick von außen, vielleicht einen weiblichen Blick, auf ihre Gedanken, die Handlung, die Figuren? Wussten sie einfach alles bzw. haben das nötige in den Kutscher-Büchern gefunden? Waren sie sich schnell einig über Charlotte Ritters neue Biographie? Wurde diese von Redakteur*innen hinterfragt? Oder hingenommen, genau wie das Phänomen, dass die Regisseure hinter der Kamera mit so wenigen Frauen zusammenarbeiten (wollten)? Bzw. die Produzenten fast keine Frauen beschäftigten?

Wir saßen in Redaktionssitzungen teilweise, wenn Buchfassungen besprochen wurden, mit 15 Beteiligten an einem Tisch, das hat mir immer unheimlichen Spaß gemacht. (Tom Tykwer – Quelle NDR)

Um das anfängliche Zitat aus dem Allbright Stiftung Bericht abzuwandeln: Welches Signal sendet eine so teure und aufwändig gehypte Fernsehserie aus an Frauen, die vor und hinter der Kamera arbeiten wollen, und an Männer und Frauen, die sich das ansehen – im 21. Jahrhundert? 

KRIEG DER TRÄUME – ein transnationales Serienprojekt

Es gibt aber nicht nur schlechte Serien über die Zeit zwischen den Weltkriegen. Ich möchte deshalb auf „KRIEG DER TRÄUME: 1918 bis 39“ hinweisen und Euch diese sehr gute, spannende Serie herzlich empfehlen: eine packende, berührende und informative Produktion, ein historischer Rückblick, eine tiefgründige Anregung für die Gegenwart, für eine Zeit, in der populistische Politik und Rechtsparteien an vielen Orten der Welt im Aufwind sind. Zum Inhalt der 8-teiligen Serie (á 52 min.), die von Jan Peter und Gunnar Dedio / LOOKSfilm entwickelt wurde:

Für alle Menschen in Europa beginnt im Jahr 1918 eine Reise ins Ungewisse. Die Welt liegt in Trümmern und der Frieden macht Europa zu einem Labor neuer Ideen, neuer Hoffnungen und neuer Gesellschaftsentwürfe. Die Vision eines friedlichen, demokratischen Europas befindet sich dabei von Anfang an im Wettstreit mit zwei anderen, äußerst mächtigen Utopien – Kommunismus und Faschismus. Den Krieg dieser drei Ideologien, dieser Träume von einer besseren, gerechteren Welt, erzählt die TV-Serie anhand persönlicher Geschichten, die auf Tagebucheinträgen, Briefen und Memoiren basieren. Die Protagonisten der Serie machen mit ihren Träumen und Ängsten, ihrer Liebe und ihren Entscheidungen die Geschichte Europas in all ihrer Widersprüchlichkeit erlebbar. 1939 mündet diese Geschichte im Zweiten Weltkrieg. 

Auf der hier zitierten Webseite zur Serie KRIEG DER TRÄUME finden sich auch die Namen und Kurzbiografien der 13 Protagonist*innen. Ich hatte die ersten Folgen allerdings gesehen, ohne etwas über die Serie und die Personen gelesen zu haben, und das kann ich sehr empfehlen, denn dann gibt es so die eine oder andere biographische Überraschung und historische Erkenntnis.

Die 8 Folgen, die parallel in verschiedenen Ländern die Handlungsstränge der Protagonist*innen und das Zeitgeschehen verfolgen,  heißen:

  • Überleben
  • Frieden
  • Entscheidungen
  • Revolution
  • Crash
  • Versprechen
  • Verrat
  • Krieg

KRIEG DER TRÄUME 1918 bis 39 ist Teil eines größeren, crossmedialen Projekts:

Das Landestheater Salzburg hat diese Geschichten für die Bühne inszeniert und „Krieg der Träume“ im Frühjahr 2018 in Salzburg uraufgeführt. Auch das Hörfunk-Stück „Krieg der Träume“ von Christine Sievers und Nicolaus Schröder sowie das Buch „Kometenjahre. 1918: Die Welt im Aufbruch“ von Autor Daniel Schönpflug portraitieren Persönlichkeiten der Zwischenkriegsjahre.
Zuerst war die Serie, d.h. die Drehbücher, daraus sind dann parallel Buch und Stück entstanden, ebenso das Hörprojekt. Alle haben die Serie als Grundlage ihrer Arbeit benutzt.
(Quelle: persönliche Auskunft Jan Peter / Showrunner)

Die Produzentinnen der Fernsehserie sind Regina Bouchehri (LOOKSfilm), Valérie Guérin, Elisabeth Kiledjian und Sandra Naumann. Die 6 Hauptgewerke sind allerdings auch männerlastig, #2v6pN wird nicht erfüllt:

Buch und Regie: Jan Peter, Frédéric Goupil
Ko-Autor: Jean-Louis Schlesser
Bildgestaltung: Jürgen Rehberg
Tonmeister: Marc Thill
Montage: Susanne Schiebler, Antje Zynga, Thialy Sow, Ursula Pürrer
Musik: Laurent Eyquem

Eine weitere Ko-Autorin war eingeplant, musste aber leider aus zeitlichen Gründen absagen. Aber an den Drehbüchern, den Plots, waren indirekt noch mehr Menschen beteiligt, eine Dramaturgin (Eva-Maria Fahmüller), und zwei historische Fachberater (Daniel Schönpflug / Geschichtsprofessor an der FU Berlin und Johann Chapoutot, Geschichtsprofessor an der Sorbonne Paris). Auf meine Frage nach Historiker*innen aus anderen Ländern antwortete Jan Peter:

Naja, das ist ja eine logistische und eine Kostenfrage. Das hat so schon funktioniert. Zu Details (z.B. Kaiserliche Hochseeflotte, oder Höss im Gefängnis etc) haben wir dann jeweils noch mal Fachberater*innen zu diesem einem speziellen Punkt angefragt.

Und außerdem: die 13 Hauptfiguren – 6 Frauen und 7 Männer aus zehn Ländern – hat es wirklich gegeben, sie bzw. ihre Geschichten bilden den Handlungskern:

Aus dem Vorspann zu den Folgen von KRIEG DER TRÄUME 1918-39

Dazu Jan Peter:

Na die grundsätzlichen Szenen, alle Wendepunkte und Ereignisse sind biographisch belegt. Die Dialoge sind von uns geschaffen, aber auf Grundlage der von den Protagonisten tatsächlich verwendeten Sprache.

Also keine Veränderung der Biographien, keine Schmonzettisierung, kein Dazuerfinden von irgendwelchen Männern, die die Frauen erst zum Handeln stimulieren (vergleiche Nähmaschinen! Wir brauchen Nähmaschinen! über die filmische Reduzierung der genialen Erfinderin und Unternehmerin Margarete von Steiff), keine übermenschliche Heroisierung von Figuren.
Und auch keine allwissende Erzählung aus dem Nachhinein, wie Harald Keller in der Frankfurter Rundschau lobt:

So widersprüchlich es also erscheinen mag: Wenn die Autoren um Jan Peter und Gunnar Dedio, die das Konzept entwickelt hatten, die in den authentischen Tagebüchern beschriebenen Szenen teils mit Schauspielern umsetzen oder aus dem Off nachsprechen lassen, dann kommt diese Nachstellung der Wahrheit näher als die damalige filmische Regierungspropaganda. Die szenischen Erzählungen waren eng verwoben mit filmischem und fotografischem Dokumentarmaterial, das teils aufwändig restauriert wurde.
Krieg der Träume“ ist ein Kaleidoskop der Jahre zwischen 1918 und 1939 mit ihren wirtschaftlichen und politischen Fortschritten und Krisen, kulturellen Errungenschaften, gesellschaftlichen Neuerungen. Das alles nicht mit dem Historikerblick von oben, sondern aus Perspektive der Beteiligten erzählt. Die epische Erzählweise erlaubt es im Gegensatz zur üblichen Datengeschichtschreibung, wenig bekannte Aspekte des politischen und gesellschaftlichen Lebens anzusprechen und ungewöhnliche Perspektiven zu eröffnen.

Die Serie beginnt in der Endphase des Ersten Weltkriegs, bald gefolgt von den Friedensverhandlungen in Versailles – die vielleicht besser „Beuteverteilverhandlungen“ genannt werden, und in denen es eine klare Hierarchie der Siegermächte gab, die Europa und die Welt neu ordneten. Ein Großereignis, zu dem 10.000 Teilnehmer und Beobachter*innen nach Frankreich reisten. Vertreter des besiegten Deutschen Kaiserreiches waren nicht zugelassen, aber das ist glaube ich bekannt.

In KRIEG DER TRÄUME kommen Vertreter von Nationen zu Wort, die Seite an Seite mit den Großmächten gekämpft hatten, aus Kolonien und Mandatsgebieten, die aber in Versailles leer ausgingen und es wohl deshalb nicht in die Schulgeschichtsbücher geschafft haben – zumindest nicht die meiner Schulzeit. Nguyen Ai Quoc, der selbsternannte Delegierte für Vietnam, welches 1918 noch unter französischer Kolonialherrschaft stand und aus dem etliche Männer an Frankreichs Seite im Krieg mitgekämpft hatten bzw. mitkämpfen mussten, versuchte mehrfach an den Verhandlungen teilzunehmen, er wird immer wieder rausgeworfen. Sein späterer Name: Hô Chí Minh. Ein anderer Moment, zum Ende der Verhandlungen, geht ebenso unter die Haut:

„Auch die japanische Delegation droht mit Abreise. Die Japaner beharren auf einer Erklärung, dass alle Rassen gleich sind. Dies wird von den Amerikanern und England vehement abgelehnt.“

Ich habe Jan Peter nach der Quelle gefragt: „historisch belegt und nachlesbar u.a. im recht gewichtigen Werk „The Peacemmaker“ (Friedensmacher) der kanadischen Historikerin Maragaret McMillen.“

Die Serie endet mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und erzählt bis dahin unter anderem anschaulich an Einzelschicksalen die Veränderungen in Russland, das Erstarken der Faschisten in Italien ebenso wie der Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich, den Beginn des Spanischen Bürgerkriegs aber auch so unterschiedliche Biographien wie eine Hitlersympathisantin in England, eine Anarchistin in Frankreich, eine Ärztin in Österreich und eine Sexualaufklärerin und Kämpferin für Verhütung in Schweden.

KRIEG DER TRÄUME ist kein Dokumentarfilm, ich würde es auch nicht Dokufiction nennen, denn das sind doch eher diese Filme, wo man Leute schräg vor einem einfarbigen Hintergrund sprechen sieht und einzelne Sznen nachgestellt und nachgespielt werden. KRIEG DER TRÄUME ist eine Schauspielserie, in die kurze stummen Szenen, Filmschnipsel oder alte Fotos quasi als Ausstattung eingefügt werden. Ein Beispiel: eine Szene auf einem Kriegsschiff, Matrosen, es gibt eine schwarz-weiß Aufnahme aus dem Bauch eines Schiffes, in der die Matrosen in ihren aufgereihten Hängematten liegen. Zurück zur gespielten Szene, in der ein Matrose (Hans Beimler) in seiner Hängematte liegt und spricht. Die Entwicklung und Darstellung der folgenden Matrosenaufstände wird ebenso von Originalmaterial unterbrochen bzw. unterstützt.

Wir nähern uns dem Look dieser Zeit durch mehrere Elemente. (…)
Wir haben nicht dieses Budget der Amerikaner, das ist völlig klar. Diese Verschränkung von Archiv und Fiktion, dieses Gefühl, ich bin in der Geschichte dabei, das ist keine Notlösung, sondern da haben wir aus einer Beschränkung, Improvisation, dazu sind wir auch sozusagen ostdeutsche Geschichte, wir sind gut im Improvisieren, haben wir eine Stärke gemacht. Wir nutzen das kreativer, billiger, effektiver. Wir können Probleme nicht mit Geld lösen, wir müssen sie mit Ideen lösen, also müssen wir die besseren Ideen haben..

Jan Peter (Quelle ARD. Die Hinter den Kulissen-Filme auf der ARD-Seite sind sehr informativ)

An dieser Stelle möchte ich auch noch die beiden Casterinnen erwähnen: Cornelia Mareth und Maria Rölcke von Casting Mareth & Rölcke in Leipzig. Von allen Protagonist*innen werden im Laufe der Serie Originalfotos gezeigt, die dann in die jeweiligen Schauspieler*innen übergehen, die nicht nur optisch sehr gut besetzt wurden. Zu den 6 Protagonistinnen und 7 Protagonisten kommen (laut crew united Datenbank) noch 73 männliche und 29 weibliche Sprechrollen hinzu (Verhältnis 2,5 : 1), in IMDB ist das Projekt nicht gelistet, so dass ich keine Auswertung von Rollen in Verbindung mit Anzahl der Folgen machen kann.

Was ich überhaupt nicht verstehen kann ist warum diese Serie (wieder einmal, muss ich sagen, denn das geschieht öfter mit tollen Serien auf arte) so zurückhaltend beworben wurde. Arte hätte da ohne großen Aufwand echt bessere Arbeit leisten können. Warum tauchte KRIEG DER TRÄUME nur auf der Geschichte-Unterseite auf, und nicht auch noch bei den Serien? Hätte mir eine Freundin zwei Tage vor Ablauf der Mediathekzeit nicht davon erzählt (Danke, Karin!) hätte ich sie verpasst. So habe ich zwei Nächte gebingt und mir danach im arte-Shop die DVDs gekauft, was ich nur allen empfehlen kann, in der Vorweihnachtszeit und überhaupt.

Zu weiteren Sendeterminen sagt Jan Peter:

In D und AU ist es ja schon gelaufen, ebenso in Belgien, Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland und Frankreich. Polen, ČR, Großbritannien kommen noch zeitnah, CH ebenso.

Guckt also öfter mal die Looksfilm-Webseite, da wird es stehen. Wenn ich es mitbekomme werde ich es auch z.B. auf Twitter schreiben. Und bevor die Serie nach Großbritannien kommt habe ich hoffentlich auch die englische Übersetzung fertig (noch gar nicht angefangen, sorry).

Zum Schluss noch ein Wort zur Finanzierung: Die Produktion KRIEG DER TRÄUME erhielt Förderung vom Film Fund Luxembourg, MDM, MFG, CNC, la Procirep et l’Angoa, CUS, Région Grand Est, DMPA, SACEM, Sofitvciné & Cofinova, Copie privée SACEM und Creative Europe.

KRIEG DER TRÄUME ist das Serienhighlight des Jahres und die derzeit spannendste und innovativste Serie aus Deutschland.

Das wilde Berlin der Nachtclubs kommt übrigens auch mal vor, ansonsten empfehle ich Franz Hessel.

Kommentare sind geschlossen.