Mann und Frau verwechsel ich nicht,
das kommt bei mir nicht vor.
Ich hab`nen kleinen Mann im Ohr,
der sagt mir alles vor.
- Zum einen Ohr rein, und es bleibt drin
- Morgens um sieben ist die Radiowelt noch in Ordnung
- Eine blaue Bahn
- Eine rote Katze
- Ausblick
Am ersten September absolvierte die Deutsche Fußballnationalmannschaft in Island ein WM-Qualifikationsspiel von großer Bedeutung, die Deutschen gewannen 2:0, was im Vorfeld nicht so ganz selbstverständlich schien – hatte doch Island die Begegnung in Deutschland im letzten Oktober mit 3:2 gewonnen. Das ZDF übertrug das Spiel (zu den Halbzeitinterviews zwei Twitter-Kommentare von Anna und Alice). Als ich an dem Samstag abends von einem Dreh nach Hause kam schaltete ich das Radio an, um das Ergebnis zu erfahren. Fehlanzeige, Deutschlandfunk Kultur berichtete in den Nachrichten nur von der Männerfußball-Bundesliga, sehr ausführlich. Sie waren aber nicht die einzigen, die das Island-Deutschland-Spiel nicht erwähnten.
Zum einen Ohr rein, und es bleibt drin
Immer wieder hören wir weniger von Frauen, also ÜBER Frauen, wir hören aber auch weniger von Frauen, also DURCH Frauen. Das verstärkt das Männliche als Norm, die Männerstimme als die maßgebliche, wichtige. Und schlimmstenfalls werden Stereotype darüber, was Frauen und Männer können bzw. nicht können und was sie interessiert bzw. nicht interessiert, geschaffen und verfestigt, je nachdem, wer worüber spricht.
Ich hatte vor längerer Zeit schon mal erzählt, dass mich ein Regisseur als die Off-Stimme in seinem Film für Kinder über Biber haben wollte (Die Sesamstraße wird 40 – Happy Birthday), aber „Aus der zuständigen ZDF-Redaktion hieß es, dass der Film doch auch ein bisschen wissenscharftlich wäre, und das würden Kinder einer weiblichen Stimme nicht abnehmen. Der Regisseur und auch ich sahen das anders, aber da ließ sich nichts machen.“
Ebenfalls fünf Jahre alt ist der Text Früh übt sich …, in dem ich u.a. über den Radiobeitrag für Kinder VON DER POLIZEI VERHAFTET – UND DANN? (Autorin Corinna Thaon) schrieb, der im November 2013 von Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt wurde:
Der Beitrag war schön gemacht, mehrere Kinder und ein Rechtsanwalt zu Wort, die Prozesse, Strafe und Verteidigung erklärten. Also alles gut – hätten da nicht NUR NUR NUR Männer im Gericht agiert. Es wird vom Rechtsanwalt, vom Staatsanwalt, vom Richter und sogar vom Protokollführer gesprochen. Die Gerichtsverhandlung wird von einem Schauspieler (Stefan Kaminski) nachgespielt: der Angeklagte, der Verteidiger, der Staatsanwalt, der Richter und ein Zeuge.
Die Moderatorin Ulrike Jährling sagte zum Ende des Beitrags „Das war ein ganz und gar gerechter Entdeckertag heute“ – nur, geschlechtergerecht war er nicht, und der Realität im Deutschen Justizwesen entspricht es auch nicht, denn die ist keine reine Männerwelt.
Morgens um sieben ist die Radiowelt noch in Ordnung
Kürzlich landete ich zufällig wieder bei einer Radiosendung für Kinder im öffentlich-rechtlichen Deutschlandradio Kultur, das mittlerweile Deutschlandfunk Kultur heißt. Sonntags um 7:30 Uhr werden halbstündige Geschichten für Kinder vorgelesen in der Rubrik „Kakadu für Frühaufsteher“. Die Geschichte hieß BERTIE UND DIE SACHE MIT TARANTEL (Autorin Mara Schindler, Produktion Deutschlandradio Kultur 2012), und neben Bertie, die ein Mädchen war, Berties Mutter und Frau Meyer vom Imbiss gab es noch den Hund Tarantel. Vorgelesen wurde die Geschichte von Max von Pufendorf.
Warum von einem Mann?
Das war nicht das einzige Mal 2018, dass die Geschichte einer Autorin nicht von einer Sprecherin gelesen wurde, auch nicht das einzige Mal, dass ein Mann eine Geschichte mit weiblicher Hauptfigur las. Gut, jetzt geht es in den Geschichten nicht um Gender, sondern um Kinder. Ist es da nicht egal, ob ein Junge oder ein Mädchen im Mittelpunkt steht und ob eine weibliche oder männliche Stimme vorliest? Alle zuhörenden Kinder egal welchen Geschlechts können sich doch idealerweise mit allen Hauptfiguren identifizieren. Doch wenn es egal ist, warum wird dann so viel häufiger mit Sprechern gearbeitet?
Von den 31 Geschichten (worunter allerdings nur 5 Erstsendungen waren) hatten ungefähr gleich viele einen Jungen bzw. ein Mädchen im Zentrum, bei deutlich mehr Autorinnen. Aber es waren fast doppelt so viele Sprecher wie Sprecherinnen zu hören. Von Mara Schindler wurden insgesamt fünf Geschichten gesendet, alle mit weiblichen Hauptfiguren. Zweimal engagierte die Regie eine Sprecherin, dreimal einen Sprecher. Die fünf Geschichten von Anna-Luise Böhm mit drei Mädchen und zwei Jungen im Zentrum wurden viermal von Männern gelesen. Der meistgesendete Autor, Hans Zimmer, ist mit drei Geschichten vertreten, drei männliche Hauptfiguren, drei Sprecher. Max von Pufendorf war mit sechs Aufnahmen am häufigsten zu hören, er las nur Geschichten von Autorinnen. Bis auf Anna-Magdalena Fitzi (2) kam jede Sprecherin nur einmal vor.
Also, wenn es egal ist, ob Sprecher oder Sprecherin, warum haben wir dann schon wieder so ein Ungleichgewicht? Und das in einem Bereich (Geschichten für Kinder) mit Autorinnenübergewicht! Es ist vier mal wahrscheinlicher, einen Sprecher den Text einer Autorin lesen zu hören, als eine Sprecherin die Geschichte eines Autors. Zufall? Oder ist das schlicht unwichtig, wenn Geschichten für das Programm (wie gesagt, viele Wiederholungen dabei) zusammengestellt werden, denn es geht ja um die Inhalte. Stimmt. Also sollte vielleicht schon bei der Produktion mehr darauf geachtet werden, wenn über die Stimme entschieden wird. Nur so ein Gedanke.
Eine blaue Bahn
Letzten Monat fanden in Glasgow und Berlin die European Championships 2018 statt, der Berliner Teil vom 7. bis 12. August waren gleichzeitig die Leichtathletik Europameisterschaften, und dafür begann die Werbung vor mehr als einem Jahr. Irgendwann im Frühjahr kam ein Videoclip zur Blauen Bahn raus, der Tartanbahn im Berliner Olympiastadion, die einst als rote Aschenbahn begann, und darin heißt es unter anderem:
Wer ich bin? Gestatten, die Berliner Tartanbahn. Meine Ellipse umschließt das Feld des Stadions seit über 80 Jahren. Ich atme den Geist von Marathon. Ich habe Siege und Niederlagen gesehen, Triumphe und Enttäuschungen. Ich kenne die vergossenen Tränen. Die der Erleichterung. Und die der Bitternis. Ich habe das Johlen der Mitfiebernden gehört. Und ihre Begeisterung gespürt. Ich bin Zeuge geworden von Bestzeiten und Rekorden. Von Menschen, die über sich hinausgewachsen sind. Und Menschen, deren Namen um die Welt gegangen sind.
Meine Geschichte ist eine, die von Wandlungen handelt. Von Metamorphosen durch die Jahre und Jahrzehnte. Eine Geschichte von technischen Sprüngen und revolutionierten Designs. Entstanden bin ich als simple Aschenbahn. Ich habe eine Diktatur überdauert und schließlich bin ich aufgeblüht. Zu einem Tempel des Sports, zu einer Ikone, zu einer Legende. Seit 2004 trage ich meine einzigartige Farbe: „Herthablau“. Und so kennt man mich: als „die Blaue Bahn“, als das Prunkstück und das Rückgrat der Leichtathletik in Berlin, in Deutschland und in Europa.
Und wer spricht sie, die Blaue Bahn? DIE Blaue Bahn? Ein Mann, Charles Rettinghaus. Wie ich hörte war da keine besondere Absicht hinter, es hatte sich so ergeben, ,weil der Sprecher verfügbar war‘ und ,das ja auch sehr gut gemacht hatte‘. Nur, ich hätte das sicher auch sehr gut gemacht. Oder eine andere Sprecherin.
Klar, die Blaue Bahn, eine SIE, muss natürlich nicht zwingend mit einer Frauenstimme vertont werden. Aber sie könnte es, und das wäre dann auch stimmig.
Eine rote Katze
Ich glaube es war in der 7. oder 8. Klasse im Gymnasium, als wir im Deutschunterricht DIE ROTE KATZE von Luise Rinser durchnahmen. Diese Geschichte wurde erstmals 1956 veröffentlicht, sie spielt im Nachkriegsdeutschland, in einer vierköpfigen Familie, Mutter mit drei Kindern, die in großer Not lebt. Eines Tages taucht eine rote Katze auf, die von der Familie mit durchgefüttert wird. Das älteste Kind (13), aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, ist dagegen, weil sie selber nicht genug haben, und es hat auch schon mal mit einem Stein nach der Katze geworfen. An anderer Stelle wird beschrieben, wie das älteste Kind versucht, heruntergefallene Kohle von einem Kohlewagen aufzusammeln, was andere, größere Kinder auch machen und es verjagen. Die Katze ist anfangs mager, am Ende wohlgenährt, ja fett, und lebt bei der armen, hungrigen Familie. Das älteste Kind schlägt vor, sie zu schlachten, alle anderen sind natürlich dagegen, für sie ist die Katze eine Art Familienmitglied, kein zusätzliches hungriges Maul. Am Ende der Geschichte schlägt das Kind die Katze tot, und erzählt der Familie, sie wäre wohl weggelaufen. Die Mutter ahnt, was passiert ist, sagt aber nichts.
Das ist grob der Inhalt. Ich habe jetzt immer „das älteste Kind“ geschrieben, weil aus dem Text nicht hervorgeht, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.
Das ist natürlich ganz spannend (60 Jahre vor NEROPA!).
Als wir die Geschichte in der Schule durchnahmen war ich beim Lesen davon ausgegangen, dass das älteste Kind ein Mädchen ist. Warum kann ich gar nicht mehr sagen. Vielleicht weil die Geschichte in der Ich-Form erzählt wurde, und als ich das las und mich mit dem ich identifizierte, war sie eben ein Mädchen. Ich war übrigens nicht die einzige, die das Kind als Mädchen las, und es gab eine relativ lebhafte Diskussion. Für unsere Deutschlehrerin war das Kind eindeutig (!) ein Junge, sie lehnte jede andere Sichtweise kategorisch ab, die Kohleepisode wäre etwas, das Mädchen nie machen würden. (Von der ziemlich brutalen Tötung der Katze vermutlich ganz zu schweigen, aber ob das gesagt wurde weiß ich nicht mehr). Einige von uns hielten argumentativ dagegen, und irgendjemand sagte – keine Ahnung, ob ein Schüler oder eine Schülerin, dass die Geschichte ja in der Ich-Form erzählt würde und die Autorin Luise hieße, also klar, ein Mädchen. Was die Diskussion sehr schnell beendete, denn laut der Lehrerin war es ein grober Fehler, die Geschichte so zu lesen.
Zumindest erinnere ich es so.
Schade eigentlich, dass die Lehrerin in ihrer Meinung so absolut war, denn gerade die Tatsache, dass diese Frage eben nicht in der Geschichte geklärt wird, obwohl das ja recht einfach gewesen wäre, bietet für den Deutschunterricht eine gute Vorlage. Für das Sprechen über womöglich auf den Kopf gestellten Geschlechterrollen in der Nachkriegszeit, über literarische Konzeption, Erzählperspektiven und so weiter.
Wie passt diese Geschichte zu den anderen Beispielen? Nun, angenommen, DIE ROTE KATZE würde im Radio vorgelesen, wie ginge das? Liest es ein Mann, und das Hörpublikum muss sich die Option Mädchen mitdenken? Oder wäre es dann eben einfach ein Junge, entgegen der Intention der Autorin, die die Frage bewusst offen ließ? Oder sollte die Geschichte von einem Kind vorgelesen werden, dessen Stimme nicht als eindeutig einem Geschlecht zugehörig erkennbar ist? Oder abwechselnd eine Sprecherin und einen Sprecher lesen lassen?
Noch mal zurück zu der Geschichte mit Bertie und dem Hund Tarantel. Bertie klang für mich wie ein Jungenname, und dass die Geschichte von einer Männerstimme vorgelesen wurde verstärkte diesen Eindruck – bis irgendwann durch den Text das Missverständnis aufgelöst wurde. Die Blaue Bahn, die von einem Mann gesprochen wird, wird zu einem männlichen Chronisten, was die Geschichte der Leichtathletik ein bisschen zu einer Männerangelegenheit macht. Eine Stimme beeinflusst womöglich nicht nur das Hören sondern auch das Denken.
Ausblick
Macht es einen Unterschied, ob wir eine Frau oder einen Mann hören?
Ich habe heute einige zufällige Beobachtungen beschrieben, ich habe nicht systematisch Gruppen ausgewählt und analysiert (gut, die 31 Vorlesegeschichten aus 8 Monaten Kindersendung sind schon eine Stichprobe). Es kann also reiner Zufall sein, dass ich nur männerstimmenlastige Beispiele fand.
Wenn Ihr umgekehrte Fälle kennt, also welche, in denen Frauen Männerparts übernehmen oder im Radio Männertexte lesen oder Geschichten über oder als Männer, schreibt sie gerne in die Kommentarspalte oder schickt mir eine Mail. Merci!
Und um nicht nur einen Zustand zu beschreiben, hier ein konstruktiver Vorschlag:
Wenn Ihr eine Produktion plant – ein Feature fürs Radio, eine Vorlesestunde für Kinder, ein Hörbuch, eine Overvoice-Aufnahme für einen Videoclip, und besonders, wenn Ihr noch nicht wisst, ob Männer- oder Frauenstimme: engagiert eine Sprecherin. Damit macht Ihr wenig verkehrt, denn es gibt genügend sehr gute. Außerdem scheint es doch in den meisten Fällen egal zu sein, ob ein Text von einem Mann oder einer Frau gelesen wird? Männer hören wir alle von Kindesohren an oft genug, da können ein paar oder sehr viele Frauenstimmen mehr als bisher so verkehrt nicht nicht sein.
Außerdem: je selbstverständlicher es wird, Frauen zu hören, in Kindersendungen, in Features über wirtschaftliche und technische Themen, in der Sportberichterstattung, umso seltener muss dann die Frage gestellt werden: Kann das eine Frau überhaupt? (Und damit meine ich nicht das Sprechen am Mikrofon).