SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Kamera: mit ihren Augen

Wird in Bezug auf Filme vom weiblichen Blick gesprochen, sind meistens Regisseurinnen gemeint. Seltsam, denn ich denke bei Blick eher an Kamera. Diese oft vernachlässtigte Teamposition kann – neben Regie und Drehbuch – als dritter Teil des künstlerischen Triumvirats eines Films gesehen werden. Eher als die Produzent*innen. Aber seltsamerweise wird oft nur Regie, Buch, Produktion erwähnt. Eigentlich erstaunlich. Wenn es nicht gerade um Bügelfilme geht prägt die Kamera doch das Filmerlebnis in erheblichem Maße. Wer gibt mir recht? Die ARD! Beispielsweise wird auf den TATORT-Seiten als Kerncrew das Triumvirat nebst Musik genannt – wie im Filmabspann in der Reihenfolge M, K, B, R. In Ausnahmefällen Schnitt oder Szenenbild. Nie Kostüm oder Maske, nie die Produzent*nnen. Beim Grimme-Preis werden Buch, Regie, Kamera und Ton gelistet.
Auch international ist dieses Phänomen zu finden. Es gibt beispielsweise eine sehr beeindruckende, umfangreiche Statistik vom British Film Institut BFI zu UK Filmen aus den Jahren 2003 bis 13, zu jedem der durchschnittlich 200 Filme pro Jahr gibt es Informationen zu den beteiligten Ländern und Produktionsfirmen und Drehorten und mehr, namentlich aufgeführt sind 7 Schauspieler*innen pro Film und die jeweiligen Regisseur*innen, Drehbuchautor*innen, Produzent*innen – aber keine Kameraleute. What a pity!

Aller guten Dinge sind drei

Hierzulande sind Kameraleute in zwei Berufsverbänden organisiert, im BVK Berufsverband Kinematographie und in dem Bundesverband der Fernsehkameraleute:

Der Berufsverband Kinematografie ist die maßgebliche Vertretung der freischaffenden bildgestaltenden Kameramänner und -frauen in Deutschland und ihrer Mitarbeiter/innen.

Der Bundesverband der Fernsehkameraleute e.V. – kurz BVFK – ist ein unabhängiger Verband von TV-Kameraleuten und setzt sich für die Interessen des Berufstandes der Kameraleute, Kameraassistenten, Kranschwenker und Kamera-Remote-Operator bei Sendern, Produktionsfirmen und in der Politik ein.

Und kürzlich ist das Netzwerk der Kamerafrauen dazugekommen: CinematographersXX Germany (kurz: CXXG). Ein erstes Treffen im April führte ein halbes Jahr später zur – etwas gewöhnungsbedürftigen – Namensgebung und einer Onlinepräsenz, die Kamerafrauen im deutschsprachigen Raum sichtbar machen will. Der Satz „Aber es gibt doch kaum Kamerafrauen!“ dürfte somit der Vergangenheit angehören.

CINEMATOGRAPHERSXX​ GERMANY​ ​ist​ ​ein​ ​Zusammenschluss​ von Bildgestalterinnen​ ​ aus​ ​ dem​ ​deutschsprachigen​ ​Raum,​ die​ auch​ international​ in​ ​den Bereichen​ ​Spielfilm,​ Dokumentarfilm,​ ​ Werbung​ ​und​ Musikvideo​ arbeiten.​ Unsere Mitglieder​ verfügen​ ​über​ viele​ Jahre​ ​professionelle​ ​Berufserfahrung. Wir möchten​ ​auch​ ​die​ nächste​ Generation​ ​von​ Bildgestalterinnen​ ​ermutigen​ ​und inspirieren:​ ​CINEMATOGRAPHERSXX​ RISING​ ​sind​ aufstrebende​ Kamerafrauen​ ​am Beginn​ ihrer​ ​ Karriere.​ ​

Auf der bilingualen Webseite sind aktuell 63 Kamerafrauen (darunter 19 aus dem Kameranachwuchs) mit Kurzvita und Kontaktdaten vertreten. Es werden aber noch mehr, in der Mailingliste stehen aktuell über 120 Bildgestalterinnen aller Altersklassen (das Schwergewicht liegt bei den 30 bis 40-Jährigen). Jede Kamerafrau, die seit fünf Jahren diesen Job macht, kann in der Vollkategorie aufgenommen werden.

CinematographersXX. Foto SchspIN

Der politische Arm der organisierten Kamerafrauen tritt als Pro Quote Film/Kamera auf. Dazu später mehr.

Im Blick: Kamerafrauen

Sichtbarmachen von den Kamerafrauen sollte aber auch auf einer anderen Ebene stattfinden, nämlich in den Statistiken. Dort wird – wie erwähnt und für mich nicht ganz nachvollziehbar – die Kameraposition selten aufgeführt. Ich habe ein paar Zahlen zusammengestellt, um einen groben Eindruck zu vermitteln.
Die folgende Galerie stellt die Frauen- und Männeranteile für die Teamposition Kamera der Reihe ZDF Kleines Fernsehspiel, der Grimme-Preis nominierten Filme, der TATORTE sowie der Top 20 bzw. Top 100 meistbesuchten deutschen Kinofilme dar. Vorangestellt ein Überblick über den Frauenanteil in den verschiedenen Kamera-Sparten im Berufsverband BVK und in der Datenbank Crew United

Der Frauenanteil unter den Absolvierenden im Fach Kamera beträgt 25 %  (zitiert nach der FFA Studie Gender und Film). Die Filme des Kleinen Fernsehspiels zeigen nach den Filmschulen die höchsten Kamerafrauenanteile auf. Danach geht es bergab. Warum? Weil Bildgestalterinnen weder Krimis ,können‘, noch Buddyfilme oder High Budget-Produktionen?
Der an sich schon niedrige Wert von 20 Kamerafrauen gegenüber 201 Kameramännern bei den TATORTEN stimmt noch unglücklicher wenn wir uns vergegenwärtigen, dass diese 20 Frauen in Wirklichkeit nur 9 waren, die mehrfach zu den TATORTEN geholt wurden. Jedoch nicht 2015, da hatten die Kamerafrauen TATORT-frei. Oder die TATORTE waren kamerafraufrei.
Bei den Top 100 Filmen der Jahre 2012 bis 2016 standen 46 Frauen 500 Männern in 500 Filmen gegenüber. Allerdings waren es auch wieder nur 26 verschieden Kinematografinnen. Die Situation bei den Top 20 deutschen Kinofilmen der genannten fünf Jahre ist noch überschaubarer: eine (1) Kamerafrau gegenüber 97 Kameramännern (Sonja Rom filmte SAPHIRBLAU, auf Platz 20 im Jahr 2014).

Ich möchte zur Situation der Kameraleute noch eine weitere Zahl ergänzen, die der Studie Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland 2015 von Jörg Langer entstammt (durchgeführt im Auftrag des Verbands Die Filmschaffenden: Studie zur sozialen Lage, Berufszufriedenheit und den Perspektiven der Beschäftigten in der Film- und Fernsehproduktionswirtschaft Deutschlands 2015). Die Zahl lautet 43 %. Das ist der Anteil am durchschnittlichen Jahresbruttoeinkommen der Kameramänner, den die Kamerafrauen durchschnittlich als Jahresbrutto erhalten. In Euro: 45.558 € stehen 19.667 € gegenüber. Das liegt neben der sowieso schlechteren Bezahlung die für Frauen in unserer Gesellschaft gilt in diesem speziellen Fall u.a. daran, dass Kamerafrauen im Schnitt pro Film weniger Honorar erhalten, und dass sie in weniger Filmprojekten pro Jahr arbeiten. Das Gefälle ist deutlich größer als bei den Tonmeister*innen, den Drehbuchautor*innen, den Editor*innen, den Szenenbildner*innen und den Regisseur*innen – bei letzteres ist es am niedrigsten mit 46.316 € und 40.875 €, d.h. die Regisseurinnen verdienen 88 % des Jahreseinkommens ihrer Kollegen (ja, 88  ist mehr als doppelt so viel wie 43).

Gemeinsam sind sie stark

Der Satz, den zumindest alle Kamerafrauen die ich kenne, schon mehrfach gehört haben, lautet „Ist Dir die Ausrüstung denn nicht zu schwer?“ Manchmal auch direkt als Aussage formuliert „Die Kameraausrüstung ist zu schwer. Deshalb arbeiten so wenige Frauen in diesem Beruf.Die wenigen ausreichend beschäftigten Bildgestalterinnen müssten dementsprechend überdurchschnittlich groß, stark und kräftig sein. Das wird allerdings nicht durch die Fotos auf der CinematographersXX-Seite bestätigt. Etwas anderes ist allerdings in diesem Zusammenhang anmerkenswert – das habe ich gerade von Kamerafrau Birgit Gudjonsdottir von CinematorgraphersXX / Pro Quote Film/Kamera gelernt:

Alexa als 3-jähriges Kind wiegt 14 kg, Alexa als Kamera wiegt 15-16 kg. Die Kamerafrauen DoP tragen die letzteren aber nicht, dafür haben sie die 2. Kameraassistenz. Die ist es in der Regel, die Optik und Akkus holt und trägt bzw. schleppt und die Umbauten macht, die Kamera aufs Stativ hebt und so weiter.

Wir erinnern uns: in der Crew United Datenbank liegen die 2. Kameraassistentinnen bei 31,4 % und unter den BVK-Mitgliedern bei 36,4 %. So viel scheint an diesem „zu schwer“ doch nicht dran zu sein.

Eine paritätische Kameracrew um DoP Birgit Gudjonsdottir (3.v.r.). Foto Anna Maschlanka

Pro Quote Film/Kamera hatte ich schon angesprochen. Wie sich aus dem Namen – und verwandten Initiativen wie Pro Quote Medien, Pro Quote Medizin, Pro Quote Regie und Pro Quote Bühne – unschwer erkennen lässt, geht es ihnen also u.a. auch um eine Quote, einen Proporz, d.h. um eine prozentuale Zielvorgabe, die Beschäftigung von Kamerafrauen in Film und Fernsehen betreffend. Hierzu noch einmal Birgit Gudjonsdottir:

Selbst wenn Kamerastudentinnen Preise bekommen haben, haben sie nach dem Studium wesentlich geringere Chancen, Filme zu drehen, ist es viel schwieriger für sie, auf dem Markt Fuß zu fassen. Kamerafrauen bekommen einfach weniger Chancen und können nicht ausreichend von No/LowBudget Filmen leben. Darauf wollen wir aufmerksam machen. Die Instrumente dazu sind ProQuote Kamera als politisches Instrument und die CinematographersXX als Netzwerk. Pro Quote Film/Kamera dient uns als politisches Sprachrohr. Damit wollen wir uns für mehr strukturelle Gleichberechtigung und eine gerechte Verteilung der öffentlich-rechtlichen Gelder einsetzen.

Sicher wird es auch um die berühmt-berüchtigten Vorschlagslisten gehen, auf denen beispielsweise Regisseur*innen für eine Produktion mögliche Heads of Department vorgeschlagen werden. Dies ist beim Fernsehen eine durchaus übliche Praxis, die aber sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Eine Richtlinie die vorgibt, dass auf dieser Vorschlagsliste immer Männer und Frauen vertreten sein müssen, und zwar für jedes genannte Gewerk, wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Was eine Quote betrifft: die zitierte FFA-Studie zeigt, dass derzeit ein Viertel aller Kameraleute, die einen Filmabschluss machen, Frauen sind. Da drängt sich die Zahl 25 doch geradezu auf als Target für TATORTE, ZDF Fernsehfilme und andere öffentlich-rechtliche Sendeschienen und Produktionen. Pro Quote Film/Kamera geht weiter, denn sie fordern:

Unser​​ Ziel​​ ist​​ es​​ (…),​​ der​ deutschsprachigen​ und​ internationalen Filmbranche ​leichteren​ ​ Zugang​ ​ zu​ ​ einer​ ​ großen​ Anzahl​ von​ talentierten Bildgestalterinnen​ zu​ ermöglichen,​ ​ und​ ​ damit​ ​ der​ ​ gesellschaftlichen und brancheninternen ​Wahrnehmung​ ​ entgegenzuwirken,​dass​ es​ kaum​ Kamerafrauen​ gibt.
Langfristig​ ​ möchten​ wir​ erreichen,​ dass sich​ die​ Anzahl​ der​ Frauen,​ die​ an​ Hochschulen​ Bildgestaltung​ ​ studieren und anschließend​ ​ als​ ​ DoPs​ in​ der​ deutschen​ Filmbranche​ arbeiten,​ auf​ 50 %​ ​erhöht.

Die Kamerafrage ist logischerweise nicht isoliert von den anderen Gewerken zu betrachten, und natürlich auch nicht von den positiven und negativen Rollenbildern und Stereotypen, die vor der Kamera entstehen. Erwähnte ich in diesem Zusammenhang schon einmal das Besetzungstool NEROPA? Nun, wenn es normal wird, in Film und Fernsehen auch Frauen in technisch-kreativen Berufen zu sehen, junge wie alte Frauen, die mit Kamera und Ton hantieren, ebenso wie Technikerinnen, Erfinderinnen, weibliche Nerds und Naturwissenschaftlerinnen, wenn es also gute weibliche Vorbilder gibt, wenn die Berufsberatung für interessierte Schulabgänger*innen auch in dieser Richtung aufgeschlossener wird, dann wird sich auch das Verhältnis unter den Kamerastudierenden ändern (in doppelter Hinsicht). Gleichfalls wird es Entscheider*innen keine Überwindung mehr kosten, auch einmal eine Kamerafrau – egal wie groß oder klein – für einen hohes Budget-Film zu engagieren. Dass auch für junge Mädchen der Umgang mit (Handy-)Kameras zum Alltag gehört ist Realität, ich frage mich, warum interessierte Mädchen so selten in dieser Richtung angeregt und gefördert werden. Da gibt es an Schulen und anderen Bildungs- und Freizeiteinrichtungen noch einiges zu tun. Es kann doch nicht Dauerzustand sein, dass Youtuberinnen überwiegend mit Schminktipps & Co bekannt werden (ich habe mir übrigens gerade eine neue Kamera gekauft, und tatsächlich bei oberflächlicher Recherche nur Blogs bzw. Videos zu Kameravorstellung / Kameravergleichen etc. von Männern gefunden).

Also liebe Kamerafrauen, hier mein Vorschlag, ein lohnendes Projekt für Eure nächste Pause zwischen Drehs: Stellt im Internet Eure Lieblingskamera vor oder vergleicht Kameras, macht ein Video über Eure Arbeit oder Euren Werdegang, gebt Tipps, bloggt über Objektive und Brennweiten! Nicht für die Filmbranche sondern für die Gesellschaft!

Kamerafrauen hinter CinematographersXX und Pro Quote Film/Kamera. Foto Monika Becker

Die Webseite von Pro Quote Kamera ist aktuell noch in der Mache. Sobald sie online geht werde ich sie hier im Artikel verlinken. Zur Seite von CinematographersXX geht es wie erwähnt hier: klick!
Die besten Wünschen für Eure Arbeit.

Ergänzung 9.2. Hier der Link zur Seite von Pro Quote Film/Kamera, was der offizielle Name ist (im Dez. als der Artikel veröffentlicht wurde war noch von Pro Quote Kamera die Rede, das ist nun aktualisiert).

Ergänzung 23.4. Unbedingt  in diesen Text gehört noch der Hinweis auf den Nationalen Wettbewerb für Bildgestalterinnen, ein Preis der seit 2001 alle zwei Jahre beim Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund / Köln IFFF in Köln vergeben wird und Leistungen in Abschlussfilmen sowie Filmen der ersten zwei Jahre Berufstätigkeit beurteilt – alle Genres und Längen zugelassen, das Preisgeld beträgt 5.000 €. Seit 2012 findet der Wettbewerb jeweils in den geraden Jahren statt, es ist also im April 2018 wieder so weit. Zum Hintergrund schreibt das IFFF:

Die Arbeit mit der Kamera und dem Licht ist nicht nur ein Abbilden, sondern ein aktives Mitgestalten im Zusammenspiel mit den anderen Gewerken wie Ausstattung, Kostüm, Maske und Location. Schon die Entscheidung für ein bestimmtes Filmmaterial, den Einsatz von Filtern oder für eine besondere digitale Technik beeinflussen den »Look« eines Filmes wesentlich.
Einstellungsgrößen, Bildausschnitte, Kamerapositionen und Bewegung sind elementar für den Erzählduktus. Und so erhält das bewegte Bild, in enger Absprache mit dem Regisseur/der Regisseurin, durch die Gestaltung mit der Kamera im besten Falle die Qualität einer eigenen Erzählinstanz.

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