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Gedanken einer Schauspielerin

„Tatsächlich war es mein Ziel, mir die Rolle meines Lebens zu schreiben.“

Im Gespräch mit Stav Idisis ( DANA & MURRAY)

Vor ein paar Wochen wurde ich von gleichgestellt.de eingeladen, fünf Filme oder Serien für ihre wöchentliche Watchlist auf Instagram zu empfehlen. Eine schö ne Idee; doch auch nicht leicht. Diesen Donnerstag erscheinen nun meine fünf Tipps – fünf Serien – in der Watchlist. Irgendwann bespreche ich meine fünf ausgewählten Serien und dazu noch einige weitere ausführlicher hier im Blog.

Auf Platz 1 der Liste setze ich die israelische Serie בלאדי מורי BLOODY MORI (deutsch: DANA & MURRAY, YES Studios).  Hier der Trailer.
Ich freue mich, heute mein Interview mit de
r israelischen Schauspielerin und Autorin Stav Idisis, Erfinderin, Autorin und Showrunner der Serie, zu veröffentlichen. Vor dem Fünf-Serientipps-Blogtext, denn der wird auch so schon lang.

Stav Idisis. Foto privat.

Zehn Fragen an Stav Idisis סתיו אידיסיס

Intro:

Worum geht es bei BLOODY MORI?

Bloody Murray ist eine romantische Komödie in 8 Episoden, in deren Mittelpunkt Mor steht – eine 35-jährige, alleinstehende Filmdozentin, kontrolliert und zynisch, die gegen alle Widerstände eine Obsession für das Genre der romantischen Komödie entwickelt. Die endlose Beschäftigung mit den Grundsätzen des Genres, seinen Gesetzen und seiner Logik, beherrscht ihren Leben, ihr Bewusstsein, ihre Entscheidungen und ihre Denkweise. Infolgedessen ist Mor schließlich überzeugt: Lior (der neue Partner ihrer besten Freundin Dana) ist in Wirklichkeit für sie bestimmt.

„8 Episoden“, bei arte sind es 9? 

Ursprünglich sollte die Serie 8 Episoden haben. Erst am Ende des Schreibprozesses wurde mir klar, dass ich eine weitere Folge brauchte, und die Produzenten stimmten zu.

Das ist wirklich erfreulich und spricht sowohl für Stavs Überzeugungskraft als auch die Aufgeschlossenheit der Produktionsfirma (YES Studios). Ach und was ist mit dem Titel und dem Namen der Hauptfigur?

Der israelische Name ist Mor und der Spitzname ist Mori. YES Studios beschloss, für das internationale Publikum den Namen in Murray zu ändern.

Also im Original BLOODY MORI, und international BLOODY MURRAY – was die deutsche Fassung von IMDB schon überforderte, denn sie machten aus Mori / Murray kurzerhand einen Mann („Murray, ein Filmdozent, der sich auf romantische Komödien spezialisiert hat, und Dana, eine Gynäkologin, sind Mitbewohner in den 30ern.“). Und irgendjemand bei arte (?) beschloss, BLOODY MURRAY in DANA & MURRAY zu ändern. Warum eigentlich, und warum diese Reihenfolge, wenn Mori / Murray ganz klar die Hauptfigur ist? Vielleicht eine Frage für die Rubrik Was ist das denn für ein Titel?.

Aber nun meine zehn Fragen und die Antworten von Stav Idisis – ganz herzlichen Dank! תודה רבה לך

BLOODY MORI – wenn die Grenzen zwischen Genre-Regeln und dem Leben verwischen

Frage 1: Wie wurdest Du „Schauspielerin, die auch schreibt“ bzw. „Schauspielerin, die zur Autorin wurde“?

Ich bin in Rishon Lezion aufgewachsen, einer Stadt im Zentrum Israels, nicht sehr weit von Tel Aviv entfernt. In der Oberstufe besuchte ich eine Kunsthochschule in Tel Aviv, so dass ich meine gesamte Jugendzeit in Tel Aviv verbrachte und bis heute in Tel Aviv lebe.

Ich habe mich schon immer zum Theater und zur Film- und Fernsehproduktion hingezogen gefühlt. Ich kann nicht genau sagen, woher das kommt. Es war das, was mich von klein auf am meisten interessiert hat. Möglicherweise habe ich mich davon anstecken lassen, weil mein Vater Drehbuchautor ist und er mich mit zur Arbeit am Set von Serien genommen hat, und ich die Schauspieler:innen und die Proben beobachten konnte und wie alles funktioniert; das hat mich fasziniert. Aber ich glaube, dass ich auch sonst sehr stark von dieser Welt angezogen werde – der Welt des Geschichten Erzählens.

Psychologisch betrachtet denke ich, dass mein Interesse an der Schauspielerei dem Bedürfnis eines sehr schüchternen Mädchens entsprang, das damit zu kämpfen hatte, der Welt zu zeigen, wer sie war, ihren Sinn für Humor, dass sie cool war … und die Schauspielerei, das Verkörpern einer Figur, Menschen zu überraschen und zu bewegen half meinem Ego. Ich konnte das gut.

Heute kann ich sagen, dass ich auf Abstand zur Schauspielerei gegangen bin. Es ist eine mental herausfordernde Arbeit, und am Ende hatte ich nicht den Erfolg, den ich wollte, und ich wurde müde, es zu versuchen. Aber ich wurde wirklich müde. Das war keine Verzweiflung. Die Begeisterung war einfach verblasst. Und ein bisschen Begeisterung ist nicht genug. Vielleicht brauchte ich einfach Anerkennung, und die habe ich jetzt erreicht. Ich bin glücklich da, wo ich bin. Aber wenn man mir eine wirklich tolle Rolle anbieten würde, wer weiß, vielleicht könnte ich dann auch nicht Nein sagen.

Frage 2: Gibt es Parallelen zwischen Deinem eigenen Leben und dem Plot, und zwischen Dir und Mori?

Es gibt viele Parallelen zwischen mir und Mori; wir sind beide späte Singles. Wir teilen dieselben beruflichen Leidenschaften und dieselben Wünsche und Träume in unserem Privatleben. Wir haben eine ähnliche Denkweise, mit den gleichen kritischen Ansichten und Zynismus. Mori ist nur etwas extremer – sie sagt alles, was ich nur denke. Sie tut Dinge, von denen ich mir manchmal nur vorstellen kann, dass ich sie auch tun möchte. Übrigens, Dana und Mori zusammen stehen für mich. Ich bin auch analytisch, perfektionistisch, ehrgeizig und organisiert wie Dana. Aber ich bin auch faul und ein Zauderer wie Mori. Es ist kompliziert 🙂

Frage 3: Wann hattest Du die Idee zu dieser Geschichte und was war Deine Motivation und Dein Grund, sie zu schreiben?

Meine Motivation war es, eine Serie zu schreiben, die ich für Erwachsene entwickelt habe. Bis dahin hatte ich nur für Kindersendungen geschrieben, und jahrelang wollte ich etwas schaffen, das von Herzen kommt. Aber jahrelang hatte ich nichts, worüber ich schreiben konnte und habe auch nicht viel darüber nachgedacht, weil ich immer mit anderen Dingen beschäftigt war, die meine Aufmerksamkeit und meine Kraft in Beschlag nahmen. Die Grundidee für „Bloody Mori“ – eine Filmprofessorin, die ein Seminar über romantische Komödien hält und beginnt, die Grenzen zwischen den Regeln des Genres und ihrem eigenen Leben zu verwischen – kam mir eines Abends im Jahr 2018, als ich mit einer Produktionsfirma zusammenarbeitete, die an mich glaubte und mich bat, mich anzustrengen und eine Serienidee zu entwickeln. Manchmal braucht man einfach nur einen kleinen Vertrauensschubs von jemand anderem.

von links: Rotem Sela (Dana) und Naomi Levov (Mori). Foto Ohad Romano. Dank an YES Studios.

Frage 4: Wann hast Du mit dem Pitchen der Serie angefangen und wie hast Du sie verkauft, wie lange hat das ungefähr gedauert?

Wie erwähnt stand ich bereits in Kontakt mit einer Produktionsfirma, die von der Idee sofort begeistert war. Ich erhielt also sofort positives Feedback – und den Anstoß, mit dem Schreiben des Pilotfilms zu beginnen. Ich habe keine Entschädigung erhalten, richtig? Ich beschloss einfach, es zu tun, denn es geht nichts über einen geschriebenen Dialog, um dem Sender zu beweisen, dass das Produkt etwas Besonderes ist. Dann belegte ich einen Schreibkurs, der mich dazu zwang, mich hinzusetzen und zu produzieren. Sonst hätte ich es nicht geschafft. Ich hatte eine Abgabefrist. Es gab einen Kurs, bei dem ich das Drehbuch vor der Klasse einreichen und ein Feedback erhalten musste, was mir die Kraft gab, mich hinzusetzen und zu schreiben. Dass ich mir einen Moment Zeit nehmen konnte, um etwas ohne Geld zu schreiben, verdanke ich übrigens einer kleinen Erbschaft, die ich von meiner verstorbenen Großmutter erhalten habe. Als ich den Kurs beendete, hatte ich bereits zwei Folgen fertig. Das ging wirklich schnell, innerhalb von drei Monaten, und kurz darauf haben sie es gelesen, fanden es toll und gaben mir den Auftrag, die Serie zu entwickeln. Mein Prozess war extrem schnell. Innerhalb eines Jahres war bereits eine Staffel geschrieben, und ich ging in Produktion.

Frage 5: Warum bist Du nicht als Schauspielerin in der Serie zu sehen?

Tatsächlich war es mein Ziel, mir die Rolle meines Lebens zu schreiben. Ich wollte Mori spielen. Ich habe sogar für die Rolle vorgesprochen. Aber am Ende habe ich einen Rückzieher gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass es sich um eine komplexe Rolle handelte, und war mir nicht sicher, ob ich dieser Aufgabe gewachsen war. Außerdem habe ich ziemlich mit mir gerungen, ob ich Regie führen sollte, um sicherzustellen, dass das, was ich mir vorstelle, auch zum Leben erweckt wird. Es war also definitiv eine schwierige Zeit während der Besetzungsphase. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, und als ich merkte, dass die Leute um mich herum es auch lieber sähen, wenn ich nicht spielen würde, hat mich das wirklich zermürbt und ich habe einen Rückzieher gemacht. Ich habe nicht wirklich darum gekämpft. Es war eine Kombination aus geringem Selbstvertrauen, mangelnder Erfahrung, harscher Selbstkritik und fehlender Ermutigung durch mein Arbeitsumfeld.

Stav Idisi und Naomi Levov, Series Mania Festival 2022, Preis für die Beste Comedyserie

Frage 6: Was war Deine Rolle in dem Projekt, nachdem Du das Drehbuch verkauft hattest?

Ich war in jeder Phase des Projekts sehr involviert. Ich habe den Regisseur (Yogev Yefet) ausgewählt, den ich von meinem Filmstudium an der Universität her kannte. Er ist auch Schauspieler und Regisseur, und wir hatten eine gute Chemie; ich wusste, dass er talentiert und sehr witzig ist. Ich hatte natürlich das letzte Wort bei der Besetzung, zusammen mit den Produzenten, und auch bei wichtigen Teampositionen wie dem Kameramann. Ich war Showrunner am Set und an jedem Drehtag anwesend. Die Schauspieler:innen haben sich ständig mit mir beraten, und es gab einen fruchtbaren künstlerischen Dialog zwischen mir und Yogev, dem Regisseur. Ich saß auch jeden Tag im Schneideraum, zusammen mit dem Regisseur und dem Cutter. Kurzum, ich habe also ein tolles Praktikum absolviert und werde bei der nächsten Staffel selbst Regie führen.

Miryam Zohar (Rolle: Moris Oma), Stav Idisis. Und Ariel, Kostümassistent

Frage 7: Wohin wurde die Serie bis jetzt schon verkauft?

Die Serie wurde bisher an ARTE verkauft und, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr, aber auch in ein paar andere Länder verkauft… über weitere Verkäufe darf ich im Moment nichts verraten, und die Entscheidung liegt allein bei YES. Ich kann nur hoffen, dass ich so viel Geld wie möglich damit verdiene 🙂

Frage 8: Ist schon jemand an Dich herangetreten wegen einem Remake Deiner Serie, und wie wäre das für Dich?

Ich darf darüber nicht mehr erzählen als das, was ich bereits gesagt habe. Ich kann nur sagen, dass ich, solange es gut gemacht ist, dafür bin – die Möglichkeit, ein breiteres Publikum zu erreichen, ist ein Traum, und natürlich schadet auch die finanzielle Entlohnung nicht.

Frage 9: Ich war etwas überrascht, auf arte zu lesen, dass die Freundschaft zwischen Mori und Dana „ihre Überlebensgarantie in einer Gesellschaft ist, in der Frauen immer noch unter der Last der Tradition leiden“. Wie denkst Du darüber?

Ich kann mich nicht erinnern, das geschrieben zu haben, aber ich glaube, ich habe irgendwann einmal irgendwo geschrieben, dass die Tatsache, dass beide Mädchen späte Singles sind, es ihnen leichter macht, mit der Einsamkeit und dem sozialen Druck umzugehen, der hier in Israel definitiv besteht, sich zu „normalisieren“ und einen Partner zu finden. Sowohl Mori als auch Dana wollen wirklich Liebe finden, sie haben sie nur noch nicht gefunden und sind keine Kompromisse eingegangen. Deshalb, und nicht nur wegen der sozialen Frage, ist es ein Problem für sie. Ein Problem, das sie gerne in ihrem Leben lösen würden. Übrigens wird das späte Singledasein immer häufiger, aber das gesellschaftliche Stigma aus der vorherigen Generation und sogar aus meiner Generation ist immer noch nicht leicht zu verdauen und stört manchmal die Gedanken.

Frage 10: Kannst Du mir irgendetwas über die zweite Staffel erzählen – z. B. welche der Nebenfiguren wieder darin vorkommen werden, werden wir etwas über Danas Familie erfahren? – oder ist das alles noch ein Geheimnis?

Es ist ein Geheimnis  🙂

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Ganz herzlichen Dank für Deine Zeit, Stav, und die persönlichen Antworten! תודה על זמנך ועל התשובות הפתוחות, סתיו היקרה! אני ממש נרגש לראות מה יקרה אחר כך. 

DANA & MURRAY / BLOODY MORI könnt Ihr noch bis zum 16.11.24 in der arte Mediathek sehen, in der hebräischen Originalfassung mit deutschen oder französischen Untertiteln.


Die Fragen habe ich für diesen Text gekürzt, die Antworten (ursprünglich auf Englisch verfasst) wurden von mir übersetzt. Alle Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, mit freundlicher Genehmigung von Stav Idisis. Das Interview und auch Teile davon können nur mit meiner Erlaubnis abgedruckt werden. Anfragen bitte über Kontakt.

 

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