SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Frage Dich: Was würde DRadio Kultur machen?

In letzter Zeit habe ich öfter gehört, es würde an den Redakteurinnen liegen, dass so wenig Regisseurinnen im deutschen Fernsehen arbeiten. Belastbare Zahlen dazu habe ich noch nicht gefunden, allerdings, wenn die Redakteur*innen entscheiden, wer Regie führt, dann muss es angesichts der niedrigen Frauenanteile im Regiebereich generell zumindest auch an den Männern liegen. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.
Heute geht es um die Arbeit einer – rein weiblich besetzten – Radioredaktion, deren Sendungen in den letzten 2 ½ Jahre eine gewisse Frauenblindheit (s.u.) vermuten lassen.
Der Artikel ist etwas umfangreicher geworden – zur Zusammenfassung gibt es am Ende die Abbildungen noch mal als Galerie.

Frauenblindheit Deutschlandradio Kultur

Ein vorläufiger Tiefpunkt wurde im Mai erreicht.

Das öffentlich-rechtliche Negativbeispiel IM GESPRÄCH MIT HÖRERN

In dem Film HOLIDAY (George Cukor, 1938 – deutscher Titel DIE SCHWESTER DER BRAUT) sagt Johnny Case (gespielt von Cary Grant)  zu Linda (Katharine Hepburn):

 When I find myself in a position like this, I ask myself what would General Motors do? And then I do the opposite! (Wenn ich in so einer Situation bin frage ich mich, was würde General Motors machen? Und dann mach ich das Gegenteil!)

Das ist sicher nicht das erste Mal, dass die Formulierung „Was würde Person X machen, und dann mach ich das Gegenteil“ in einem Film vorkommt, genaugenommen ist auch HOLIDAY (basierend auf dem Theaterstück HOLIDAY von Philip Barry aus dem Jahr 1928) ein Remake. Bereits 1930 hatte Edward H. Griffith die Geschichte verfilmt, und lustigerweise spielte Edward Everett Horton – der in vielen Filmen mit Cary Grant und Katharine Hepburn aber auch beispielsweise Ginger Rogers und Fred Astaire markante Nebenrollen übernahm – in beiden Filmversionen Nick Potter, den besten Freund von Johnny Case.
Die Figur Linda (gespielt von Katharine Hepburn) basiert in Teilen auf Gertrude Sanford Legendre (1902-2000), einer US-amerikanischen Dame der Gesellschaft, die im 2. Weltkrieg als Spionin tätig war, auf Großwildjagd ging, Umweltschützerin, Plantagenbesitzerin und Forscherin war und an Expeditionen teilnahm.

Aber tatsächlich wollte ich nur herausfinden, wer das Drehbuch für HOLIDAY geschrieben hat, um für das o.g. Zitat die vollständige Quelle anzugeben: das waren Donald Ogden Stewart und Sidney Buchman, die später auf der unrühmlichen Hollywood-Schwarzen Liste des Komitees für Unamerikanische Umtriebe standen.
Und damit zurück zum heutigen Thema, der Radiosendung FEUILLETON – IM GESPRÄCH MIT HÖRERN von Deutschlandradio Kultur, die jeden Samstag zwischen 9 und 11 Uhr gesendet wird. Es gibt eine/n Moderator*in und ein bis zwei Gäste zu einem mehr oder weniger aktuellen Thema, und Hörer*innen können sich per Anruf, Email oder soziale Netzwerke an der Diskussion beteiligen.

Die Gäste von IM GESPRÄCH MIT HÖRERN – Auswertung von 2 1/2 Jahren

Was wir sehen (bzw. hören) ist alarmierend. 2013, 2014 und im ersten Halbjahr 2015 waren mehr als die Hälfte der Sendungen ohne weibliche Gäste, Tendenz steigend. Im Gegensatz dazu waren in weniger als 10 % der Sendungen keine Männer eingeladen. Der Anteil der Sendungen mit nur einem Gast nimmt leicht zu (aktuell ungefähr ein Drittel). Das erste Halbjahr 2015 zeigt eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vorjahr. Allerdings bleibt, wenn ich die Werte bis einschließlich der 32. Sendung vom 8.8. berücksichtige, eine deutlich negative Bilanz: 22,0 % Männer, 78,0 % Frauen als Gäste, Sendungen ohne Frauen 65,4 %, ohne Männer 7,7 %.

Die Moderation der Sendung

War 2013 und 2014 die Moderation der Sendung noch paritätisch, saß im ersten Halbjahr 2015 nur noch in jeder vierten (!) Sendung eine Moderatorin am Mikrofon. Klaus Pokatzky, der im Juli 2014 in die Moderationsrunde kam, hat 2015 bereits die Hälfte der Sendungen moderiert. Pokatzky ist ungefähr Anfang 60, fällt regelmäßig anrufenden Hörer*innen abrupt ins Wort (falls das die anderen Moderator*innen auch machen,  dann auf jeden Fall unauffälliger), er ist derjenige, der am meisten von sich spricht und mit Sprüchen auffällt wie „Europäer und ich muss jetzt auch sagen Europäerinnen, weil mich die EU sonst wahrscheinlich wegen irgendeiner Transgendervorschrift rügen wird.“ (18.7.15).

ImGespr_Mods

Themen der Sendung

Dass die Redakteurinnen keinen Blick für Frauen haben zeigt sich nicht nur bei der Gäste- sondern auch bei der Themenwahl. Zwei Beispiele:
Am 8.3. war Internationaler Frauentag. Zwei Tage zuvor hatte der Bundestag die 30 %-Genderquote für Aufsichtsräte der Top 100 Dax-Unternehmen beschlossen. War das Thema in der Sendung vom 7.3.? Nein. Da ging es um „Impfen ja oder nein“ mit zwei männlichen Gästen.

Die Frauenquote / Genderquote wurde weder 2013, noch 2014 noch bislang 2015 (Stand Anfang August) in der Sendung und mit Hörer*innen diskutiert.
Am 20. März war Equal Pay Day, Frauen verdienen in Deutschland immer noch deutlich weniger als Männer. War dies Thema in der Sendung vom 21.3.15? Nein. Stattdessen hieß es „Was ist Intelligenz?“, ein männlicher Gast saß im Studio.

Ungleiche Bezahlung, die Lohnlücke / Gender Pay Gap war weder 2013, noch 2014 noch bislang 2015 Thema in der Sendung.

Das ,klassische’ Frauenthema Familie war bislang 3 x in der Sendung: am 16.2.2013 Thema („Was mus sich ändern in der Familienpolitik?“ 2 F), am 2.11.13 („Getrennt leben – gemeinsam erziehen“ 1 F 1 M) und zuletzt vor 1,5 Jahren am 15.2.14 („Kinder und Karriere und Liebe und… Der aufreibende Spagat zwischen Familie und Beruf“ 1 F 1 M). Oder 4 x, wenn wir Reproduktionsmedizin dazuzählen (29.3.14, 2 M). Wobei ich es bei diesem Thema doppelt seltsam finde, dass keine Frau in der Sendung war.

Die nächste Abbildung zeigt die Themen aller Sendungen aus den Jahren 2013, 2014 und 2015 (bis einschließlich 8. August), zu denen nur Männer eingeladen waren:

Maenner_Themen

DRadio Kultur: Themen der Sendungen ohne Expertinnen: 2013 – 8.8.2015

Manche Themen sind einmalig, einige kommen mehrfach vor.
Recht dominant ist Medizin, allein 2014 gab es 10 Sendungen mit Themen von Medizinethik über Allergien und Organspende bis hin zu Vitaminpräparaten, davon alleine fünf Sendungen im September und Oktober. Tod und Sterben waren 2013 und 2014 Thema („Begleitung auf dem letzten Weg“ / „Jeder Tod hat seine eigene Geschichte, zu Hause sterben“). Expert*innen waren 1 Palliativ-Mediziner, 1 Palliativ-Medizinerin, 1 Gesundheitspolitiker und 1 Schriftsteller. In Hospitzen arbeiten 90 % Frauen, und auch die Sterbebegleitung zu Hause ist überwiegend Frauensache. Vielleicht wird ja 2015, falls das Thema wieder in die Sendung kommt, eine Hospitzmitarbeiterin eingeladen.

Dann gibt es Wiederkehrendes wie die jährliche Vogelzählung, zu der immer Lars Lachmann (NABU) mit einem wechselnden männlichen Co-Gast eigeladen wird. Eine/ Vertreter/in vom NABU in der Sendung macht natürlich Sinn, da der NABU gemeinsam mit dem LBV (Landesbund für Vogelschutz) die jährliche Vogelzählung Stunde der Gartenvögel organisiert. Einen Grund das Thema in reinen Männerrunden zu behandeln finde ich allerdings nicht.

Und als drittes Beispiel Filme: 2014 und 2015 stand im Februar während der Berlinale jeweils „Filme, die man gesehen haben muss“ im Programm. 2014 hatte Moderatorin Gisela Steinhauer DRadio-Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack (Jg. 1946) und Regisseur / Drehbuchautor Aron Lehmann (Jg.1981) zu Gast. 2015 war Pönack wieder – diesmal alleine – eingeladen. Das ist schwer nachvollziehbar, weil seine all-time-Lieblingskinofilme sich vermutlich im Laufe eines Jahres nicht grundsätzlich geändert haben dürften. Warum wird den Hörer*innen keine Abwechslung, keine andere Perspektive geboten? Warum nicht eine der DRadio-Filmkritikerinnen in die Sendung holen, z.B. Anke Leweke oder Noemi Schneider, und als zweites z.B. eine Studentin / einen Studenten von Film, Regie, Kamera oder Medienwissenschaften?

Abschließend noch die Themen, zu denen nur weibliche Gäste in der Sendung waren:

  • 2013: Prostitution (2 F), Kränkungen (1 F), Stadt oder Land (2 F), Allergien (1 F), Familienpolitik (2 F)
  • 2014: Meeresforschung (1 F)
  • 2015: Selbstzweifel (1 F), Plastikmüll (2 F)

Die Titel werden übrigens nach wie vor meistens nicht genderneutral formuliert.

Das Alter der Gäste

Ich habe für 2014 und das erste Halbjahr 2015 das Alter der Gäste ausgewertet. Die Statistik ist nicht vollständig (siehe die Spalte kA = keine Angabe), da ich nicht alle Geburtsdaten recherchieren konnte. Als Alter wird das am 1.1. des jeweiligen Jahres angegeben, in 5-Jahres-Gruppen (z.B. 40 = 36 bis 40).
Zwei Dinge fallen auf: es wurden sehr wenig Gäste eingeladen, die jünger als 36 Jahre alt sind, und es gab sehr viele Gäste jenseits des Rentenalters. Warum ist es nicht durchmischter? Junge und Alte können verschiedene Sichtweisen und Erfahrungen einbringen, genau wie Frauen und Männer.
Ein Gast der Sendung, den ich anrief, um sein Alter zu erfahren (36), vermutete, dass die Altersverteilung mit der Zielgruppe der Sendung zusammenhängen könne. Das ist eine Möglichkeit. Wobei ich mich frage, ob beispielsweise ältere Hörer*innen wirklich nicht gerne auch jüngeren Expert*innen zuhören möchten? Und auch die Henne-Ei-Frage drängt sich auf: wird die Sendung für die Zielgruppe gemacht und hat sich eine Zielgruppe herausgebildet, weil die Seindung so ist wie sie ist? Aber das ist eine Frage für einen anderen Tag.

 Die Professoren

Die Überschrift deutet es bereits an: Professoren spielen eine besondere Rolle unter den Gästen der Sendung. Die folgenden beiden Abbildungen zeigen, wie viele aktive und emeritierte Professor*innen in die Sendung eingeladen wurden. Die Anzahl der Professoren ist größer als die aller weiblichen Gäste.

Die Redaktion der Sendung

Frauen als Expertinnen – und somit auch als potenzielle Vorbilder – kommen sehr selten vor, nicht nur in der Samstagssendung IM GESPRÄCH, sondern auch in Talk-Shows, auf den Podien von Konferenzen und in Dokumentarfilmen. Männer erklären die Welt, Männer geben die Expertise, Männer erleben etwas.
Und daran stören sich immer mehr Menschen. So sagte Torsten Körner in seiner Besprechung der Dokumentation DIE INSEL über Westberlin zu Zeiten der Mauer (Deutschlandradio Kultur, 21.10.14):

Mir hat im Rückblick noch gefehlt, wir haben ungefähr ich schätze jetzt mal 16, 17, 18 Gesprächspartner, davon sind 3 Frauen. Also mir hätte im Rückblick auch eher ein Blick aus der weiblichen Perspektive behagt, ich hätte gerne auch mal einen Ostberliner gehabt, der auf die Westberliner City guckt, denn es kommen fast ausschließlich Westberliner zum Erzählen, zum Berichten, und n paar Amerikaner.

Ich habe letztes Jahr mit der Redakteurin der Sendung, Susanne Schröder, telefoniert (Im Gespräch mit Männern vom 14. August 2014); sie versicherte mir sehr glaubhaft, dass sie wirklich gerne mehr Frauen in der Sendung hätten.
Nur, seit dem ist die Situation eher noch schlechter geworden. Und das, obwohl zu wenig Frauen in Talkshows, auf Podien, bei Konferenzen breit diskutiert wird, die Speakerinnen-Datenbank Speakerinnen.org gegründet wurde und natürlich auch über Suchmaschinen viel leichter Exptertinnen gefunden werden können. In dem genannten Blogartikel hatte ich die Ergebnisse einer ersten, nicht-aufwändigen Suche veröffentlicht, mit der ich für die reinen Männerrunde-Themen der IM GESPRÄCH-Sendungen Expertinnen fand, die bereit waren, an einem Sonnabend Vormittag in die Sendung zu kommen. Warum schaffen das die Redakteurinnen der Sendung nicht?

  • Kann es sein, dass sie die falschen Netzwerke haben?
  • Kann es sein, dass ihre Kartei zu einseitig ist?
  • Kann es sein, dass es ihnen die Neugier und die Kreativität beim Suchen fehlt?
  • Kann es sein, dass ihnen das Ausmaß der Misere gar nicht bewusst ist, weil sie selber kein Monitoring der Gäste in Bezug auf Geschlecht und Alter und auf die Themen machen?

Ich schickte den genannten Blogtext an die Redaktion von IM GESPRÄCH und hoffte auf eine Stellungnahme. Dies ist die Antwort des Hörerservices von Deutschlandradio Kultur:

Vonseiten des Hörerservice habe ich mit der zuständigen Redaktion Rücksprache gehalten und dort erfahren, dass es bereits ein Telefonat zwischen Ihnen und der verantwortlichen Redakteurin gegeben haben soll, in dem sie ausführlich auf die von Ihnen vorgebrachte Kritik eingegangen sei. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns vor diesem Hintergrund nicht abermals dazu äußern. Nur soviel: Ihre Zählung bezieht sich allem Anschein nach nur auf die Samstagausgabe von ‚Im Gespräch‘. Seit unserer Programmreform im Juni dieses Jahres gibt es jedoch auch von Montag bis Freitag jeden Morgen ein ‚Gespräch‘. Wenn Sie diese Ausgaben in Ihre Aufstellung mithinzunehmen, werden Sie am Ende gewiss befriedigt feststellen, dass das Verhältnis von weiblichen und männlichen Studiogästen ziemlich ausgeglichen ist. Die Redaktion der Sendung ‚Im Gespräch‘ liegt übrigens ganz in weiblicher Hand. Dies nur zu Ihrer Information. 
Bleiben Sie uns gewogen!
Mit freundlichen Grüßen
Deutschlandradio Hörerservice

Ja, meine Auswertungen beziehen die Werktagssendungen nicht mit ein. Aus gutem Grund. Sie haben zwar einen ähnlichen Titel, aber sind aber im Grund ein völlig anderes Format. Sie dauern nur 60 Minuten, es ist immer nur ein Gast im Studio, und es wird ein Interview mit dieser Person geführt, keine Diskussion eines Themas, schon gar nicht unter Einbeziehung der Hörer*innen.
Schade, dass die Redaktion meinen Artikel nicht kommentieren wollte. Ich hatte tatsächlich gehofft, sie freuen sich über die vielen interessanten Expertinnen, die ich zu Sendungsthemen gefunden hatte. Na gut, „freuen“ war vielleicht eine etwas überzogene Erwartung.

Ausblick

IM GESPRÄCH ist gebührenfinanziert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den Auftrag, für Information und Unterhaltung zu sorgen sowie zur Meinungsbildung beizutragen. Und da sind Einseitigkeit und Frauenblindheit eher kontraproduktiv. Etwas ähnliches sagte vor zwei Jahren übrigens auch Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul

Es kann vernünftigerweise nicht bestritten werden, dass Männer der Welt mit einer genderspezifischen Sichtweise begegnen. Wir Männer sollten uns dessen auch bewusst sein. Genauso haben Frauen ihre genderspezifischen Erfahrungen und Sichtweisen. Und das heißt, nur in einer annähernd ausbalancierten Beachtung beider Erfahrungsperspektiven können wir die Realität auch zumindest annähernd adäquat abbilden.  (Quelle)

Ich werde meine aktuellen Auswertungen wieder an Redakteurin Susanne Schröder schicken. Außerdem an den Intendanten Dr. Willi Steul, die Frauenbeauftragte Ulrike Stengel und den Vorsitzenden des DRadio-Hörfunkrats Frank Schildt.
Etwaige Antworten werde ich hier veröffentlichen.

Passende Literatur

 

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