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Gedanken einer Schauspielerin

Der Fall Weinstein: Gedanken zur deutschen Filmbranche

Einleitung

Am 5. Oktober wurde in der New York Times der Artikel „Harvey Weinstein Paid Off Sexual Harassment Accusers for Decades“ von Judi Kantor und Megan Twohey veröffentlicht. Seit dem sind immer mehr Frauen, Schauspielerinnen, Models und auch Firmenangestellte und Journalistinnen, an die Öffentlichkeit getreten, die von Übergriffen, sexuellen Belästigungen, Einschüchterungsversuchen bis hin zu Vergewaltigungen berichteten. Es ist klar, dass alle Angeklagten bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten haben. Allerdings scheinen in diesem Fall die Vorwürfe  erdrückend – im Gegensatz zu den leider nur allzu häufigen Situationen, in denen Aussage gegen Aussage steht und eine Straftat oder ein Verbrechen nicht bewiesen werden kann.
Viel wurde zunächst darüber geschrieben, wie es möglich sein konnte, dass Harvey Weinstein über Jahrzehnte unerkannt und ungestört handeln konnte, doch schnell wurde klar, dass seine Übergriffe, sein Umgang mit insbesondere jungen Schauspielerinnen zu Beginn ihrer Karriere, ein offenes Geheimnis waren.
Mittlerweile wurde Weinstein aus dem Vorstand der Weinstein Company entlassen, aus der AMPAS Academy of Motion Pictures Arts and Sciences, aus dem BFI British Film Institute, eine Stellungnahme vom Filmfestival Cannes liegt vor.
Im Zuge der Reportagen wurde auch auf andere Fälle von sexuellen Übergriffen hingewiesen, von US-Schauspieler Bill Cosby über Fox News-Moderator Bill O’Reilly und Chef der amazon-Videoabteilung Roy Price bis hin zu US-Präsident Donald Trump. Alles in den USA, weit weg.

Auch die deutschen Medien haben über den Weinstein-Fall berichtet, mitunter mit Thematisierung des gesellschaftlichen Kontexts, beispielsweise Julian Dörr in der Süddeutschen vom 14.10. mit „Wer Missbrauch verhindern will, darf den Feminismus nicht belächeln“ (weitere Artikel im Unterkapitel  Lesevorschläge).
Was mich aber erstaunt ist, dass bis jetzt fast nichts über hier, über die deutsche Filmbranche geschrieben wurde. Drängen sich nicht Fragen wie „Ist so etwas in Deutschland auch möglich, gibt es Fälle oder Gerüchte, und wie wird betroffenen Frauen geholfen?“ geradezu auf?
Ich habe lediglich das Kurzinterview mit der österreichischen Schauspielerin Adele Neuhaus gefunden, das sie der Rheinischen Post gegeben hat und das in verschiedenen anderen Medien zitiert wurde (das Original habe ich online nicht gefunden), beispielsweise in der Berliner Zeitung vom 14.10.. Sie sagte u.a., dass sie von dem Skandal nicht überrascht sei, und sich eher fragt, „warum das jetzt erst spruchreif wird. Hinter vorgehaltener Hand war eh immer klar, dass es eine Besetzungscouch gibt” und „wie viele Männer diese Situation ausgenutzt haben, weiß man.“

Ja, auch an deutschen Sets

Auch in Deutschland werden Schauspielerinnen und andere weibliche Filmschaffende sexuell belästigt und bedrängt. Auch hier gab und gibt es Männer, die ihre Machtposition beispielsweise als Regisseur ausnutzen, die Schauspielerinnen zu sexuellen Handlungen im Tausch für eine Rolle – ja was? zwingen? auffordern? nötigen? Die diese berufliche Hierarchie, in der Schauspielerinnen ganz weit unten stehen (zu wenig Rollenangebote und gleichzeitig zu viele von uns) ausnutzen. Die mal eben mit der Darstellerin im Nebenzimmer verschwinden, um Sex zu haben. Wohlgemerkt, das sind keine sich anbahnenden Romanzen, wo sich Regisseur und Darstellerin ineinander verliebt haben oder auch nur scharf aufeinander sind. Sondern ,Das gehört dazu, ich Boss, Du …‘.
Es kursieren Namen, die ich in diesem Zusammenhang öfter gehört habe, von unterschiedlichen Quellen.
Ich weiß von einer sehr jungen Schauspielerin, die ein Vergewaltigungsopfer spielen sollte, halbnackt, die Dreharbeiten dauerten endlos, und Kollegen und Mitglieder des Teams machten ,anzügliche‘ Witze über sie, über ihren Körper, über ihre Lage.
Ich weiß von einer Kollegin, die immer wieder von männlichen Kollegen ,inszeniert‘ wird, die einfach besser wissen als sie und die Regie, wie sie ihre Rolle spielen sollte und sich ungefragt einbringen. Wenn sie etwas sagt, gilt sie als schwierig und unkollegial.
Betroffen sind nicht nur Schauspielerinnen. Ich habe auch von Maskenbildnerinnen und von Regisseurinnen gehört, um nur zwei Berufsgruppen zu nennen. Eine befreundete Karriere-Coach/Trainerin, die regelmäßig mit Frauen und Männern aus der Filmbranche arbeitet, berichtet, dass jedes Mal, wenn sie das Thema Netzwerken thematisiert, die Frage kommt „Wie gehe ich mit Übergrifflichkeiten um?“ Und wenn eine Frau erst einmal diese Frage gestellt hat kommen weitere, „Und was ist, wenn er im Gespräch immer wieder seinen Arm um mich legt?“ „Und was ist wenn ich Nein sage, den Arm abschüttele, kann ich das Projekt dann gleich ganz vergessen“? Jedes mal. Die meisten Frauen berichten von solchen Situationen. Die Männer im Coaching sind dann meist sprachlos bis genervt. Genervt, dass so ein Thema so viel Raum einnimmt, denn es betrifft sie nicht und sie sind überrascht, dass es überhaupt aufkommt. „Nie davon gehört.“
Im Januar 2017 wurde die Studie „Die Situation der Filmschaffenden 2015“ veröffentlicht, für die rund 2.400 vollständig ausgefüllte Fragebögen mit einem Frauenanteil von 39 % ausgewertet wurden. Jörg Langer, der Verfasser der Studie, erzählte mir von  mehr als 300 berichteten Diskrimierungsvorfällen, darunter zahlreichen Schilderungen von sexuellen sowie verbalen Übergriffen. In der Studie heißt es außerdem:

Nach der Zufriedenheit mit den derzeitigen Arbeits- und Lebensbedingungen gefragt, waren weniger Frauen sehr oder überwiegend zufrieden, dagegen weniger Männer sehr oder überwiegend unzufrieden.
In Bezug auf die Gewährung von Gagen- und Honorarzahlungen in Höhe des Gagentarifes (TVFFS) ist festzustellen, dass ein höherer Anteil der Frauen niemals oder nur teilweise, dagegen ein höherer Anteil der Männer überwiegend oder immer Tarifgage erhielt.
15,8% der Frauen berichteten von häufigen bzw. sehr häufig vorkommenden Diskriminierungen aufgrund Alter, Herkunft, Geschlecht, Religion etc. Bei den Männern waren es lediglich 5%.
Quelle: Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden 2015. Hervorhebung durch mich.

Regisseurinnen haben mehrfach von dem Dilemma berichtet, dass sie wenn sie resolut am Set agieren, als hysterisch oder „die hat ihre Tage“ abqualifiziert wurden, wohingegen das gleiche Verhalten ihrer Kollegen als entschlossen galt. Liegt das auch an den Verhältnissen, nämlich dass ein Großteil des Teams vielleicht noch nie mit einer Regisseurin gearbeitet hat, eine Kamerafrau oder Tonmeisterin das erste Mal sieht? (Über die Unterrepräsentanz von Frauen habe ich schon oft geschrieben). Und die in der Arbeit auch vor der Kamera immer weniger Frauen sehen, quasi als untergeordnet (auch darüber habe ich wiederholt gebloggt).
Im übrigen geht es weiter, bzw. fängt schon vorher an. Auf dem langen Weg, bevor die Regisseurin überhaupt ihrem Team Anweisungen geben kann, und sie um ein Projekt kämpft oder bettelt, sich bewirbt. In Gesprächen mit Produzenten und anderen.

Ich weiß nicht, wie oft das passiert, aber es sind keine Einzelfälle. Es ist strukturell, so wie der Sexismus in der Filmbranche strukturell ist, so wie die Benachteiligung von Frauen, auch beim Gehalt, in der deutschen Arbeitswelt strukturell ist und wie sexuelle Belästigungen von Frauen am Arbeitsplatz in unserer Gesellschaft ein strukturelles Phänomen sind (siehe Charlotte Diehl in der ZEIT vom 4.10. „Sexismus ist ein Werkzeug, mit dem Männer ihre Macht sichern“)

Ich erinnere ein Kaffeetrinken mit einem Regisseur, in dem er nebenbei vorschlug, ich solle ,seine Geliebte‘ werden. Das ist sehr lange her, ich stand am Beginn meiner beruflichen Laufbahn, es ging um eins von mehreren Projekten. Ich war baff, und weiß noch, dass ich gleichzeitig erstaunt war, dass so jemand – er war mindestens doppelt so alt wie ich und dreimal so dick und sprach starken Dialekt – so etwas so selbstverständlich fragte. Ich habe es dann freundlich abgewiegelt mit Hinweis auf seine Ehefrau (von ihr und der gemeinsamen Tochter hatte er auch erzählt), die Stimmung war einigermaßen gerettet. Aber aus keinem der Projekte ist dann etwas geworden.
Da war dieser Workshop, in dem wir Schauspieler*innen Tipps bekamen, wie wir uns und unser Material (Fotos und Demoband) besser präsentieren können und wie der Umgang mit Regie und Casting idealerweise ablaufen sollte, aus Sicht des Regisseurs, der an dem Tag dran war. Ich erinnere, wie das Thema Nacktszenen angesprochen wurde und er recht abfällig über Schauspielerinnen sprach, die in ihren Verträgen auf eine „keine Nacktszenen“-Klausel bestünden. Denn das würde seine Arbeit als Regisseur enorm beeinträchtigen. Die Schauspielerinnen sollten lernen, über den eigenen Schatten zu springen, Nacktszenen wären für sie ja sogar eine Bereicherung, das hätte ihm einmal eine Schauspielerin, die erst sehr unwillig gewesen sei, gesagt. Denn natürlich betraf das Thema Nacktszenen nur uns Schauspielerinnen, nicht die wenigen Schauspieler im Workshop. Und natürlich fügte der Regisseur noch hinzu, dass eine Weigerung Nacktszenen zu drehen bedeuten würde, dass dann eben die Rolle mit einer Kollegin, die nicht diese Probleme hätte, besetzt würde.

Die Frage, ob es überhaupt so oft weibliche Nacktszenen geben muss, ob der Mord an einer Frau in einem deutschen Krimi nur gezeigt werden kann, wenn sie nackt zu sehen ist, wenn nicht beim Mord selbst (wobei sie dort meistens zumindest halbnackt abgelichtet wird) dann spätestens hinterher auf dem Seziertisch der Gerichtsmedizin, – wird diese Frage jemals gestellt? Oder die Frage der Kameraperspektive, also dass sexualisierte Gewalt gerne auch – Schuss, Gegenschuss – aus Sicht des Täters gefilmt wird (siehe auch Die Dramaturgie der Dusche)?
Ich stelle mir erfahrene Filmteams vor, die regelmäßig halbnackte Schauspielerinnen am Set erleben. Ist ein der Grund, warum sich manche so unsensibel verhalten?

Es ist ein paar Jahre her, mein erster Drehtag in einer Produktion, ich war schon im Kostüm und der Maske gewesen und wartete auf die technische Probe. Da kam ein Mann auf mich zu. Ohne mich anzugucken oder auch nur etwas zu sagen griff er an meine Bluse, öffnete ruppig die oberen Knöpfe und griff mir zwischen die Brüste. Nein, es war nicht ganz so, fühlte sich aber fast so an. Er kam auf mich zu, gab mir einen Sender, den ich in die Bluse fallen ließ, das Kabelende bzw. Mikrofon guckten oben raus. Und dann griff er mir zwischen die Brüste um das Mikrofon zu befestigen, mit Klebeband und mehrmals abreißen und wieder ankleben. Tatsächlich ohne mit mir zu sprechen. Bei einem anderen Dreh, als an die Stelle der Bluse-Öffnen- eine überraschende Shirt-bis-zum-Kinn-Hochheb-Aktion trat, schlug ich vor „doch dort an den Rand zu gehen“, „Nein nein, nicht nötig“. So standen wir im wahrsten Sinne mitten im Zentrum des Geschehens.
Ist es wirklich so schwer, etwas sensibler zu sein, und vorher drei Sätze zu sagen? Einer könnte zum Beispiel „Ich heiße ABC“ lauten, ein anderer „Ich werde dich jetzt verkabeln“ und der dritte könnte mit „Ist es in Orndung, wenn ich ..“ anfangen. Ach ja, und „Lass uns dort rüber gehen, da ist es etwas ruhiger“ wäre auch nicht schlecht. Bloß weil wir Schauspieler*innen sind und uns vor der Kamera zeigen und mitunter unser Innerstes entblößen heißt das nicht, dass wir keine Privatsphäre mögen, Verlegenheit oder Scham nicht kennen, Fremden gegenüber nie nervös sind.

Das Schweigen der Branche

Nach 30 Jahren vermeintlichem Schweigen wird in der US-Filmbranche nun laut über die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein gesprochen und den Frauen, die mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit treten, grundsätzlich Glauben geschenkt. Der US-amerikanische Castingverband CSA wird am 13.10.17 in einem Artikel von Dominic Patten in deadline folgendermaßen zitiert (Übersetzung von mir):

Der Castingverband wiederholt öffentlich seine Verurteilung von Belästigungen jeglicher Art. Die Stille um nicht gemeldete sexuelle Übergriffe, Missbrauch und Belästigung haben zu einer Kultur beigetragen, in der diese Verhaltensweisen andauern konnten, und die Zeit des Schweigens ist nun vobei. An die Schauspielerinnen, die diese Vorfälle öffentlich gemacht haben: wir hören Euch, wir glauben Euch und wir loben Euren Mut. Keine Schauspieler*innen, egal welchen Geschlechts, sollten sich jemals beeinträchtigt oder bedroht fühlen, wenn sie bei einem Casting sind oder Branchenmitglieder treffen!
An unsere Mitglieder, die Belästigungen mitbekommen: wenn Ihr etwas seht, sagt etwas. (…) Jetzt ist es an der Zeit, die Opfer zu unterstützen und ihnen zu sagen, dass es eine Organisation gibt, an die sie sich für fortdauernde Unterstützung wenden können

In Großbritannien veröffentlichte der Schauspielverband Equity UK am 12.10.17 die begrüßenswerte „Erklärung zu Mobbing und Belästigung“. Hierin heißt es unter anderem (Übersetzung von mir):

Equity wird weiter Arbeitgeber, die unsere Mitglieder schlecht behandeln, zur Rede stellen.
Die Gewerkschaft erkannt an, dass Mitglieder Mobbing und Belästigungen nicht immer melden werden aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Wir versichern unseren Mitgliedern, dass sie mit der Gewerkschaft in absoluter Vertraulichkeit sprechen können. Equity‘s Vertreter haben Erfahrung in direkten Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern in diesem Zusammenhang und werden Mitglieder vertreten, die unangemessenes Verhalten am Arbeitsplatz erlebt haben.

Vertreterinnen von WIFT UK (Kate Kinninmont) und ERA 50:50 (Rosie Hilal) wurden in Fernsehnachrichten interviewt, ebenso wie die Schauspielerin Emma Thompson, um nur einige zu nennen. Raising Films haben heute einen Offenen Brief an die Britische Filmbranche veröffentlicht (An Open Letter to the UK Film Industry on Addressing Harassment and Discrimination).
Aktualisierung: Ebenfalls heute hat der Castingverband Casting Directors‘ Guild of Great Britain and Northern Ireland eine Erklärung veröffentlicht. Am 23. folgte eine Stellungnahme von Directors UK (— siehe Stellungnahmen der Verbände).
Bemerkenswert auch die Stellungnahme von Schauspielkollegin, Drehbuchautorin und Regisseurin Kate Hardie, die am 14.10. im Guardian kommentiert: „Zeit, endlich die Verbindung zwischen Missbrauch und Filminhalten herzustellen“. (Randbemerkung: der Artikel zeigt ein uraltes Foto von ihr und ihrem Kollege Christopher Eccleston. Sie hatte darum gebeten, es gegen ein aktuelles auszutauschen, was auch zeitweise geschah. Jetzt einen Tag später ist es aber wieder das junge Bild. Kate ist heute 49.)

Es geht wie gesagt nicht nur um Schauspielerinnen. Und es ist nicht nur ein Problem in englischsprachigen Ländern. Warum also schweigen die deutschen Verbände? Oder habe ich bloß die Stellungnahmen nicht mitbekommen? Der Schauspielverband BFFS, verdi FilmUnion, der Verband der Filmschaffenden, die Produzentenallianz, der Regieverband BVR, der Castingverband BVC, um nur einige zu nennen, ich bin mir sicher, dass viele ihrer Mitglieder, ausgelöst durch den Fall Weinstein, über unsere Branche, über Vorkommnisse in unserer Branche nachdenken und sprechen. Und sich ein Zeichen von ihrem Verband wünschen, für die Betroffenen und gegen die Täter.
(— für die späteren Stellungnahmen des BFFS und BVR siehe Stellungnahmen der Verbände.)

Sowohl der US-Castingverband als auch Equity UK bieten sich als Anlaufstellen für betroffene Mitglieder an. Das ist gut und wichtig. Vielleicht nicht ausreichend, denn bei wirklich traumatisierenden Erlebnissen dürften die meisten Mitarbeiter*innen der Verbände überfordert sein. Das ist nicht schlimm, denn das gehört nicht zu ihren Aufgaben.
Betroffenen Frauen, die öffentlich über Weinsteins Übergriffe gesprochen haben, berichteten, wie traumatisiert sie waren, viele suchten die Schuld bei sich, einige waren jahrelang beeinträchtigt, manche haben sogar ihren Beruf gewechselt. Manche hatten Glück mit einem verständnisvollen näheren Umfeld, andere weniger. Das alles macht klar, dass es um mehr als um Rechtsberatung und wir-glauben-Dir geht.
Deshalb an dieser Stelle der Hinweis auf den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland, in dem 170 Beratungsstellen und Notrufe zusammengeschlossen sind. Über die BFF-Webseite können Beratungsstelle in Eurer Nähe gefunden werden.
Die Mitarbeiterinnen sind erfahren und die Beratung kann auch anonym erfolgen.

Gleichzeitig möchte ich anregen, dass sich unsere Filmbranche damit beschäftigt, wie ein angst- und übergriffsfreies Arbeitsumfeld auch für Frauen geschaffen werden kann. Damit, wie Übergriffe derjenigen in Machtpositionen geächtet und noch besser: verhindert werden können.
Vielleicht kann eine Art anonymes Meldesystem installiert werden, um übergriffiges Verhalten festzuhalten. Nicht als Pranger oder Denuzierungsplattform, da gibt es Möglichkeiten, Missbrauch zu verhindern. Zu klären ist, wo und wie so etwas eingerichtet werden kann und wer es betreut. Eine konkrete Befragung in der Branche könnte durchgeführt werden, vielleicht aufbauend auf der genannten Studie des Filmschaffendenverbands.
Aktualisierung: WIFT UK führte vor 5 Jahren eine Befragung unter ihren Mitgliedern durch, sammelt aktuell unter dem Etikett #metoo wieder Übergriffserfahrungen in der Filmbranche, um Handlungsstrategien vorzubereiten (#MeToo: Help us take meaningful action).
Das sind nur erste Gedanken.

Als Schauspielerin und Mitglied des BFFS bin ich besonders enttäuscht vom Schweigen dieses Verbands. Ich denke in dieser Situation auch – mit einer Mischung aus Trauer und Wut – an die Unequal Pay-Kampagne vom BFFS, die vor mehr als drei (!) Jahren offiziell gestartet, aber von Anfang an vom Verband totgeschwiegen wurde. Wer von Euch hat je von ihr gehört oder gelesen? Wer von Euch hat je gehört, wie sie in Zusammenhang mit Aktionen oder auch nur Genderpolitik des BFFS durch BFFS-Offizielle genannt wurde? Wer von Euch wurde auf einem BFFS-Stammtisch auf sie aufmerksam gemacht? Es geht darum, Fälle von ungleicher Bezahlung von Schauspielerinnen und Schauspielern zu sammeln. Oder geht es darum? War das nicht nur ein Lippenbekenntnis, das aber doch irgendwie stört und deshalb schnell! Den Mantel des Schweigens drüber ausbreiten?
Ich habe bei meinem Verband – ich bin BFFS-Mitglied – angefragt, warum nicht mehr PR für diese Kampagne betrieben wird, und ich habe darum geben, das Foto der Kampagne auszuwechseln, – im Zentrum des Fotos ist der Hintern einer Frau in Shorts – und ein Symbolbild zu nehmen, dass einen inhaltlichen Bezug zur Kampagne hat. Keine Reaktion.
Gleichberechtigung und BFFS passen leider immer noch nicht so ganz zusammen, der machthabende Vorstand weiß weiter zu verhindern – u.a. durch geschickte Satzungsänderungen im eigenen Interesse oder durch zwilichtige Verhinderung von alternativen Satzungsentwürfen -, dass Frauen in den entscheidenen Gremien und Posten stärker repräsentiert werden und frauenpolitisch aktive Mitglieder die Verbandsarbeit mitgestalten können. Meine empirische Arbeit und mein Besetzungstool NEROPA Neutrale Rollen Parität zur Erhöhung des Frauenrollenanteils in Filmen werden weiter ignoriert. Dabei gibt es einen Zusammenhang zwischen der Unterzahl von Frauenrollen und der Unterbeschäftigung von Schauspielerinnen und ihrer größeren Verletzbarkeit.  Auch das hat  der Weinstein-Skandal wieder einmal aufgezeigt. Von der Diskriminierung von Frauen in der Branche  ganz zu schweigen. Oder eben, nicht mehr zu schweigen. 

Belinde Ruth Stieve.

Dieses Problem wird solange fortbestehen, bis Frauen Gleichberechtigung in der gesamten Branche erreicht haben.
Kate Kinnimont, Geschäftsführerin von Women in Film and Television UK

Die Forderung, Machtpositionen mit Frauen zu besetzen, die dann (hoffentlich) Räume und Strukturen etablieren, die nicht auf sexualisierter Gewalt basieren, ist also nicht nur feministisch, sondern auch ein praktischer Schutz gegen die Weinsteins dieser Welt.
Marlene Halser, tageszeitung, Ressortleiterin Gesellschaft und Medien

Belinde Ruth Stieve, 2017. Foto: Dixie Schmiedle

Nachtrag 23.10.:

Heute haben der britische Regieverband Directors UK und der deutsche Regieverband BVR Stellungnahmen zur Bekämpfung von Missbrauch, Mobbing und sexuellen Übergriffen bzw. zu Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch veröffentlicht. Diese unterscheiden sich deutlich. Beide Verbände verurteilen Machtmissbrauch, Nötigung und sexuelle Belästigung. Der BVR unterstützt zudem die Forderung nach einer verbandsunabhängigen Ombudsstelle in der Filmbranche. Directors UK legen einen stärkeren Fokus auf der zentrale Rolle der Regie in der Schaffung eines sicheren und unterstützenden Arbeitsumfelds vor und hinter der Kamera. Außerdem weisen sie auf die Unterrepräsentanz von Frauen hin: „Wir brauchen dringend mehr Gleichberechtigung und Diversität in der Beschäftigung um eine inklusivere und ausgeglicherene Branche zu schaffen und um missbräuchliches Verhalten und Haltungen zu beseitigen.“
Erfreulicherweise hat auch der Schauspielverband BFFS auf das Drängen der Mitglieder reagiert und am 20.10. doch eine ausführliche Stellungnahme abgegeben unter dem Titel „
Was ändert sich nach Harvey Weinstein?“ Das ist begrüßenswert und wichtig! Einige meiner Anregungen wurden aufgenommen, u.a. auch das anonyme Meldesystem (leider bislang mit dem etwas unglücklichen Titel „Unter der Gürtellinie“).

Seit Veröffentlichung meines Textes bin ich von vielen Filmfrauen angesprochen und angeschrieben worden, die von eigenen negativen Erlebnissen berichten. Diese ziehen sich durch alle Gewerke. Und das macht klar, dass es kein Schauspielerinnen-Problem ist und wir ein Meldesystem für die gesamte Branche brauchen.
Ich wünsche mir, dass wir als eine Ursache von sexueller Belästigung und Gewalt, von Nötigung und Einschüchterung, die prekäre Situation vieler Filmschaffender, insbesondere von Frauen, und Machtmissbrauch diskutieren. Dass die Verbände sich für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Filmarbeit einsetzen. Ich wünsche mir, dass unsere Filme mehr emanzipatorische Geschichten erzählen und Frauen und Männer nicht mehr in überholten Stereotypen darstellen. Filme prägen unser Denken und beeinflussen unsere Emotionen. Auch deshalb ist es so wichtig, in der Filmbranche den Hebel anzusetzen.

Lesevorschläge (Auswahl)

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  • SchspIN: Augen auf – Stereotype.  16.2.17
  • Die neue BFFS Kampagne „Unequal Pay“ 20.8.14
  • Jörg Langer: Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden 2015. Studie zur sozialen Lage, Berufszufriedenheit und den Perspektiven der Beschäftigten in der Film- und Fernsehproduktionswirtschaft Deutschlands. die-filmschaffenden.de Jan. 2017
  • Amy J. Berg: AN OPEN SECRET.
    Documentary USA 2014 (vimeo 98 min)

Stellungnahmen von Organisationen (aktualisiert)

  • Equity UK: Statement on Bullying and Harrasment. 12.10.17
  • Raising Films: An Open Letter to the UK Film Industry on Addressing Harassment and Discrimination. 14.10.17
  • Casting Directors‘ Guild of Great Britain and Northern Ireland: Press Release 16.10.17
  • BFFS: Was ändert sich nach Harvey Weinstein? 20.10.17
  • Directors UK: statement on tackling abuse, bullying and sexual harassment. 23.10.17
  • BVR: Stellungnahme zur aktuellen Diskussion über Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung in der Film- und Fernsehbranche 23.10.17
  • BVC Bundesverband Casting: Sexuelle Übergriffe und (Macht)Missbrauch sind ein trauriger Bestandteil unseres täglichen Lebens! 23.10.17
  • Royal Court Theatre: Preventing Sexual Harassment and Abuse of Power – A Code of Behaviour 3.11.17
  • Equity launches investigation to find solutions to sexual harassment crisis 8.11.17