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Gedanken einer Schauspielerin

Zeichen für Filmproduktionen

Zeichen für Filmproduktionen

Vieles spricht dafür, Filmschaffenden die Grundlagen der Gebärdensprache beizubringen: die wichtigsten (Film-)Begriffe, die Zahlen und das Fingeralphabet. Es wird sowieso oft genug am Set eine Zeichensprache verwendet, da kann es doch auch gleich die richtige sein, DGS – die Deutsche Gebärdensprache.

Finger_FILMVor ein paar Wochen las ich den Text Gehörlose, das Cochlea-Implantat und ein Genozid im Blog die ennomane. Darin schrieb der Autor u.a.

Diese Gehörlosenkultur hat aber einen wesentlichen Unterschied zu anderen Subkulturen: Sie ist fast hermetisch abgeriegelt. Ein Migrant in Deutschland kann mit etwas Mühe Deutsch lernen und sich damit verständigen und integrieren, ein Gehörloser kann das aus naheliegenden Gründen nicht, schließlich hört er nichts und ist auf Gebärden- oder Schriftsprache angewiesen. Umgekehrt lernt kaum jemand ohne besonderen Anlass die Gebärdensprache.

Ich sehe das anders.

Zum einen steht ja bereits in dem Text, dass sich Gehörlose mit „Gebärden- und Schriftsprache“ verständigen können, insofern finde ich die Formulierung „fast hermetisch abgeriegelt“ übertrieben. (DGS – Deutsche Gebärdensprache – wurde 2002 endlich offiziell als eigenständige Sprache anerkannt. Deutschland hinkt weltweit etwas hinterher, in einigen nordeuropäischen Staaten, Neuseeland und den USA beispielsweise liegt die Anerkennung schon länger zurück und Gebärdensprache wird als Fremdsprache an vielen Schulen unterrichtet, in Neuseeland ist NZSL (Neuseeländische Gebärdensprache) seit 2006 neben Englisch und Te Ro Maori die dritte offizielle Amtssprache.)

Und auch umgekehrt ist es Hörenden oder Schwerhörigen, die DGS nicht beherrschen, zumindest mit einer improvisierten Zeichensprache möglich, sich mit Gehörlosen zu verständigen. So machen wir es ja auch im Ausland, wenn wir die Landessprache nicht verstehen  – „mit Händen und Füßen reden“ – oder im Inland mit Tourist/innen und anderen Menschen, die kein Deutsch können. Natürlich sind so keine tiefschürfenden Gespräche über Poststrukturalismus oder Steuergesetze möglich, aber hermetisch abgeriegelt ist anders.
Außerdem läuft die Kommunikation im digitalen Zeitalter nicht mehr ausschließlich über die Lautsprache. Emailverkehr, SMS, soziale Medien, Blogs und mehr erfordern lediglich eine Kenntnis der Schriftsprache. Um bei dem Zitat aus die ennomane zu bleiben: Migrant/innen, die noch kein Deutsch gelernt haben, können sich digital nur mit Menschen verständigen, die ihre Muttersprache verstehen oder den Umweg über eine dritte Sprache gehen. Ich kann beispielsweise in keinem türkischsprachigen Internetforum mitdiskutieren, denn ich verstehe kein Wort. Mit einem von Gehörlosen betriebenen Forum sieht das anders aus. Aber vor allem gilt es umgekehrt: Gehörlose, die sich live nur über DGS verständigen, können ,ganz normal‘ digital unterwegs sein, bei einer Twitter- oder Facebookdiskussion, in einem Blog oder im Emailverkehr ist es völlig egal, ob die Schreibenden und Lesenden hören können oder nicht, Keine Sprachbarrieren, und in dem Fall keine Grenze zwischen den (Sub-)Kulturen.

Zurück zum analogen Leben.

Es ist schon erstaunlich, wir können von Kindheit an Brocken einer Fremdsprache, ohne es zu wissen. Hörende untereinander benutzen jede Menge DGS-Vokabeln, wenn sie sich per Handzeichen verständigen. Wir gebärden Essen und Trinken, Telefonieren, Schlafen, Müdigkeit und Autofahren, wir können Anweisungen gebärden wie Komm her! oder Sei still / Pssst!, wir fragen Wie spät ist es? sagen Bitte, nach Ihnen oder Du spinnst doch oder Davon wird mir übel; sogar Ich liebe Dich geht mit den Händen und der passenden Mimik. Wir drücken mit einer Handbewegung (Daumen reibt Zeigefinger) Geld oder teuer aus, wir zeigen groß und klein, dick und dünn, gebärden die Zahlen von 1 bis 10 – wir kennen das, dieses Gestikulieren, wenn es laut ist oder wir jemandem, der weiter weg steht oder gerade mit jemand anderem spricht, etwas mitteilen wollen. Auch im Sport gibt es Zeichensprache, diese coolen Signale zur Übermittlung von eintrainierten Spielzügen (z.B. im Beachvolleyball und Fußball) oder zum Anzeigen einer Auszeit (Handball).

Viele Zeichen sind allgemeiner (Gesten-)Wortschatz, sie haben ihren Einzug in die Alltagssprache gehalten, sind oft kürzer und prägnanter als unsere Lautsprache. Daumen hoch, Daumen runter: alle verstehen es, und aus diesen Gebärden sind längst Internet-Piktogramme geworden.

Aus meiner Schulzeit erinnere ich Zettelchen, die heimlich rumgereicht wurden, um mit Mitschüler/innen zu sprechen. Es gab damals außerdem ein Fingeralphabet. Keine Ahnung wo es herkam, aber wir konnten es alle. Jeder Buchstabe wurde mit einer oder beiden Händen dargestellt, das H z.B. ging so: beide Zeigefinger senkrecht links und rechts vom Mund. Auch damit unterhielten wir uns. (Gibt es im digitalen Zeitalter noch dieses Fingeralphabet in den Schulen, oder läuft jetzt alles über SMS & Co?)

Ich bedaure, dass Grundschüler/innen, wenn sie lesen und schreiben lernen und sie den Buchstaben, ihrer Schreibweise und Aussprache begegnen, heute immer noch nicht gleichzeitig das (einhändige) DGS-Fingeralphabet mitlernen und im Rechenunterricht auch nicht die praktische DGS-Zählweise erfahren (z.B. ist die Zahl 50 eine Gebärde einer einzelnen Hand, im Gegensatz zu dem 5 x alle 10 Finger zeigen aus dem Amateurgebärden). Das wäre wirklich sehr praktisch.

Aber jetzt endlich zur Filmwelt. Auch am Set wird natürlich Zeichensprache benutzt, z.B. wenn die Kamerafrau dem Tonangler die Bildkante signalisiert, oder der Regisseur der Schauspielerin eine non-verbale Regieanweisung gibt, oder der Kameraassistent das Ergebnis des Fusselchecks anzeigt, und natürlich auch in der Kommunikation internationaler Crews.

Wir benutzen ganz selbstverständlich englische Begriffe am Set  – Action, Cut, Slow-Mo, Close-Up, Green Screen, Repetition, Soundcheck, Set und mehr – es spricht nichts dagegen, Begriffe einer weiteren Fremdsprache zu integrieren. Dass diese Fremdsprache DGS sein kann liegt in ihrer Natur: sie spricht in Bildern und ist nicht textlastig, sie ist visuell, ausdrucksstark und sehr sehr leise – das prädestiniert sie für eine Kommunikation in der Filmproduktion. Außerdem bedeuten DGS-Grundkenntnisse hörender Filmschaffender bessere Arbeitsbedingungen für gehörlose Kolleg/innen.

Sollte also DGS ein Pflichtfach an Filmschulen werden? Nein, natürlich nicht, es muss ja nicht gleich formalisiert werden. Aber wie wäre es mit Gastseminaren für Interessierte? Hallo und Tschüß, Ja und Nein, Bitte und Danke, Zählen und Buchstabieren, die Farben,  dazu Film-Fachausdrücke und ein bisschen Grammatik, und jede Menge natürlicher Gebärden, die quasi beschreibend das Verb, Adjektiv oder Substantiv gebärden, das macht Spaß und führt zu einem guten Grundwissen.

Und natürlich wäre eine Einführung in DGS auch für Schauspieler/innen und Schauspielschüler/innen eine Bereicherung. Visuelle Wahrnehmung, motorische  Präzision, Wiederholbarkeit von Gesten und der mimische Ausdruck werden durch das Lernen von DGS gefördert. Zu einer Gebärde gehört auch das Mundbild (der Begriff wird lautlos gesprochen) und oft die gesamte Mimik, insbesondere die Position und Bewegungen der Augenbrauen. Und die zu trainieren kann nie schaden, denn dann können wir sie vielleicht eines Tages so wunderschön einsetzen wie Sha Rukh Khan. Aber das ist ein anderes Thema.

 


Kommentar von Julia Probst / Ein Augenschmaus vom 20.10.13

Eine besonders schöne Geschichte, welche gut zum Artikel passt: Charlie Chaplin, der Star der Stummfilm-Ära konnte selbst amerikanische Gebärdensprache. Charlie Chaplin lernte den gehörosen Maler Granville Redmond kennen, da er von der Arbeit Granvilles begeistert war und so wurden die beiden Freunde.

Granville Redmond unterrichtete seinen Freund Charlie Chaplin in American Sign Language (ASL) und erklärte ihm das Fingeralphabet. Die Freundschaft zwischen den beiden ging so tief, dass Chaplin Granville Redmond Rollen in seinen Filmen gab zwischen 1918 und 1929.

Granville Redmond war damals in der Stummfilm-Ära nicht der einzige Gehörlose in Hollywood – Hollywood war damals ein Mekka für Gehörlose, denn es waren sehr viele beim Film beschäftigt. 🙂