SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Grimmepreis: 7 Gewerke, 7 Jahre – German TV Award: 7 Departments, 7 Years

English Version follows German.

7-Gewerke-Check der Nominierungen zum Grimme-Preis 2010 bis 16

Bereits in der Vergangenheit habe ich über die Grimme-Preis-Nominierungen geschrieben, beispielsweise in den Kunst oder Kommerz-Analysen (2012 Stab, 2012 Besetzung, 2013 Stab, 2013 Besetzung).
Warum ist eine Auswertung der fiktionalen Kategorie interessant, dieser zugegebenermaßen kleinen Gruppe von jährlich 14 bis 19 Filmen? Nun, der Grimme-Preis ist gewissermaßen das Äquivalent zum Deutschen Filmpreis, wobei die Fernsehauszeichnungen anders als die Lolas von Juries vergeben geben, denen die Filmliste einer Kommission vorliegt, die wiederum aus allen in ihrer Kategorie vorgeschlagenen Filmen ausgewählt hat. Gleichzeitig sind die Grimme-Preise ein Gegenpart zu den als erfolgreichst geltenden Fernsehfilmen, die über die – leicht dubiosen – Einschaltquoten ermittelt werden. Auf der Seite des Grimme-Instituts heißt es:

Mit einem Grimme-Preis werden Fernsehsendungen und -leistungen ausgezeichnet, die für die Programmpraxis vorbildlich und modellhaft sind. Leitziel der im Grimme-Preis institutionalisierten Fernsehkritik ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Fernsehen, das als zentrales und bedeutsames Medium mit vielfachen gesellschaftlichen Bezügen und Wirkungen verstanden wird. In diese kritische Auseinandersetzung sind alle Themen und Formen des Fernsehens einbezogen.
(Hervorhebung durch SchspIN)

Die sieben Gewerke die ich heute untersuche sind Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera, Ton, Schnitt und Redaktion (was eigentlich kein Gewerk ist); zusätzlich habe ich die erstgenannten Rollen und die Hauptcasts gendermäßig ausgewertet. Hauptdatenquelle sind die Seiten des Grimme-Instituts, etwaige Teamlücken (manchmal waren alle 7 Positionen aufgeführt, manchmal nur 2 oder 3) wurden über filmportal.de und crew-united.com gefüllt. Ich weiß nicht, wie die Team- und Besetzungslisten auf der Grimme-Seite zustande kommen, vielleicht wurden sie so von den Produktionsfirmen gemeldet.
Von 2010 bis 2016 waren insgesamt 119 fiktionale Filme mit im Hauptcast 614 Schauspieler*innen nominiert, die jährlichen Mittelwerte sind 17 Filme und 116,3 Schauspieler*innen. Die Größe der Hauptcasts schwankt zwischen 3 und 15 (nicht durch zusätzliche Recherche aufgestockt). Im Schnitt werden 6,8 Rollen pro Film genannt.

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Fiktionale Grimmepreisnominierungen: Männerübergewicht hinter und vor der Kamera.

Frauen arbeiten auch in der heutigen Filmgruppe seltener in verantwortlicher Teamposition, aber sie kommen  häufiger vor als beispielsweise bei den TATORTEN oder Top 20 / Top 100 Kinofilmen. Regisseurinnen werden seltener beschäftigt, aber sie machen keine schlechteren Filme, wie die Nominierungen belegen.

Kürzlich veröffentlichte der Regieverband BVR den 3. Regie-Diversitätsbericht, der feststellt, dass

sich im sechsten Jahr der Analyse das Bild eines vor allem von Männern geprägten Berufsstandes (zementiert), obwohl an den staatlichen Filmhochschulen seit den 1990er Jahren mehr als 40 % Frauen ausgebildet werden.

Die ARD-Primetimeproduktionen weisen einen Regisseurinnenanteil von 15 % auf, beim ZDF sind es 12 %. Pro Quote Regie bilanziert:

Erste positive Entwicklungen in der ARD und starke Filme von Frauen im Kino dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die systematische Benachteiligung von Frauen weiter zugenommen hat. Die ARD nimmt ihren Auftrag ernst / Das ZDF stagniert und verweigert weiterhin den Dialog / Die meisten Privatsender liegen beim Regisseurinnenanteil deutlich vorne / Das Kino im Jahr 2015 weist den schlechtesten Frauenanteil seit fünf Jahren auf.

Ich hoffe sehr, dass der Diversitätsbericht Regie und die äußerst lobenswerte Arbeit von Pro Quote Regie ein jährliches Monitoring auch in anderen Gewerken auslösen. Was ist mit Drehbuch, hatte der VDD da nicht etwas geplant? Was ist mit der Bundesvereinigung der Filmschaffenden-Verbände, die ja schon 2013 eine Studie zur Situation der Filmleute in Auftrag gegeben hatte (leider ohne Berücksichtigung der Genderthematik. siehe auch Kino, Kinder, Karriere?) Könnten die nicht so etwas initiieren für alle Gewerke, bzw. zumindest die der Mitgliedsverbände, was dann allerdings die Sender finanzieren sollten? Ein Thema für einen anderen Tag.

Meine heutigen Auswertungen sind in fünf beschrifteten Abbildungen zusammengefasst (siehe Ende des Artikels), hier kurz ergänzt:

  • Die 7 Jahrgänge fiktionaler Grimme-Preis-Nominierungen haben mittlere Frauenanteile von 16,4 % (Regie), 27,9 % (Drehbuch), 10,7 % (Kamera) und 54,1 % (Schnitt).
  • Das weit verbreitete Gerücht, dass in den Redaktionen hauptsächlich Frauen sitzen, wird von meinen Auswertungen nicht bestätigt: der Frauenanteil liegt zwischen 45 und 65 %, MW 54,7 %, also relativ ausgeglichen.
  • Filme, bei denen eine Frau Regie führte, zeigen insgesamt die höchsten Werte bei Kamera, Ton, Schnitt und Drehbuch (61,5 %!). Wer vergibt die Fernsehregieaufträge? Werden für Bücher von Autorinnen eher Regisseurinnen gesucht? (Der Autorinnen-Anteil für Filme von Regisseuren ist 22 %). Oder kommt es umgekehrt zustande, also dass eine Regisseurin das Buch einer Autorin mitbringt?
  • Deutlich weniger sind Frauen bei Kamera, Ton, Schnitt und Drehbuch in Filmen von Männern vertreten. Diesen beiden Regie-Gruppen habe ich außerdem alle Filme, bei denen nur Produzentinnen bzw. nur Produzenten und solche, bei denen nur Redakteurinnen bzw. nur Redakteure tätig waren, gegenübergestellt (Abb. 2). Filme, in denen die Redaktion oder Produktion bei Frauen und Männern lag, sind nicht berücksichtigt.
  • Bekanntermaßen werden Regisseurinnen (fast) nie für 20.15 Uhr-Krimis verpflichtet. Um so bemerkenswerter ist, dass zwei dieser Ausnahme-TATORTE unter den Nominierungen zu finden sind: ANGEZÄHLT (Regie Sabine Derfinger, 2014) und BOROWSKI UND DIE RÜCKKEHR DES STILLEN GASTES (Regie Claudia Garde, 2016).
  • Den höchsten Frauenanteil im heutigen 7-Gewerke-Check – bzw. in diesem Fall im 6-Gewerke-Check, denn die Regieposition habe ich logischerweise weggelassen – liefern die Filme von Eoin Moore (TATORT – ALTLASTEN, 2010) und Susanna Salonen (PATONG GIRL, 2016):

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  • Es gab eine kleine Zahl Filme von Regisseuren (alle zwischen 2010 bis 2013), in denen keine Frau in den übrigen sechs Gewerken als Head of Department arbeitete.
  • Männerlastige / Frauenlastige Hauptcasts: 12 Filme hatten mindestens doppelt so viele Frauen- wie Männerrollen in den Hauptcasts. 43 Filme hatten 2 x so viele Männerrollen oder mehr. Immerhin noch 17 Filme hatten 4 – 9 (!) mal so viele Männerrollen, – derartig frauenlastige Hauptcasts gab es nicht (höchster Faktor = 3).

Die überdimensionierte Männerlastigkeit in Filmen vor der Kamera mit keinem frauenlastigen Gegengewicht habe ich vor einiger Zeit für sechs 2015er Filmgruppen belegt (Das Besetzungstool NEROPA), – angesichts dessen kann eine Auswahl / können die Grimmepreisnominierungen nicht wirklich elementar anders aussehen.
Wie schon oft von mir betont: natürlich kann ein Film auch einen rein männlichen Cast haben, wenn die Geschichte das erfordert (ich erinnere an den großartigen Film DAS MEER AM MORGEN, Regie Volker Schlöndorff, der 2013 für den Grimme-Preis nominiert wurde), und natürlich sollen auch Teams, in denen nur Männer Heads of Department sind, nicht verboten werden. Es ist aber wichtig, Einseitigkeiten zu benennen und darüber zu sprechen – vor allem, wenn es keinen frauenlastigen Ausgleich in anderen Produktionen gibt.

Zum Schluss die Abbildungen:

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English Version

7-Department-Check of Nominations to the German TV Awards 2010 to 16

Not for the first time I’ve examined the nominated films for the Grimme-Preis, the probably most important German TV Awards (2012 Crew, 2012 Cast, 2013 Crew, 2013 Cast).
Why is it interesting to analyze a small group of 14 to 19 films per year? Well, it’s because the Grimme-Preis is the television equivalent to the German Film Award (Deutscher Filmpreis), the Lolas. But unlike the Lolas the Grimme-Preis is determined by juries who work with lists of films given to them by commissions who chose the films from all suggestions put forward. Also, in a way the Grimme-Preis is a counterpart to the allegedly most successful TV movies determined by the slightly questionable TV ratings. The following quote is from the – only German – website of the Grimme Institute (translated by SchspIN):

A Grimme-Preis is awarded to TV programmes and achievements that are examplary and commendable for the programming practice. The key objective of TV criticism, institutionalised in the Grimme-Preis is to deal comprehensively with television, understood as a central and major medium with multiple social references and impacts. This critical examination is including all topics and forms of television.

The seven departments evaluated today are directing, script writing, production, camera, sound, editing and commissioning editing, on top of this I investigated the first roles on the cast sheet and the main cast.
From 2010 to 2016 a total of 119 fictional films were nominated with a main cast of 614 actresses and actors total. The annual averages are 17 films and 116,3 acting people. The size of the main casts (as published on the Grimme Institute’s website) varies between 3 and 15. On average 6,8 roles per film were listed.

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Nominations for the German TV Awards (Fiction): male bias behind and in front of the camera.

In today’s groups of films, women worked less frequently in positions of responsibility, but they were found more often than for example in the TATORTE (German TV’s top cop drama) and in the top grossing 20 / top 100 films. Female directors are hired less often, but their films aren’t less good than the men’s as can be deducted from the nominations.

Recently the German Directors’ Guild BVR published its 3rd Gender Diversity Report, which states that

in the sixth year of these analysis the picture of a profession that is first and foremostly shaped by men is cemented, even though since the 1990s the share of women among film school graduates (directing) has been 40 %.

The prime time productions of ARD (public channel I) show a 15 % rate of female directors, for the ZDF (public channel II) it’s 12 %. The initiative Pro Quote Regie (an association of German female directors) commented (in German):

Let us not be blinded by first positive developments within the ARD and by strong films by women in the cinema for the continuing and increasing systematic discrimination of women. The ARD (public channel I) take their mandate seriously / The ZDF (public channel II) continues to refuse any dialogue / most private private channels are ahead as far as the share of female directors is concerned / in German cinema of 2015 we find the lowest share of female directors in five years.

I truly hope that the Gender Diversity Report Directing and the praiseworthy work of Pro Quote Regie evoke an annual monitoring in other departments as well. What about script writing, didn’t the VDD Directors’ Guild plan something? What about the Federal Organization of Filmmakers Associations, who commissioned a study on the situation of people in the film industry back in 2013 (unfortunately without collecting data on the gender of those surveyed – see also Cinema, Career, Children). Couldn’t they initiate some form of monitoring for all departments, or at least for those of the member associations – something which should be financed by the TV channels? A topic for another day.

You can find today’s evaluations in five labelled diagrams at the end of this text. In addition to them some comments:

  • The seven volumes of fictional Grimme-Preis nominations show average shares of women of 16.4 % (directors), 27.9 % (script writers), 10.7 % (DoPs) and 54.1 % (editors).
  • The widely spread rumour that women constitute a vast majority of commissioning editors has not been confirmed. The statistics showed figures between 45 and 65 % and an average of 54,7 %, so it appears to be quite balanced.
  • Films directed by women offer the highest figures (of female representation) for DoP, Sound, Editing and Script (61.5 %!). Who is responsible for hiring directors? Is it more likely that scripts by women are handed to female directors? (The share of female authors in the films by male directors is only 22 %). Or is it the other way around, i.e. a female directors will champion the script of a woman?
  • There were considerably fewer women as heads of department (DoP, sound, editing) and among the script writers present in films directed by men. In addition to these two directors’s groups all films that only had female or only male producers and all films that only had female or male comissioning editors are presented in Figure 2. Films that had both female and male producers / commissioning editors are not included.
  • Generally female directors aren’t hired for the 90 minute 8.15 p.m. cop dramas. That’s why it is noteworthy to mention two TATORTs directed by women that were nominated for the Grimme-Preis: ANGEZÄHLT (directed by Sabine Derfinger, 2014) and BOROWSKI UND DIE RÜCKKEHR DES STILLEN GASTES (directed by Claudia Garde, 2016).
  • The highest share of women in today’s 7-departments-check- or rather 6-departments-check, as I am leaving out the directors’ position in this one – is held by Eoin Moore (TATORT – ALTLASTEN, 2010) and Susanna Salonen (PATONG GIRL, 2016):

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  • There was a small number of films (all between 2010 and 2013, all directed by men) that did not have any women as head of department.
  • Male biased / female biased main casts: 12 films had at least twice as many female over male roles in their main casts. 43 films had two or more times as many male roles (main casts), and 17 films had between 4 and 9 (!) times as many male main characters – there is no equivalent in female biased films, the highest factor there is 3.

I examined strong male biased TV casts in greater detail for six prime time public programmes some months ago (A Casting tool called NEROPA). Considering these findings it is understandable that the Grimme-Preis nominations can’t really paint a different picture.
As I have again and again before: of course it is perfectly alright if a film has a men-only cast if this is necessary for the plot ( DAS MEER AM MORGEN / LA MER À L’AUBE, directed by Volker Schlöndorff, which was nominated for the Grimme-Preis in 2013 is a good example), and of course I don’t want to forbid teams with only men as heads of department. At the same time it is very important to name theses one-sidedness and talk about it – especially, when there is no female-biased balancing through other productions.
Now let’s end with today’s diagrams:

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