Lohngerechtigkeit für Alle
Heute geht es um die Fair Pay Initiative für Gerechtigkeit auf dem Gehaltszettel und die Filmbranche, speziell um – ungleiche – Gagen von Schauspieler*innen. Und es geht um Gender Prämien Gap, Gender Pay Gap und Status Pay Gap.
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- Prolog: Im 23. Jahrhundert – Männer und Frauen, Haupt- und Nebenrollen
- Das FairPay Bündnis und die Frage der Transparenz
- Gagendisparität in der Filmbranche
- Das Gender Positionspapier des BFFS
- Epilog: Im 21. Jahrhundert – Männer und Frauen, Haupt- und Nebenrollen
- Prolog: Im 23. Jahrhundert – Männer und Frauen, Haupt- und Nebenrollen
Prolog: Im 23. Jahrhundert – Männer und Frauen, Haupt- und Nebenrollen
Vor ungefähr 50 Jahren, am 8. September 1966, wurde die US-amerikanische Fernsehserie RAUMSCHIFF ENTERPRISE erstmals ausgestrahlt. Die Kerncrew des Raumschiffs bestand aus sechs Männern und einer Frau (Kirk, Spock, McCoy, Scott, Sulu, Uhura und Chekov), und die Handlung spielte im 23. Jahrhundert. Es war schon eine sehr männerlastige Serie, und die Frauen trugen in der Regel kurze Miniröcke, wenn sie überhaupt mal vorkamen… Da war die kurz zuvor gedrehte deutsche Sci-Fi Serie RAUMPATROUILLE – DIE PHANTASTISCHEN ABENTEUER DES RAUMSCHIFFS ORION (1965) um Längen weiter. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag. Zurück zur Enterprise.
Schauspieler Walter Koenig erzählt in einem Interview mit der Las Vegas Sun (erschienen am 30.7.14), dass Nichelle Nichols Gage für die Rolle der Uhura während der ursprünglichen Serie niedriger war als seine (er spielte Chekov) und die von George Takai (Sulu). Leonard Nimoy (Spock) hörte davon und setzte sich erfolgreich für eine gleiche Bezahlung ein:
KOENIG: Leonard (Nimoy, Mr. Spock) war immer recht unnahbar. Aber er war ein sehr guter Mann. Ethisch einwandfrei mit einem guten Sinn für Moral.
LAS VEGAS SUN: Wie das?
KOENIG: Als herauskam, dass es ein Gagen-Ungleichgewicht gab, insofern als George (Sulu) und ich zwar das gleiche bekamen aber Nichelle weniger als wir, habe ich Leonard davon erzählt, und der ging zum Front-Office und die haben es dann korrigiert.
In diesen Zusammenhang passt eine Aussage von Kameramann und ver.di FilmUnion Mitglied Stefan Nowak aus seiner Laudatio bei der Verleihung des Sonderpreises Starker Einsatz 2014 an Drehbuchautorin / Regisseurin Ulrike Grote und Produzentin Ilona Schultz (Gründerinnen von Fortune Cookies Filmproduction):
„(…) wer sich für angemessene Bezahlung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen stark macht, setzt viel aufs Spiel. Im schlimmsten Fall wird man nicht mehr gebucht. Aber im besten Fall lassen sich sogar angemessene Budgets und Arbeitsbedingungen erreichen.“
Leonard Nimoy hat sich noch ein weiteres Mal für – letztlich finanziell – benachteiligte Kolleg/innen eingesetzt, und zwar bei der Zeichentrickserie DIE ENTERPRISE (1973-74):
NIMOY: Dann war da auch noch die Sache, dass George und Nichelle nicht engagiert wurden, ihre Rollen in der Zeichentrickserie zu synchronisieren. Ich habe mich geweigert, Spock zu sprechen bis sie engagiert wurden.
(zitiert nach Anthony Pascale in: TrekMovie. 31.7.14)
Pascale kommentiert beide Vorfälle so:
Dass Nimoy bereits in den 1960er Jahren für Nichelle Nichols gekämpft hatte ist ziemlich mutig. Damals war Gleiche Bezahlung für Frauen noch nicht so ein heißes Thema, wie es das heute ist. Außerdem spielte Nimoy zwar eine der Hauptrollen, aber er war nur ein Schauspieler in einer Serie und hatte noch nicht den Einfluss, den er später als Produzent und Regisseur der Star Trek Filme in den 80er und 90ern haben würde. Insgesamt beweist Walters Geschichte nur etwas, das wir schon wussten: Leonard Nimoey ist ein „mensch“ (sic!).
Hier wird bereits ein Kernaspekt im Kampf für Lohngerechtigkeit deutlich: Die – unterschiedliche – Bezahlung muss bekannt sein, Stichwort Transparenz.
Was auch hilft: Solidarität von privilegierten Fürsprecher*innen und idealerweise ein breites Bündnis.
Das FairPay Bündnis und die Frage der Transparenz
So ein Bünis ist derzeit in Deutschland aktiv, nicht nur bezogen auf die Filmbranche sondern für alle Bereiche, in denen geschlechterspezifische Lohnungleichheit herrscht:
Das überfraktionelle Bündnis der Berliner Erklärung geht in die nächste Runde. Gestartet sind wir (2011) mit dem Ziel, mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft einzubeziehen – paritätisch und gleichberechtigt. Mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen ist der erste große Schritt getan.
Das nächste Ziel: Entgeltgleichheit. Dafür stehen wir im FairPay-Bündnis ein. Erreicht ist unser Ziel, wenn jede und jeder an 365 Tagen im Jahr sagen kann:
HEUTE werde ich fair bezahlt.
HEUTE bezahle ich fair.
(Aus der Berliner Erklärung für Gleichheit auf dem Gehaltszettel)
Auf der Webseite fairpay-heute.de kann per Unterschrift die Petition und die Arbeit des Bündnisses unterstützt werden, Infos zu den Bündnispartner*innen sowie Statements von Unterstützer*innen – auch von drei Schauspielerinnen – finden. Die Lösungsansätze lauten:
o Transparenz für alle herstellen.
o Verpflichtung, eine festgestellte ungleiche Bezahlung zu beheben.
o Aufwertung sozialer Berufe.
Transparenz ist für alle gut. Die einen wissen oft nicht konkret, dass oder wie viel sie mehr als die anderen bekommen. Oder zumindest: für wie wenig Geld die anderen teilweise arbeiten müssen, wie schlecht sie für eine gleiche, gleichwertige oder vergleichbare Arbeit bezahlt werden. Die anderen wissen oft nicht, dass sie weniger bekommen, oder wie viel weniger das ist.
Es gibt die reale Einkommensverteilung, und es gibt eine gefühlte. Beides hat nichts miteinander zu tun. Reichtum beginnt bei einem monatlichen Netto von etwa 3.100 € (für Singles. 4.600 € für Paare.) Nur 8 Prozent liegen über dieser Schwelle. Wer so viel verdient, gehört zu einer vergleichsweise schmalen Oberschicht. Aber die meisten Reichen glauben tatsächlich, dass sie nicht gemeint sein können, wenn in Zeitungen und Fernsehen von den Reichen die Rede ist.
Kolja Rudzig. Reich sind immer die anderen. DIE ZEIT Nr. 40, 22. Sept. 16.
Bei den kürzlich stattgefundenen Olympischen Spielen in Rio bekamen alle deutschen Medaillengewinner*innen gleichhohe Prämien, entscheidend war nicht das Geschlecht sondern die Platzierung: für Gold gab es 20.000 €, für Silber 15.000 € und für Bronze 10.000 €. Die Plätze vier bis acht wurden mit Prämien zwischen 5.000 bis 1.500 € honoriert, wer mehr als eine Medaille gewann bekommt aber nur eine Erfolgszahlung. Für Teammedaillen gab es ebenfalls einheitliche Regelungen für Frauen und Männer. Die gleichen Prämien wurden für die deutschen Sportler*innen bei den gerade beendeten Paralympischen Spiele festgesetzt.
Ganz anders die Gender Prämien Gap beim Deutschen Fußballbund. Vor einigen Monaten fand die Männerfußball-EM in Frankreich statt, das deutsche Team erreichte das Halbfinale, jeder Spieler bekam 100.000 €. Für den Titel hätte es 300.000 € gegeben. Die DFB-Spielerinnen, die in Rio Fußball-Olympiagold geholt haben, bekamen 2013 für den EM-Titelgewinn, ihren fünften in Folge, pro Spielerin 22.500 €, das sind 7,5 % der Titelprämie, die den DFB-Männern drei Jahre später versprochen wurde. Ich rechne mit einer deutlichen Steigerung zur Fußball-EM der Frauen, die im nächsten Jahr in Niederlanden stattfindet. Alles unter 300.000 € Titelprämie pro Spielerin wäre unangemessen und anachronistisch.
Wer will kann diese Zahlen finden, sie werden von der Sporthilfe bzw. vom DFB veröffentlicht und in diversen Medien veröffentlicht und kommentiert. Andere Gender Pay Gaps hingegen sind weniger einfach festzustellen, denn über die Höhe des eigenen Gehalts zu sprechen
ist in Deutschland weiterhin ein Tabu. Doch dieses Tabu zu brechen würde sich positiv auf die Lohnlücke auswirken und dazu beitragen, diese einen Teil zu schließen. (…) Denn nur wer über Gehaltsniveaus informiert ist, kann einschätzen wie sie oder er im Vergleich da stehen und auch beweisen, dass sie oder er ungerecht bezahlt wird.
(Quelle: Equalpaywiki)
Dass Lohntransparenz möglich ist zeigt beispielsweise Schweden, ein Staat in dem es kein Steuergeheimnis gibt. Die zu versteuernden Einkommen fast aller Menschen in Schweden (Ausnahme: König und Königin) sind öffentlich zugänglich, per Telefonanruf beim Skatteverket / Finanzamt oder durch Nachschlagen im jährlichen Taxeringskalender. Ist die geringere Gender Pay Gap in Schweden auf diese Transparenz zurückzuführen? Und wäre das ein Modell für Deutschland? (siehe auch Manager-Magazin: Gehaltstransparenz in Schweden und Zeit: Wie viel verdient mein Kollege?)
Wie wäre das eigentlich, wenn in einem Filmprojekt alle wissen, was Du verdienst, und Du weißt, was alle anderen bekommen? Oder alternativ, wenn die durchschnittlichen Gagen der Frauen und der Männer für jedes Gewerk einer Produktion und vor der Kamera veröffentlicht würden?
Begriffsklärung:
Die meisten haben vermutlich schon Kollegen erlebt, die während der Arbeit rumtrödeln und sich endlos mit anderen über private Dinge unterhalten oder Kolleginnen, die sich stets nur die Rosinen aus der Arbeit rauspicken, – die also subjektiv wahrgenommen weniger arbeiten als wir. Um diese Art von ,ungerechter Bezahlung‘ geht es aber nicht.
- Unequal Pay / Ungleiche Bezahlung bezeichnet die unterschiedliche Bezahlung, z.B. von Frauen und Männern, für die gleiche Arbeit.
- Gender Pay Gap / Geschlechter-Entgeltlücke ist der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Einkommen von Frauen und Männern, u.a. beeinflusst durch die Art der Berufe, Teilzeitarbeit und Pflegeverantwortung. (siehe auch Gender Pay Gap: Government failing to take action)
Gagendisparität in der Filmbranche
Es gibt in der Filmbranche keine Einheitsgagen, weder zwischen den noch innerhalb der Gewerke/n. Die unterschiedliche Bezahlung liegt u.a. begründet:
- Im Filmberuf: viele Gehälter in der Filmbranche sind in Tarifverträgen geregelt und unterschiedlich hoch (siehe auch Film: Frauengewerke, Männergewerke? vom Juli 2014).
- In der Produktionsart. Kino oder Fernsehen, Blockbuster, Indie oder Low Budget, Hauptprogramm oder Vorabend usw.
- Im wöchentlichen bzw. jährlichen individuellen Arbeitsumfang. (siehe auch Kino, Kinder, Karriere: wie familienfreundlich ist die Filmbranche? vom Mai 2014)
- Im Geschlecht. Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern für die gleiche Arbeit kommen auch in der Filmbranche vor.
- Im Status. Manche Gagen werden höher angesetzt bzw. sind frei verhandelbar und nach oben ohne Grenzen, zumindest für einige Filmschaffende.
Ich zitiere aus Kino, Kinder, Karriere:
Satzer (2007) ermittelte für 2006 ein durchschnittliches Bruttojahresentgelt von 38.878 € für männliche, und von 30.119 € für weibliche Filmschaffende. Die Männer verdienen – laut dieser nichtrepräsentativen Umfrage – also 29 % mehr als die Filmfrauen. Diese Gender Pay Gap bestätigen auch Bührmann / Dierschke in ihrer Studie zum ALG I-Bezug von Film – und Fernsehschaffenden 2012. Woran liegt das? Werden frauentypische Gewerke schlechter bezahlt? Handeln Frauen individuell schlechtere Verträge aus? Können Frauen – vielleicht wegen der Familie – nur in weniger Produktionen im Jahr arbeiten? Würden angesichts dieser Zahlen Teilzeitgehälter überhaupt ausreichen, um über das Hartz IV-Niveau hinauszukommen?
Und vor der Kamera? Nach der Untersuchung von Bührmann u.a. (2010) hatten 72 % der Frauen und 64,7 % der Männer 2009 ein Bruttojahreseinkommen von weniger als 30.240 € (aus Film-, Theater- und Synchronarbeit usw). 18,5 % der Männer aber 25,7 % der Frauen ihren Lebensunterhalt nicht vom Schauspielen bestreiten.
Zu beachten ist, dass es für die meisten Film- und Fernsehschaffenden keine Dauer- oder auch nur durchgehende Beschäftigung gibt sondern sie in zeitlich begrenzten Projekten arbeiten. Die Drehzeiträume nehmen ab, die Drehtage werden länger. Nicht nur vor diesem Hintergrund ist eine Vereinbarkeit von Filmarbeit und Familie sehr schwierig. (Gegenwärtig übernimmt in Deutschland nur ein geringer Anteil der Männer Kinderbetreuung oder die Pflege älterer Angehöriger).
Der dänische Schauspieler Christian Tafdrup (bekannt als der TV1-Programmchef-Fiesling Alexander Hjort aus der letzten BORGEN-Staffel) erwähnte am Rande seines Spielfilmregiedebüts beim Filmfest München mit dem Film FORÆLDRE / ELTERN, dass in Dänemark nur acht 8 Stunden am Tag gedreht werden dürfen. Das ist nicht nur für Eltern gut sondern vermutlich generell für die kreative Arbeit. Regisseur Urs Egger schwelgte anlässlich der Verleihung des Hoffnungsschimmer 2015 für seine Produktion DER FALL BRUCKNER, dass wegen der Beteiligung von Kindern die Drehtage kürzer gewesen waren. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.
Ich habe bis jetzt von Gagen und Gehältern geschrieben, aber tatsächlich arbeitet ein Teil der Filmschaffenden, u.a. Regisseur*innen und Kameraleute, in der Regel nicht angestellt sondern freiberuflich und muss sich selbst versichern. Es gibt keine Tarifverträge aber beispielsweise für Regie wurde kürzlich eine „Vergütungsregel für vollfinanzierte 90-minütige fiktionale Auftragsproduktionen des ZDF zwischen der Mainzer Anstalt, der ProduzentenAllianz und dem BUNDESVERBAND REGIE vereinbart“, und darin
„als Grundvergütung ein Basishonorar BVR in Höhe von 27.820 EUR. Das entspricht dem Drehbuch-Regelhonorar, obwohl es für die Regie eine Art avanciertes Mindesthonorar darstellt. Es ist klar, dass erfahrene Regisseure/innen höhere Honorare aufrufen.“
(Quelle: BVR und ZDF vereinbaren Gemeinsame Vergütungsregeln. Ohne Datum)
Und da sind wir schon wieder beim Gender Thema: die beiden bislang vom BVR veröffentlichten Diversitätsberichte (2010-13 und 2014) zeigten eine strukturelle Benachteiligung von Regisseurinnen („sie inszenierten nur 11 % der Sendeminuten im Primetime Programm“) – insofern ist es für Frauen deutlich schwieriger, Arbeit zu finden und honorarrelevante Erfahrungen zu sammeln.
Als Reaktion auf die Arbeit von Pro Quote Regie haben bereits einige Produktionsfirmen ihre Bereitschaft zu Mindestquoten für Regisseurinnen erklärt, vielleicht wird auch noch Lohngerechtigkeit ein Thema, – gemäß der zweite Forderung der o.g. Fair Pay auf dem Gehaltszettel-Petition (HEUTE bezahle ich fair): Verpflichtung, eine festgestellte ungleiche Bezahlung zu beheben.
Auch andere Gewerke sollten unter dem Gender-FairPay-Aspekt genauer betrachtet werden, regelmäßige Leser*innen von SchspIN wissen ja bereits, dass beispielsweise die Beschäftigung von Cutterinnen nicht ihrem Anteil in der Branche entspricht und zwischen dem Frauenanteil im Schnitt von kommerziellen Kinofilmen gegenüber Fernsehen große Unterschiede bestehen (siehe u.a.: Kunst oder Kommerz 2013: Hinter der Kamera und Deutsches Kino 2015: Frauen machen Kostüme und Besetzung). Ob innerhalb eines Produktionstyps (Serie, TV-Film, Kino) Frauen und Männer unterschiedlich bezahlt werden würde durch mehr Gagentransparenz ersichtlich. Gleiches gilt für die übrigen Filmberufe.
Das BFFS-Positionspapier Gender
Der Bundesverband Schauspiel BFFS hat sich im August 2014 (auf Initiative von Julia Beerhold und mir) mit der leider immer noch eher unbekannten Unequal Pay Kampagne. erstmals zum Thema Ungleiche Gagen von Schauspielerinnen und Schauspielern zu Wort gemeldet.
Zwei Jahre später folgt nun der nächste Schritt mit dem 1-seitigen Positionspapier Gender – oder wie der vollständige Titel lautet: Positionspapier zur Situation der Schauspielerinnen in deutschsprachigen Film- und Fernsehproduktionen. Treibende Kraft dahinter war Julia Beerhold, seit Jahren und bis vor kurzem die einzige Frau im BFFS-Vorstand (vergangenes Wochenende wurden die vom Vorstand ausgewählten Nachrückerinnen Bettina Zimmermann und Simone Wagner von der Mitgliederversammlung bestätigt). In der „Bestandsaufnahme“ des Positionspapiers heißt es u.a.:
Der BFFS wertet die anhaltende Benachteiligung von Schauspielerinnen als nicht hinnehmbar und verpflichtet sich, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Gleichstellung von Schauspielerinnen in ihrem beruflichen Umfeld herbeizuführen.
Das Papier enthält drei Forderungen und vier Strategien. Zur Lohngerechtigkeit heißt es:
2. Vergütung: Der BFFS will geschlechterunabhängige gleichwertige Vergütungen und damit ein ausgeglichenes Vergütungsverhältnis zwischen Schauspielern und Schauspielerinnen.
Ein Großteil der Schauspieler*innen kann heute nicht von ihrem Beruf leben. Unterschiedliche Jahreseinkommen liegen u.a. an den eingangs genannten Gagendisparitätsgründen Arbeitsumfang, Geschlecht und Status:
Der mögliche ARBEITSUMFANG ist beeinflusst vom unterschiedlichen Rollenangebot für Frauen und Männer (siehe die Auswertungen im Unterkapitel TV: Frauen- und Männerrollen, Quantität und Alter in Das Besetzungstool NEROPA vom 20.1.16) und der persönlichen, u.a. familiären Situation.
Der tatsächliche Arbeitsumfang hängt u.a. mit dem Marktwert zusammen, wie auch immer dieser ermittelt bzw. aufgebaut wird, und der jeweiligen Erfahrung. Wer schon viel gedreht hat wird häufiger besetzt als Kolleg*innen mit kürzerer Vita, auch bei kleineren Rollen. Bei der Podiumsdiskussion „Focus Casting: Wer passt warum zur Rolle?“ des Castingverbands BVC beim diesjährigen Münchner Filmfest wurde u.a. berichtet, dass selbst die Anzahl der Follower in sozialen Netzwerken zur Ermittlung des Marktwertes berücksichtigt wird. Ein hoher Marktwert soll viele Zuschauer*innen bzw. eine hohe Einschaltquote bedeuten.
Was außerdem den möglichen Arbeitsumfang weniger prominenter Schauspieler*innen negativ beeinflusst: Aus Kostengründen werden mitunter öffentlich-rechtliche Produktionen ins Ausland verlegt. Das führt zu weniger Arbeit für in Deutschland gemeldete Filmschaffende hinter der Kamera ebenso wie für Schauspieler*innen. Die Hauptrollen werden in Deutschland besetzt, und vielleicht noch einige wichtige Nebenfiguren. Alle übrigen werden vor Ort zu niedrigeren Gagen bzw. mit regionaler Zusatzförderung gecastet. Das erschwert den Dreh, denn der Hauptcast spielt auf deutsch und die übrigen in ihrer jeweiligen Sprache (es wird nachsynchronisiert). Und zum anderen schrumpfen die Rollenangebote für Schauspieler*innen hier.
Dazu kommen noch verkürzte Drehzeiten: aus 15 Drehtagen werden 12, aus 4 Drehtagen mal schnell 3 oder gar 2, manche Rollen werden zusammengelegt, mit der Produktionsassistenz besetzt oder ganz gestrichen und ihr Text auf andere Rollen verteilt. Auch von Sondergagen sind Nebenrollen stärker betroffen, das hängt teilweise auch mit den Hauptrollen zusammen, z.B. so: für die Besetzung eines Fernsehfilms steht die Summe X zur Verfügung. Die übliche Gage der beiden Hauptdarsteller*innen schluckt bereits einen Großteil dieses Budgets. Also müssen Caster*innen bei den übrigen Rollen sparen. Wenn dann z.B. für eine 3-Tage-Rolle erfahrenen Schauspieler*innen „ausnahmsweise und leider“ nur 1.300 € Tagesgage oder noch deutlich weniger angeboten wird, können die Angefragten zwar sagen „Dafür arbeite ich nicht, meine Tagesgage liegt bei 1.800 €“ – doch die Erfolgsaussichten sind gering, denn es gibt genügend Kolleg*innen, die die Rolle zu diesen Konditionen übernehmen („besser als gar keine Arbeit“). Anders bei den Hauptrollen, denn da will die Produktion / die Redaktion / der Sender ein bestimmtes Gesicht, lässt sich das einiges kosten und nimmt Unnehmlichkeiten in Kauf. Zu letzteren zählt auch, dass Hauptdarsteller*innen – anders als z.B. in Frankreich oder Großbritannien – nicht unbedingt im gesamten Drehzeitraum (DZR) disponierbar sind, wenn sie parallel in einem anderen Projekt vor der Kamera stehen, der Drehplan also um sie herum gebaut werden muss. (Schlimmstenfalls werden Projekte komplett verschoben). Und da erschwert es die Planung, wenn Nebenrollen auch noch Sperrtage anmelden, sie sollten idealerweise – selbst bei 2 Drehtagen – im gesamten DZR flexibel abrufbar sein. (Es gibt natürlich auch TV-Produktionen, bei denen der gesamte Cast eine reduzierte Gage erhält.)
GESCHLECHT: Nicht immer aber noch immer erhalten Frauen und Männer für vergleichbare Rollen unterschiedliche Tagesgagen. Das können beispielsweise die beiden Hauptrollen in einem 90-min. Fernsehkrimi ebenso sein wie Nebenfiguren mit gleichem Rollenumfang. Betroffene gehen damit selten an die Öffentlichkeit, u.a. deshalb entstand die BFFS Unequal Pay-Kampagne.
Allerdings gibt es Beispiele aus dem Ausland. In der Netflix Serie HOUSE OF CARDS erhielten ursprünglich Robin Wright und Kevin Spacey unterschiedliche Gagen für die gleichwertigen Hauptfiguren Claire und Frank Underwood. Dass Robin Wright diesen Missstand nach einiger Zeit beenden konnte liegt u.a. an Transparenz – sie wusste von der ungleichen Bezahlung – und ihrer privilegierten Situation, sie spielte eine tragende Hauptfigur, die dazu noch in Meinungsumfragen die beliebtere war. Also drohte sie, an die Öffentlichkeit zu gehen – was sie nachträglich trotzdem machte – und bekam das gleiche Geld. Ob auch rückwirkend die Gagendifferenz ausgeglichen wurde weiß ich leider nicht. Das war ein klarer Fall von Ungleicher Bezahlung, – und auch vom Gender Pay Gap, denn Wright spricht von einem Zusammenhang zwischen ihrem geringeren Marktwert und ihrer Familienzeit:
“Weil ich nicht Vollzeit arbeitete konnte ich auch nicht meine Gehaltsstufe weiter ausbauen. Wenn Du da nicht dran bleibst, an Deiner Bekanntheit und Deiner Präsenz, dann gehörst Du nicht mehr dazu. (…) Du hast dann nicht den gleichen Wert denn Du hättest wenn Du vier Filme im Jahr drehst wie es Nicole Kidman und Cate Blanchett gemacht haben, während ich meine Kinder aufzog. Jetzt mache ich so eine Art Come-back mit 50.”
The Guardian 18.5.16 Robin Wright says she had to fight for equal pay on House of Cards
Ein weiterer Aspekt bei den ungleichen Gagen von weiblichen und männlichen Hauptrollen ist, dass sie nicht unbedingt immer gleich umfangreich sind. So kann es sein, dass der Mann aus einem Krimi-Ermittlungsduo einen wiederkehrenden Subplot hat, die Frau aber nicht, was zur niedrigeren Tagesgage auch noch weniger Drehtage bedeutet. (Einen Extra-Subplot kann es natürlich auch umgekehrt geben.)
Das Geena Davis Institute on Gender in Media hat gerade den Geena Davis Inclusion Quotient GDIQ, vorgestellt, ein Software Tool, das Audio und Videoinhalte automatisiert auswerten soll um so die Bildschirmpräsenz und Sprechzeiten von Rollen zu ermitteln. (siehe An Automated Analysis of Gender Representation in Popular Films). Wenn das funktioniert erspart es den Analyst*innen die aufwändige Arbeit mit Stoppuhr und Notizblock vor einem Monitor.
Die Rollen lassen sich allerdings auch per statistischer Drehbuchauswertung zu Beginn einer Produktion analysieren (z.B. Anzahl der gesprochenen Wörter und Anzahl der Bilder in denen eine Rolle vorkommt). Dieser Weg hätte den Vorteil, dass noch vor Drehbeginn korrigierend eingegriffen werden könnte, sollte beispielsweise das Hauptpaar deutliche Schlagseite aufweisen oder generell die Frauenrollen seltener auftreten. In digitalen Zeiten ist diese Art der Analyse keine große Sache, sie muss allerdings von der Produktion gewollt sein, – der GDIQ geht auch von außen.
Der STATUS als dritter Grund für ungleiche Bezahlung von Schauspieler*innen hat weniger mit dem Geschlecht zu tun als mit dem Bekanntheitsgrad oder Marktwert der Schauspieler*innen bzw. ihrer (Nicht-)Austauschbarkeit.
Hauptrollen haben die meisten Drehtage und die höchsten Tagesgagen in einer Produktion, wobei sie nicht unbedingt alle gleich viel verdienen. Nebenrollen haben (deutlich) weniger Drehtage und zumeist auch niedrigere Tagesgagen. Wer seltener dreht kann sogar in der Standardgage für öffentlich-rechtliches Fernsehen zurückgestuft werden. Figur A und Figur B können in einer wichtigen Szene gleichwertig vorkommen und mit Schauspieler*innen derselben Agentur besetzt aber deutlich unterschiedlich bezahlt werden, da Figur A insgesamt nur 3 Drehtage hat und Figur B als Hauptrolle mit einem ,Zugpferd’ besetzt wurde.
Ich nenne dieses Phänomen den Status Pay Gap. Die Zeichnung zeigt ein Größenverhältnis von 3:1, das kann bei den Tagesgagen aber leicht noch größer sein.
Regisseur Thomas Stuber sagte auf der o.g. BVC-Veranstaltung „Focus Casting“: „Beim ZDF kommen fünf bis acht Frauen für die weiblichen Hauptrollen in Frage. Wer das ist ändert sich alle paar Jahre. Das ist kein bestimmter Frauentyp.“ Zu dem Pool für männliche Hauptrollen sagte er nichts, es dürften aber mehr Schauspieler sein. Casterin Anja Dihrberg ergänzte: „Die Sender sagen ,Das funktioniert bei uns’. Es gibt keine 10.000 Leute, die Hauptrollen spielen könnten.“ Caster Clemens Erbach findet das Problem der Film-Besetzung grundsätzlich
„zu komplex, um es in wenigen Zeilen hinreichend zu erklären.“ Er könne die Leier von den wenigen Schauspielern, die anderen die Rollen wegnähmen, eigentlich nicht mehr hören. Vielleicht seien manche Schauspieler einfach wirklich besser als andere, provoziert Erbach und natürlich würde er bestimmte Schauspieler, von denen er besonders überzeugt sei, häufiger anfragen als andere. „Das hat aber dann ausschließlich mit deren Qualität zu tun“.
Quelle: Jörg Seewald: Immer die gleichen Gesichter im TV. Der Tagesspiegel – 23.2.16
Für die Masse der Schauspieler*innen bleiben also nur kleine/re Rollen und eine schwache, fortdauernde Hoffnung auf den Durchbruch. Gewiss sind nicht alle Schauspieler*innen einer Altersgruppe oder eines Typs, die die gefragten Fähigkeiten für eine Rolle mitbringen, gleich gut und gleich geeignet. Aber mehr als 25 gibt es schon, denn so schlecht sind weder die Ausbildung noch die Talentsituation in Deutschland. Und auch das Fernseh- und Kinopublikum hat weniger gegen Schauspiel-Abwechslung, als manche Macher*innen glauben. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.
Was nicht unerwähnt bleiben soll: bei der Besetzung agiert auch Entscheider*in Zufall mit. In der letzten Castingrunde sind alle geeignet und ,gleich gut’, da kann die Haarfarbe oder Körpergröße mal eben den Ausschlag geben, und dann gehen die Nummern zwei bis fünf leer aus und während die Nummer eins die Rolle bekommt…
Uwe Jean Heuser („Das Märchen von der Gerechtigkeit“, DIE ZEIT. 22. 9.16) spricht von der Ideologie der vermeintlichen Leistungsgerechtigkeit – anhand des Beispiels von Internet Start-Up Firmen: „Der Sieger ist zwar nur ein bisschen klüger, fleißiger, härter als die anderen, aber um Millarden reicher. (…) Zwar muss da niemand Mitleid mit den Verlierern haben, aber wichtig bleibt das Prinzip: Weil jemand eine Spur besser ist als andere, streicht er ungleich mehr Geld ein.“
Bleibt festzuhalten, dass die Schere der Schauspielgagen (= Anzahl Drehtage mal Tagesgage) für große und kleine Rollen in einer Produktion weit auseinanderklafft, dieser Status Pay Gap kann schnell der Faktor 40 erreichen, wie in diesem Bildausschnitt dargestellt:
Nein, das stimmt nicht, das zeigt nur den Faktor 20.
Lisa Basten merkt in ihrem Buch WIR KREATIVE! DAS SELBSTVERSTÄNDNIS EINER BRANCHE (Frank & Timme. Berlin 2016) an: „Interessant ist, dass das Bild des armen Künstlers funktioniert, obwohl gleichzeitig akzeptiert wird, dass manche mit großen Namen exorbitant viel verdienen.“
Aber zurück zum Gender-Positionspapier des BFFS und der ersten Forderung:
1. Rollenbesetzung: Der BFFS fordert ein ausgeglichenes Verhältnis bei der Rollenbesetzung, und zwar auf qualitativer und quantitativer Ebene. In der Gesamtheit der fiktionalen Produktionen, die ein Sender beauftragt, sowie in der Gesamtheit der mit öffentlichen Mitteln geförderten Filmwerke sollten die Gesamtanzahl der weiblichen (Haupt-)Rollen und die Gesamtanzahl der männlichen (Haupt-) Rollen ein ausgewogenes Bild ergeben.
Alle Produktionen sollen genauso viele weibliche wie männliche Hauptrollen haben, desgleichen bei den Nebenrollen, so dass die Gesamtzahlen der Rollen pari stehen.
Dieses Ziel ist sehr wichtig, – es kann rein statistisch betrachtet allerdings nur erreicht werden, wenn die Sender mehr frauenlastige Stoffe produzieren, denn Filme mit männerlastigen Hauptcasts gibt es schon jede Menge (siehe hier). Wie dem auch sei, mehr Frauenrollen als bisher führt zu einem höheren Einkommen der Gesamtheit der Schauspielerinnen – und gleichzeitig zu einer Abnahme des Gesamteinkommens der Schauspieler – so dass sich die Gesamtvergütungen der Geschlechter annähern. Und noch einmal die 2. Forderung:
2. Vergütung: Der BFFS will geschlechterunabhängige gleichwertige Vergütungen und damit ein ausgeglichenes Vergütungsverhältnis zwischen Schauspielern und Schauspielerinnen.
Hier sind noch einige Fragen offen. Sollen die Hauptdarsteller*innen gleich viel pro Film verdienen oder gleich hohe Tagesgagen haben? Kriegen die mit weniger so viel wie die mit viel, oder treffen sie sich in der Mitte? Ist die Forderung bereits erfüllt, wenn die weiblichen und männlichen Hauptdarsteller*innen gleich viel verdienen und die Nebenrollen weiter sehr viel weniger, aber auch wieder Frauen und Männer gleich (pro Drehtag oder in der jeweiligen Summe)?
Seine Strategie beschreibt der BFFS folgendermaßen:
- Verbindliches Monitoring bei Sendern und Förderanstalten (Besetzung. Gesamtvergütung)
- Änderungen im Filmfördergesetz FFG (mehr Frauen in die Vergabegremien)
- Rollenbezeichnungen
- Schauspieltarifvertrag bzw. Manteltarifvertrag (Elterngeld. Filmausfallversicherung)
Der Punkt Rollenbezeichnungen:
Nebenrollen sollen immer einen vollen Namen haben und paritätisch besetzt werden: Rollen, deren Geschlecht für die Handlung keine entscheidende Bedeutung hat, sollen im Drehbuch anstatt einer allgemeinen, meist männlichen, Bezeichnung („Taxifahrer“) einen realen Namen erhalten (z.B. „Laura Müller“). Dabei ist auf Parität zu achten.
ist die direkteste der genannten Strategien, und beschreibt – Ihr werdet es wahrscheinlich schon gemerkt haben – mein Besetzungstool NEROPA Neutrale Rollen Parität. Das macht auch Sinn, denn es ist ein niederschwelliges Angebot, mit dem sofort und ohne grundsätzliche Veränderung eines Drehbuchs / eines Plots der Anteil an Frauenrollen im Cast erhöht werden kann. Ich freue mich sehr, dass mein Verband BFFS sich für diesen Weg stark machen will. Etwas weniger erfreulich finde ich, dass NEROPA nicht genannt ist, aber hoffe, dass dies noch nachgeholt wird, – vielleicht ja sogar als Überschrift des Unterpunktes? Denn „Rollenbezeichnungen“ sind keine genderpolitische Strategie. Hätten alle Rollen einen Namen gäbe es nicht eine Frauenrolle mehr. Ob Rollennamen über die Vita der Schauspieler*innen hinaus in jedem Fall Sinn machen oder das nicht doch in der Entscheidung der Drehbuchautor*innen bleiben sollte ist ein Thema für einen anderen Tag.
Mit dem NEROPA-Check sollen natürlich ALLE Rollen einer Produktion überprüft werden, auch die Hauptrollen, nicht nur die namenlosen kleinen. NEROPA kann helfen, auf allen Ebenen das Rollenungleichgewicht eines Films auszubalancieren – und so auch das Einkommen von Schauspielerinnen zu erhöhen.
Epilog: Im 21. Jahrhundert – Männer und Frauen, Haupt- und Nebenrollen
„Ganz klar: wir wollen eine Solidargemeinschaft. Wir sind dafür, dass die, die etwas haben, zu denen wir ja auch teilweise gehören, denen etwas abgeben, die weniger haben.“
Dieses Zitat von BFFS-Vorstandsfrau Julia Beerhold (cn-Interview 2009) stand in einem etwas anderen Zusammenhang, es ging um Sozialversicherungen und kurzfristig Beschäftigte, jedoch passt es auch hier und die Vorstellung der Filmbranche als Solidargemeinschaft ist ein schönes Bild. Eine weitere Anregung liefert Rauschiff Enterprise. Wie sagte noch Captain Kirk im Vorspann jeder Folge?
„Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“
Der Originaltext lautet: „… um kühn dorthin zu gehen, wohin nie zuvor ein Mensch gegangen ist“. Um FairPay / Gerechte Bezahlung zu erreichen müssen auch in der Fernsehbranche neue Wege beschritten werden, also wagen wir ein kühnes Gedankenspiel.
In der nächsten Abbildung zeigen die linken vier Säulen schematisch, wie es aktuell bei freier Verhandlung der Gagen und ohne Gagenobergrenzen aussieht. In diesem Modell hat der Hauptdarsteller mit 5.000 € eine höhere Tagesgage als die Hauptdarstellerin mit 4.000 € (Gender Pay Gap). Die größere Nebenrolle bekommt 2.000 € und die kleine Nebenrolle 750 € pro Drehtag (DT). Die DT-Gagenlücke zwischen kleiner und großer Rolle ist wesentlich größer als die zwischen Schauspielerin und Schauspieler bei vergleichbaren Rollen – eine Art antonymer Mengenrabatt: je mehr Drehtage desto höher die Tagesgage.
Das mittlere Modell hat gestaffelte Tagesgagen von 1.500 €, 3.000 € bzw. 4.500 €, und das rechte Modell geht von 3.000 €-Einheitstagesgagen aus.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die 3 Kategorieklassen der GVL vorstellen. Dort werden Schauspieler*innen nach dem Anteil ihrer DT an den Gesamtdrehtagen einer Produktion unterschieden. Die Mittlere Kategorie B umfasst alle Schauspieler*innen, die an 20 bis 40 % der Drehtage dabei waren, die Kategorie A und C liegen darüber bzw. darunter.
Für unser Beispiel gehen wir von einem 90-Minüter mit 21 Drehtagen aus. Nebenrolle 1 hat 2 Drehtage (= Kategorie C), Nebenrolle 2 hat 5 DT (Kategorie B, die geht von 5 bis 8 DT) und die Hauptrolle hat 12 DT (Kategorie A).
Die folgende Abbildung zeigt die Gesamtgagen für die Schauspieler*innen:
Logischerweise – denn die Anzahl der Drehtage ist entscheidend – bekommen in allen drei Modellen die Hauptrollen deutlich mehr Geld als die Nebenrollen, ihr Status ist also gewahrt.
Wir sehen außerdem im linken Modell den deutlichen Gender Pay Gap von 12.000 € (bei gleicher Anzahl der DT). NR 1 bekommt 1.500 € für 2 Tage und damit 1/40-tel (= 2,5 %) der Gage der männlichen Hauptrolle, NR 2 bekommt 1/6 (= 16,7 %) der männlichen HR.
Im mittleren Modell gibt es neben den gestaffelten Tagesgagen auch noch eine Gagenobergrenze von 50.000 €. Ohne sie würden die Hauptrollen bei 12 DT eigentlich 54.000 € bekommen. NR 1 bekommt 3.000 €, das sind ca. 6 % der HR-Gesamtgage, NR 2 verdient 15.000 € und damit knapp 1/3 der HR-Gage. Das Staffelgagenmodell könnte weiter ausgebaut werden und z.B. die Dauer der individuellen Berufstätigkeit und / oder das jeweilige Alter berücksichtigen. Die Dreherfahrung hingegen wäre eine schlechte Bezugsgröße, denn angesichts der männerlastigen Casts würden fast alle Schauspielerinnen automatisch schlechter eingestuft.
Im Einheitsgagen-Modell sind die Gagen näher aneinander gerückt mit 6.000 €, 15.000 € und 36.000 €.
Wenn wir Faire Bezahlung von Filmschaffenden wollen – auch von Schauspieler*innen, muss die Branche und auch unser Verband BFFS als Interessenvertretung aller Schauspieler*innen zweierlei angehen: Schließung des Gender Pay Gap für alle Gewerke und Rollenklassen sowie Minderung des Status Pay Gap.
Mögliche kühne Schritte – z.B. für eine Produktion – wären:
- Freiwillige Selbstverpflichtung, Frauen und Männer vor und hinter der Kamera für gleiche Arbeit gleich zu bezahlen. („Heute bezahle ich fair“)
- Einführung von Gagentransparenz, Veröffentlichung der Durchschnittsgagen von Frauen und Männern je Gewerk.
- Durchführung des NEROPA-Checks für die komplette Besetzungsliste (Neutrale Rollen Parität).
- Kalkulation des Schauspielbudgets mit unterschiedlichen Modellen, z.B. Staffelgagen analog der GVL-Kategorien. Einführung von Gagenobergrenzen sowie Aufstockung von kleinen Rollen (= Umverteilung). Statt Streichung bzw. Zusammenlegung kleiner Rollen eine etwaige Erweiterung prüfen. Differenziertiertheit auch bei kleinen Rollen gibt dem Film mehr Tiefe.
Noch einmal zurück zur letzten Abbildung. Im Modell I sind zwei weitere Werte (roter und blauer waagerechter Strich) eingezeichnet, die hypothetischen Honoare einer Regisseurin (30.000 €) und eines Regisseurs (50.000 €), basierend auf in verschiedenen Zusammenhängen genannten Zahlen. (Die o.g. Vergütungsvereinbarung geht von einem Basishonorar von 27.820 € aus, es gibt sicher auch Produktionen und Reihen, bei denen Regisseuren und Regisseure das gleiche verdienen.) Was bedenkenswert ist: Die Regie arbeitet zwischen drei und sechs Monaten an einem Film mit Vorbereitung, Drehzeit und Postproduktion. In der Zeit kann i.d.R. kein zweites Projekt übernommen werden. Schauspieler*innen arbeiten natürlich mehr als die Anzahl ihrer Drehtage an ihren Rollen, aber wie viel? Das 3-Fache, das 5-Fache? Wie ist es zu bewerten, wenn Hauptdarsteller*innen in einer Fernsehproduktion mehr verdienen als die Regie, die sich dazu noch selbst versichern und Altersvorsorge treffen muss? Nochmals, es geht um das öffentlich-rechtliche, durch den Rundfunkbeitrag finanzierte Fernsehen, das nicht – auch wenn es oft anderes dargestellt wird – dem Diktat der sogenannten Einschaltquoten folgen muss. Kino kennt andere Gesetzmäßigkeiten und unterliegt einem stärkeren kommerziellen Druck. Da macht das Zugpferdemodell eher Sinn. Früher wie heute:
Schauspieler Cary Grant erhielt für seine Rolle in dem Film ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA / TO CATCH A THIEF deutlich mehr Geld als Regisseur und Produzent Alfred Hitchcock (50.000 $). Das lag u.a. daran, dass Grant 10 % der Einnahmen des Films bekam (gut 700.000 $) – mit dieser Vertragsklausel war er war einer der ersten, die eine Gewinnbeteiligung aushandelte. (Quelle McCann, Graham (1997). Cary Grant: A Class Apart. Zitiert nach der engl. Wikipedia).
Vermutlich wird der eine oder die andere jetzt „Neiddebatte!“ rufen – was allerdings ein Totschlagargument ist. Warum nicht über Topgagen und Armut, über das wachsende Gagengefälle unter Schauspieler*innen sprechen, über ungleiche Arbeitsmöglichkeiten und ungleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit? Immerhin, Schauspieler*innen, egal ob sie zur kleinen Gruppe der ARD/ZDF-Gesichter gehören, zu den mäßig beschäftigten Nebendarsteller*innen oder zu denjenigen, die auf ,den’ Anruf warten, haben alle denselben Beruf (anders als z.B. Zahnärztin – Zahnarzthelfer – Zahntechnikerin) und wollen alle das gleiche. Schauspielen.
Die Forderung „Gagenobergrenzen und Umverteilung von oben nach unten“ ist indes nichts Neues; so schrieb z.B. vor acht Jahren der US-Schauspieler Peter Coyote einen offenen Brief an die Top Stars der US-Schauspielbranche (Peter Coyote’s Open Letter to Lead Actors), in dem er sie zum Handeln auffordert.
Nachtrag:
Bei einer der repräsentativen Befragungen von Volkswirtin Carina Engelhardt „gaben 83 % der Teilnehmer an, sie seien für mehr Umverteilung. Auch die meisten Besserverdiener waren dafür – allerdings in der Überzeugung, sie stünden in der Einkommenshierarchie nicht besonders weit oben. Klärte die Forscherin sie über den Irrtum auf und sagte ihnen, dass sie die Umverteilung mitfinanzieren müssten, änderten sie schlagartig ihre Meinung.“
Kolja Rudzig. Reich sind immer die anderen. DIE ZEIT Nr. 40, 22. Sept. 16
Noch immer sind wir mit einem Gender Pay Gap von 21 Prozent unter den Schlusslichtern in Europa, noch immer ist es in Deutschland schwierig, Familie und Beruf zu vereinbaren, und noch immer fehlen Frauen in bestimmten Berufen, Branchen und auf den höheren Stufen der Karriereleiter. Dabei steht fest, dass Gleichberechtigung und faire Löhne nicht nur für Frauen Vorteile bringen, sondern auch Männer und die Wirtschaft profitieren. Chancengleichheit stärkt die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Henrike von Platen. FairPay-Expertin Forum Equal Pay Day, Past-Präsidentin BPW Germany
Kämpfen macht Spaß. Und wer die Verhältnisse ändert, ändert auch sein Leben. Dazu braucht es allerdings Mut, Kreativität und die Bereitschaft zur Solidarität – vielleicht auch ein bisschen Sturheit.
Stefan Nowak. Laudator Starker Einsatz-Preis 2014
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