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Gedanken einer Schauspielerin

Filmgewerke – 2017 – Film Professions

Im Juni 2014 hatte ich über 32 Teampositionen am Filmset hinter der Kamera und 2 Positionen vor der Kamera geschrieben und dazu die entsprechenden Datenbankeinträge von Crew United ausgewertet (Film: Frauengewerke, Männergewerke?). Heute gibt es eine Aktualisierung für 2017, sowohl für  Gewerke als auch für Schauspieler*innen (inklusive Altersverteilung, Grundlage sind hier die Datenbanken von Filmmakers und der ZAV Künstlervermittlung).
In den Filmberufen finden prozentual weniger Frauen Arbeit als zur Verfügung stehen. Das Frau-Mann-Verhältnis im Schauspielberuf ist keineswegs ausgeglichen.

Referenzwerte für statistische Filmanalysen

Für meine Auswertungen von Filmgruppen (z.B. Top 100 Kinofilme, TATORTE, Fernsehfilme der Woche, Filmpreisnominierungen) habe ich in der Vergangenheit neben der 50 %-Linie meist zwei Referenzwerte angegeben, den Frauenanteil im soweit vorhanden jeweiligen Berufsverband und den Frauenanteil in dem Gewerk in der Crew United Datenbank. Diese wurden in den meiste Fällen bei den von mir untersuchten Filmgruppen nicht erreicht, wie beispielsweise die folgende Abbildung zeigt, auf der die Frauenanteile für sieben Gewerken der Top 100 deutschen Kinofilme 2012 bis 15 dargestellt sind:

Gelbe Linie = 50 %, rote Quadrate = Frauenanteil in der Datenbank Crew United.

Frauen sind im Vergleich zu ihrem Anteil im Gewerk unterrepräsentiert. Dies gilt – vielleicht überraschenderweise? – nicht nur für die Gewerke, in denen ihr Anteil deutlich unter 50 % liegt. Auch in den ,Frauengewerken‘ Kostümbild (91 %) und Besetzung (87 %) werden Männer überproportional engagiert. Diese Daten habe ich zuletzt vor drei Jahren beschrieben, deshalb wird es Zeit für ein Update. Vincent Lutz von crew united München hat mir 2017 dankenswerterweise die absoluten Datenbankeinträge weiblicher und männlicher Filmschaffender für 34 Gewerke zur Verfügung gestellt.

34 Gewerke

Die folgende Bildergalerie zeigt zunächst die prozentualen Frauen- (hellblau) und Männeranteile (rosa) für alle Gewerke, jeweils 2014 und 2017. Danach werden sie in 6 Gruppen (Logistik, Idee, Bild, Look, Tuning und Spiel) zusammengefasst. Dargestellt sind die Frauenanteile für 2017 (volle Säulen) und 2014 (gestreift).
Bei der Datenzusammenstellung

werden ausschließlich aktive Basic- und Premiummember berücksichtigt, also nur Member mit einem eigenen Profil (…), von Dritten bei Filmprojekten eingetragene Regisseure und Kamerafrauen, Schauspielerinnen und Kostümbildner usw. ohne eigenes Crew United Profil werden in den Statistiken nicht berücksichtigt.
(aus Film: Frauengewerke, Männergewerke?)

Die Abbildungen der einzelnen Gruppen zeigen die Frauenanteile in den Gewerken für 2017 (volle Säulen) und 2014 (gestreift).

Ob die Unterschiede zwischen 2014 und 2017 Trends darstellen lässt sich aus dem Datenmaterial nicht schließen. Deutlich wird jedoch, in welchem Verhältnis Frauen und Männer in den Filmberufen arbeiten. Es liegen leider keine Daten zum Alter der Filmschaffenden vor, deshalb ist es auch schwierig über Berufseinsteiger*innen und -aussteiger*innen zu sprechen, ob sich diese Zahlen über die Jahre verändert haben und ob bzw. wie sie sich für die Geschlechter unterscheiden. Berufsanfänger*innen lassen sich zumindest teilweise über Ausbildungszahlen ermitteln.

Ausbildung

Dank zweier im Februar von der FFA vorgestellter Studien (Gender und Film, Gender und Fernsehfilm) liegen Ausbildungszahlen für 7 Gewerke vor, immerhin. Insgesamt verlassen jährlich ca. 250 Absolvent*innen die Filmschulen, darunter 60 bis 70 im Fach Regie. Die folgende Tabelle stellt ihre Frauenanteile [%] den entsprechenden Werten aus der Crew United Datenbank gegenüber, wir sehen  teilweise große Unterschiede zwischen Berufseinsteiger*innen und langjährig Aktiven.

Frauenanteil in %. Quelle: FFA Studie Gender und Film, und Crew United

In „Gender und Fernsehfilm – eine Studie der Universität Rostock und des Fraunhofer-Instituts im Auftrag von ARD und ZDF“ werden die Zahlen folgendermaßen kommentiert (Hervorhebungen von mir):

Vergleicht man die heutige Situation auf dem Arbeitsmarkt mit den Zahlen der Absolventinnen und Absolventen, die vor 15 bis 20 Jahren ihren Abschluss an den Filmhochschulen machten und somit heute gefestigt im Berufsleben stehen könnten, wird deutlich, dass sich die Zahlen der Alumni und der aktuell Studierenden hinsichtlich der Geschlechterverteilung kaum unterscheiden. Damals wie heute finden sich in den Bereichen Ton und Kamera überwiegend Männer. Der Anteil von Frauen sowohl unter den Regie-Studierenden als auch bei den Regie-Alumni liegt gleichbleibend bei 44 %. Auch im Bereich der Szenografie bleibt die Geschlechterverteilung mit einem Frauenanteil von 65 % zu beiden Zeitpunkten auf einem ähnlichen Niveau. Heute belegen mehr Frauen den Studiengang Produktion, dafür deutlich weniger Frauen den Studiengang Schnitt. Lag der Frauenanteil der Schnitt- bzw. Montage-Alumni vor 15 bis 20 Jahren bei 82 %, so sind aktuell 51 % weibliche Studierende in diesen Studiengängen vertreten. (Quelle)

Bezüglich dem Wandel im Schnitt vertritt die Cutterin Sabine Brose die Auffassung, dass durch die Digitalisierung in der Schnittkunst der Beruf für Männer attraktiver wurde und deshalb ihr Anteil angestiegen ist. Für die anderen Fächer sind die Anteile unter den Studierenden relativ konstant.
Und was ist mit den anderen Filmberufen, was mit freien Filmschulen, Filmschaffenden ohne formale Ausbildung oder jenen die einen Quereinstieg oder Berufswechsel innerhalb der Branche vollziehen? Nehmen wir meine Kollegen Til Schweiger und Matthias Schweighöfer, die beide auch als Regisseure und Produzenten agieren. Sie sind irgendwann in diese Berufe eingestiegen, haben aber dafür keine Filmschulen besucht. Und sie sind nicht die einzigen, die zeitweise aus dem Schauspiel- ins Regiefach wechseln. Wie ist da eigentlich die Frauen-Männer-Verteilung? Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

Über Regie wird ja – auch Dank der Initiative von Pro Quote Regie – viel gesprochen und der 42 – 44 % Frauenanteil unter den Absolvierenden dürfte bekannt sein. Ebenso, dass der Frauenanteil in der Regiepraxis, in den Filmen, bei der Auftragsvergabe deutlich niedriger ist. Dieses Ausbildung-Praxis-Gefälle gibt es auch bei anderen Filmberufen hinter und vor der Kamera.
Wir bräuchten mehr Daten, zur Altersverteilung in den Gewerken, möglichen Kindern u.a.m. Erst dann könnten Thesen wie „es werden jetzt mehr Frauen ausgebildet als vor 20 Jahren“ oder „Frauen verlassen die Branche, wenn sie Kinder bekommen und schaffen den Wiedereinstieg nicht“ sinnvoll diskutiert werden (siehe auch Kino, Kinder, Karriere: wie familienfreundlich ist die Filmbranche?).

Schauspiel

Es heißt oft, im Schauspiel sei wie in unserer Gesellschaft das Frau-Mann-Verhältnis zahlenmäßig ausgeglichen, die folgende Tabelle suggeriert etwas ähnliches, sie zeigt die Frauen- und Männeranteile in den Datenbanken von Filmmakers und Crew United / Schauspielervideos sowie die von der ZAV Künstlervermittlung vertretenen Filmschauspieler*innen.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn es gibt ein ähnliches Phänomen wie bei den von der FFA untersuchten Filmgewerken Regie, Kamera und Ton: der Frauenanteil unter den Berufsanfängerinnen ist deutlich höher als unter den insgesamt Aktiven.
Hierzu betrachte ich nicht die Absolvierenden an den staatlichen Schauspielschulen, denn die orientieren sich oft an dem an Theatern üblichen 2:1-Schlüssel (die klassische und leider auch in großen Teilen zeitgenössische Theaterliteratur und somit die Spielpläne an den Häusern ist deutlich männerlastig). Außerdem haben gerade Filmschaupieler*innen die verschiedensten Werdegänge, sei es „ganz ohne jegliche Ausbildung“ (wie manche Kolleg*innen gerne von sich sagen), sei es über Workshops, Privatschulen, bei einem Straßencasting entdeckt, vom Musikfernsehen abgeworben und so weiter. Ich habe deshalb bei Filmmakers die am 1.1.17 25-Jährigen (Jahrgang 1991) und die 24- bis 27-Jährigen analysiert, bei der ZAV-Kartei gibt es Daten nur in 5 bzw. 4-Jahres-Gruppen, da habe ich die 22- bis 25-Jähringen und die 22- bis 30-Jährigen zusammengefasst. Diese Tabelle zeichnet ein anderes Bild:

Der Frauenanteil liegt in den Einstiegsjahrgängen deutlich höher als im Durchschnitt der Gesamtgruppe, die Differenz beträgt 7,3 bis 11,5 % Prozentpunkte. Und wenn wir einzelne Jahrgänge vergleichen wird die tatsächliche Situation deutlich: unter den 30-Jährigen ist der Frauenanteil noch 58,5 %, bei den 55-Jährigen nur noch 36,8 %.
Die beiden folgenden Abbildungen stellen die die absoluten Zahlen von Schauspielerinnen (hellblau) und Schauspielern (rosa) nach Geburtsjahr (links, Quelle Filmmakers) bzw. zusammengefasst in 5 Jahrgängen (rechts, Quelle ZAV).
Auffällig ist, dass die Männerjahrgänge von 1990 (die am 1.1.17 26-Jährigen) bis 1963 (die 53-Jährigen) auf einem ähnlichen Plateau um die 250 bleiben. Die Frauenjahrgänge haben ihren ersten Einbruch 1977 (die 39-Jährigen), dort fallen die Säulen erstmals unter 300 Schauspielerinnen, ab 1971 (die 45-Jährigen) unter 250, und 1968 (die 48-Jährigen) erstmals unter 200. In den 5er Jahren ist der Bruch ab 40 noch auffälliger:

Das Durchschnittsalter der Schauspielerinnen war 2017  35,5 Jahre und der Schauspieler 40,8 Jahre, 2013 waren die Werte 38,9 und 43,4 (eigene Berechnungen aus Filmmakers-Daten. Um das einen Trend zu nennen sind es zu wenige Jahre).
Die nächste Galerie geht etwas mehr ins Detail, sie zeigt zum einen die Filmmakers-Daten für 2017 und 2013 (in 5-Jahres-Gruppen) für Frauen und Männer, zusammen und getrennt. Deutlich wird jeweils der 40-Jahre-Bruch bei den Schauspielerinnen und das breite Plateau bei den Schauspielern (anklicken zum Vergrößern):

Einschub
Neulich bei einem Berliner BFFS-Stammtisch: Zu Gast war eine renommierte Casterin die erzählte, dass es viel mehr Schauspielerinnen als Schauspieler gibt, denn egal in welcher Altersgruppe sie sucht, immer sind es wesentlich mehr Frauen als Männer. Ein Stammtischpate des BFFS widersprach und sagte, der Beruf sei ausgeglichen.
Beide hatten recht, auf ihre Weise, in ihrer Welt. Im BFFS sind ungefähr gleich viele Schauspielerinnen und Schauspieler Mitglied, der Verband scheint für Frauen noch nicht so attraktiv zu sein. Und die Casterin hat in ihrer Berufspraxis vermutlich häufiger Rollen unter 40 zu besetzen, denn nur dort gibt es das große Frauenübergewicht.

Wir können davon ausgehen, dass wesentlich mehr Frauen als Männer den Schauspielberuf ergreifen, und dass viele ihn mitten in ihrem Berufsleben,  ab 40, wieder verlassen. Deutlich früher als die Kollegen. Warum? Weil es zu wenig Arbeit gibt? Aus privaten / familiären Gründen? Bekommen Schauspielerinnen erst mit Ende 30 ihre Kinder und steigen dann für immer aus?
Ein gesellschaftliches Phänomen ist diese Verteilung nicht, wie ein Blick auf die Bevölkerung zeigt.

Die (erwerbstätige) Bevölkerung in Deutschland

In Deutschland leben 41,4 Mio. Frauen und 39,8 Mio. Männer (Quelle Statistisches Bundesamt), das Durchschnittsalter ist 44 Jahre 3 Monate. Die nächste Abbildung zeigt eine relative Ausgewogenheit der Geschlechter,  beide Gruppen verlaufen parallel, bis zu den 56 bis 60-Jährigen mit leichtem Männerübergewicht, danach sind es in jeder 5-Jahres-Gruppe mehr Frauen. Auch die Babyboomer-Jahrgänge sind deutlich zu erkennen, das sind in dieser Darstellung die 46 bis 55-Jährigen:

In einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2016 heißt es (Hervorhebung durch mich):

Wird die Besetzungsstärke der Bevölkerung nach Altersgruppen und Geschlecht gruppiert, zeigt sich für 2015, dass der Bevölkerung in den Altersgruppen 40 bis 50 Jahren sowie 50 bis 60 Jahren die quantitativ größte Bedeutung zukommt. Hier handelt es sich um die Baby-Boomer Generation der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit, die sich jetzt im oberen Bereich des erwerbsfähigen Alters befindet und in wenigen Jahren mit dem Übergang in den Ruhestand eine Rente beziehen wird.

Das Älterwerden der Babyboomer zeigt sich auch im Durchschnittsalter der Erwebstätigen, das aktuell bei 43 Jahren liegt: M 43,4 Jahre, F 43,3 Jahre. Dies ist deutlich höher als noch vor 25 Jahren: M 39,4 Jahre, F 37,9 Jahre (Quelle Pressemitteilung DeStatis 27.6.17).

Zurück zur Frage nach dem Altersknick bei den Frauen. Nimmt die Berufstätigkeit von Frauen ab 40 in der Berufswelt außerhalb der Filmbranche ebenso drastisch wieder ab? Sind es also strukturelle Gründe, die zum Beispiel mit der Aufgabenteilung bezüglich Erziehungsarbeit und privater Pflege in Familien zusammenhängen? Nein, ganz im Gegenteil! Auch wenn weniger Frauen als Männer berufstätig sind, die Kurven der weiblichen und männlichen sozialversichert Beschäftigten verlaufen parallel, bei beiden gibt es einen leichten Abwärtsknick in der Gruppe der 36- bis 40-Jährigen, gefolgt von einem stetigen Anstieg in den 10 Folgejahren – also das glatte Gegenteil der Situation der Schauspielerinnen. Der Wert in der Gruppe 56 bis 60 ist bei den Frauen auch noch höher als bei den 36 bis 40-Jährigen, bei den Männern niedriger:


Schlussgedanke

Natürlich müssen wir über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Filmbranche sprechen und die Bedingungen für arbeitende Eltern unbedingt verbessern. Aber wir können davon ausgehen, dass es nicht an den persönlichen, familiären Biographien liegt, wenn Regisseurinnen, Kamerafrauen, Drehbuchautorinnen, Schauspielerinnen u.a.m. weniger beschäftigt werden und den Beruf verlassen. Filmfrauen sind benachteiligt, und die Situation wird sich von alleine nicht ändern.

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