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Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes sorgten 2012 für Negativschlagzeilen, als kein Film einer Regisseurin im Wettbewerb lief. Wie sieht es 2013 aus, und was ist mit Drehbüchern und Kamera, wer spielt die Hauptrollen? Zeit für den 6-Gewerke-Check! (siehe auch METHODE)
Das Datenmaterial
Die Webseite vom Festival ist sehr hilfreich, in einer Übersicht LINK sind die nominierten 20 Filme aufgeführt und in einheitlicher Form auf Unterseiten dargestellt, in der Regel werden Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Ton und manchmal auch Musik genannt. Die Produzent/innen seltsamerweise nicht. Die fehlenden Angaben habe ich mit Hilfe der jeweiligen Filmwebseiten, crew utd, IMDB oder wikipedia ergänzt.
Zwei Lücken: beim chinesisch-japanischen Wettbewerbsbeitrag „Tian Zhu Ding“ (A Touch of Sin) sind 8 Produzent/innen aufgeführt, bei zweien konnte ich das Geschlecht hinter den Namen nicht feststellen, diese habe ich in der Auswertung nicht berücksichtigt.
Von dem Film „La Vie d’Adèle – Chapitre 1 & 2“ (Blue is the warmest Colour) habe ich bis jetzt noch keine/n Produzent/in ermitteln können.
Auf den Filmunterseiten sind kurze Inhaltsangaben sowie die wichtigsten Rollen aufgeführt, wie sie vermutlich von den Produktionen gemeldet wurden: manchmal 3 oder 4 Rollen, manchmal 12. In dieser Auswertung nehme ich die Angaben als Hauptrollen.
Die Filme
Die 20 Filme des 2013 Wettbewerbs um die goldene Palme zeigt Abbildung 1 :Es sind 11 internationale Koproduktionen aus 15 Ländern, 4 Filme aus Frankreich, 2 Filme aus Japan, 3 aus den USA. Bei 11 Filmen haben die Regisseur/innen auch das Drehbuch geschrieben, bei 5 haben sie es mitgeschrieben.
Ausgehend von den Kurzbeschreibungen und ergänzender Recherche – ich habe leider die Filme noch nicht gesehen – lässt sich festhalten, dass 10 von 20 Filmen die Geschichte eines oder mehrerer Männer erzählen, und 3 die Geschichte einer oderer mehrerer Frauen.
Die Frauengeschichten – mit den wiederkehrenden Themen sexuelle Identität bzw. Prostitution – sind:
- „Jeune & Jolie“ (Young & Beautiful): die über vier Jahreszeiten erzählte Geschichte der 17-jährigen aus einer Mittelklassefamilie stammenden Isabelle, die an der Schwelle zur Erwachsenwerden steht. Der Bogen der Geschichte folgt Isabelles Weg vom Verlust ihrer Jungfräulichkeit bis zum selbstgewählten Leben einer Prostituierten.
- „La vie d’Adèle“ (Blue is the Warmest Colour“): die Geschichte der 15-jährigen Adèle auf der Suche nach sich selbst, die sich in Emma, eine junge Frau mit blauen Haaren, verliebt.
- „The Immigrant“: die Geschichte zweier polnischer Schwestern, die 1921 in die USA auswandern. Magda muss wegen einer Krankheit in Quarantäne auf dem Schiff blieben, Ewa geht an Land, und lernt einen Mann kennen, der sie zur Prostitution zwingt. Sie verliebt sich in einen Zauberer, der ihre einzige Hoffnung aus dem Alptraum zu sein scheint.
Die zehn Männerfilme handeln von:
der heimlichen homosexuellen Liebesaffaire eines prominenten Musikers, einem körperlich behinderten Mann zwischen Lebenstraum und Pflichtgefühl, einem Heranwachsender in einem von Gewalt bestimmten Umfeld, dem Leben eines jungen Folksängers, einem traumatisierten Zweiter Weltkrieg-Teilnehmer und seinem Psychiater, einem reichen Pferdehändler, der gegen Ungerechtigkeiten zur Selbstjustiz greif, der Reise in die Vergangenheit eines altersdementen Mannes, Mord und Rache und Korruption, der Identitätskrise eines Vaters, der Geschichte eines landesweit gejagten Mordverdächtigen.
Der Film der einzigen Regisseurin im Wettbewerb, der Italo-Französin Valerie Bruni Tedeschi, „Un Château en Italie“ (A Castle in Italy), erzählt die Geschichte einer Familie, 3 Schauspielerinnen und 4 Schauspieler sind im Hauptcast genannt:
Louise trifft Nathan, ihre Träume kommen wieder ans Licht. Es ist auch die Geschichte ihres leidenden Bruders, ihrer Mutter, und das Schicksal einer der führenden Familien reicher italienischer Industrieller. Die Geschichte einer Familie die auseinander fällt, das Ende einer Welt und der Beginn einer Liebe.
Die Gewerke
Abbildung 2 zeigt die Anzahl der Verantwortlichen aller 20 Filme in den 6 Gewerken Regie, Drehbuch, Produzent/in, Kamera, Ton und Schnitt, 32 Frauen und 140 Männer insgesamt. Die Gesamtzahl ist mehr als 120 (6 x 20), da teilweise mehrere Leute für ein Gewerk verantwortlich waren, dies ist z.B. fast immer bei Produzent/innen der Fall, häufig auch beim Drehbuch.
Bei zwei Filmen ist eine Kamerafrau für die Bildgestaltung verantwortlich: die Französin Jeanne Lapoirie („Un Chateau en Italie“ und „Michael Kohlhaas“).
Die Drehbücher stammen überwiegend von Männern (logischerweise, da sie ja mehrheitlich von den Regisseuren geschrieben wurden), lediglich „Un Chateau en Italie“ wurde von der Regisseurin und zwei weiteren Frauen (Agnès de Sacy und Noémie Lvovsky) verfasst, und das Buch von „Michael Kohlhaas“ schrieb die Autorin Christelle Berthevas mit Regisseur Arnaud Des Pallières.
Abbildung 3 zeigt den klassischen 6-Gewerke-Check, d.h. den prozentualen Frauenanteil. Nirgends wird die 50 %-Marke erreicht, den höchsten Wert gibt es beim Schnitt (44 %), der zweithöchste Wert liegt wesentlich niedriger bei 20 % (Produzentinnen).
Wie auch schon bei der Berlinale (LINK) gibt es im Cannes Wettbewerb Filme, die keine Frauen in diesen Teampositionen aufweisen. Die 6 dazugehörigen Regisseure sind:
die US-Amerikaner Ethan und Joel Coen („Inside Llewyn Davis“), Alexander Payne („Nebraska“), Jim Jarmusch („Only Lovers Left Alive“) und James Gray („The Immigrant“) sowie der Niederländer Alex van Warmerdam („Borgmann“).
Abbildung 4 gibt die Anzahl der Gewerke pro Film wieder, in denen Frauen (mit-)verantwortlich waren. D.h. eine alleinverantwortliche Produzentin bekommt genauso eine 1 wie ein Team aus 5 Produzenten und einer Produzentin. Genannt sind statt der Filmtitel diesmal die Regisseur/innen. In 2 Filmen– „Michael Kohlhaas“ von Arnaud des Pallieres und „Un Chateau en Italie“ von Valerie Bruni Tedeschi – waren Frauen in vier Gewerken (mit-)verantwortlich.
Im Wettbewerb der Berlinale gab es auch schon zwei Beiträge von US-Regisseuren, die keine Mitarbeiterinnen in den 6 Gewerken hatten. Woran das liegt ist ein anderes Thema, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es in einem so großen Land mit einer so großen Filmszene keine qualifizierten Frauen hinter der Kamera gibt.
Die Besetzung
Abbildung 5 zeigt den Hauptcast, wie er auf den Cannes-Seiten der Filme veröffentlich wurde. Die genannten 46 weiblichen und 78 männlichen Rollen stehen im Verhältnis 1 : 1,7.
Bei drei Filmen sind mehr Schauspielerinnen als Schauspieler genannt: „Borgmann“ (4:3), „La vie d’Adèle“ (6:4) und „Le Passé“ (5:4). Fünf Filme weisen ein ausgeglichenes Verhältnis auf: jeweils 2:2 bei „Heli“, „Jeune & Jolie“ und „Soshite Chichi ni naru“, 3:3 bei „La Grande Bellezza“ und 1:1 bei „La Vénus à la Fourrure“.
Die übrigen 12 Filme haben ein Männerübergewicht, einsame Spitze ist dabei der Film „Behind the Candelabra“ (Drehbuch Richard Lagravanese), der 5 Männer- und keine Frauenrollen aufführt. Erzählt wird die geheime, von 1977 bis 1982 dauernde Liebesgeschichte zwischen dem Entertainer Liberace und dem jüngeren Scott Thorsen. Dass gar keine Frau im Hauptcast auftaucht erstaunt mich insofern, als in diversen Quellen zu lesen ist, dass Liberace ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, die bei seinen Konzerten in der Regel in der ersten Reihe saß, und dass ihr Tod 1980 ihn in einen Schockzustand versetzt hatte. In der IMDB ist die Rolle der Mutter Frances Liberace (gespielt von Debbie Reynolds) an 5. Position genannt.
Ausblick
Natürlich ist der Frauenanteil in der Filmarbeit kein Kriterium zur Filmauswahl für einen Wettbewerb. Trotzdem ist es aufschlussreich, auch diese Gruppe von 20 Filmen unter dem Aspekt der Beteiligung von Frauen vor und hinter der Kamera und der Filminhalte zu betrachten. Nach 2012 wurde der öffentliche Fokus in Cannes auf das Fehlen von Regisseurinnen im Wettbewerb gerichtet. Das ist gut so, aber meiner Meinung nach nicht weitreichend genug, der Blick auf weitere Teampositionen ist wichtig, und eine Beschäftigung damit, welche (Frauen-)Geschichten Regisseurinnen erzählen, und welche Regisseure. Aber das ist ein Aufgabe für ein anderes Mal.
Was die Cannes 2013-Filme betrifft hoffe ich sehr, dass sie alle auch in die deutschen Kinos kommen werden.
Cannes Crew Count 2013
In 2012 the Cannes Film Festival caused negative headlines because no film by a female director was selected for the competition. What is the situation like in 2013, what about scripts and cinematography, who is playing the leading parts? Time for the 6-sections-check! (please refer to METHODE for more details)
The Database
I find the festival’s website very helpful LINK, there is a listing of all nominations with standardized subpages for each of the 20 films, stating directors, script, cinematography, editing sound and sometimes music as well. The producers are omitted for some reason. The missing information I added from the individual films‘ webpages or via crew utd, IMDB or wikipedia.
Two gaps remain: for two of the eight stated producers of the chinese-japanese film „Tian Zhu Ding“ (A Touch of Sin) I was not able to ascertain the sex, therefore I left them out in the evaluation.
And so far I have not been able to trace the name of the producer of „La Vie d’Adèle – Chapitre 1 & 2“ (Blue is the warmest Colour).
The subpages give the films‘ synopsises and the main characters – these informations probably given by the production companies. Sometimes it’s 3 or 4 parts, sometimes 12. For this evaluation I will speak of them as main cast.
The Films
Figure 1 shows the 20 films that compete for the Palme D’or this year:
Of the 20 films 11 are international co-productions from 15 countries, then there are 4 films from France, 2 from Japan and 3 from USA. The scripts of 11 films were written by the respective directors, in another 5 cases the directors were co-writers.
Based on the information of the Cannes website and some additional research – I have not been able to see the films so far – I would classify 10 of 20 films to be telling the story of one or more men, and 3 films to be telling the story of one or more women.
The women’s stories – with the recurring topics of sexual identity or prostitution – are:
- „Jeune & Jolie“ (Young & Beautiful): the coming-of-age portrait of 17-year-old Isabelle, a pupil with a middle-class background. The arc of the film covers Isabelle’s journey of losing her virginity and choosing a life of prostitution.
- „La vie d’Adèle“ (Blue is the Warmest Colour“) the story of 15-year-old Adèle trying to find herself, who meets and falls in love with Emma, a young woman with blue hair.
- „The Immigrant“: the story of two polish sisters that emigrate to the USA in 1921. Magda has to stay on the ship in quarantine, Ewa enters the US and meets a man who forces her into prostitution. She falls in love with a magician who seems to be her only hope to come out of this nightmare.
The plots of the ten men’s films are:
the secret homosexual love affair of a famous musician, a physically disabled man between following his dream or duty, an adolescent in an environment of violence, the life of a young folk singer, a traumatized World War II soldier and his psychiatrist, a rich horse trader who takes the law into his hands fighting injustice, a journey into the past by a demented old man, murder and revenge and corruption, the identity crisis of a father, the story of a murder suspect being chased across the country.
The only film by a female director, italian-french Valerie Bruni Tedeschi’s „Un Château en Italie“ (A Castle in Italy), tells the story of a family. 3 actresses and 4 actors are named as main cast:
Louise meets Nathan, her dreams resurface. It’s also the story of her ailing brother, their mother, and the destiny of a leading family of wealthy Italian industrialists. The story of a family falling apart, a world coming to an end and love beginning.
The Sections
Figure 2 shows the number of people responsible for the sections direction, script, production, cinematography, sound and editing for the 20 films, a total of 32 women and 140 men. The sum is more than 120 (6 x 20), because for some sections more than one person in charge is named, this occurs in the section production for most films, and very often for example for the script writing as well.
Two films were shot by a female cinematographer: French Jeanne Lapoirie worked for „Un Chateau en Italie“ and „Michael Kohlhaas“.
Most scripts were written by men (obviously, since the majority were written by the directors), it is only „Un Chateau en Italie“ that was written by the female director and two other women (Agnès de Sacy and Noémie Lvovsky), and „Michael Kohlhaas“, written by female author Christelle Berthevas and director Arnaud Des Pallières.
Figure 3 depicts the customary 6-sections-check, i.e. the percentaged share of women. No category touches the 50 % line, the highest value we find for editing (44 %), the second-highest is as low as 20 % (producers).
In the official selection, as was shown for the Berlin Film Festival in February (LINK) there are a number of films without any women in these six team sections. The six associated directors are:
From the USA Ethan and Joel Coen („Inside Llewyn Davis“), Alexander Payne („Nebraska“), Jim Jarmusch („Only Lovers Left Alive“) and James Gray („The Immigrant“), from the Netherlands Alex van Warmerdam („Borgmann“).
For two films – „Michael Kohlhaas“ by Arnaud des Pallieres and „Un Chateau en Italie“ by Valerie Bruni Tedeschi – we find women (co-)responsible in four sections. In all other 18 films there is a minority of sections with female involvement (Figure 4).
For the record: a film with 1 female and 5 male producers is counted as 1, just as would be a film with one female producer solely in charge.
The competition for the golden bears at Berlin Film Festival also included two films by male directors from the USA who did not have women in charge of any of the six sections. Finding out the reasons for this would be another topic. I cannot image however that in a country as big as the USA and with an extensive film industry such as it is there would be no qualified women for positions behind the camera available.
The Casts
Figure 5 shows the actresses and actors of the main casts as stated on the Cannes website, a total of 46 female and 78 male parts, that is a ratio 1 : 1,7.
Three films state more actresses than actors: „Borgmann“ (4:3), „La vie d’Adèle“ (6:4) and „Le Passé“ (5:4). Five films exhibit equal ratios: 2:2 for „Heli“, „Jeune & Jolie“ and „Soshite Chichi ni naru“, 3:3 for „La Grande Bellezza“ and 1:1 for „La Vénus à la Fourrure“.
The remaining 12 films have a majority of male main characters, with „Behind the Candelabra“ (script by Richard Lagravanese) at the lonely top with just 5 male and no female characters listed. This film tells the story of the secret love affair between entertainer Liberace and much younger Scott Thorsen between 1977 and 1982. I find it quite remarkable that no female character shows up in the list, given the frequently stated information that Liberace apparently had a very close relationship to his mother, she had a front row seat in most of his concerts, and also that her death in 1980 left him in a state of shock. (IMDB lists the role Frances Liberace – played by Debbie Reynolds – on 5th position).
Prospects
Of course the share of women in films is no criteria for selecting entries for a competition. On the other hand it can be quite instructive to discuss this group of 20 films regarding the involvement of women in front of and behind the camera, and to have a look at the stories being told. After the 2012 Cannes Festival the focus moved to female directors missing from the competition. That was a good thing, but in my opinion we need to look further at other positions in film teams as well and we need to look into the (women’s) stories being told by female and by male directors. But that is a task for another day.
As far as this year’s official selection in Cannes is concerned I do hope we will be able to see all of them in German cinemas soon.
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