SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Gut gemacht, Schwester Equity!

Jean Rogers von Equity UK zu Gleichberechtigung von Schauspielerinnen

Vor ein paar Wochen wurde in Frankreich La Charte pour l’Égalité entre les Femmes et les Hommes dans le Secteur du Cinéma unterzeichnet (Vive la Nouvelle Révolution du Cinéma!), deren Auswirkungen wir in nächster Zeit hoffentlich beobachten können. Vor ein paar Jahren brachte die britische Schauspielgewerkschaft Equity die Viewers‘ Petition for Equal Representation of Women in Film and Television Drama an den Start, mit dem erklärten Ziel, das 2:1-Übergewicht männlicher gegenüber weiblichen Rollen im britischen Fernsehen zu beenden (das Ungleichgewicht war im Kinosektor noch größer), und außerdem dem fast vollständigen Verschwinden älterer Frauenfiguren entgegenzuwirken.
Wie kam es zu dieser Petition, und hat sie in den letzten vier Jahren bereits etwas bewirkt? Ich freue mich sehr, dass ich Jean Rogers von Equity zu diesem Thema interviewen durfte.
Jean Rogers ist eine britische Schauspielerin, geboren vor den Toren Londons. Zu ihrer Filmarbeit gehört unter anderem THE PEACEMAKER, THE LAZARUS CHILD, mehr als 10 Jahre als Dolly Skilbeck in der Serie EMMERDALE (ITV) und die Moderation der BBC Schulsendung für 7-Jährige WATCH. Theaterengagements führten sie u.a. ans Belgrade Theatre, Coventry, das York Theatre Royal, das Chichester Festival Theatre and das Sir Laurence Olivier’s National Theatre, dessen Gründungsmitglied sie ist. Außerdem hat sie in über 1000 Radioproduktionen der  BBC mitgespielt, u.a. in der POETRY CORNER und LISTEN WITH MOTHER. Zuletzt stand sie in einer Christmas Pantomime (das sind sehr aufwändig produzierte Weihnachtsmärchen) als böse Königin in SCHNEEWITTCHEN auf der Bühne.
Jean ist seit 20 Jahren gewähltes Mitglied im Rat (Council) der Schauspielgewerkschaft Equity und seit 2004 auch Vizepräsidentin.

Jean Rogers. Photo: Claire Grogan

Jean Rogers. Photo: Claire Grogan

Interview Jean Rogers Teil 1

SchspIN: Jean, wie ist es denn zu dieser Petition gekommen, wer hatte die Idee und welchen Hürden mussten genommen werden?  Begann das Ganze 2009?

Jean Rogers: Nein, schon viel früher. Als ich im Jahr 2004 Vizepräsidentin von Equity wurde, der Gewerkschaft für Schauspieler/innen, Inspizient/innen und Models, erfuhr ich vom Frauenausschauss, dass sie ziemlich unzufrieden waren mit der Darstellung von Frauen, insbesondere von Älteren, und damit, dass die Karrieren von Schaupielerinnen ab 40 im Gegensatz zu den von gleichalten Schauspielern deutlich rückläufig waren. Dies musste untersucht werden. 2008 wurde von Equity und einer Reihe weiterer Partner der EURO FIA (der Internationalen Föderation von Schauspieler/innen) eine EU-geförderte Studie in Auftrag gegeben, die die Zusammenhänge von Alter und Geschlecht und Berufstätigkeit von Darstellenden Künstler/innen in Europa zum Thema hatte. Laut Deborah Dean, der Leiterin dieser Untersuchung, berichteten europaweit Darstellende Künstlerinnen, egal ob in der Fernseh- oder Filmbranche, Rundfunk, Werbung oder am Theater tätig, dass sowohl ihr Geschlecht als auch das Älterwerden von Nachteil für ihre berufliche Laufbahn waren. Männer andererseits glaubten nicht, dass ihr Geschlecht sich nachteiligt auswirkte und die Angaben zum Alter waren gespalten, manche fanden es förderlich, andere hinderlich für ihre Karriere. Die Untersuchung ergab dass 26 % der Darstellenden Künstler Älterwerden als vorteilhaft in Bezug auf ihr Einkommen sahen, nur 3 % der Darstellenden Künstlerinnen teilten diese Sicht (Age, Gender and Performer Employment in Europe).
Wir hatten eine Gender Agenda Konferenz in London wo diese Ergebnisse vor ihrer Veröffentlichung im Januar 2009 diskutiert wurden. Wir baten die Mitglieder unserer Gewerkschaft um Ideen und Unterstützung. Ein Mitglied, Kate Buffery, schlug eine Petition vor, um einerseits öffentliche Unterstützung und Aufmerksamkeit zu bekommen und andererseits um die Sender zum Nachdenken zu bringen. Das Präsidium von Equity untersuchte das Fernsehprogramm und machte das 2:1 Männerübergewicht in den Besetzungslisten, worauf wir dann unsere Petition gründeten. Es gibt bislang über 10.000 Unterschriften und eine sehr große Anzahl begleitender Kommentare.

Das Ganze war eine Initiative von weiblichen Equity-Mitgliedern?

Ja, die Frauen hatten diese Kampagne gestartet.

Und gab es auch männliche Mitglieder, die die Idee unterstützten? Oder waren sie uninteressiert, oder hatten Angst, weniger Arbeit zu haben?

Es gab anfangs offenen Widerstand aber hauptsächlich begegnete uns Gleichgültigkeit, und schließlich Verärgerung. Wir blieben dran, und als wir unsere Argumente weiter ausführten und verstärkten ergriffen einige aufgeklärte Männer für uns Partei und das war erfrischend. Es gibt nicht viele aber es gibt sie, und erfreulicherweise werden es auch mehr. Was wir aber auch feststellen ist eine Entschlossenheit bei Männern zu verhindern, dass die Entwicklung, sollte es zu einem Rollengleichgewicht kommen,  nicht zu ihren Ungunsten weiter geht! Immer mehr Männer im Theaterbereich fördern junge Frauen, aber sind nicht besonders an einer Förderung älterer Frauen interessiert.

Wer hat die Petition unterzeichnet, in erster Linie Frauen? Oder gar hauptsächlich Schauspielerinnen, die auf mehr Arbeit hoffen? Gab es auch Unterstützung von Publikumsorganisationen?

Der Großteil der Unterschriften stammt zweifellos von Frauen, darunter viele Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen und Musikerinnen. Allerdings gibt es auch eine nicht unerhebliche Anzahl von Schauspielern, die unterschrieben haben, darunter sehr viele bekannte, und ganz allgemein Männer und Frauen aus der Bevölkerung. Viele Mitglieder anderer Gewerkschaften haben uns unterstützt bei Gewerkschafts- und anderen Treffen. Wir standen vor dem West End Theater, in dem CALENDAR GIRLS aufgeführt wurde, und viele Frauen und ihre Männer aus dem Publkum  haben direkt unterschrieben.

Und was hat sich seitdem getan?

Wir glauben, dass aufgrund unserer Aufklärungskampagne zu dieser Problematik vielversprechende Entwicklungen bei Fernsehserien stattgefunden haben, wo mehr Geschichten von Frauen im Fokus stehen und mehr Frauen zwischen 40 und 50 besetzt worden sind. Es ist aber noch ein weiter Weg, und wir haben außerdem den Eindruck, dass die Situation an den Theatern seit 2009 schlechter geworden ist. 

Haben andere Filmschaffende reagiert?

Wir haben besonders mit dem Drehbuchverband, der Writers’ Guild zusammengearbeitet, deren weibliche Mitglieder sich benachteiligt fühlen was die Auftragsvergabe betrifft. Sie benannten das Problem, dass Chefredakteur/innen Bücher nicht ausstehen können, die von älteren Frauen handeln.

Hört Ihr auch das Argument „Solche Forderungen sind Zensur und schränken die Freiheit der Kunst ein“?

Ja, das ist ein bekanntes Argument aber ich denke es ist eine Frage des Angebots. Wenn Frauenrollen regelmäßig an den Rand gedrängt werden ist das eine Form der Zensur. Natürlich ist künstlerische Freiheit wichtig, aber sie muss mit Verantwortung ausgeübt werden und mit dem Bewusstsein, dass die Entscheidungen in den Plots Aufwirkungen auf 51 % der Bevölkerung haben. Es ist nicht künstlerisch stereotype Geschlechterklischees aufrechtzuerhalten, besonders von älteren Frauen, und das ist etwas was wir in unserer Branche sehr häufig erleben.

Du sagst dass es schon positive Reaktionen in Form von neuen Fernsehformaten gegeben hat. Glückwunsch! Kannst Du uns ein paar nennen? Und werden auch die Geschichten, die erzählt werden, diskutiert?

Es gibt eine fabelhafte Autorin aus dem Norden, Sally Wainwright, die SCOTT AND BAILEY für ITV geschrieben hat, wo es um zwei Polizistinnen geht, die in ihren 40ern sind. ITV hat auch die Dramaserie DOWNTON ABBEY, die ein Geschlechtergleichgewicht bei den Rollen hat, die von der Spülhilfe bis zur Gräfinwitwe.

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Downton Abbey – Besetzung

Hier ein Blick auf die Besetzung von DOWNTON ABBEY, einer Serie, die auf dem Landsitz einer aristokratischen Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Yorkshire spielt, Idee und Buch von Julian Fellowes. Die britische Erstausstrahlung war am 26. September 2010. Bis jetzt wurden 4 Staffeln mit insgesamt 34 Folgen produziert. Die Folgen der vierten Staffel, die 2013 ausgestrahlt wurden, hatten durchschnittlich 11,8 Millionen Menschen gesehen – das machte sie zu dem fiktionalen Fernsehformat mit der höchsten Einschaltquote.

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Bislang sind 8 weibliche und 3 männliche Rollen in allen 34 Folgen dabei gewesen. Es gibt eine große Männermehrheit bei den 1-Folge-Schauspieler/innen aber insgesamt gibt es ein Frauenübergewicht (477 gegen 463 als Summen aller Folgen aller Hauptfiguren). Da es in der Petition ja auch um Altersdiskriminierung geht hier noch die entsprechende Statistik zu DOWNTON ABBEY:

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Es gibt eine große Altersvielfalt, 6 Schauspielerinnen und 2 Schauspieler über 40 sind fast in jeder Folge dabei. Das kleine blaue Viereck oben links steht für Dame Maggie Smith, die am 28. Dezember 1945 geboren wurde und die sehr geistreiche Dowager Countess of Grantham verkörpert (auf deutsch: Gräfinwitwe (dowager = Witwe), in der deutschen Fassung allerdings originellerweise mit Countess von Dowager übersetzt). Bemerkenswert ist auch die Altersverteiligung innerhalb der Hauptfamilie bzw. die Altersverteilung der Schauspielerinnen und Schauspieler: Lady Grantham (Elizabeth McGovern, geb. 1961) und Lord Grantham (Hugh Bonneville, geb. 1963) haben drei Töchter (Michelle Dockery, gebb. 1981, Laura Carmichael, geb. 1986, Jessica Brown Findlay, geb. 1989). Die beiden Großmütter wurden 1934 geboren (Maggie Smith und Shirley MacLaine), Lord Grantham hat eine Schwester (Samantha Bond, geb. 1961). Natürlich können Künstler/innen älter und jünger spielen, aber im deutschen Fernsehen sehen wir Mütter und Töchter öfters mit Schauspielerinnen besetzt, die nur 12 Jahre auseinander liegen (Im besten Alters für’s deutsche Fernsehen) – nicht nur in Deutschland natürlich, ich hatte ja vor einiger Zeit über die tolle britische Serie GRANDMA’S HOUSE geschrieben (Mach Dich mal locker!). Aber jetzt zurück zum Interview:
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Interview Jean Rogers Teil 2

Und was gibt es noch außer DOWNTON ABBEY, Jean?

Von der BBC wurde die Serie CALL THE MIDWIFE („Ruf des Lebens“) produziert, die in den 50er Jahren spielt, mit jungen Hebammen auf Fahrrädern und älteren Nonnen. Im Moment gibt es auch noch eine sehr erfolgreiche Comedyserie die LAST TANGO IN HALIFAX heißt. Die beiden Hauptfiguren sind ein Mann und eine Frau, die schon mal in ihren Teenagerzeiten ein Paar waren, und die sich nun in ihren 70ern wieder trafen und ineinander verliebt haben. Die Serie wurde auch von Sally Wainwright geschrieben und es dauerte drei Jahre, bis sie in Auftrag gegeben wurde. Die BBC hatte sie abgelehnt mit der Begründung, dass niemand verliebte alte Menschen sehen möchte, die gleiche Begründung kam auch von ITV. Schließlich hat sich die BBC doch entschieden es zu riskieren und jetzt haben sie damit einen Riesenerfolg gelandet. Das Publikum liebt die Serie!

Super! Wie sieht es mit der Filmbranche außerhalb des Vereinigten Königreichs aus? Weißt Du, ob Eure Petition in anderen Ländern übernommen wurde, als Petition oder zumindest als Referenz für eine Diskussion der eigenen Situation?

Ja Kanada, wobei wir Unterschriften aus der ganzen Welt haben. I konnte u.a. über die Petition sprechen als ich an der Anhörung zum „Serving all Ages Report on TV, Radio and the Internet“ (Der Allen Altersgruppen dienen-Bericht zu Fernsehen, Radio und Internet) der BBC teilnahm, and vor kurzem auch bei der Anhörung des Ausschusses zu „Älteren Frauen in den Medien und der Öffentlichkeit“ der stellvertretenden Vorsitzenden der Labour Partei, Harriet Harman.

Es ist eine Sache, über Statistiken zu sprechen, also beispielsweise die Anzahl der weiblichen und männlichen Rollen, die Qualität der Rollen ist etwas anderes. Wie sind Deine Gedanken hierzu und den Auswirkungen, die die Petition haben könnte?

Die Petition und die darin geäußerten Ansichten sprechen auch Filmhandlungen an, Nackheit von Frauen, Gewalt gegen Frauen und alle Plots, die Frauen herabwürdigen anstelle ihnen positive Rollen zu geben, die die Männer eher haben. Viele dieser Punkte, die ich bei den Anhörungen vertreten habe, kamen im Namen von Equity.

Du hast sicher von der Französischen Charta zur Geschlechtergerechtigkeit gehört, die natürlich sehr bahnbrechend ist, weil sie ganz deutlich auch die Frage der Qualität der Rollen, Geschlechterstereotype und gleiche Bezahlung für Frauen und Männer anspricht. Wäre das etwas, dass auf das Vereinigte Königreich übertragen werden könnte, oder sogar europaweit? Plant Equity und ihre Partner etwas in dieser Richtung?

Ja, wir haben schon seit einigen Jahren bei Konferenzen und in Artikeln diese Fragen diskutiert, und das Niveau der Bücher und der Rollen wird im zweiten Projekt des FIA Hauptausschusses thematisiert: im Handbook on Engendering Change.

Letzte Frage: In Deutschland haben wir weder so eine Petition, noch so eine Charta, nur das 2:1 Verhältnis und die Abnahme von älteren Frauenrollen, und die Geschlechterklischees. Gibt es irgend etwas, womit Du uns aufheitern könntest?

Ich hab letztens mit meinem Sohn gesprochen, der in der Menschenrechteabteilung des Europarates arbeitet, über die Einstellung zu Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland gesprochen und er meinte, Ihr habt eine andere Einstellung dazu, so als ob es kein Problem gibt. Siehst Du das auch so? Ich würde mal sagen, was Ihr machen solltet ist Monitoring, d.h. eine Datenerfassung der Situation, und dann immer wieder über die Ergebnisse sprechen. Zitiert das Vereinigte Königreich, die USA, Frankreich und Skandinavien usw. Ich glaube eine der schwersten Aufgaben ist Frauen dazu zu bringen, ihre eigene Situation zu erkennen. Macht das zuerst, und dann sucht Euch verständnisvolle Männer!

Vielen herzlichen Dank, Jean Rogers.

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Nachtrag: am 6. Dezember wurde der Autorin Sally Wainwright, die Jean im Interview erwähnt hatte, der Technicolor Writing Award bei den Women in Film and Television Awards in London verliehen.