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Gedanken einer Schauspielerin

Berliner Theatertreffen 2015. Und Rollentausch. – Berlin Theatre Festival 2015. And Gender Switching.

English Version follows German.

Heute geht es um das 52. Theatertreffen, das aktuell in Berlin stattfindet. Und um Rollentausch – d.h. das Besetzen von Rollen mit Schauspieler/innen des anderen Geschlechts (in Theater und Film).

Berliner Theatertreffen 2015. Und Rollentausch.

Zum Theatertreffen werden jedes Jahr die zehn bemerkenswertesten Theaterinszenierungen im deutschsprachigen Raum einer Saison eingeladen. Auch dieses Jahr sind wieder alte Stücke am Start (das älteste, JOHN GABRIEL BORKMAN von Henrik Ibsen, wurde im Jahr 1896 uraufgeführt – eingeladen ist die Inszenierung von Karin Henkel, Deutsches Schauspielhaus Hamburg) und neu entstandene wie das Rechercheprojekt COMMON GROUND, das Regisseurin Yael Ronen gemeinsam mit ihrem Ensemble am Berliner Gorki Theater entwickelte.
Außerdem sind zwei Dramatisierungen von Spielfilmen dabei: WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? (Regie Susanne Kennedy, Münchner Kammerspiele) nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler (1970) und DAS FEST (Regie Christoph Rüping, Schauspiel Stuttgart) nach dem Dogma 95-Film von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov (1998).
Hier alle 10 Produktionen, einige statistische Auswertungen zu den insgesamt 30 Inszenierungen 2013 bis 2015, den Autor/innen, Regisseur/innen, Schauspieler/innen, Theatern und mehr, gibt es in der Bildergalerie am Ende des Textes:

Theatertreffen_2015Im Vergleich zu den beiden Vorjahren, in denen jeweils nur 2 der 10 Stücke von Frauen geschrieben bzw. inszeniert wurden (nicht automatisch die gleichen) sind es diesmal je 3. Allerdings wurden 2013 bis 2015 insgesamt nur 4 Regisseurinnen zu Theatertreffen eingeladen: Karin Henkel (3 x), Susanne Kennedy (2 x), und Katie Mitchell und Yael Ronen (je 1 x).
Außerdem ist der Frauenanteil unter den Rollen deutlich höher als 2013 bzw. 2014. Insgesamt weisen alle 10 Inszenierungen je 35 Frauen- und Männerrollen auf, wobei natürlich nicht jedes Stück ausgeglichen ist. Muss es auch gar nicht! (Nebenbemerkung: Etwas ähnliches habe ich ja bereits mehrfach zu untersuchten Filmgruppen im Kino und Fernsehen gesagt. Einzelne Filme können größtenteils nur Frauen- oder nur Männerrollen aufweisen. Es wird nur unnatürlich, wenn in der Gesamtheit ein Geschlecht deutlich überwiegt, wie es ja leider im deutschen Fernsehen und – wenn auch weniger stark – im deutschen Kino der Fall ist: In jeder Filmgruppe, die ich untersucht habe, gibt es mehr Männerrollen).
Doch zurück zu den Besetzungen der Theatertreffenstücke. Am Nur-Männerrollen-Ende steht die WARTEN AUF GODOT-Inszenierung von Ivan Panteleev mit 5 Männerrollen (Premiere 2014, Ruhrfestspiele Recklinghausen / Deutsches Theater Berlin. Stück: Samuel Beckett, UA 1953 in Paris).
Gleichzeitig gibt es zwei Stücke mit rein weiblicher Besetzung: DIE UNVERHEIRATETE mit 7 Frauenrollen (Stück Ewald Palmetshofer, Regie Robert Borgmann, UA Burgtheater Wien 2014) und DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS (ebenfalls UA Burgtheater Wien 2014, Stück Wolfram Lotz, Regie Dušan David Pařízek), in dem alle Männerrollen von einem weiblichen Quartett verkörpert werden.

Dass Männerrollen mit Frauen besetzt bzw. in Frauenrollen umgewandelt werden kommt am Theater wesentlich häufiger vor als im Film, allerdings gibt es das dort auch – und zwar nicht nur bei der von Caster/innen in diesem Zusammenhang gerne genannten Rolle ein Taxifahrer, für die sie eine weibliche Besetzung durchsetzen können. Drei Beispiele aus Hollywood:

  • ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT (Regie Ridley Scott, 1979): die Hauptrolle Ellen Ripley war ursprünglich für einen Mann geschrieben, besetzt wurde sie auf Scotts Initiative mit Sigourney Weaver.
  • SALT (Regie Phillip Noyce, 2010): die Hauptrolle der CIA-Agentin Evelyn Salt war ursprünglich als Edwin Salt für einen Mann geschrieben, aber wurde dann schließlich nach einem Vorschlag von Amy Pascal (Columbia Pictures) mit Angelina Jolie besetzt.
  • SEIN MÄDCHEN FÜR BESONDERE FÄLLE (Regie Howard Hawks, 1940): dieser Film basiert auf dem Theaterstück REPORTER / THE FRONT PAGE, das zwei männliche Hauptrollen hatte: Hildy Johnson und Walter Burns. Der Überlieferung nach wurde bei einem der zahlreichen Castings für die Rolle des Zeitungsherausgebers Walter Burns der Gegenpart von Howard Hawks (namenloser) Sekretärin eingelesen. Hawks war von der Art wie der Dialog sich zwischen den beiden veränderte so angetan, dass er das Drehbuch umschreiben ließ. Aus dem Reporter Hildy wurde eine Reporterin und zugleich Burns Exfrau, die schließlich mit Rosalind Russell besetzt wurde.
    Der Originaltitel lautet übrigens HIS GIRL FRIDAY, was eine Anspielung auf Freitag, den Diener von Robinson Crusoe ist (der auf Englisch Man Friday genannt wird). Warum der Film nicht HIS WOMAN FRIDAY hieß weiß ich nicht.

Ähnliche Rollentausche in deutschen Film- oder Fernsehfilmen sind mir nicht bekannt, aber vielleicht gibt es sie. Ich würde es mir jedenfalls wünschen, dass so etwas häufiger probiert wird, da auf diese Weise spannende(re) Frauenrollen entstehen können.

Im Theater wird viel mit Rollentausch gearbeitet, sei es im Stück selbst: Shakespeare’s WAS IHR WOLLT (Viola gibt sich als Cesario aus) oder WIE ES EUCH GEFÄLLT (Rosalind gibt sich als Ganymede aus), oder in den Inszenierungen: Angela Winkler spielte 1999 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg den HAMLET und wurde dafür zur Schauspielerin des Jahres gewählt, Katharina Thalbach inszenierte 2006 in der Kömödie am Kurfürstendamm den RAUB DER SABINERINNEN und spielte die Hauptrolle Theaterdirektor Striese, sowie seine Gattin Luise. Es sind oft genug Regisseure, die Männerrollen an Frauen vergeben, Heiner Müller besetzte Marianne Hoppe als KÖNIG LEAR und im Wechsel mit Bernhard Minetti in der Rolle des Schauspielers in DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI. Umgekehrt brachte das Berliner Männerensemble 2000 BERNARDA ALBAS HAUS in reiner Männerbesetzung auf die Bühne (ein Stück, in dem es nur Frauenrollen gibt), und die Bremer Shakespeare Company präsentierte vor längerer Zeit eine DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR-Fassung in einer rein männlichen Besetzung ,wie zu Shakespeares Zeiten’.

Ein Blick auf das Fernsehen: die britische Komikergruppe Monty Python spielte einen Großteil der Frauenrollen selber, mit parodistisch verstellten Stimmen. Apropos Stimmen: wenn wir jetzt auch noch Zeichentrickfilme betrachten gibt es noch mehr Beispiele für Rollentausch: der 10-jährige Bart Simpson in der US-Fernsehserie DIE SIMPSONS beispielsweise wird von Nancy Cartwright gesprochen.
Aber auch im Film gibt es mitunter weiblich besetzte Männerrollen: Im Fernsehfilm PETER PAN (Regie Dwight Hemion, 1976) spielte Mia Farrow die Titelrolle und im Kinofilm EIN JAHR IN DER HÖLLE (Regie Peter Weir, 1982) wurde Fotoreporter Billy Kwan von Linda Hunt verkörpert. Sie gewann dafür den Oscar für die beste männliche Nebenrolle.

Zurück zum Theatertreffen: es läuft wie gesagt noch bis zum 17. Mai. Einige der Produktionen werden im Fersehen (3sat) gezeigt. Also vielleicht habt Ihr ja die Möglichkeit, die eine oder andere Produktion noch zu sehen.
Und zum Schluss noch die statistischen Auswertungen. Die 3 x 10 Inszenierungen auf der Homepage der Berliner Festspiele findet Ihr über diese drei Links: 2015, 2014, 2013. Es stellt sich die Frage: wo sind die Theaterregisseurinnen, wo die Stückeschreiberinnen?

English Version

Berlin Theatre Festival 2015. And Gender Switching.

Today’s text is about the 52nd Theatre Festival currently being held in Berlin. And about Gender Switching, i.e. the casting of roles with acting people of the opposite sex (in theatre and films).

Every year the season’s ten most remarkable theatre production in German-speaking countries are invited to the Berliner Theatertreffen / Berlin Theatre Festival. As nearly always in 2015 among them are very old plays (the oldest, JOHN GABRIEL BORKMAN by Henrik Ibsen was first staged in 1896 – here we see the production of the Deutsches Schauspielhaus Hamburg directed by Karin Henkel) and very new ones like for examble COMMON GROUND, a research project by director Yael Ronen that she developed with her ensemble at Gorki Theater Berlin.
And two dramatizations of feature films have been invited: WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? (Why Does Herr R. Run Amok?) (directed by Susanne Kennedy, Münchner Kammerspiele) based on the film by Rainer Werner Fassbinder and Michael Fengler (1970) and DAS FEST (The Celebration, original Danish title: Festen) (directed by Christoph Rüping, Schauspiel Stuttgart) based on the Dogma 95-film by Thomas Vinterberg and Mogens Rukov (1998).
Here is a list of all 10 productions. At the end of the text you will find a gallery of statistical images on the total of 30 productions of 2013, 2014 and 2015, regarding the writers, directors, actors and actresses, the theatres and more.

Theatertreffen_2015As opposed to the two preceding years with only two of the plays having been written and directed by women (though not automatically the same plays) in 2015 it’s 3 each. But overall, from 2013 to 2015 only 4 female directors have been invited to the Theatre Festival: Karin Henkel (3 times), Susanne Kennedy (twice), and Katie Mitchell and Yael Ronen (once each).
Also, in 2015 the share of female roles for all 10 productions is distinctly higher than in 2013 and 2014. On the male side of the scale we have the WARTEN AUF GODOT-production (Waiting for Godot) of Ivan Panteleev with a total of 5 male and 0 females roles (first staged in 2014 at the, Ruhrfestspiele Recklinghausen / Deutsches Theater Berlin. Playwright: Samuel Beckett, first staged 1953 in Paris).
On the other side there are two plays with an all-women–cast: DIE UNVERHEIRATETE / The Unmarried Woman with 7 female roles (author Ewald Palmetshofer, director Robert Borgmann, Burgtheater Wien 2014) and DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS / The Ridiculous Darkness (Burgtheater Wien 2014, author Wolfram Lotz, director Dušan David Pařízek), where all male roles are played by a female quartett.

This, i.e. women acting male roles or male turned into female roles, is more common in the theatre than in the film world. But even there we get the occasional Gender Switching – and not only for the infamous role A Taxidriver, whom casting directors tend to give as an example for successfully having cast an actress for an originally male part. Here’s three examples from Hollywood:

  • ALIEN (directed by Ridley Scott, 1979): leading character (Ellen) Ripley was originally written for a man, but it was given to Sigourney Weaver, following the strong initiative by Mr. Scott.
  • SALT (directed by Phillip Noyce, 2010): the leading character CIA agent Evelyn Salt was originally called Edwin Salt, and was intended for an actor, but in the end the part was given to Angelina Jolie, apparently after a suggestion by Amy Pascal (Columbia Pictures).
  • HIS GIRL FRIDAY (directed by Howard Hawks, 1940): this film is based on the play THE FRONT PAGE with two leading characters: Hildy Johnson and Walter Burns. As the legend goes in one of the numerous auditions for the part of newspaper editor Walter Burns his counterpart Hildy was read by Howard Hawk’s hitherto unnamed female secretary. Hawks seems to have been so thrilled by the new dynamics resulting from a male-female-interaction that he had the script changed. So Hildy Johnson became a female reporter and also Burns’s ex-wife, and was finally played by Rosalind Russell.
    By the way, HIS GIRL FRIDAY is a hint to Man Friday, Robinson Crusoe’s servant. Why they did not call the film HIS WOMAN FRIDAY is something I do not know.

I have not heard of similar Gender Switching in German film or television productions, but maybe they do exist. I for one would be very happy if something like this were tried out more often because this way we get more exciting roles for women.

In theatre on the other hand a lot of Gender Switching is going on, in the very plays: Shakespeare’s TWELFTH NIGHT (Viola pretends to be Cesario) or AS YOU LIKE IT (Rosalind pretends to be Ganymede), or in the productions: in 1999 German actress Angela Winkler played HAMLET and was voted actress of the year for her performance, in 2006 Katharina Thalbach directed RAUB DER SABINERINNEN / The Robbery of the Sabinians and she played the lead, theatre director Striese – as well as his wife Luise. There are a number of other examples, and very often it is male directors who give male roles to women, the great Heiner Müller cast Marianne Hoppe as KING LEAR and also had her take her turns with Bernhard Minetti playing the actor in DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI / The Resistible Rise of Arturo Ui by Bertolt Brecht.
Vice versa we have the Berliner Männerensemble (and all-male theatre group) who enacted the all-female play BERNARDA ALBAS HAUS / The House of Bernarda Alba in 2000, the Bremer Shakespeare Company  presented an all-male version of THE MERRY WIVES OF WINDSOR – just like ,in Shakespearean times’.

What about television? The British all-male comedy group Monty Python played lots of females, with typical feigned female voices. Speaking of voices: just look at the US-animated TV series THE SIMPSON’s, there 10-year-old boy Bart Simpson for example is given a voice by Nancy Cartwright.
But actually we also find films were male parts are cast with actresses: in the 1976 TV version of PETER PAN (directed by Dwight Hemion) Mia Farrow played the title role, and in the feature film THE YEAR OF LIVING DANGEROUSLY (directed by Peter Weir, 1982) photo reporter Billy Kwan was played by Linda Hunt, who won the Oscar for best male supporting actor for it.

Back to the Theatre Festival: if you happen to be in Berlin you can go and visit performances until May 17. Some of the productions are also shown on German TV (3sat).
And now finally some statistical data: You can find the 3 x 10 productions on the homepage of the Berliner Festspiele via these links: 2013, 2014, 2015. One final question: where are the female theatre directors, where the female playwrights?