SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

Von Schauspielerinnen und anderen berufstätigen Frauen

Von Schauspielerinnen und anderen berufstätigen Frauen

Es gibt wie bereits mehrfach in diesem Blog erwähnt (nicht nur) in deutschen TV- und Kinoproduktionen wesentlich mehr Rollen für Schauspieler als für Schauspielerinnen, über den Daumen gepeilt liegt das Verhältnis bei 2 zu 1. Wenn das schon nicht der Geschlechterverteilung in unserer Gesellschaft entspricht, ist es dann vielleicht vergleichbar mit der Verteilung von Männern und Frauen in der arbeitenden und arbeitssuchenden Bevölkerung?  Wirkt sich das aktuelle Rollenverhältnis auf die Länge des Berufslebens von Schauspielerinnen und Schauspielern aus? Wie ist das mit der Altersverteilung?

Um diese Fragen soll es heute gehen.

Betrachten wir zunächst noch einmal die Bevölkerungsverteilung in Deutschland, die sozialversichert Beschäftigten und die arbeitslos Gemeldeten. Dazu gibt es drei Grafiken in der folgenden ersten Abbildung, jeweils zum Stichtag 31.12.2011 – aktuellere Daten stehen noch nicht für alle Kategorien zur Verfügung.

BevSozvAlo_2011

Die x- und y-Achsen der drei Grafiken sind unterschiedlich skaliert. Die Bevölkerung (Grafik A) ist von 0 bis 95+ Jahren erfasst (Quelle: Statistisches Bundesamt)  und die Bezugsachse geht bis 4,5 Mio. Die Kategorien sind in 5-Jahres-Gruppen zusammengefasst, Unter „25“ beispielsweise sind die Menschen im Alter von 21 bis 25 Jahren berücksichtigt.

Die Grafiken B und C haben gleich skalierte X-Achsen. Jedoch unterscheiden sich die Y-Achsen (zum Glück!) um den Faktor 10, die Achsen gehen bis 2,5 Mio. bzw. bis 250.000 (Quelle: Bundesagentur für Arbeit).
In Deutschland leben gut 82 Mio. Menschen, darunter fast 1,5 Mio. mehr Frauen als Männer. Allerdings gilt das Frauenübergewicht nicht in allen Generationen. Wie Grafik A zeigt existiert in allen Altersgruppen unter 60 ein leichtes Männerübergewicht. Auch deutlich zu erkennen sind die geburtenstarken Jahrgänge in den frühen 1960er Jahren und der sogenannte „Pillenknick“ ab Ende der 1960er Jahre (das ist der Schritt von den 41 bis 45-jährigen zu den 36 bis 40-jährigen).

Ab 60 Jahren beginnt dann das zahlenmäßige leichte Überwicht der Frauen.
Die heute 71 bis 75-jährigen wurden in den späten 1930er Jahren geboren.

Ebenfalls in 5-Jahres-Kategorien erfasst sind die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Grafik B) und die Arbeitslosen (Grafik C).

Arbeitslos nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit sind nur die aktiv gemeldete Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Frauen, die für die Kindererziehung zu Hause bleiben und erstmals in das Berufsleben einsteigen oder dorthin zurückkehren wollen (und evt. noch keine Kinderbetreuung gefunden haben), sind nicht erfasst, sie melden sich auch oft nicht beim Arbeitsamt, da sie kein Arbeitslosengeld erhalten würden, aber das ist ein anderes Thema.

Nicht wirklich überraschend: sowohl bei den sozialversichert Beschäftigten als auch bei den gemeldeten Arbeitslosen gibt es in jeder 5-Jahres-Altersgruppe mehr Männer als Frauen. Die Kurven der Beschäftigten, von jung nach alt betrachtet – mit der Delle bei den 36 bis 40-jährigen – verhält sich analog zur Bevölkerungskurve. Auch die Spitze bei den 50-jährigen und dem folgenden Abstieg der Kurve ist gleich.
Der etwas deutlichere Beschäftigungsrückgang bei 31 bis 40-jährigen Frauen gegenüber den Männern der gleichen Altersgruppen könnte mit Mutterschaft zusammenhängen, das ist aber nur eine Vermutung. Die Zahlen der Männer gehen ebenfalls leicht zurück, und auch in der Bevölkerung gibt es einen leichten Rückgang sowohl bei Frauen als auch bei Männern, in den Generationen, die nach dem „Pillenknick“ geboren wurden.

Vor dem Hintergrund dieser Statistiken betrachten wir nun die zur Verfügung stehenden Zahlen zu Schauspieler/innen in der deutschen Film- und Fernsehbranche. Dafür habe ich drei Datensätze zusammengestellt und verglichen.

Herzlichen Dank an Frau Heike Matlage von crew united für Diskussion und Unterstützung und an Frau Gabriele Becker von Filmmakers für den Zugang zur Datenbank zur detaillierten statistischen Datenauswertung.

Grafik A „Crew United Spielalter“.

Die Datenbank crew united (LINK) enthält Angaben zu mehr als 30.000 Firmen, 125.000 Film- und Fernsehprojekten und 130.000 Filmschaffenden, darunter auch – in Zusammenarbeit mit Schauspielervideos –  die in der Film- und Fernsehbranche tätigen Schauspieler/innen. Für letztere ist die Angabe des Alters oder Geburtsjahrs seit 2010 Pflicht, es muss aber in den Profilen nicht angezeigt werden, so dass viele Schauspieler/innen eher eine von-bis-Spielalter-Anzeige nutzen. Die Werte in der Tabelle sind Stichproben, so bedeutet „25“ in diesem Fall Schauspieler/innen, deren Spielalter 25 berührt. Das heißt, dass ein Schauspieler, der als Spielalter 20 – 30 angibt, in drei Säulen erfasst wird (20, 25, 30) und eine Schauspielerin, die 21-29 angibt, nur in der 25-Jahre-Säule vorkommt. Tatsächlich sin In dieser Datenbank 4686 Schauspielerinnen und 4501 Schauspieler vertreten, die Spielaltergrafik basiert aber auf 8482 bzw. 8729 Spielalternennungen.

Grafik B „ZAV Jahrgang“

Sie folgt wieder einer 5-Jahres-Kategorisierung. Unter 1980 sind alle Schauspieler/innen erfasst, die zwischen 1976 und 1980 geboren wurden. Die ZAV ist eine staatliche Agentur, die zZt. 3.809 professionelle Schauspieler/innen für den Film- und Fernsehbereich vertritt. (Dazu gibt es natürlich noch eine vermutlich ebenso große Anzahl von Schauspieler/innen, die von privaten Schauspielagenturen vertreten werden).

Filmmakers (LINK) ist eine reine Schauspieler/innen-Datenbank, soweit ich weiß die erste ihrer Art als Angebot für Besetzer/innen. In ihr sind   zur Zeit insgesamt 19.380 professionelle Schauspieler/innen vertreten. Hier müssen alle Schauspieler/innen ihr Geburtsjahr angeben, und können optional noch ein Spielalter eine Spielalterspanne ergänzen. Ein Vergleich dieser Angaben ergab drei Gruppen: Schauspieler/innen, deren Spielalter ihrem tatsächlichen Alter entspricht, Schauspieler/innen, deren Spielalter ein paar Jahre über und unter ihr tatsächliches Alter geht, und Schauspieler/innen, deren Spielalter nur nach unten geht, also von z.B. 5 Jahre jünger bis zu ihrem Lebensalter.


Dieses Phänomen passt auch zu den Einträgen von crew united, die Grafik A ist gegenüber Grafik B etwas nach links verschoben, übrigens sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen (um einmal mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass nur Schauspielerinnen jüngere Spielalter angeben).


CrewuZavFilmm

3 Statistiken zur Altersverteilung von Schauspieler/innen

Was fällt auf? In den jüngeren Jahrgängen gibt es ein teilweise erhebliches Übergewicht an Schauspielerinnen, bis ca. 1972 (Filmmakers) bzw. 1971-1975 (ZAV) und kippt dann ab 1969 (Filmmakers) bzw. 1966-1970 (ZAV), also bei den 43 bis 48-Jährigen, zu einem Schauspielerübergewicht. In vielen Jahrgängen gibt es dann fast doppelt so viele Schauspieler wie Schauspielerinnen.

Woran liegt das?

Dass mehr junge Frauen als junge Männer den Schauspielberuf ergreifen belegen neben diesen Grafiken vermutlich auch die Bewerbungszahlen an Schauspielschulen. Aber was passiert nach ein paar Jahren Berufstätigkeit?

Die Theorie, dass der Knick, also der stärkere Rückgang bei den Schauspielerinnenzahlen, mit einer möglichen Familiengründung zusammen hängt, bzw. dem Zeitpunkt, an dem die Kinder schulpflichtig werden, widerspricht den Statistiken der ersten Abbildung (Beschäftigte bzw. arbeitslos Gemeldete). Warum sollte es für Schauspielerinnen mit Kindern schwerer sein als z.B. für Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen, Putfrauen, Ärztinnen oder Fabrikarbeiterinnen mit Kindern? Zumal der Eintrag in einer Filmdatenbank – oder die Vertretung durch die ZAV – ja nicht mit einer Vollbeschäftigung gleichzusetzen ist.

Nein, die Schauspielerinnen, die in den Datenbanken nicht mehr auftauchen, haben höchstwahrscheinlich ihrem Beruf den Rücken gekehrt.

Warum? Vermutlich, weil es keine oder zu wenig Rollen für sie gibt. Frauen kommen sowieso schon erheblich weniger in Filmen und Serien vor, als es den gesellschaftlichen Gegebenheiten entspricht. Aber dieses Ungleichgewicht spitzt sich mit zunehmendem Alter noch mehr zu. Eine Agentin sagte letzte Woche „Habe wieder ein Buch auf dem Tisch liegen, in dem Frauen unter 20 und über 70 vorkommen“. Ganz so schlimm ist es natürlich nicht in allen Filmen, aber eine Tendenz ist schon deutlich feststellbar:

  1. Mehr Männerrollen
  2. Männerrollen in einem größeren Altersspektrum
  3. Frauenrollen werden dazu oft jünger besetzt.

Die ersten beiden Punkte erklären sich selbst, der dritte Punkt bedeutet, dass eine 40-jährige Figur von einer 10 Jahre jüngeren Schauspielerin besetzt wird. Das klingt übertrieben? Nehmen wir den Kinoerfolg „Keinohrhasen“ (2007). Hauptfigur Ludo Decker (Til Schweiger) trifft seine alte Klassenkameradin Anna Gotzlowski (Nora Tschirner) wieder. Ein Altersvergleich der Schauspielenden ergibt: als Nora Tschirner mit 6 Jahren eingeschult wurde, war Til Schweiger bereits 23 ½ Jahre alt. (Offizielle Webseite zum Film – LINK – Vorsicht, mit Musik!)

Ein anderes Beispiel: Die Folge „Klassentreffen“ vom Kölner Tatort (2010 – LINK zur ARD-Webseite). Kommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) geht zum 30-Jahre-Abiturtreffen. Zum Drehzeitpunkt war Behrendt 50 Jahre alt, das passt ja gut, die Schauspieler zweier weiterer Klassenkameraden waren 53 Jahre alt (Oliver Stritzel und Rolf Berg). Zwei Klassenkameradinnen waren mit erheblich jüngeren Schauspielerinnen besetzt: Catrin Striebeck (44) und Karoline Eichhorn (45).

Drittes Beispiel: Die Telenovela „Hand aufs Herz“ (LINK zur offiziellen Webpräsenz bei Sat1). Hier ging es um Schüler/innen eines Gymnasiums, um die Lehrer/innen und Eltern. Da ist es natürlich zu erwarten, dass die Mehrheit der Sschüler/innen von älteren Schauspieler/innen gespielt wurden. Aber müssen deshalb zum Ausgleich Erwachsene jünger besetzt werden? Zum Drehbeginn 2010 war Amelie Plaas-Link 21 Jahre alt, sie spielte die Schülerin Lara Vogel. Und die 27-jährige Caroline Frier spielte ihre Mutter Miriam Vogel. Daneben gab es dann noch die Schuldirektorin Helena Schmidt-Heisig, die ein Studium, Referendariat, mehrere Jahre Schuldienst und dann noch einige Jahre am Ministerium hinter sich hatte. Gespielt wurde sie von der 40-jährigen Kim-Sarah Brandts. Nein, falsch. Die Schauspielerin war 2010 ebenfalls erst 27 Jahre alt.

Diese Unter-Alter-Besetzungen sind ein weiterer Grund, warum es so wenige Rollen für Schauspielerinnen über 30 gibt – und führen natürlich außerdem zu einer etwas gestörten Wahrnehmung von Männern und Frauen im TV. (Ich wiederhole es zum dritten Mal: das neben der bedauerlichen Tatsache, dass es wesentlich weniger Frauenrollen gibt und wesentlich weniger Geschichten von Frauen erzählt werden).

Maßnahmen in der Film- und Fernsehbranche,  die der Benachteiligung einer halben Berufsgruppe entgegen wirken – und die natürlich gleichzeitig ein Dienst für die Allgemeinheit wären, denn wieso sollten der Allgemeinheit immer nur Geschichten einer merkwürdigen Teilgruppe erzählt werden? – sind dringend nötig.

Hier sind neben den Drehbuchautor/innen und den Redaktionen und Produktionsfirmen auch die Besetzer/innen gefordert.

Ich weiß, es gibt jede Menge Vorgaben, und nicht alle können nicht immer so handeln wie sie wollen, aber ist überhaupt die Reichweite dieses Problem bekannt? Wird sie diskutiert, wenn über neue Stoffe gesprochen wird?

Wenn es nicht gerade um das zentrale Liebespaar geht oder um den Mörder im Krimi: muss eine (kleinere) Rolle mit dem Geschlecht besetzt werden, das im Drehbuch vorgeschlagen ist? Wie wichtig für den Film ist die Altersangabe einer Rolle? Die Logik des Alters wird ja oft genug über den Haufen geschmissen, vielleicht kann das noch viel öfter geschehen, auch einmal in die andere Richtung.

Das sage ich nicht nur, weil ich selber Schauspielerin bin und über 30, sondern weil ich es für einen großen Fehler halte, auf so viel Talent und Kreativität zu verzichten und weiter Schauspielerinnen aus dem Beruf zu vertreiben. Und ich außerdem die Art, wie teilweise oder größtenteils Geschichten erzählt we..  (wenn ich jetzt weiter schreibe, wäre es das 4. Mal in diesem Text. Und das ist zu viel).

Auf jeden Fall muss sich etwas ändern. Und zwar so bald wie möglich. Bitte.