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Gedanken einer Schauspielerin

Mehr Menschen sehen – THE SPLIT

Heute geht es um das Abbilden von Diversität, NEROPA, ethnisch-diverse Besetzung am Beispiel der britischen Scheidungsrecht-Miniserie THE SPLIT (BBC, 2018) und  meine Schauspielkolleg*innen Fiona RodrigoJames Krishna Floyd und Samir Fuchs.

Vielfalt, Realität, Alltag

Vor vielen Jahren wurde ich von einer Casterin für die Rolle einer Krankenschwester vorgeschlagen – aber abgelehnt, mit der Begründung so sähe eine Krankenschwester nicht aus. Wirklich? Wäre ich statt Schauspielerin Krankenschwester geworden hätte zumindest eine Krankenschwester in Deutschland so ausgesehen wie ich. „Nein, aber nicht im Fernsehen“. Kürzlich wurde ich für die Rolle einer Sozialarbeiterin abgelehnt, weil „zu alt“. Ernsthaft? Arbeiten die nur bis vierzig?

Nicht ins Bild passen, das erleben auch – vermutlich häufiger – viele andere Schauspieler*innen, in Deutschland geboren und aufgewachsen wie ich, jedoch mit sichtbarem Migrationshintergrund. „Ohne Erklärung kann ich Sie nicht einfach als [Rolle ABC] besetzen“. Ohne Erklärung für was? Den perfekten bayrischen Dialekt? Einen bestimmten Beruf? Die Normalität?

Neue Gesichter

Geschlechtergerechtigkeit vor der Kamera herstellen ist unerlässlich, um die Welt in der wir leben abzubilden und uns alle zu inspirieren. Es reicht nicht mehr, gesellschaftliche, politische, soziale, private, futuristische Themen aus Sicht von Männern und mit ewig männerlastigen Schauspielensembles zu erzählen. Genaugenommen war das noch nie in Ordnung, aber leider gängige Praxis.

Zur Vielfalt gehören aber nicht nur die (mehr als zwei) Geschlechter, sondern auch das unterschiedliche Aussehen und die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen. Und diese sollten nicht nur dann sichtbar sein, wenn eine Geschichte von ihnen handelt – von einer blinden Anwältin (DIE HEILAND), einer deutschtürkischen jungen Frau (GEGEN DIE WAND), einem Schwulen (FREIER FALL), einer Schwangeren (24 WOCHEN), einem gehörlosen Vater (JENSEITS DER STILLE) einer übergewichtigen Frau (ZUCKERBABY) oder einer Sozialhilfeempfängerin (DIE BOXERIN). Sie sollten in Filmen einfach so vorkommen, ob Haupt- und Nebenfigur oder Komparserie – soweit es zur Geschichte passt. Um wieder das Beispiel einer Verfilmung des Kardinalkonvents zur Papstwahl zu bemühen: da kann es jüngere und (vorwiegend) ältere Männer geben, weiße und schwarze, dicke und dünne, Brillenträger und Gehbehinderte. Aber keine Frauen. Und keine offen Homosexuelle.

Allerdings scheint – nicht nur in Deutschland – die Drehbuchnorm und vor allem die Besetzungsnorm an weißen, jungen, mehr oder weniger gutaussehenden, schlanken, heterosexuellen Frauen und weißen, jungen und alten, gut und weniger bis gar nicht gut aussehenden, schlanken bis sehr dicken, heterosexuellen Männern orientiert zu sein. 

Geschlecht (Drehbuch) und Aussehen (Besetzung)

Ich habe die Methode NEROPA Neutrale Rollen Parität erfunden, um den Frauenanteil in Drehbüchern auf einfache, nicht-invasive Art über den Weg der neutralen Rollen zu erhöhen, also der Figuren, deren – meist männliches – Geschlecht für die Geschichte nicht relevant ist. (Randbemerkung: ich fordere übrigens keine Frauenrollenquote von 50 % für jeden einzelnen Film sondern mache einen Vorschlag, der sofort von jeder Produktion umgesetzt werden kann und der – beispielsweise neben der Kommissionierung neuer Stoffe und Formate und einer Anwendung von NEROPA in der Stoffentwicklung – den Weg zu Geschlechterparität verkürzen hilft.)

Zur weiteren Diversifizierung der Figuren auf Leinwand, Bildschirm oder Mattscheibe schlage ich als zweiten Schritt den NEROPA Feinschliff vor, wobei in diesem Fall die Aufgabe in die kompetenten Hände der Caster*innen zu geben ist. Aktiv, das heißt mit Ansage (Mach das!“), entsprechenden Freiheiten und dem Vertrauen, dass sie tolle, vielfältige, spannende Casts und Ensembles vorschlagen können. Denn sie kennen alle Schauspieler*innen, nicht nur die Shortlist der Sender mit  Fernsehgesichtern und wenigen ,hauptrollentauglichen‘ Namen.

Die folgenden Bilder veranschaulichen, was NEROPA bewirken kann: Bild 1 die männerlastige Ausgangssituation, Bild 2 mehr Frauenrollen nach der Anwendung von NEROPA (siehe NEROPA: Die Methode), Bild 3 die besetzten Schauspielerinnen und Schauspieler (siehe NEROPA: Der Feinschliff).

Mir wurde vor ein  paar Wochen nahegelegt, in die NEROPA Methode eine Quote für ethnische Diversität einzubauen. So wichtig ich vielfältige Repräsentanz finde, ich glaube Quoten für Drehbuchfiguren aufzustellen ist nicht der beste Weg. Vielfalt, auch ethnische Vielfalt ist – unabhängig von den Stoffen und den ausführlicher charakterisierten Figuren – Sache der Besetzung, das heißt sie fällt in den Bereich der Caster*innen.

Aber ich finde noch etwas anderes bedenkenswert: es werden ja nicht nur von Rassismus betroffene Menschen in unseren Film- und Fernsehproduktionen unterrepräsentiert abgebildet, sondern jede Menge anderer Menschen bzw. Gruppen ebenso, Menschen mit Behinderungen, LGBTQI, Alte / alte Frauen, Dicke, Arme und und und. Sollen sie – entsprechend ihrem Vorkommen in der Gesellschaft – prozentual in Drehbücher eingearbeitet werden müssen? Das wäre bürokratisch und unkreativ. Und es passt nicht in jede Geschichte, jede Zeit, jedes Setting.

Ganz unabhängig davon ist es schwer bis schier unmöglich, verschiedene Proporze unter einen Hut zu bringen. Es ist ja schon recht auffällig, dass es außerhalb für Regie kaum öffentliche Quoten-Forderungen oder Vorschläge zur Erhöhung des Frauenanteils in den Gewerken gibt. Mein Modell #2v6pN ist ein Versuch in diese Richtung und bezieht sich auf die Gewerke Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Montage, Musik (siehe Was tut sich am TATORT – #2v6pN). Weitere Ideen sind dringend gefragt. Auch weil eine Erhöhung des Regisseurinnenanteils nicht reicht und nicht automatisch zu mehr Frauen als Heads of Department in anderen Gewerken und zu mehr Frauenrollen führen kann.

Eine Frage der Einstellung

Für Rollen, zu denen im Drehbuch keine Angaben zu Aussehen, Körperbau, Ethnie usw. stehen, könnte eine Leitfrage lauten „Muss diese Figur weiß, jung, gutassehend, gesund, wohlgeformt sein?“ Natürlich passiert es vereinzelt, ebenso wie bei genderumgewandelten kleinen Rollen, dass Caster*innen von sich aus diversifizieren und Produktionen demgegenüber aufgeschlossen sind. In NELE IN BERLIN besetzte Uwe Bünker eine Krankenschwester mit der schwarzen Schweizerin Jennifer Mulinde-Schmid, beides stand nicht im Drehbuch. In LAST TANGO IN HALIFAX (Casting Beverley Keogh) gibt es die lesbische Figur Kate, das war Teil der Handlung. Aber auch, dass die Figur schwarz ist? Oder kam das über die Besetzung mit Nina Sosanya, und dann wurde es nachträglich ins Drehbuch übernommen? (wobei ich gerade nur eine Stelle erinnere, wo ihre Hautfarbe überhaupt im Dialog vorkam).

Ich kann mir vorstellen, dass in einer Produktion die mit der NEROPA Methode arbeitet eher die Bereitschaft für diverseres Casting besteht. Es wird über Geschlechterverteilung und Repräsentanz gesprochen, über Stereotype und neue Bilder. Es besteht die theoretische Bereitschaft, einen Teil der Männerrollen in Frauenrollen umzuwandeln. In diesem offenen Klima den Caster*innen ein paar Vorgaben und Anregungen (auch statistische Informationen zur Bevölkerung) auf den Weg zu geben und den Auftrag: schlagt bitte auch ein paar in Film und Fernsehen ungewöhnliche aber im Leben völlig normale Typen vor, unter Berücksichtigung des regionalen und zeitlichen Settings, wäre kein immenser Aufwand. (siehe auch: Her mit der Diversität. Sheri Hagen im Blog von Pro Quote Film, 10.10.18).

Interessanterweise scheint die Situation beispielsweise in Großbritannien anders zu sein. Dort arbeiten die Caster*innen in der Regel autark und entscheiden über den Gesamtcast – prominente Hauptrollen ausgenommen. Bei uns sprechen Caster*innen von sich verschlechternden Arbeitsbedingungen, namentlich ihren schrumpfenden Handlungs- und Entscheidungsspielraum bezüglich der Besetzung, und kürzeren Fristen, vermutlich, weil die endgültigen Rollenlisten und Drehbuchfassungen immer später vorliegen. Aber das muss ja nicht so bleiben.

Bei entsprechender Rückendeckung oder Bereitschaft in einer Produktion kann durch das Casting ein Film diversifiziert und somit zeitgemäßer und für das Publikum attraktiver werden. Das hilft auch Stereotype zu vermeiden. Wenn es nur eine*n Vertreter*in einer Gruppe gibt, wird diese oft klischeehaft dargestellt. Gibt es mehrere, sieht das schon ganz anders aus. Wenn in einem britischen Film eine Schwedin vorkommt ist die Chance relativ groß, dass sie blond, groß und vollbusig besetzt wird. Gibt es drei Schwedinnen hat eine vielleicht einen Migrationshintergrund und schwarze Haare. Nebenrollen bieten auch andere Chancen: steht ein Rollstuhlfahrer im Zentrum der Geschichte ist der Fokus allzu oft sehr negativ (wie viele Filme kennt Ihr, in denen Rollstuhlfahrer*innen nicht mehr leben wollen?). Sitzt eine Nebenfigur, die Standesbeamtin, der Redaktionsleiter, der Nachbar, die Schwiegermutter im Rollstuhl, zeigt das Normalität. Denn für sie wurde ja keine Leidensgeschichte ins Drehbuch geschrieben.

THE SPLIT: Gleichberechtigung und ethnische Diversität

Ein interessantes Beispiel lieferte 2018 die BBC mit der 6-teiligen Serie THE SPLIT (Idee und Drehbuch Abi Morgan). Die Serie handelt von einer Familie von Scheidungsrechtlerinnen, die älteste Tochter Hannah (Nicola Walker) verheiratet, 3 Kinder, hat kurz vor Beginn der Serie vom erfolgreichen Familienunternehmen (Defoe) zur Konkurrenz (Noble & Hale) gewechselt, bei Defoe arbeiten weiterhin Mutter Ruth (Deborah Findlay) die mittlere Tochter Nina (Annabel Scholey). Die jüngste Tochter Rose (Fiona Button) ist Kindermädchen (siehe BBC-Webseite).

Es gibt einen gendermäßig relativ ausgewogenen Hauptcast, auch in den großen und kleinen Nebenrollen kommen viele Frauen in verschiedenem Alter vor, es gibt eine Außenministerin (Claire Rushbrook), die im Nebensatz eine Premierministerin erwähnt. Was darüber hinaus den Cast bemerkenswert macht ist die starke Repräsentanz nicht-weißer Schauspieler*innen. Einfach so, würde ich mal sagen. Ich habe versucht herauszubekommen, ob die Rollen bereits im Drehbuch so beschrieben sind, ob das Ideen der Casterin waren oder ob es eine Vorgabe, einen Wunsch seitens der Produktion gab: Diversität! – Let‘s cast more diverse. Von der Produktionsfirma Sister Pictures und Casterin Beverley Keogh habe ich leider keine Antworten erhalten. Sollte sie noch kommen trage ich sie hier noch nach.

Die einzige Rolle, die vermutlich auch im Drehbuch schon als schwarz geschrieben war, könnte der Profifußballer Diallo Diapo (Thierry Mabonga) sein, der wegen eines Ehevertrags in die Kanzlei kommt.

Ansonsten sehen wir den Verlobten von Rose Defoe, James Cutler, und seine Eltern Annie und Miles, die von Rudi Dharmalingam, Shobu Kapoor und Ahmed Jamal gespielt werden, und den Pfarrer Glen Peters (Kobna Holdbrook-Smith). Nicht-weiß sind neben Hannah‘s Kollegin / Assistentin Maggie Lavelle (Ellora Torchia) und dem Rechtsanwaltgehilfen (?) Sean Bainbridge (Afolabi Alli) auch die reichen Geschäftsfrauen Goldie McKenzie (Meera Syal) und Jaynie Lee (Tamara Lawrance), und natürlich Alex ,Zander‘ Hale, Chef von Noble & Hale (Chukwudi Iwuji). Es ist für die Figur Zander egal ob sie weiß, schwarz oder braun ist – wobei „Zander“ für mich ein bisschen niederländisch klingt, im Gegensatz zu Anwalt Christie Carmichael, was eher  englisch und überhaupt kein niederländischer Name ist. Christie wird gespielt von dem Niederländer Barry Atsma und in den Dialogen wird mehrfach auf seine Nationalität Bezug genommen. Ich finde es übrigens erfreulich, dass ein Ausländer mal von einem Ausländer gespielt wird.  (Nicht nur) in britischen Produktionen die in der Gegenwart spielen werden z.B. die wenigen Deutschen, die vorkommen – denn in der Realität gibt es einige, die im Land leben und arbeiten – üblicherweise von Brit*innen gespielt, oft mit dieser Parodie eines deutschen Akzentes, anstatt deutsche Schauspieler*innen zu besetzen oder sie es wenigstens nachsynchronisieren zu lassen (Queen Mary, die Großmutter von Queen Elizabeth II, eine Deutsche, müsste eigentlich fließend und akzentfrei Deutsch gesprochen haben – davon ist in der Serie THE CROWN nichts zu hören). Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

Die nächsten Abbildungen zeigen den zahlenmäßigen und prozentualen Anteil von weißen und nichtweißen Schauspieler*innen unter den durchgehenden und kleineren Rollen, generell und dann auch noch aufgeteilt nach Geschlechtern. Das sind gute Werte für eine Serie die in London spielt, wo 44 % der Bevölkerung zu „ethnischen Minderheiten“ gehören (Quelle). Und britisches Scheidungsrecht ist mehrheitlich eine Frauendomäne.

Nach weiterer Diversität sucht man im Cast von THE SPLIT allerdings vergeblich. Da fällt am ehesten noch Außenministerin Emma Graham (Clair Rushbrook) auf, als Übergewichtige in einem ansonsten schlanken Frauencast. Es gibt eine Schwangere (Teil der Handlung), aber ich erinnere keine Figur mit einer Behinderung, keine Andeutung, dass jemand LGBTQI sein könnte, was wiederum eher im Drehbuch stehen müsste – denn das wird nicht über das Aussehen / durch die Besetzung gezeigt. Es soll übrigens eine zweite Staffel produziert werden, und sollte jemand nicht heterosexuell sein, tippe ich mal auf Zander Hale, zu dessen Privatleben wir bislang noch nichts erfahren haben. (Wer bzw. wo ist eigentlich Noble von Noble & Hale? Anderes Thema.)

In der Besetzung sehen wir auch etwas, das wir aus Deutschland kennen. Die Besetzung prominenter Wunschkandidatinnen hebelt schon mal die Alterslogik aus. Letztens lief bei uns die Serie DIE PROTOKOLLANTIN, Iris Berben (Jg. 1950) und Moritz Bleibtreu (Jg. 1971) sollten Geschwister spielen, in Rückblenden sind sie vielleicht 5 oder 6 Jahre auseinander. In THE SPLIT ist es Hauptfigur Hannah Stern, älteste von drei Schwestern. Laut Dialog ist sie 4 Jahre älter als Schwester Nina, Schauspielerinnen Nicola Walker und Annabel Schorley sind im echten Leben aber 14 Jahre auseinander und das sieht man auch. Überhaupt, die drei Schwestern sind sich nicht besonders ähnlich, weder optisch, noch vom Akzent bzw. der Sprechweise her, das fällt recht deutlich auf, ich habe selber zwei Schwestern und wir werden noch heute am Telefon verwechselt. Aber das ist natürlich nicht Fokus der Serie, und es funktioniert auch weitestgehend ohne Ähnlichkeit. Bei einer anderen BBC-Serie – BODYGUARD – soll es wie ich vor ein paar Tagen hörte, Beschwerden über den hohen Anteil schwarzer und mixed-race Schauspieler*innen gegeben haben.  Seltsam. Die Serie spielt übrigens auch in London.

Ethnische Diversität im Cast

Ethnische Diversität im Cast

Die Wirklichkeit einholen – Drei SchauspielerInnen

Wie der Vergleich der Rollen- und Schauspieler*innennamen von THE SPLIT zeigt, lässt sich aus den Namen nicht immer auf das Aussehen einer Person schließen, und überhaupt sind Fotos und Demobänder wichtiger als unsere Namen. Oder doch nicht?

Mein Kollege Samir Fuchs, mit dem ich letztes Jahr für die ZDF-Familienserie DSCHERMENI vor der Kamera stand (IMDB-Eintrag) – er als Flüchtling, ich als Leitern des Flüchtlingsheims – ist gebürtiger Berliner. Neben Berlinerisch ist Deutsch seine Muttersprache, – die Sprache seines Vaters, der aus Ägypten stammte, beherrscht er nicht. Da er ihm aber ähnlicher sieht als seiner blonden Mutter, wird er nicht unbedingt als Urberliner, sondern eher als Immigrant besetzt, als jemand, der höchstens gebrochen Deutsch spricht, oder Arabisch. Dafür muss er sich dann sprach- und dialektcoachen lassen. Spielt er einen akzentfreien Deutschen, wird das im Dialog erklärt: „Der ist doch hier geboren“. Samir erzählte mir, dass eher selten sein Äußeres, das Erbe seines Vaters, nicht thematisiert wird. Ich fragte ihn, wie die Branche auf seinen Namen reagiert. Fuchs ist deutsch, und Samir arabisch, wobei Vornamen ja gerne mal international sind:

Mmhh, also viele Leute aus der Branche denken ja, es sei ein Künstlername. Wahrscheinlich bin ich auch der einzige Mensch auf dieser Welt, der so heißt. Was den Job betrifft ist das wie ein Alleinstellungsmerkmal, leicht zu merken und meiner Erfahrung nach positiv behaftet. Die Caster in Deutschland kennen mein Material und wissen zumindest äußerlich was sie erwartet wenn ich durch die Tür komme. Da passiert es mir beim Casting schon eher mal, dass hier der Herr Fuchs und da der Samir mehr zum Vorschein kommt. Es ist Fluch und Segen zugleich. Ein bisschen wie ein hybrides Auto, Du musst wissen, mit welcher Energiequelle Du es gerade steuerst.

Ein britischer Schauspieler hieß, als ich ihn das erste mal in einem Film sah, im Abspann noch James Floyd (MY BROTHER THE DEVIL, Regie Sally El Hosaini). Hier im Blog habe ich ihn schon mal als Dr. Varma in der britischen Serie THE GOOD KARMA HOSPITAL , die in Indien spielt und in Sri Lanka gedreht wird, im Artikel Die Sache mit der Dusche erwähnt. Letztes Jahr nun hat James seinen Namen um seinen zweiten Vornamen ergänzt. Seine öffentliche Erklärung vom 6.10.17 darf ich mit seiner Erlaubnis netterweise zitieren (thank you!):

Ab heute lautet der offizielle Name, den ich als Schauspieler verwende, James Krishna Floyd. Dies ist mein vollständiger Geburtsname, inklusive des zweiten Vornamens, Krishna.
Ich habe verschiedene Gründe dafür. Hier sind einige davon:
Als meine Mutter ein Teenager war ist sie, gemeinsam mit ihrer Familie, im Auto von Tamil Nadu / Südindien, nach London / UK gereist. Sie blieben dann in London und seitdem wohnt sie hier. Meinen englischen Vater hat sie in der Flower Power Zeit kennengelernt, in der Hippie-Bewegung der Liebe und Akzeptanz. Ich bin sehr stolz, ein mixed-race Mensch zu sein und habe viele kulturelle Einflüsse in meiner DNS. Aber das, worauf ich am stolzesten bin ist, Sohn einer Migrantin zu sein. (…) Wenn wir weit genug zurückgehen haben alle Menschen migrantisches Blut.

Die Schauspielerin Fiona Rodrigo wiederum, Britin mit sri-lankischen Wurzeln, anwortete als ich sie auf ihren Namen ansprach (Fiona klingt englisch und Rodrigo eher spanisch / portugiesisch):

Mir ist vorgeschlagen worden, dass ich einen oder beide meiner Namen, also Vor- und Nachnamen, ändern solle, hauptsächlich bezog sich das allerdings auf Rodrigo. Es kam vor, dass ich für eine Südamerikanerin gehalten worden bin, oder für jemand aus dem Mittelmeerraum. Das gefällt mir, aber gleichzeitig ist es natürlich möglich, dass mein Name verhindert hat, dass ich in der Filmbranche für südasiatische, d.h. beispielsweise indische Rollen eingeladen worden bin, in Fällen wo ein besonders Gewicht auf eine bestimmte Art des authentischen Castings gelegt worden war. Ich möchte die Branche ermutigen, die Wirklichkeit, die gesellschaftliche Realität einzuholen.

Portugiesische Nachnamen wie Rodrigo sind in Sri Lanka, von wo Fionas ihre Eltern vor mehreren Jahrzehnten nach England kamen, nicht unüblich. Was ich an dieser Geschichte etwas verwunderlich finde ist das Versteifen auf den Namen, Fiona hätte den den ursprünglich portugiesischen Namen ja auch einfach über Heirat bekommen können. Ich fragte sie, wie oft sie zu Castings eingeladen wird, bei denen in der Rollenbeschreiben ein südasiatisches Aussehen steht, und ob sie dabei auch gelegentlich einen entsprechenden Akzent abliefern müsste?

In letzter Zeit sind die Rollen südasiatisch gewesen, also z.B. indisch oder pakistanisch, und es wurde dafür ein Akzent verlangt, sowohl im Film als auch beim Theater.
Bei ein paar Filmcastings ging es um britische oder US-amerikanische Rollen und in der Rollenbeschreibung stand keine spezifische Ethnie. Das lief oft über E-Castings. Ich liebe diese Mischung aus allem was ich bin, und so ist auch die Welt beziehungsweise so so sieht sie aus. Ich kann Sara sein, Anna oder Shamila. Als Schauspielerin willst Du Dich über Grenzen hinwegsetzen, und Du möchtest jede Rolle spielen, spielen können. Das ist Deine Erwartung.

(Was soll ich sagen, ich habe keine Fotos bekommen, die ich im Blog verwenden darf…)

Außerdem schrieb Fiona mir:

Werbespots scheinen wesentlich breiter gecastet zu werden. Da bin ich bei den Castings oft eine von vielen Kolleg*innen mit verschiedensten ethnischen Hintergründen und das ist großartig. Da benutze ich meistens meinen normalen englischen Akzent und den Figuren den ich spiele sind keine Beschränkungen gesetzt. Ich hoffe, dass E-Castings und der kontinuierliche Ruf nach inklusiver Besetzung das noch weiter voranbringen, so dass der Besetzungsprozess als solcher aufgeschlossener und offener, und das Ergebnis representativer für die wirkliche Welt wird.

Siehe auch: Fiona Rodrigo: „Do I have to change my name to be seen for South Asian roles?“ (The Stage 3.8.18).
Samir
fragte ich ebenfalls zu seinen Rollen: Besser ein augenrollender Übersetzer oder radebrechender Terrorist als gar keine Arbeit?

Klischees sind von Menschen gemacht. Im Film, als Spiegel gesellschaftlicher Wahrnehmung werden sie verbildlicht. Ich habe meinen ersten Film kurz nach 2001 gedreht. Die ohnehin schon klischeehafte und negative Wahrnehmung von Ausländern und insbesondere von Menschen aus dem orientalischen Raum hat sich seit dieser Zeit extrem intensiviert. Auf Kosten von ganzen Volksgruppen oder Religionsgemeinschaften werden Filme und TV Serien in Szene gesetzt, die diese Wahrnehmung oft noch verstärken. Als Schauspieler habe ich eine soziale Verantwortung bin aber auch darauf angewiesen, in Brot und Lohn zu stehen. Um Klischeevorstellungen wie ,ein langer Bart impliziert einen bevorstehenden Terrorakt‘ entgegenzuwirken, versuche ich meine Rollen dahingehend zu vermenschlichen, dass der Zuschauer die Figur und sein Handeln sieht, die gespielte Figur vielleicht verurteilt oder gar hasst, aber ihren ethnischen Background dabei außen vor lässt. Das ist zumindest meine Maxime. Der Grat ist oft schmal, besonders wenn die Bücher dünn geschrieben sind, dem bin ich mir bewusst. Da ist es wichtig mit guten Leuten zu arbeiten, die auch mal bereit sind, Rollen umzuschreiben. Dann wird schon mal aus einem „libanesischen Crackdealer“ ein „Steuerberater“, der die Polizei an der Nase herumführt. Nen ganz schöner Fuchs also.

Und die Arbeit als Synchronsprecher, auch eher arabisch-stämmige Figuren mit Akzent?

Ich bin über einen Kollegen zum Synchronsprechen gekommen. Damals suchten sie für den wunderbaren dänischen Film ADAMS ÄPFEL (Regie Anders Thomas Jensen) jemanden, der deutsch mit arabischen Akzent sprechen kann. Ich war beim Casting und dachte, ich war schrecklich, mit Akzent zu sprechen fühlte sich sehr künstlich für mich an. Die Rolle bekam ich trotzdem. Daraufhin wurde ich über Mundpropaganda bekannter und habe aus der Not eine Tugend gemacht, mein Arabisch immer mehr geschult und mich mit Akzenten beschäftigt. Bis heute werde ich deutschlandweit gerne für arabischstämmige Figuren gebucht, auch weil ich die Schauspieler aus dem Original besser nachempfinden kann. Ich bin zum Spezialist für die Fälle geworden, wenn die deutsche Zunge anfängt zu brennen, spreche aber auch einen Mönch, Literaturprofessor, Marco mit blonden langen Haaren oder den ganz normalen Familienvater von nebenan.

Den heutigen Artikel möchte ich mit dem restlichen Statement von James Krishna Floyd vom Oktober 2017 beenden. Hier spannt er einen leidenschaftlichen Bogen von seiner Familie über rechte Politik bis hin zur Verantwortung von uns allen mit einem hoffnungsvollen Ausklang:

Das, worauf ich am stolzesten bin ist, Sohn einer Migrantin zu sein. Meine Familie war immer schon sehr aktiv in ihrer Untestützung von Immigrant*innen und der Unterklasse im Vereinigten Königreich, vom Englischunterricht für Flüchtlinge bis hin zu der Arbeit mit jungen Straftätern auf Bewährung. Wenn wir weit genug zurückgehen haben alle Menschen migrantisches Blut. Trotzdem verurteilen große Teile der Mainstream-Gesellschaft Einwander*innen und Einwanderung. Angefangen mit dem orangen Affen namens Trump, der die Einwanderungsregelung DACA Deferred Action for Childhood Arrivals aufgekündigt hat (in der es um illegale Einwanderung von Minderjährigen in die USA ging, bzw. einem 2-jährigen Abschiebungsschutz und der Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten), und der alles daran setzt, Immigrant*innen zu kriminalisieren, obwohl sein Urgroßvater selber ein deutscher Einwanderer war. Über die Unterhaltungsindustrie in der ich arbeite, und die sich jedes Jahr wieder selbst dazu gratuliert, dass sie Krümel an diejenigen, die sie „Minderheiten“ nennt im Namen von Diversität verteilt, über die bösen Brüder von UKIP und Brexit, die viele Brit*innen belogen haben indem sie behaupteten, dass von einem Wegrennen von der – obschon unvollkommenen – internationalen Gemeinschaft der EU unsere zukünftigen Generationen profitieren werden. Bis hin zu der rechtsextremen Alt-Right Bewegung (rechts-alternative Bewegung), die alles andere als alternativ ist und ständig daneben liegt, besonders in Bezug auf Einwanderung. Ich könnte noch weitere aufzählen, aber lasse das. Ich bin nicht religiös, aber Krishna war eine Hindu Gottheit mit vielen Eigenschaften und Zuständigkeiten, dazu gehört vor allem Mitgefühl. Ich hoffe, dass mein neuer Künstlername dies auf eine kleine Weise kommuniziert. Wir müssen Anteil nehmen an Migrant*innen und Migration. Da kommen wir alle her.
Frieden und Liebe, James Krishna Floyd

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