SchspIN

Gedanken einer Schauspielerin

WIFT und SchspIN zu 50 Jahre TATORT. Folge 5: Musik

Exklusiv für WIFT Germany betrachte ich die Liste der 50 potenziellen Wunsch-Tatorte (siehe ARD-Webseite) zum 50. Geburtstag dieser Sonntagabendkrimireihe mit der Filmfrauenlupe. Die Texte erschienen zunächst über die sozialen Kanäle von WIFT Germany bei Instagram und Facebook, anschließend etwas ausführlicher hier.

Gute und schlechte Filmmusik

Es gibt zwei Arten von Musik: gute und schlechte.
Louis Armstrong

Tatsächlich wird es heute aber nicht um gute und schlechte Musik gehen – das ist sowieso zum großen Teil Geschmack und Zeitkontext – sondern um Komponistinnen und Komponisten von TATORT-Musik. Keine große Überraschung, und es klingt ein bisschen wie eine Schallplatte mit Sprung, dass die 50 Folgen aus dem Wunschtatorte-Pool auch bezüglich der Musik / Komposition eine schwerst männerlastige Angelegenheit sind. Nur zwei Komponistinnen stehen neben 61 Komponisten auf der Liste. Für etwas Abwechslung sorgt diesmal lediglich die Torte, ein leckerer Baumkuchenring, von dem die Frauen mit ihren 3,2 % allerdings nur ein kleines halbes Stückchen genießen können.

Die Komponistinnen Verena Marisa und Iva Zabkar – beide WIFT Germany-Mitglieder! – arbeiteten mit den Regisseuren Max Färberböck (DER HIMMEL IST EIN PLATZ AUF ERDEN) und Umut Dağ (REBECCA). Die vier Wunschtatorte-Regisseurinnen hatten nur Musiker im Team. Dieses Phänomen findet sich auch in den 339 TATORT-Premieren von 2011 bis 2019:

Lediglich zwei der 41 Regisseurinnen hatten eine Komponistin im Team: Hermine Huntgeburth mit Christine Aufderhaar in DIE GESCHICHTE VOM BÖSEN FRIEDERICH 2016, und Anna Zoha Berrached mit Jasmin Reuter (ebenfalls WIFT Germany-Mitglied) in DER FALL HOLDT 2017. Das macht einen Gesamtanteil 4,1 % aller Komponistinnen. In den neun TATORT-Jahren arbeiteten insgesamt 18 Regisseure mit Komponistinnen, was einen Anteil von 5,8 % bedeutet.

Die oft kolportierte Aussage, mit einer Regisseurin steige der Frauenanteil hinter der Kamera, gilt demnach nicht für Filmmusik, zumindest nicht bei Deutschlands prestigeträchtigster Fernsehreihe.

Die nächste Abbildung zeigt den Frauenanteil für die 339 TATORT-Musiken 2011-19. Es gab gar keine Komponistinnen 2012, und in den übrigen Jahren lag ihr Anteil meist deutlich unter 10 %. Einzige Ausnahme 2018 mit 10,6 %.

Die Daten für das erste Halbjahr 2020 sind übrigens noch nicht vollständig, deshalb habe ich sie in meiner Analyse weggelassen. Auf der ARD-TATORT-Webseite, wo ja eigentlich für jeden Fall die Gewerke Drehbuch, Regie, Kamera und Musik aufgeführt werden, fehlt die Musikposition am häufigsten. Und die Lücken ließen sich auch nicht vollständig durch die Datenbanken Filmportal, Crew United oder IMDB schließen. Vincent Lutz von Crew United erzählte mir, dass viele Projekte in ihrer Datenbank nur unvollständig eingetragen werden, manche nur mit einer Handvoll Teampositionen. Regie und Kamera seien immer dabei, Drehbuch nicht unbedingt, und Musik eher selten – dies betrifft aber natürlich alle Projekte, also auch beispielsweise Werbe- und Kurzfilme. Meine Arbeit bestätigen dies, Musik – und auch Ton – muss ich oft sehr aufwändig nachrecherchieren, mitunter hilft nur ein Anruf bei der Produktionsfirma, im Internet war nichts zu finden. 

Dass Komponist*innen seltener als beispielsweise Kameraleute erwähnt, und entsprechend seltener von den Produktionen in die Datenbanken eingetragen werden, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie – wie auch Drehbuchleute oder Editor*innen – nicht wirklich Teil des Teams sind, sie arbeiten nicht am Set sondern zu Hause oder im Studio, in der Vor- oder Postproduktion, oder zumindest ,irgendwo anders‘, wenn schon während der Produktionsphase.

Zahlen- und Gedankenspiele

Der mittlere Komponistinnenanteil für die TATORTE 2011-19 (4,3 %) ist ähnlich niedrig wie der für die 50 Wunschtatorte (3,2 %) und mehr als halb so groß wie der Komposition-Frauenanteil in der Datenbank von crew united (9,1 %):

Im Vergleich mit den anderen drei untersuchten Gewerken fällt auf, dass es mehr feste Teams gibt, und außerdem, dass die Anzahl TATORTE pro Komponist*in höher ist. So kamen in den 329 TATORTEN gut 170 Komponist*innen zum Einsatz, knapp 110 von ihnen allerdings nur in einem Film.

Die weiblichen und männlichen Kompositions-Top 3 zeigt die nächste Abbildung.  Auf Platz 1 aller mit 21 TATORTEN, davon 4 im Team, steht der Schweizer Musiker und Filmkomponist Fabian Römer. Was vielleicht erstaunt: Platz 2 und 3 bei den Männern werden von Teams eingenommen, Dürbeck & Dohmen und Christoph M. Kaiser / Julian Maas. Und was vielleicht nicht erstaunt: Die Top 3 meistengagierten Männer bzw. Männerteams kommen insgesamt auf 50 TATORTE, das ist fast fünf mal so viel wie die Top 3 meistengagierten Komponistinnen (insgesamt 11 TATORTE).

In den neun Jahren gab es insgesamt 10 Komponistinnen und 162 Komponisten. Zum Vergleich: im gleichen Zeitraum kamen 11 Kamerafrauen und 81 Kameramänner zum TATORT-Einsatz. Das heißt nicht, dass die Kameraleute wesentlich häufiger eingesetzt wurden, sondern dass sie in der Regel alleine auf der Position arbeiten. Der Kameramann mit den meisten TATORTEN 2011-19 war Jürgen Carle mit 14 und die Top Kamerafrauen sind zu dritt mit je 4 TATORTEN: Christine A. Maier, Cornelia Wiederhold und Jutta Pohlmann.

Und zum Schluss noch ein Blick in die Datenbank von Crew United, in der sich Filmschaffende mit einem Profil eintragen können, kostenlos oder kostenpflichtig. Für die Statistik zu den Filmberufen und wie viele in einem Gewerk zu finden sind, werden nur kostenpflichtige Einträge berücksichtigt.

Zunächst die Anzahl der Profile. Interessanterweise gibt es für die vier Jahre, in denen die ich die Daten abgefragt hatte – herzlichen Dank an Vincent Lutz für die Unterstützung und Datenübermittlung! – wesentlich mehr Kameramänner und -frauen als Drehbuchautor*innen oder Komponist*innen. Die Profile von Drehbuch- und Kameraleuten werden mehr, die von Komponist*innen nicht wirklich, ihr Mittelwert ist 279, der niedrigste Wert (2017) war 259, der höchste (2020) 296. Die Drehbuchleute hatten 2014 den niedrigsten Wert (255), es wurden aber jedes Jahr mehr, und sind 2020 schon 423 Profile.

Noch mal zurückgedacht: es kamen insgesamt 172 Komponist*innen in den untersuchten TATORTEN zum Einsatz. D.h. es bleiben rein rechnerisch noch 100 übrig. Und wir wissen auch, dass es jedes Jahr mehr Filme als nur die 35 TATORT-Premieren gibt. Vielleicht das Zehnfache? das Hundertfache? Keine Ahnung. Jedenfalls können wir davon ausgehen, dass es zum einen noch viele Komponist*innen gibt, die gar kein Profil bei Crew United haben (ebenso wie Drehbuchleute natürlich), weil sie anders gefunden werden. Und auch, dass vermutlich Komponist*innen an verschiedenen Filmprojekten gleichzeitig arbeiten. Das haben mir auch zwei Komponistinnen, die ich dazu fragte, bestätigt. Es ist auf jeden Fall machbar, wenn es eine längere Vorlaufzeit für die Projekte gibt, und vor allem, wenn man im Team arbeitet. Da besteht eventuell allein schon aus finanziellen Gründen die Notwendigkeit, mehrere Filmprojekte gleichzeitig zu haben.

Was die Frauenanteile in den Gewerken betrifft sind diesmal Komposition und Kamera ungefähr gleichauf und Drehbuch locker vier mal höher. Das ist auch nicht wirklich neu, auch an den Filmuniversitäten ist in diesem Fach der Frauenanteil viel größer.

Filmkomposition wird u.a. als Aufbaustudium nach einem Musikstudium angeboten, man kann von 10-30 % Absolventinnen ausgehen. Allerdings: viele Wegen führen in diesem Beruf, aber nicht unbedingt in die Engagements. Es herrscht also Handlungsbedarf bei Redaktionen, Produktionsfirmen und Regisseur*innen, und wer sonst noch über die Musik entscheidet.

Damit TATORT-Musik keine Männerdomäne bleibt, hilft beispielsweise ein Blick auf die Seiten von Music Women Germany (22 Komponistinnen in der Datenbank) Track15 (Kollektiv von 11 Komponistinnen) oder auch der Plattform für Vertreterinnen elektronischer Musik female:pressure.

Soundtracks

Kürzlich fanden die Soundtrack Zürich (29.9.-1.10.) und Soundtrack Cologne (14.-17.10.) statt. In Zürich gab es eine Kooperation von WIFT Germany mit den Kolleginnen von SWAN (Swiss Women’s Audiovisual Network). Dort präsentierte WIFT Germany Mitglied Hanna Sophie Lüke (track15) WIFT Mitglied Tina Pepper (Deutscher Fernsehpreis 2020 für die Musik der TV-Serie RAMPENSAU), Dascha Dauenhauer (Deutscher Filmpreis 2020 für die Musik des Kinofilms BERLIN ALEXANDER) und Olivia Pedroli ( Schweizer Filmpreis 2020 für die Musik im Film FÜR IMMER UND EWIG). WIFT Vorstandsfrau Cornelia Köhler moderiert anschließend eine Matchmaking-Session. In Köln informierte WIFT Mitglied Verena Marisa über das Komponieren für TATORTE, und WIFT Vorstandsfrau Cornelia Köhler präsentierte die Filmtonfrauen.

„Film Music Award Winners 2020“ mit den Film- und Fernsehpreisträgerinnen für Musik Dascha Dauenhauer (Deutscher Filmpreis für BERLIN ALEXANDERPLATZ) WIFT Mitglied Tina Pepper (Deutscher Fernsehpreis für RAMPENSAU) und Olivia Pedroli (Schweizer Filmpreis für IMMER UND EWIG)! Moderiert wurde das Panel von WIFT Mitglied Hanna Sophie Lüke.

„Film Music Award Winners 2020“ mit den Film- und Fernsehpreisträgerinnen für Musik Dascha Dauenhauer (Dt. Filmpreis für BERLIN ALEXANDERPLATZ) WIFT Mitglied Tina Pepper (Dt. Fernsehpreis für RAMPENSAU) und Olivia Pedroli (Schweizer Filmpreis für IMMER UND EWIG). Moderatorin WIFT Mitglied Hanna Sophie Lüke. Foto: Cornelia Köhler

Bitte entschuldigt die uneinheitlich gestalteten Abbildungen, ich habe vor einiger Zeit das Bildbearbeitungsprogramm gewechselt und übe noch.

 

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