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Gedanken einer Schauspielerin

Alles schön divers bei den Oscars?

Die US-amerikanischen Filmpreise 2023

Am vergangenen Sonntag wurden in Los Angeles die Academy Awards 2023 verliehen. Ich bin von mehreren Seiten gefragt worden, wo mein Kommentar bleibt, also los geht’s!

Es wurde groß gefeiert, dass unter den Preisträger:innen so viele Nationalitäten vertreten sind, so viele verschiedene ethnische Hintergründe. Das kann optimistisch stimmen, liegt aber zu einem großen Teil an EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE, der für elf Preise nominiert war und immerhin sieben gewann. Denn an dieser Fantasy-Komödie über eine chinesische Einwandererfamilie in den USA waren hinter und naturgemäß vor der Kamera sehr viele asiatisch(-stämmig)e Filmschaffende beteiligt. Wobei die häufig gebrauchte Formulierung ,die erste für eine Hauptrolle nominierte Schauspielerin, die sich als Asiatin identifiziert’ (“who identifies as Asian“) im Zusammenhang mit der malaysischen Hauptdarstellerin Michelle Yeoh etwas wunderlich anmutet.*

Daneben herrschte große Begeisterung darüber, dass zwei Schauspielerinnen die Preise für beste Schauspielerin in einer Haupt- bzw. einer Nebenrolle erhalten haben. Zwei Schauspielerinnen über 60 muss ich vielleicht ergänzen.

Über weitere Diversitätskategorien vor und hinter den Kameras kann ich nicht viel berichten, da ich bis auf SHE SAID, das Drama über die Enthüllung der Weinstein-Verbrechen und Auslöser der #metoo-Bewegung, noch keinen der Filme gesehen hab. Achso, und SHE SAID wurde überhaupt nicht nominiert, in keiner Kategorie. Tja.**

6-Gewerke-Check – ein Trauerspiel

Was ich aber bieten kann ist eine statistische Auswertung der Frauen– und Männeranteile in sechs Gewerken bei den fünfzehn Filmen die in zwei Kategorien oder mehr nominiert waren. Die sechs diesmal untersuchten Gewerke sind Produktion (statt Ton), Regie, Drehbuch, Kamera, Montage und Musik. Und dieser 6-Gewerke-Check ist ein Trauerspiel, es sei denn man mag Rosa und Einseitigkeit:

 

Die Abbildung zeigt es, Regie und Drehbuch unter 10 % Frauenanteil, Kamera unter 15 %, Produktion und Montage um die 20 %, Musik unter 25 %.

Hat das irgendjemand thematisiert? Wenn, dann habe ich es nicht mitbekommen. Es ist ein bisschen wie auch in anderen Zusammenhängen: Sexismus, Geschlechterungleichgewicht, strukturelle Benachteiligung von Frauen in Film und Fernsehen interessiert nicht mehr wirklich als eigenes Themen, da wir jetzt über Diversität sprechen. Und damit ist „alles andere“ gemeint, auch wenn viele Männer und ein paar Frauen uns gerne einreden wollen, dass bei Diversität die Frauen mitgemeint sind. Ich denke eher Nein.

Von den zwölf Preisen, die für Filmschaffende in meinen heutigen sechs Gewerken erreichbar waren – Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller, Beste Hauptdarstellerin, Beste Nebendarstellerin, Bester Nebendarsteller, Bestes Originaldrehbuch, Bestes adaptiertes Drehbuch, Beste Kamera, Bester Schnitt, Beste Filmmusik, Bester Internationaler Film – gingen drei an Frauen. Davon zwei in den weiblichen Schauspielkategorien, Michelle Yeoh und Jamie Lee Curtis, das war also gesetzt. Dazu kommt Sarah Polley für bestes adaptiertes Drehbuch (WOMEN TALKING). Dem gegenüber konnten vierzehn Männer Oscarstatuen nach Hause nehmen. Das ist ein Verhältnis von 1:4,7 – ohne die Schauspielpreise 1:12.

In allen sechs Gewerken waren 22 Frauen und 119 Männer gelistet, das bedeutet 1:5,4. Soll heißen: es waren zwar Frauen in den wichtigen Gewerken beteiligt, aber Männer fünf mal mehr. Und ohne die Schauspielerinnenpreise hätten mehr als zehn mal so viele Männer einen Oscar gewonnen.

Ja, es gab natürlich noch weitere Kategorien, und da wurden auch Frauen ausgezeichnet, alleine oder in gemischten Teams: Bestes Szenenbild, Bestes Kostüm, Bestes Make-Up, Bester Dokumentarfilm, Bester Dokumentar-Kurzfilm. Kommt Euch das bekannt vor?

Der Hashtag #oscarssomale (Oscars so männlich) ist auch 2023 leider sehr passend.

Wer schafft #2von6?

Zurück zu den fünfzehn untersuchten Filmen. Bei sechs von ihnen war keine Frau in den 6 untersuchten Gewerken beteiligt: EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE, THE BANSHEES OF INISHERIN, AVATAR: THE WAY OF WATER, THE WHALE, THE BATMAN und TRIANGLE OF SADNESS.

Das nächste Bild zeigt die weitere Verteilung:

Regelmäßige Leser:innen meines Blogs kennen schon meinen Vorschlag #2von6pN (2 von 6 plus NEROPA), also die (Selbst-)Verpflichtung, dass an zwei von sechs betrachteten Gewerken Frauen beteiligt sein müssen. Nicht alleinverantwortlich, nur mitbeteiligt. Normalerweise habe ich Ton statt Produktion.

Drei Filme hatten lediglich eine beteiligte Frau, also z.B. IM WESTEN NICHTS NEUES: Autorin Lesley Paterson schrieb gemeinsam mit zwei Kollegen, Edward Berger und Ian Stockel, das Buch, basierend auf dem Roman von Erich Maria Remarque. Bei BABYLON (oder wie der deutsche Titel lautet: BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE, das war aber kein Softporno) ist eine Produzentin genannt, Olivia Hamilton, neben zwei Produzenten Marc Platt und Matthew Piouffe.

Es ist gar nicht so schwer, ein Gewerk zu schaffen, es muss noch nicht mal eine weibliche Mehrheit geben, nur Frauen beteiligt sein. Für 2von6 sind zwei Gewerke gefragt, und das erfüllen 9 der 15 Filme nicht, das ist mehr als die Hälfte, nämlich 60 %.

Von allen 90 Positionen*** (15 Filme mit 6 Gewerken) sind es 18 mit Frauenbeteiligung, allerdings nur 8 mit ausschließlich Frauen. Dazu kommen zwei Positionen mit einer Frauenmehrheit: Schnitt von BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER und Produktion von WOMEN TALKING. Daraus folgen 80 Positionen (mehrheitlich) in Männerhand.

Ich habe SHE SAID schon angesprochen, vielleicht gab es noch andere Filme mit mehr Frauen hinter der Kamera, die es nicht in die Nominierungen geschafft haben, aber das wäre ein Thema für einen anderen Tag.****

Wurde das irgendwo thematisiert, in den Branchenmedien, im Radio, Fernsehen, in der gelben Presse, im Blog Eures Vertrauens? Freue mich über Hinweise, merci. 

Fußnoten

* Nachtrag 1: Yeoh ist Malaysierin chinesischer Abstammung, egal ob sie sich damit bzw. so identifiziert oder nicht. Ein Großteil ihrer bisherigen Rollen waren asiatische Figuren. Aber vielleicht soll mit Identifizierung auch nur ausgedrückt werden, dass Yeoh ihre Herkunft nicht verheimlicht hat bzw. verheimlichen musste. Im Gegensatz zu Merle Oberon (1911-79), die 1935 für den Film THE DARK ANGEL als beste Hauptdarstellerin nominiert war und die vermutlich einigen als Cathy in der Literaturverfilmung WUTHERING HEIGHTS (1939) bekannt ist. Oberons Großmutter stammte aus Sri Lanka, sie hatte aber auch europäische Vorfahren.

** Nachtrag 2: Bei SHE SAID waren drei der sechs Gewerke mit einer Frau besetzt, Regie, Drehbuch Kamera, und an einem vierten – Produktion – war eine Frau im FM-Team beteiligt. Lustigerweise war das wie bei WOMEN TALKING Dede Gardner (Ich werde einen Pitch für „Girls Will Speak“ vorbereiten)

*** Nachtrag 3: Es sind tatsächlich 89 und nicht 90 Positionen, denn für den schwedischen Film TRIANGLE OF SADNESS konnte ich keine Komponist:innen finden, nur eine Playlist.

**** Nachtrag 4: Wie das mit den Nominierungen zum Beispiel für den Besten Film läuft, habe ich vor zehn Jahren beschrieben (Nominierungen für „Bester Film“, Oscars 2013), lang ist’s her. Und die US-Akademie hat mittlerweile deutlich mehr Mitglieder.

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