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Gedanken einer Schauspielerin

Babylon Testosteron, fürstlich gefördert

Ich bin es leid.

Warum wird für Film und Fernsehen immer noch so oft ohne Frauen produziert, warum erhält eine Männermännermännerserie mehrere Millionen €€€ aus öffentlichen Filmfördertöpfen, zusätzlich zu den Millionen €€€ eines öffentlich-rechtlichen Senders? Warum machen Redakteur:innen der beteiligten Sender nicht mehr Frauen hinter der Kamera und eine gender-dramaturgische Beratung zur Bedingung?

Die Serie BABYLON BERLIN wird gefeiert als „spannendste und innovativste Serie aus Deutschland“ (Christine Strobl 2018) und als „wichtiger Teil der Serienoffensive in der ARD Mediathek“ (Florian Hager 2020), von Entscheider:innen in der Branche, die das Grundgesetz kennen müssten. Aber sollte Gleichberechtigung nicht auch zum gleichen Zugang zu Film- und Fernseharbeit berechtigen?

BABYLON BERLIN, ein teurer Männerblick

Am 15.11.18 veröffentlichte ich einen Text über die Krimiserie BABYLON BERLIN, in dem ich als Serienalternative auf die beeindruckende Produktion KRIEG DER TRÄUME hinwies (Babylon Männersoap Berlin – Zwischen den Weltkriegen). Damals hatte ich auch geschrieben, dass ich mit BABYLON BERLIN wenig anfangen könnte, das fing schon mit der Ausgangssituation an: aus der Roman-Charlotte, Jurastudentin und Stenotopistin bei der Polizei, wurde die Serien-Charlotte, Teilzeitprostituierte und Mitarbeiterin bei der Polizei. Und dieses Gefühl, diese Abneigung zog sich durch alle Folgen – ein unrühmlicher Tiefpunkt die (ca. zehnminütige?) Sequenz, in der Charlotte Ritter und Kommissar Rath mit dem Auto im Wasser landen und versinken, und sie sich opfern und ertrinken will, damit er weiterleben kann.

By the way: Ähnliche Muster bediente die britische Serie SHERLOCK: in der ersten Folge der zweiten Staffel – A SCANDAL IN BELGRAVIA (2012) – machte Drehbuchautor Steven Moffat aus Irene Adler, die in der Originalkurzgeschichte von Arthur Conan Doyle – A SCANDAL IN BOHEMIA eine ehemalige US-amerikanische Opernsängerin war, eine Domina. Diese moderne Irene Adler verfällt Sherlock Holmes, ändert das vorher vermutlich sichere Passwort ihres Smartphones (was ihre Lebensversicherung darstellt) in ein megadämliches Wortspiel aus Holmes‘ Vornamen, das er natürlich genial wie er ist knackt (wer denkt sich so was aus? Drehbuchautor Steven Moffat), nachdem er auch schon genial wie er ist ihr Passwort für den physischen Safe geknackt hatte – sie hatte als Passwort ihre Körpermaße Brust-Taille-Hüfte verwendet (wer kommt auf so was? Drehbuchautor Steven Moffat). Und am Ende wird Adler auch noch von Holmes gerettet, als sie gerade – ohne ersichtlichen Grund – in Pakistan ist und von Terroristen geköpft werden soll. Auch hier gibt es keine vergleichbare Handlung in der Originalgeschichte.

Während Conan Doyles Original kaum ein Beispiel für Geschlechterentwicklung ist, muss man sich Sorgen machen, wenn eine Frau im Jahr 2012 schlechter abschneidet als im Jahr 1891.“ schreibt Jane Clare Jones in ihrem lesenswerten Kommentar im Guardian, in dem sie auch auf die Serie DOCTOR WHO eingeht, für die Steven Moffat viel geschrieben hat. (Is Sherlock sexist? Steven Moffat’s wanton women. The Guardian 3.1.12. wanton women = lüsterne Frauen)

Und ja, das Motiv der Frau die den Helden durch Selbstaufgabe retten will gibt es bei SHERLOCK auch: Hier ist es Watsons Frau Mary die sich vor Holmes wirft, als jemand auf ihn schießt, und stirbt (Folge THE SIX THATCHERS). Kommt in den Original Holmes-Geschichten auch nicht vor.

BABYLON BERLINs rosige Zeiten

Ich habe die dritte Staffel nicht mehr angeguckt, aber darum ging es laut Wikipedia: „In der dritten Staffel werden Kriminalkommissar Rath und seine Kollegen mit einer Mordserie während der Dreharbeiten zu einem Revuefilm in den Filmstudios Babelsberg konfrontiert. Die erste Hauptdarstellerin Betty Winter wird bei den Filmaufnahmen durch einen herabstürzenden Scheinwerfer getötet und auch zwei ihrer Nachfolgerinnen werden später im Studio ermordet.“ Aha.

Die folgende Abbildung zeigt die vielen Männer und eine Frau (Editorin Antje Zynga) an der Spitze von neun Gewerken in den bisher ausgestrahlten drei Staffeln (aktuell wird die vierte Staffel gedreht, die stand schon vor Drehbeginn der dritten fest). Wie immer die Männer in Rosa, die Frauen in Hellblau:

Babylon Berlin, 3 Staffeln 9 Gewerke, Frauen und Männer an der Spitze

Und das ist wirklich niemandem aufgefallen? Oder hat es bloß niemanden gestört, weil die Serie in so viele Länder verkauft werden kann? Was ist daran innovativ?

In meinem letzten Blogtext Rosige Zeiten für Männer bei den NDR-Prime-Time-Krimis – dem Abdruck eines Artikels bzw. einer Untersuchung für den Rundbrief des Film- und Medienbüros Niedersachsen über NDR-Krimireihen – hatte ich darauf hingewiesen, wie viele Männerproduktionen darunter waren, ganz speziell auch, wie viele von Männern angelegte Grundideen und verfasste Drehbücher es gab. Hier zum Vergleich, ebenfalls auf neun Gewerke erweitert, die Auswertungen von den TOTEN VON MARNOW und dem GEHEIMNIS DES TOTENWALDES (auch kein wirklich schöner Anblick):

Abbildung: 9 Gewerke-Check, DAS GEHEIMNIS DES TOTENWALDES

Abbildung: 9-Gewerke-Check, DIE TOTEN VON MARNOW

Und wer bezahlt’s?

Laut Angaben bei crew united wurden für die ersten drei Staffeln von BABYLON BERLIN Filmförderung in Höhe von insgesamt 13,92 Mio. € bewilligt, die vierte Staffel 6,9 Mio. €, Förderer waren die Film- und Medienstiftung NRW, der German Motion Picture Fund, das Medienboard Berlin Brandenburg und Creative Europe Media.

Wie viel Geld von der ARD geflossen ist habe ich nicht feststellen können. Aber viel. Helena Ceredov schreibt auf kino.de (9.12.20): „BABYLON BERLIN wurde mit einem Budget von knapp 40 Millionen Euro zur teuersten deutschen Serie jemals.

Frau Strobl, mittlerweile ARD Programmdirektorin, sprach sich kürzlich für mehr „international konkurrenzfähige Serien-Projekte“ wie BABYLON BERLIN aus. „Ich glaube, dass wir regelmäßig diese Art von Programmen brauchen. […] Ich glaube, wir brauchen ein bis zwei Formate dieser Größenordnung pro Jahr.“ (cinearte Nr. 518 vom 28.6.21)

Jetzt weiß ich nicht, was Frau Strobl mit „diese Art von Programmen“ meint. Ich verbinde mit BABYLON BERLIN sehr hohe Budgets, eine erschlagende Männerlastigkeit hinter und auch vor der Kamera, den male gaze als Erzählmodell, und eine Geschichte und Umsetzung, die mir nicht gefallen haben. Die Beteiligung von Volker Bruch bei der unsäglichen Aktion #allesdichtmachen macht mir das Ganze auch nicht gerade sympathischer, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

Und noch eine Frage an Frau Strobl: Werden die nächsten „Formate dieser Größenordnung“ zum Ausgleich von Frauen geschrieben, inszeniert, photographiert etc. etc. oder gilt die same procedure as every year?

Mit „Ich bin es leid“ begann dieser Text, und ebenso das letzte Kapitel:

Wo bitte bleibt das Positive?

Ich bin es leid, immer wieder über schlechte, male gaze-erzählte und gefilmte Serien zu schreiben. Deshalb an dieser Stelle eine Serien-Empfehlung der besonderen Art:

Da gibt es eine tolle Krimiserie aus Belgien, sie ist noch bis zum 1.7.22 in der arte Mediathek abrufbar. Im Mittelpunkt stehen vier Schwestern, Eva, Veerle, Bibi und Becka, die die fünfte, Goele, von ihrem grauenhaften Ehemann Jean-Claude befreien wollen, und zwei Brüder, Mathias und Thomas, Inhaber einer Versicherungsagentur. Die Geschichte wird in zehn Folgen dramaturgisch verschachtelt erzählt: Die erste Folge spielt am 31.10., der Rückblick in der ersten Folge beginnt Silvester, 10 Monate vorher. Die zehnte und letzte Folge beginnt am 11.11. Die Rückblende spielt zwei Wochen vorher, am 28. Oktober.

Nach einer Idee von Malin-Sarah Gozin, die gemeinsam mit Bert Van Dael die Drehbücher schrieb, inszeniert von Nathalie Basteyns und Kaat Beels. Es gibt sehr viele Frauenrollen jeden Alters, aber keine ist eine Prostituierte. Es gibt echte und skurrile (und sehr vielfältige!) Figuren, Frauen wie Männer. Es geht um Mord, Mordversuche, Kollateralschäden, Betrug, Belästigung, Unterdrückung und Verleumdung, es gibt Motive und Sackgassen, subtilen Humor, schwarzen Humor, tieftraurige Momente und echte Geschwisterbeziehungen. Die Serie heißt CLAN. Sie stammt aus dem Jahr 2012 und in der arte Mediathek steht sie auch in flämischer Originalfassung. CLAN hat bestimmt nur einen Bruchteil von BABYLON BERLIN gekostet aber ist um Längen besser. Viel Spaß!

Der Vollständigkeit halber hier noch der 9-Gewerke-Check von CLAN:

Clan (Belgien 2012), Frauen und Männer in 9 Gewerken

Veel plezier met kijken en voel je vrij om me te schrijven in de commentaren als je de serie leuk vond!