SchspIN

An Actress's Thoughts

Wer hat’s erfunden? First Case Scenario

| 0 comments

Im letzten Artikel TATORTE: Halbzeit 2024 lieferte ich am Rande auch die 6-Gewerke-Checks für die TAT-Orte Wiesbaden, Köln, Hannover / Göttingen, München, Münster, Kiel, Dortmund und Frankfurt. Sehr pink, sehr männerlastig. Die Drehbücher mit 85 % fest in Männerhand. Ja, es gibt beim TATORT mehr Regisseurinnen als vor zehn Jahren. 2011 machten sie bloße 2,8 % aus, zur Sommerpause 2024 bereits 35,3 %. Aber was nützt das, wenn die Fälle Woche für Woche von Männern geschrieben wurden, die Verbrechen, die Verbrecher, die Opfer, die Dialoge und alles weitere mehrheitlich der Fantasie von Männern entstammen. Eingegrenzt durch die vorgegebene Ausgangskonstellation des jeweiligen TAT-Orts, wer die Ermittler:innen sind, was ihr Hintergrund ist, ihre Eigenarten und Lebensumstände, ihre Macken und Stärken, ihre Art zu ermitteln, kurz:

Die erste Folge gibt den Ton vor

  • Hauptfiguren und Setting
  • Einzelautor:innen und -teams
  • Wie war das bei Ihnen? Fragen an Dorothee Schön, Eva Zahn und Volker A. Zahn
  • Statistik: Erste Fälle 6-Gewerke-Check und #2von6
  • Beispiel: Wen kümmert das Opfer
  • Zukunft: Auf die Fresse und Abschied
  • Zukunft: Weniger Krimis? Frage an Eoin Moore. Und ein Auftrag an mich
  • Exkurs: Fachtag Trier 2024 – Tatort Medien

Hauptfiguren und Setting

Es gibt viele, vielleicht zu viele Ermittlungsteams in den Sonntagabendkrimis – wie es überhaupt viel zu viele Krimis im deutschen Fernsehen gibt im Vorabend- und Hauptprogramm, und wie zu viele gesellschaftliche Themen per Krimis, mit Gewaltverbrechen verbrämt, erzählt werden. Es gibt Kommissare und auch Kommissarinnen. Letztere werden mir gerne genannt, wenn ich von der Männerlastigkeit der TATORTE spreche. Ja, es gibt sie, die Kommissarinnen, sie wurden meistens von Männern erfunden. Und ich habe nicht den Eindruck (doch noch keine Umfrage dazu gemacht), dass die werdenden Kommissar/innen mit der Redaktion, Produktion und Drehbuchabteilung brainstormten und ihre eigenen Ideen einbringen konnten.

Wobei das durchaus vorkommen soll. War es bei Til Schweiger nicht so, dass er den TATORT an sich regelmäßig kritisiert hatte und schließlich eine Kommissar-Figur angeboten bekam, die auf ihn und seine TATORT-Vorstellungen zugeschnitten war? Und wollte man nicht unbedingt Ulrich Tukur haben aber der wollte erst nicht, sagte schließlich zu und konnte und kann ganz viel aushandeln, wie die Figur Murot so sein würde, dass er einen Hirntumor hat, singt und was für Fälle er so erlebt? Murot wurde auch 5 Jahre jünger gemacht als der heute 67-jährige Tukur, das schiebt die Pensionsgrenze etwas hinaus. Aber die ist in der TATORT-Logik sowieso nicht bindend, siehe die Münchener Hauptermittler Batic und Leitmayr, die laut Wikipedia heute 70 und knapp 66 Jahre alt sind.

Das Fernsehformat TATORT hat es nicht wirklich so mit den Gesetzen, aber falls es Euch interessiert, ja, auch im echten Leben können Beamte / Beamtinnen über die Altersgrenze hinaus noch arbeiten. Das regelt der § 53 BBG (Bundesbeamtengesetz) „Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand“. Ich bin jetzt über die Vorgeschichten der Münchner oder Wiesbadener Kommissare nicht wirklich informiert, aber falls sie mal familienbedingt teilzeitbeschäftigt waren, bzw. Familienpflegezeit oder Pflegezeit in Anspruch genommen hatten stehen ihre Chancen gut, denn u.a. dann muss einem Antrag auf Hinausschieben entsprochen werden.

Zurück zur Fiktion. Neben Til Schweiger und Ulrich Tukur gibt es beispielsweise Eva Mattes und Dagmar Manzel, die Einfluss auf den Ausgangspunkt ihrer Figuren nahmen, indes in eine andere Richtung als ihre Schauspielkollegen:

Journalistin Verena Mayer schreibt, Manzel habe „für ihre Rollenausgestaltung zur Bedingung gemacht, als normale Kommissarin einzusteigen: ,Ich sagte, ich möchte keine Krankheit, keine Macke, kein Kind im Heim, keine Mutter, die an Krebs stirbt.‘“ („Schillernd Normal“, Süddeutsche Zeitung 30.3.15, S. 23)

Und auch EvaMattes beteiligte sich selbst an der Ausgestaltung der Figur. Im Gegensatz zu manch anderen Tatort-Folgen wurde in Konstanz mit leiseren Tönen und Empathie ermittelt, was in erster Linie mit Klara Blums Persönlichkeit zusammenhängt.” (laut Wikipedia, ohne nähere Quellenangabe).  

Eine quasi Henne-Ei-Frage stellt sich also auch bei TATORTEN: Was kam zuerst, die Besetzung oder die Drehbuchidee? Sicher konnten einige Autor:innen den ersten Fall entwickeln mit dem Wissen um die Hauptdarsteller:innen. Die letztes Jahr verstorbene Tatortredakteurin des BR und Leiterin der Redaktion Reihen und Mehrteiler Dr. Stephanie Heckner sagte laut daserste 2015 zum Frankentatort-Start:

„Figurenentwicklung und Castentscheidungen liefen immer parallel und waren eng miteinander verzahnt. Mit Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel, mit Eli Wasserscheid und Frank-Markus Barwasser (*) haben wir ein Polizeiteam für den ‘Franken-Tatort’, das mit allen Wassern gewaschen ist. Die Bühne verbindet alle vier und ebenso die Lust auf emotionale Spannung und Intelligenz gepaart mit Witz.“
(*) wurde ersetzt durch Kabarettist Matthias Egersdöfer.

Laut Dagmar Manzel war Stephanie Heckner auch ein Beispiel dafür, wie sehr ein/e Redakteur:in in die Stoffentwicklung eingebunden sein kann. So sagte sie in einer Pressemitteilung vom Bayrischen Rundfunk, als sie auf eigenen Wunsch nach zehn Folgen als Kriminalhauptkommissarin Paula Ringelhahn aufhörte:

Es war eine wunderbare, beglückende, intensive, zehnjährige Arbeit mit dem Bayerischen Rundfunk, besonders mit Stephanie Heckner, die leider viel zu früh verstorben ist. Ihr habe ich sehr viel zu verdanken. Zum Beispiel die Drehbücher, die mit ihr zusammen entwickelt wurden.

In Manzels Ausstiegsfall war meines Wissens Stephanie Heckner leider nicht mehr involviert, – mehr zu diesem TATORT weiter unten.

Ganz anderes als Frankfurt soll der Münster TATORT entstanden sein: angeblich war die einzige Vorgabe für die Autoren Stefan Cantz und Jan Hinter der Handlungsort Münster. Und das ist schon wieder lustig, da dieser Krimi überwiegend in Köln gedreht wird. Cantz und Hinter schrieben nach der ersten Folge DER DUNKLE FLECK (TV-Premiere 20.10.02) noch weitere 12 von 45 gesendeten Münster-Fällen, das ist ein knappes Drittel.

Von den ersten 42 Münster-Fällen hatten nur vier eine Autorin und zwei ein Mann/Frau-Team. Der 43. und 45. Fall (und der gerade abgedrehte 47.) wurden von Regine Bielefeldt geschrieben, was für ein Umschwung. Ich fragte Regine Bielefeldt, wie es dazu kam:

„Ich wurde von Produktion und Redaktion gefragt, ob ich mir vorstellen könne, für den Tatort Münster zu arbeiten. Ich habe mich in das Format eingearbeitet und Themen vorgeschlagen. Eines stieß auf Gegenliebe, und ich habe dann mein erstes Tatort-Buch geschrieben (MAGIC MOM, TV-Premiere 5.3.23). Wir kannten uns von anderen Projekten, aber der Tatort war unsere erste realisierte Zusammenarbeit. Mit dem nächsten Buch für UNTER GÄRTNERN wurde ich noch vor Ausstrahlung von MAGIC MOM beauftragt. Und mit der Nummer 3 vor Ausstrahlung meiner zweiten Episode.“

Das ist toll, zumal der Münster-TATORT einer von mehreren Bavaria-TATORTEN ist, und in denen sind Autorinnen, Kamera- und Tonfrauen bisher Mangelware. Aber nicht nur da. Zurück zu den Ersten Fällen.

Noch größeren Einfluss auf die weitere Entwicklung „seines“ TAT-Orts als Stefan Cantz und Jan Hinter in Münster konnte und kann Dortmund-TATORT-Erfinder Jürgen Werner nehmen, denn er schrieb die ersten fünf Fälle und danach noch neun weitere, so dass von bis jetzt 26 ausgestrahlten Fällen mehr als die Hälfte, nämlich 14, seiner Tastatur entstammen.

Auch in Stuttgart konnte ein Erster Fall-Autor seinen TAT-Ort weiter formen. Das Team Lannert und Bootz wurde von Holger Karsten Schmidt erdacht (der 1. Fall HART AN DER GRENZE hatte am 9.3.08 TV-Premiere), Schmidt hat noch vier weitere der bislang insgesamt 32 Stuttgart-Drehbücher geschrieben.

Und damit kommen wir zu etwas, das sich – im Gegensatz zu Hörensagen und Wikipedia-Zitaten – tatsächlich hieb- und stichfest (!) analysieren und darstellen lässt: die Autor:innen der TATORTE in dem ein/e Ermittler:in oder ein Ermittlungsteam das erste Mal auftritt.

Einzelautor:in und Team

Die folgende Abbildung zeigt die Autoren- und Autor:innenverteilung für die 30 TATORT-Teams, die 1989 (Ludwigshafen) bis 2021 (Bremen II) an den Start gingen:

N.B.: In einer vorab veröffentlichten vorläufigen Grafik hatte ich 29 Erste Fälle berücksichtigt; bei der Überprüfung stellte ich nun fest, dass zwischen 1989 und 2021 nicht zwei sondern drei Saarbrücken-Teams ihre Premiere hatten.

Genau drei TATORT-Drehbücher wurden von Autorinnen (mit-)geschrieben:

  1. Bremen I: INFLAGRANTI (28.12.1997). Der erste Fall für Inga Lürsen (Sabine Postel), geschrieben von Sabine Thiesler. Lürsen ermittelte zunächst ohne Nils Stedefreund (Oliver Mommsen), dieser kam im sechsten Fall EINE UNSCHEINBARE FRAU (Drehbuch: Jochen Greve) dazu. Sabine Thiesler ist eine Berliner Schriftstellerin und Hörbuchsprecherin, außerdem Theater- und Drehbuchautorin. Nach allem was ich finden konnte war dieser TATORT ihr einziger überhaupt, sie hat danach aber noch zwei Halle-POLIZEIRUFE geschrieben.
  2. Saarbrücken I: AUS DER TRAUM (15.10.2006), der erste von nur sieben Fällen von Franz Kappl und Stefan Deininger – der schon Assistent bei Kappls Vorgänger Max Palu war – stammt von Fred Breinersdorfer und Leonie Breinersdorfer, die auch gemeinsam den zweiten Fall schrieben. Fred Breinersdorfer hat alleine von 1996 – 2023 ungefähr 17 TATORTE geschrieben. Seine Tochter Leonie Breinersdorfer taucht als Einzelautorin nicht auf.
  3. Franken: DER HIMMEL IST EIN PLATZ AUF ERDEN, der erste Fall von Paula Ringelhahn und Felix Voss (Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs) wurde von Max Färberböck und Catharina Schuchmann verfasst und am 12.4.15 erstgesendet. Sie haben gemeinsam noch 3 weitere der bislang 10 Fälle geschrieben und zwei andere TAT-Orte. Färberböck inszenierte auch jedes Mal. Den jüngsten Franken-Fall TROTZDEM schrieb Färberböck allerdings mit Stefan Betz und nicht mit Schuchmann (Regie Max Färberböck und Danny Rosness), leider vielleicht, denn die Geschichte enthält eine Reihe von Ärgernissen und Unstimmigkeiten. Dazu später mehr.

Drei Bücher mit Frauenbeteiligung, das entspricht brutto einem Frauenanteil von 10 % und netto 6,7 %. Oder noch deutlicher: nur 3,3 % der ersten Fälle wurden ohne Männerbeteiligung geschrieben.

Ich frage mich warum keine anderen fernsehkrimierfahrenen Autorinnen beauftragt wurden. Was war mit Sylvia Hoffman, die von 1985-2002 insgesamt 15 TATORTE schrieb? Dorothee Schön kommt sogar auf 17 TATORTE (1996-2014), darunter aber kein Erst-Buch. Ebenso wenig wie bei Susanne Schneider (1996-2011: 6 TATORTE), Katrin Bühlig (2007-22: 9 TATORTE), Dagmar Gabler (2009-23: 8 TATORTE), Stefanie Veith (2015-24: 8 TATORTE), Eva Zahn und Volker Zahn (2010-23: 8 TATORTE). Und etlichen anderen Autorinnen mit 3 oder 4 TATORTEN und anderen 90 Minüter-Krimis. Haben die alle abgelehnt?

Ich habe Dorothee Schön sowie Eva Zahn und Volker A. Zahn darauf angesprochen, und freue mich sehr über unseren Austausch und ihre Antworten. Herzlichen Dank!. Zu Sylvia Hoffman hab ich leider keine Kontaktmöglichkeit gefunden.

Wie war das bei Ihnen, Dorothee Schön?

Wie kam es zu Ihrem ersten TATORT?

Das war eine WDR-Produktion für das Team Bernd Flemming und Miriam Koch in Düsseldorf. Später kam dann auch Ballauf dazu, der dann zum Köln-Team wechselte, als Flemming aufhörte. Ich wurde damals von einer Kollegin angesprochen, die mit mir gemeinsam schreiben wollte. Der Fall spielte in einem Nonnenkloster: HEILIG BLUT (TV-Premiere 14.1.1996). Die Kollegin stieg dann aus, weil nicht klar war, ob die Redaktion diesen Stoff ernsthaft wollte, und ich schrieb alleine weiter. Damals hatte der Tatort keinen höheren Status als ein normales Fernsehspiel. Aber viele der anderen begehrten Formate, die es damals gab, sind mittlerweile weggespart. Jetzt ist der Tatort als Prestigeformat übriggeblieben als einer der wenigen Sendeplätze, auf denen erzählerisch und gestalterisch (noch) alles erlaubt ist.

Wurde Ihnen jemals ein „erster TATORT“, die Entwicklung eines neuen Teams bzw. Standorts angeboten?

Nein, aber ich habe mich mal vor Urzeiten beworben. Es gab eine Ausschreibung für München, für ein neues Team – das war vor Nemec und Wachveitl (Batic und Leitmayr). Da hatte ich einen Vorschlag entwickelt für ein gemischtes Team. Ich kam auch in die nächste Runde, aber da sagte mir der damalige BR-Redaktionsleiter Dietrich von Watzdorf: „Für das bayerische Publikum ist eine Frau als Kommissarin undenkbar“. Und damit war mein Vorschlag gestorben.

Ich glaube, es bleibt weiterhin unwahrscheinlich, dass eine Autorin ein Ermittlerteam „erfinden“ darf. Die Redaktionen sehen sich selbst gerne als Auftraggeber von „Genies“, und das sind für sie Männer. Autorinnen sehen sie eher als die fleißigen Arbeitsbienen, die den Rahmen ausfüllen, den andere gesetzt haben. Die sollen solide Arbeit abliefern, mehr nicht. Etwas Originelles traut man ihnen nicht zu. Das ist auch deshalb sehr bedauerlich, weil in den Sendern viele weibliche Redakteurinnen die Aufträge vergeben. Aber sie selbst haben sich in einer Männerwelt durchgesetzt und gefallen sich in dieser Rolle. Sie arbeiten lieber mit Männern, denn das zahlt auf ihr persönliches Erfolgsnarrativ ein. Andere Frauen zu unterstützen, gehört nicht dazu, denn sie glauben, dass sie selbst alles aus eigener Kraft erreicht haben, ohne dabei unterstützt worden zu sein. Weiblichen Input sehen sie bereits durch ihre eigene Anwesenheit verwirklicht – wozu braucht es also noch eine weitere Frau…? Diese Haltung pflegen übrigens auch einige Regisseurinnen und Produzentinnen. Aber wie sagte schon Madeleine Albright, die erste Außenministerin der USA? “There is a special place in hell for women who don’t help other women.”

Sie haben insgesamt 17 TATORTE geschrieben, aber keinen mehr seit 2014. Warum?

Das hat sich einfach so ergeben. Ich hatte unter anderem mit CHARITÉ sehr aufwändige Projekte, die mich einfach mehr gereizt haben, gerade weil ich da meine eigenen Welten von Grund auf erschaffen konnte.  Wobei für Lena Odenthal (Ludwigshafen) zu schreiben, hat mir immer besondere Freude gemacht, weil ich mit Ulrike Folkerts als Kommissarinnen-Figur groß geworden bin und sie als Mensch sehr schätze. Ich habe für viele Sender gearbeitet, für verschiedene Teams geschrieben. Aber bei mir ist es so, dass ich eine bestimmte Geschichte oder eine bestimmte Figur erzählen will – und wenn dann ein Ermittlerteam dazu passt, dann würde ich diese Idee auch dort in den Ring werfen. Aber zurzeit geht meine Phantasie andere Wege. Man muss seinen Platz an dieser „Tatort-Tafel“ schon aktiv einfordern, sonst besetzen andere die Stühle.

Warum werden so wenig Autorinnen für TATORTE engagiert?

Anders als bei der Besetzung der Regie gibt es beim Buch kein Problembewusstsein in den Redaktionen. Man lehnt sich zurück und behauptet, Autorinnen würden sich nicht für Krimis interessieren. Das hat beispielsweise Bettina Reitz auf einem Pro-Quote-Panel auf der Berlinale gesagt. Das ist natürlich Unsinn. Natürlich können und wollen Frauen Krimis schreiben, auch Tatorte. Aber vielleicht andere Tatorte – wer weiß? Das würde man erst erfahren, wenn man Autorinnen beauftragt, was man nicht tut. Dabei hält sich gerade unsere „Kreativbranche“ für besonders fortschrittlich und liberal. Leider ist sie nicht besser als die Gesamtgesellschaft, und die erlebt gerade einen Roll-Back zu alten Rollenbildern. Das fängt schon im Kinderzimmer an: Alles ist plötzlich wieder klar getrennt für Jungen und Mädchen, farblich und inhaltlich, Kleidung, Spielsachen, das ganze Programm. Wir waren schonmal weiter. Um im Film nicht ständig diese langweiligen Stereotype zu reproduzieren, bedarf es einer Kultur der kritischen Selbstreflexion bei allen Beteiligten.

Wie war das bei Ihnen, Eva Zahn und Volker Zahn?

Wie kam es zu Ihrem ersten TATORT?

Soweit wir uns erinnern, gab es nach mehreren Samstagabend-Krimis („Ein starkes Team“, „Bella Block“, „Das Duo“), die wir bis dahin geschrieben hatten, sowohl von unserer als auch von Produktionsseite – damals Maran Film – großes Interesse an einer Zusammenarbeit beim relativ neuen Stuttgarter Team. Uns liegt das politisch und gesellschaftlich relevante Erzählen am Herzen, und wir hatten damals die Idee, ein Drama über so genannte „Illegale“ zu erzählen, Menschen, die in diesem Land ohne Aufenthaltsgenehmigung arbeiten und leben und sich jahrelang in einem bizarren Schattendasein einrichten müssen. Für solche Themen war und ist der Tatort wie gemacht. Das war dann unser Tatort-Debüt: DIE UNSICHTBARE (TV-Premiere am 14.11.2010).

Wurde Ihnen jemals ein „erster TATORT“, die Entwicklung eines neuen Teams bzw. Standorts angeboten, oder haben Sie von sich aus eine Idee gepitcht?

Für ein komplettes Tatort-Team haben wir bislang keine Neu-Entwicklung gemacht, es gab die Bitte, ein Konzept für die neue Frau an Lena Odenthals Seite zu entwerfen (gespielt von Lisa Bitter), wir haben die Figur eher edgy und unkonventionell angelegt, das gefiel aber leider weder Produktion noch Sender. Selber aktiv sind wir mit Blick auf komplett neue Tatort-Teams nie geworden, dieses Format hat für die ARD und die einzelnen Landesrundfunkanstalten eine so große Bedeutung, dass es wirklich nur Sinn macht, in enger Absprache mit den Redaktionen über neue Konstellationen/Perspektiven nachzudenken.

Warum werden so wenig Autorinnen für TATORTE engagiert?

Vielleicht haben wir Filmemacher*innen uns viel zu lange eingeredet und vorgemacht, in einer wahnsinnig fortschrittlichen Branche zu arbeiten, erst nach MeToo wurden die konservativen und patriarchalischen Strukturen, die sich im Film- und TV-Geschäft über Jahrzehnte beinahe unbehelligt verfestigen und ausleben konnten, hinterfragt und angeprangert, es ist schon bitter, dass wir angeblich so superprogressiven Kulturschaffenden uns – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – in punkto Gendergerechtigkeit aufgeführt haben wie selbstbesoffene Schnarchsäcke. Und das gilt leider nicht nur für die Männer.

Herzlichen Dank für das anregende Gespräch, liebe Dorothee Schön; Herzlichen Dank für den offenen Austausch, liebe Zahns!

Statistik: Erste Fälle 6-Gewerke-Check und #2von6

Keine Filmgruppenanalyse ohne 6-Gewerke-Check: Obwohl es seit einigen Jahren zunehmend mehr TATORT-Regisseurinnen gibt, einen Ersten Fall durften nur drei inszenieren: Petra Haffter – INFLAGRANTI (28.12.1997), Franziska Meletzky – DIE FETTE HOPPE (26.12.13) und Barbara Kulcsar – NEUGEBOREN (24.5.21). Regisseurinnen, Autorinnen, Tonmeisterinnen und Komponistinnen erreichen die 10 %-Linie. Hm. Kamerafrauen sucht man vergeblich. Oder man sucht sie eben nicht. Einzig der Schnitt mit einem Frauenanteil über 50 % – das reicht nicht.

Nicht überraschend: nur fünf der dreißig Filme erfüllen das Kriterium #2von6. (Das ist die Linie, die ALLE öffentlich finanzierten oder geförderten Film- und Fernsehproduktionen nach meinem Vorschlag erreichen sollten)

Mir haben über die Jahre verschiedene Filmschaffende erzählt, dass sie mit Sätzen wie „Wir arbeiten nicht mit Autorinnen / Regisseurinnen“ oder „Frauen können keine Krimis“ von Sendern / Redaktionen konfrontiert wurden, teilweise mit konkreten Namen. Im 21. Jahrhundert.

Ich hatte auf dem Gymnasium, ich glaube das war in der 7. oder 8. Klasse, einen sehr alten österreichischen Mathelehrer, der völlig dagegen war, dass Schüler:innen mit links schreiben. Er bestellte sogar meine Eltern ein und machte ihnen Vorwürfe, und einmal verlangte er von mir, mein Matheheft komplett mit rechts abzuschreiben, da er es sonst nicht lesen könnte – ich schrieb es mit links, mit rechts hätte er es tatsächlich nicht lesen können. (N.B. meine Eltern haben mich zu 100 % unterstützt, sie hatten auch durchgesetzt, dass ich im ersten Schuljahr mit links schreiben lernen konnte. Danke Danke Danke!)

So ein Lehrer hat/te an einer staatlichen Schule nichts zu suchen. Genau wie ich mich frage, ob Menschen die nicht mit Frauen arbeiten wollen heute in einem öffentlich-rechtlichen Sender an der richtigen Stelle sind. Artikel 3 GG lässt grüßen.

Dass der TATORT mittlerweile eine Plattform ist auch für die kühnsten und womöglich verrücktesten Projekte von Autoren und Regisseuren ist nett, und dort zu produzieren natürlich wesentlich einfacher als einen Genrefilm oder Arthouse finanziert zu bekommen. Plus das Publikum wird bei TATORTEN gleich mitgeliefert. Nur darf dieses Privileg inklusive der guten Honorare nicht den Autoren vorbehalten bleiben. Außerdem brauchen wir andere Geschichten. Weibliche Perspektiven.

Beispiel: Wen kümmert das Opfer

Ich habe den jüngsten Franken-Tatort TROTZDEM (6.10.24) bereits mehrfach angesprochen. Er ist ein typischer TATORT insofern, als es ziemlich am Anfang ein relativ junges weibliches Mordopfer gibt, die aber nicht weiter interessiert und im übrigen persönlich demontiert wird. So beginnt die Beschreibung auf der ARD-Webseite:

Alle im Knast mochten Lenni. Und alle glaubten an die Unschuld des 25-Jährigen. Verurteilt war er für den gewaltsamen Tod einer jungen Frau vor drei Jahren. Neben seinen Schwestern Maria und Lisa, die seit Lennis Verhaftung mit allen Mitteln versucht hatten, die Wahrheit ans Licht zu bringen, hatte auch Dr. Kaiser, Chef der Nürnberger Polizei, insgeheim Zweifel. Als Lenni sich das Leben nimmt, stürzt das die Schwestern in tiefe Verzweiflung.

Was dann passiert ist, dass eine der Schwestern einen Gefängnisbeamten bittet, ihr den tatsächlichen Mörders zu nennen. Das macht er später per SMS (woher kennt er den Namen?), die beiden Schwestern gehen zum Beschuldigten unter einem Vorwand, er lässt sie in seine Wohnung im mindestens vierten Stock, sie stoßen ihn dann vom Balkon in den Tod. (was für ein ,Glück’, dass er so hoch wohnte, konnten sie das wissen?)

Parallel dazu hatte die Kripo den Fall wieder aufgerollt und eigenmächtig ermittelt. Aber nicht neu oder richtig von vorne, sie haben nur die noch übrigen vier Verdächtigen aus der Ermittlung von vor drei Jahren und ihre Alibigeber vernommen. Äh, wenn die Schwestern so an Lennis Unschuld glauben und eigentlich alle anderen Menschen auch, war Lennis Anwalt/Anwältin damals nicht in Berufung gegangen und etliches schon überprüft? Seltsam.

Neben den rechtlichen Ungereimtheiten – wieso kann die Kripo ohne Anzeige, ohne offiziellen Auftrag mal eben mit 15 Leuten tagelang ermitteln? – gibt es jede Menge inhaltliche Merkwürdigkeiten, aber ich möchte lieber über die Ermordete sprechen.

Sie hieß Bettina Wölfel, gezeigt wird sie wenn ich das richtig erinnere nicht, also kein Foto, keine Rückblende. Wie alt war sie, hatte sie einen Beruf, Arbeitskolleg:innen, wo kam sie her, hatte sie liebende Eltern, trauernde Geschwister, gute Freunde? Keine Ahnung, wir erfahren nichts über sie. Oh, doch, Moment: Kommissarin Ringelhahn sagte „Fünf Lover in einem Jahr, die hat wirklich nichts anbrennen lassen“. Die übriggebliebenen vier ,Lover’ werden nochmal verhört. Sonst niemand. Kein Arbeitskollege, keine gute Freundin, kein Nachbar, keine Bekannte aus dem Fitnessstudio, Familie…

Ach doch, Kommissar Voss fragt ausgerechnet die eine Schwester von Lenni: „Bettina Wölfel war ja nicht gerade zurückhaltend, also im Gegenteil. Gab es irgendjemand, irgendwann mal, der ihr Gewalt angedroht hat, hatte sie Angst vor jemandem?“ was diese natürlich nicht beantworten kann. Woher auch, es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass die beiden sich näher kannten, oder gar befreundet waren. Warum hätte sich also Betinna Wölfel der Schwester ihres Freundes Lenni anvertrauen sollen? Und was bedeutet “nicht gerade zurückhaltend”?

#LeeresBlatt

Die ermordete möglichst junge Frau als unbeschriebenes Blatt (siehe auch Neue Kampagne: #mehralsLeichen), von der spätestens am Ende rauskommt, dass sie als Prostituierte gearbeitet hatte oder höchst promiskuitiv war, das ist auch so ein Krimi-Stereotyp (siehe auch: Fernsehkrimis – Die Jury sind wir!). Mann konnte die Ermordete diesmal nicht nackt zeigen, weil sie gar nicht in Person vorkommt, aber dafür zog sich in einer merkwürdigen Showdown-Schlussszene Kommissarin Ringelhahn aus – das ist ihre unkonventionelle Polizeitaktik? Das sollte einen Mann, der gerade in zwei Tagen seine drei Söhne verloren hat und ein verurteilter aber lange bekehrter vormaliger Verbrecher war, irgendwie beruhigen? (Er war u.a. der Vater von dem mutmaßlichen Mörder von Bettina Wölfel, der von Lennis Schwestern ermordet worden war – der Balkon, Ihr erinnert Euch?). Wer denkt sich so eine Kommissarin-zieht-sich-komplett-aus-Szene aus? In diesem Fall Max Färberböck und Stefan Betz. Ich wurde an die unmotivierte völlige Nacktheit der vielfach demontierten Irene Adler in der britischen Serie SHERLOCK erinnert (Drehbuch Steven Moffat), das ich in Babylon Testosteron erwähne, nebst einem lesenswerten Kommentar von Jane Clare Jones.

Überhaupt, Kommissarin Ringelhahn in ihrem letzten Fall. Mitten in den wunderlichen neuen Ermittlungen im Fall Bettina Wölfel findet eine kleine Abschiedsfeier mit Sekt und Häppchen für Ringelhahn statt, während der Dienstzeit, mit ca. 15-20 Polizeibeamt:innen. Tagsüber, während der Schicht, – ernsthaft? Und noch erstaunlicher: Ringelhahns Duopartner Voss, der ist völlig überrascht von der Feier. Ihm war entgangen, dass sie in Pension geht? Es gab keine Sammlung im Dezernat für ein Abschiedsgeschenk, keine Sammlung von Unterschriften unter eine Grußkarte? Und während die feierten und Sekt schlürften gab es glaube ich die große Schießerei, bei der die beiden Brüder vom mutmaßlichen Mörder von Bettina Wölfel und noch zwei andere Männer starben. Ringelhahn hat anscheinend nicht gekratzt, dass ausgerechnet ihr letzter Fall so ein Fiasko war? Zunge schnalzen und Schwamm drüber.

Jemannd sagte mir kürzlich, als ich den filmischen Fokus auf den Mörder und seine Gedankenwelt kritisierte (siehe beispielsweise den Frankfurt-Tatort ES GRÜNT SO GRÜN, WENN FRANKFURTS BERGE BLÜHEN oder auch den Münchner Polizeiruf KREISE): “Das ist die Faszination des Bösen”.  Nun, ich finde ,das Böse’ nicht faszinierend, ich finde Mörder, Vergewaltiger, Sadisten, Pädophile, schlagende Ehemänner, Folterer nicht faszinierend. Ich möchte weder einen Krimi sehen, der sich um sie dreht noch möchte ich ihre Verbrechen durch ihre Augen sehen müssen – sprich: eine Kameraperspektive, die auf die überfallenen, gequälten, gefangenen, vergewaltigten Frauen und Mädchen und Jungen gerichtet ist, die die Angst der Angegriffenen zeigt, ihr Ausgeliefert-Sein. Genau das, was dem Täter vermutlich einen Kick gibt – ebenso, wie ihren sexy Körper mit den Augen abzutasten, als Beispiel die unsägliche Vergewaltigungsszene in DIE TOTEN VON MARNOW, wo der shortsbekleidete Hintern der Polizistin den Gewaltübergriff auslöste (siehe Rosige Zeiten für Männer bei den NDR Prime-Time-Krimis).

Zukunft: Auf die Fresse und Abschied

Ich habe mehrfach Krimis angesprochen, in denen die weibliche Hauptfigur, also die Kommissarin, erniedrigt, gestalkt, zusammengeschlagen, entführt, oder fast ermordet wurde, z.B. in Starke Frau, Auf die Fresse! und in Noch mehr Morde: TATORT 21. Und es gibt da keine Parallelen zu den männlichen Hauptfiguren oder zur deutschen Polizeirealität. Trotzdem wird dieses Stereotyp immer wieder bedient. Sagt das etwas über männliche Fantasie, über das Frauenbild von Autoren oder Wünsche von Redaktionen? Ich hoffe nicht, das wäre wirklich zu unerfreulich. Ich sage Autoren, denn die Fälle, die ich in diesem Zusammenhang bis jetzt zusammengetragen habe stammten nicht von Autorinnen. Ich bleibe dran und werde das in einer zukünftigen Analyse noch einmal aufgreifen. Allein bei der Recherche der Ersten Fälle sind mir eine Reihe Polizistinnen-Morde aufgefallen.

Ebenso habe ich vor einer Weile angefangen, die Ausstiegsfälle von Kommissar:innen und wichtigen Dauernebenfiguren zu betrachten. Es kommt mir so vor als würden sehr viele am Ende Opfer eines Gewaltverbrechens, Frauen deutlich häufiger als Männer. Und die wirklich grausamen Tode sind Frauen vorbehalten. Aber auch da werde ich weiter recherchieren und statistisch überprüfen.

Dieser Artikel sollte eigentlich vor zwei Wochen erscheinen wenn ich das richtig erinnere, direkt nach dem Franken-TATORT. Immerhin, so kann ich noch ein Zitat aus einem rnd-Interview mit der Schauspielerin Ulrike Folkerts präsentieren, das heute veröffentlicht wurde:

In die Luft gejagt werden will ich auf keinen Fall. Das fand ich wahnsinnig brutal und auch zu simpel am Ende, sie einfach sterben zu lassen. Ich würde mir wünschen, dass Lena Odenthal noch was vorhat in ihrem Leben. Vielleicht verliebt sie sich doch mal oder wird heimlich Privatdetektivin. Ich denke, ich werde mir dann einen Autor oder eine Autorin suchen, mit der ich den Ausstiegs-„Tatort“ gemeinsam erfinde. Aber geben Sie mir noch ein bisschen Zeit (lacht).

Zukunft: Weniger Krimis und ein Auftrag

Zu fordern „Weniger Fernsehkrimis, dafür aber bessere“ ist vermutlich nicht mehrheitsfähig, aber es gibt Verbündete:

Frage an Eoin Moore

Eoin Moore und Anika Wangard schreiben seit 2015 gemeinsam Drehbücher, mit Schwerpunkt auf Tatorten und Polizeirufen. Moore hat die Stoffe hinterher meistens inszeniert, er war auch Hauptautor und Erfinder des Rostocker Polizeirufs (Premiere 2010). Die Beiden beschlossen eine Krimipause, von der Eoin Moore mir auf dem Fernsehkrimifestival 2020 erzählte. Dann kam Corona. Ich habe nachgefragt, was daraus geworden ist:

“Ja, wir wollen gerne andere Genres bedienen und haben in den letzten Jahren einige Mini-Serien und Einzelfilme anentwickelt. Leider drehen sich die Räder überall sehr langsam, die Projekte passen z.B. bei einem Sender nicht ins Konzept oder Budget und wandern dann weiter zum nächsten Sender etc. etc. Stoffentwicklung ist chronisch unterfinanziert, man kann definitiv nicht davon leben, bis ein Buchauftrag vorliegt.
Dann kam das konkrete Angebot, einen Stralsund-Krimi zu schreiben und Regie zu führen. Wir fanden das Produktionsteam und Cast sehr angenehm, offen und mutig und sagten schließlich zu. Aber die Pause tat gut!”

Zufällig hörte ich in letzter Zeit auch andere Filmschaffende über ihre Krimimüdigkeit sprechen:

Regisseur und Autor und Umweltaktivist Lars Jessen, der ungefähr 100 Krimis gedreht hat, erzählte gegenüber Marco Schreyl am 27.8.24 bei DLF Kultur:

„Ich möchte ein anderes Weltbild erzählen. Wenn man immer nur davon erzählt, dass wir uns gegenseitig umbringen, das Böse, das find ich langweilig, und das hat auch mit der Realität nichts zu tun. Ich hab vor über 20 Jahren bei SOKO Wismar angefangen. Mittlerweile gibt es 473 Folgen Soko Wismar, also 473 Morde, habe ich ausgerechnet, davon 37 Wasserleichen. In echt gab es aber in Wismar in dieser ganzen Zeit einen einzigen Mord. Und das waren auch noch zwei Nazis, die sich gegenseitig den Kopf eingeschlagen haben. Also immer wieder davon zu erzählen, wie schlecht alles ist das finde ich nicht richtig. Nichts gegen den Krimi aber wir haben deutlich zu viele.“

Schauspielerin Laura Tonke sagte gegenüber Britta Bürger einen Tag später, ebenfalls bei DLF Kultur:

Ich will nicht die zehnte Krimirolle, wo man vergewaltigt und ermordet wird, ich will das Fernsehen nicht weiterhin mit vergewaltigten Frauen füttern. Danke. Brauch ich nicht mehr.

Und Schauspielerin Aglaia Szyszkowitz antwortete, als Marco Schreyl sie auf die deutsche Krimischwemme ansprach (DLF Kultur 10.10.24):

Ja, furchtbar! Ich find das ganz ganz schwierig, und schrecklich, dass man sich ständig mit Leichen und der Ermittlung wer hat diesen Menschen umgebracht beschäftigt. Auch gerade in diesen Zeiten mit so viel Krieg und Unglück und Leid, da finde ich es ganz wichtig, dass man intelligente Komödien macht und nicht so viele Krimis. Und da sind die Österreicher ein bisschen besser als die Deutschen. Die machen wirklich immer wieder sehr sehr gute Komödien, viel öfter als in Deutschland. Es gibt sicher auch gute deutsche Komödien, aber in Österreich wird dieser schwarze Humor zelebriert, und die Art zu schreiben hat diese Selbstironie der Österreicher, die einfach viel mehr über sich selber lachen können! Und das kommt den Filmen und den Figuren einfach sehr zugute.

Daraus ließe sich ein Auftrag an Produktionsfirmen und Redaktionen ableiten.

Ich hingegen habe einen anderen Auftrag angenommen:

Vor gut zwei Wochen war ich Radiogast bei Massimo Maio im Popkulturmagazin KOMPRESSOR von DLF Kultur. Ganz hören könnt Ihr das Gespräch im Kompressor-Podcast (11:27 min) – mir geht es jetzt nur um diesen kurzen Ausschnitt, wir hatten gerade über die Männerlastigkeit in den sechs Gewerken gesprochen, speziell den Mangel an TATORT-Autorinnen:

Massimo Maio: Und was sagen die Verantwortlichen dazu? Die Zahlen liegen uns ja vor, die werden ja immer wieder verbreitet, Sie schreiben den Blog ja schon ne ganze Weile. Was sagen denn die Tatort-Macherinnen und -Macher zu diesen Zahlen?

Ich: Ja, diesen Vorwurf ziehe ich mir an, denn ich hab sie damit nicht …, ich hab sie ihnen nicht serviert. […] Sie haben Recht, ich müsste da mehr machen.

Massimo Maio: Ich kann mir vorstellen, dass das ne Wirkung haben kann, viele Leute merken das vielleicht nicht, sind da blind, und wenn man das einmal so vorgehalten bekommt, es ist ja spannend.

Na gut, Herr Maio, Challenge accepted!

Ich werde forthin jedes Mal wenn ich etwas Neues veröffentliche es den zuständigen Redaktionen und Produzent:innen schicken. Und wir sprechen uns dann wieder in einem Jahr. Spätestens. #MaioChallenge

Exkurs: Fachtag 2024 – Tatort Medien

Am 9. Oktober war ich nach Trier eingeladen (herzlichen Dank!) zum Fachtag 2024: Tatort Medien – Mediale Darstellung von Gewalt an Frauen, ausgerichtet vom “Frauennotruf Trier – Beratung und Unterstützung für Frauen, Fachstelle zu sexualisierter Gewalt” und der Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier, mit Förderung von der Heinrich Böll-Stiftung RLP. Ich hielt einen Impulsvortrag und stellte hierbei meine Arbeit zu diesem Bereich vor, außerdem gab ich am Nachmittag einen Workshop in der NEROPA-Methode, aber das ist ein anderes Thema.

Es war ein sehr interessanter Tag, nicht zuletzt, weil die Teilnehmerinnen (nein, Männer hatten sich nicht angemeldet) überwiegend von Frauenunterstützungseinrichtungen wie z.B. Frauennotrufen und Frauenhäusern kamen, aus der Beratungsarbeit, dazu Hochschulmitarbeiterinnen und Journalistinnen. Es wurde in den Gesprächen immer wieder hervorgehoben, wie wenig die Film-/TV-Darstellung von (sexualisierter) Gewalt an Frauen mit der Realität ihrer Arbeit zu tun hat, und wie viele Stereotype bedient werden. Darauf werde ich in einem zukünftigen Artikel sicher noch einmal zurückkommen.

Heute möchte ich nur einen Punkt hervorheben, den ich auch regelmäßig kritisiere bzw. anmahne: die fehlenden Hinweise. Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einem TATORT (und um die geht es ja heute) eine Warnung in Bezug auf die dargestellte Gewalt gesehen zu haben, weder analog noch in der ARD Mediathek. Und auch keinen Hinweis auf Hilfsangebote für Betroffene. Dies ist in anderen Ländern Standard. Warum nicht bei uns? Nachlässigkeit? Mangelndes Bewusstsein? Kein Vorstellungsvermögen, was explizit oder indirekt abgebildete Gewalt in Betroffenen oder auch nur sensiblen Menschen auslösen kann?

#WarnungundHilfe. Es gibt viel zu tun.

Aber jetzt ist erst mal Wochenende. Herzliche Grüße, Belinde Ruth Stieve

Leave a Reply

Required fields are marked *.