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Gedanken einer Schauspielerin

Fernsehkrimis – Die Jury sind wir!

Betrachtungen zum Deutschen FernsehKrimi-Festival 2020

Ich habe es bereits in meinem letzten Blogtext (Wenn ich ein Bundesverdienstkreuz hätte…) erwähnt, Anfang März gehörte ich der Wettbewerbsjury des Deutschen FernsehKrimi Festivals an, das vom 1. bis 8. März in Wiesbaden stattfand. Während wir dort im Caligari-Kino saßen hörten wir von der Absage der Leipziger Buchmesse und anderer Veranstaltungen, von beginnenden Hamsterkäufen in Berlin und sonstwo, und anwesende Produzenten äußerten ihre Sorge, dass sie womöglich geplante Dreharbeiten verschieben müssten. Das kommt mir jetzt schon sehr lange her vor, dabei sind es grad mal drei Wochen.

Die Wettbewerbsjury

Im Januar fragte mich Festivalleiterin Cathrin Ehrlich, ob ich Lust und Zeit hätte, ehrenamtlich in der Festivaljury mizuarbeiten. Nun wissen regelmäßige Leser*innen meines Blogs vermutlich, dass ich mich zwar statistisch und inhaltlich mit Krimis beschäftige, aber dass ich – wie sicher sehr viele von uns – ziemlich krimimüde bin, einfach weil bei uns viel zu viele in deutschsprachigen Ländern produzierte oder im Ausland eingekaufte Krimifilme und -serien ausgestrahlt werden. Frau Ehrlich wollte mich trotzdem oder gerade deshalb, egal, jedenfalls sagte ich nach kurzer Bedenkzeit zu. Ursprünglich sollten wir zu fünft sein, aber am Tag der Anreise sagten leider Schauspielerin Chiara Schoras und Drehbuchautor Sascha Arango aus gesundheitlichen Gründen ab (hoffe, Ihr seid wieder völlig fit!). Übrig blieben Max Annas, Schriftsteller und Krimistipendiat der Stadt Wiesbaden, Schauspielkollege (und Stuttgart TATORT-Kommissar) Felix Klare und ich. Uns oblag es, die zehn Wettbewerbsfilme zu sichten und vier Preise zu vergeben. Der Krimi, den wir als Besten Film auszeichneten (s.u.), hat morgen (Mittwoch 25.3.) seine Fernsehpremiere, das nehme ich zum Anlass für diesen Text.

Krimifestivaljurymaterialien (Foto BRS): Die kleinen schwarzen Hefte bekamen wir vom Orgateam, für unsere Notizen zu den Filmen. Sascha Arango und Chiara Schomas fehlten leider in unserer Jury.

Die zehn Filme im Wettbewerb

Aus den 68 Fernsehkrimis, die sich für den Wettbewerb beworben hatten, wählte eine achtköpfige Vorjury zehn Filme aus. Es sind, in der Reihenfolge wie sie auf dem Festival liefen:

TATORT – DIE GUTEN UND DIE BÖSEN.
HR. Regie: Petra K. Wagner, Buch: David Ungureit. mit Margarita Broich, Wolfram Koch, Peter Lohmeyer, Dennenesch Zoudé, Isaak Dentler, Hannelore Elsner

DAS GESETZ SIND WIR.
ZDF. Regie: Markus Imboden, Buch: Holger Karsten Schmidt. mit Julia Koschitz, Aljoscha Stadelmann, Bernadette Heerwagen, Heiner Stadelmann,
Michael Wittenborn, Marc Hosemann

TATORT – DAS NEST.
MDR.Regie: Alex Eslam, Buch: Erol Yesilkaya. mit Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Allessandro Schuster, Peter Trabner, Uwe Preuss

TAGE DES LETZTEN SCHNEES.
ZDF. Regie: Lars-Gunnar Lotz, Buch: Nils-Morten Osburg nach dem Roman von Jan Costin Wagner. mit Henry Hübchen, Bjarne Mädel, Barnaby Metschurat, Victoria Mayer, Mercedes Müller, Victoria Trauttmansdorff

TATORT – LASS DEN MOND AM HIMMEL STEHN.
BR. Regie: Christopher Schier, Buch: Stefan Hafner, Thomas Weingartner. mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Ferdinand Hofer, Laura Tonke, Lenn Kudrjawizki, Victoria Mayer

TODESFRIST – NEMEZ UND SNEIJDER ERMITTELN.
SAT.1. Regie: Christopher Schier, Buch: Verena Kurth nach dem Roman von Andreas Gruber. mit Josefine Preuß, Raymond Thiry, Mavie Hörbiger, Nils Hohenhövel, Stefan Pohl, Heinz Arthur Boltuch

DER GUTE BULLE – FRISS ODER STIRB.
ZDF/ARTE. Regie & Buch: Lars Becker. mit Armin Rohde, Edin Hasanović, Nele Kiper, Almila Bagriacik, Murathan Muslu, Michael Maertens

DAS DUNKLE PARADIES.
ORF/ZDF. Regie: Catalina Molina, Buch: Sarah Wassermair, Catalina Molina. mit Stefanie Reinsperger, Manuel Rubey, Andrea Wenzl, Wolfgang Rauh, Clara Mühlthaler, Ulrike Beimpold

TATORT – TSCHILL OUT.
NDR. Regie: Eoin Moore, Buch: Eoin Moore, Anika Wangard. mit Til Schweiger, Fahri Yardim, Tim Wilde, Zoe Moore, Udo Thies, Laura Tonke

POLIZEIRUF 110 – DER TAG WIRD KOMMEN.
NDR. Regie: Eoin Moore, Buch: Florian Oeller. mit Anneke Kim Sarnau, Charly Hübner, Uwe Preuss, Andreas Guenther, Josef Heynert, Peter Trabner

Die große Mehrheit der Filme gehörten zu Reihen (Tatorte, Polizeirufe, Landkrimis, aber auch andere), lediglich zwei sind klare Einzelstücke (DAS GESETZ SIND WIR und TAGE DES LETZTEN SCHNEES, eine Romanverfilmung).

Die folgenden beiden Abbildungen zeigen einen 8-Gewerke-Check für die zehn Filme und die stark männerlastige Zusammensetzung der SchauspielerInnen, die im jeweiligen Filmvorspann genannt werden. Für alle, die zum ersten Mal mein Blog besuchen: in Rosa, das sind die Männer, in Hellblau die Frauen. Es sind nur zwei Filme dabei, bei denen eine Frau Regie führte, und sogar nur ein Film, an dessen Drehbuch keine Männer beteiligt waren. Kamera, Ton, Musik? Männersache. Schnitt: 80 % Männer. Machen Männer die besseren Krimis? Oder ist es schlicht der quasi übliche Fernsehalltag im deutschsprachigen Raum, nämlich, dass Frauen aus den Kerngewerken ferngehalten werden? (siehe auch: TATORTE zum Jahresende). Da ich die Liste der 68 Vorauswahlfilme nicht kenne kann ich nicht viel mehr dazu sagen. Zu der Tabelle noch eine Anmerkung: der HR ist der letzte Sender der Eigenproduktionen macht, somit ist die Spielfilmredaktion des HR auch die Produzentin, namentlich sind das die Redakteurinnen Liane Jessen (bis dahin die Chefin der Spielflimredaktion) und Erin Högerle, eine neue Redakteurin.

Die Juryarbeit

Zehn 90-Minüter haben wir also gesehen, am 1. Abend einen, am 2. Tag fünf und am 3. Tag vier Filme. Nach jeder Vorstellung haben wir uns zu dritt zusammengesetzt und unsere Eindrücke geteilt und über die Filme gesprochen. Einige wenige Filme waren bereits im Fernsehen gelaufen, wir hatten auch die Möglichkeit, alle zehn Filme im voraus online zu sehen. Von diesem Angebot hatten wir unterschiedlich Gebrauch gemacht. Ich beispielsweise hatte acht Filme komplett und aus technischen Gründen zwei Filme halb gesehen. Das tat ich, damit ich im Kino nicht von irgendwelchen brutalen Szenen, die es gab, überrascht würde. Denn so was kann ich nicht gut sehen, und das gab es in den Filmen: gefolterte, hingerichtete Frauen, gequälte und gefolterte Kommissarinnen u.a.m. Und nachdem ich ein paar Filme gesehen hatte habe ich versucht, alle vor Wiesbaden zu sehen, damit sie quasi gleiche Bedingungen bei meiner zweiten Sicht hätten. Ein Jurykollege hatte alle Filme vorher gesehen, der andere nur eine Handvoll. Unter‘m Strich ist das wohl egal, denn wir haben unsere Entscheidungen einvernehmlich getroffen.

Überhaupt will ich sagen, dass wir drei sehr gut, konstruktiv und effektiv zusammengearbeitet haben. Unsere Treffen waren immer interessant mit lebhaften Diskussionen, wir haben einander zugehört und sicher auch einiges gelernt und neue Aspekte zu den Filmen oder allgemein zu Krimis erfahren. Das kann ich zumindest für mich sagen. Aufgrund unserer unterschiedlichen Hintergründe, persönlich und beruflich, sind wir natürlich auch unterschiedlich an die Filme herangegangen bzw. haben sie unterschiedlich erlebt, aber das ist nun wirklich banal. Denn warum sollte irgendjemand eine Jury aus eineiigen Drillingen wollen?

Jurysitzung: v.l. Max Annas, Belinde Ruth Stieve, Felix Klare

Männer reden, Frau hört zu. Letzte Jurysitzung: v.l. Max Annas, BRS, Felix Klare. Foto Aimée Torre Brons

Das Foto ist gestellt, keine Sorge! Wobei es schon witzig ist, welche Positionen wir ohne Absprache dafür einnahmen. Klischee allez.

Wir führten also zehn Einzeldiskussionen nach den zehn Filmen. Und danach kam die große Schlussrunde, in der wir über die vier PreiseBester Film, Bester Darsteller, Beste Darstellerin und Beste Sonderleistung (da konnten wir die Arbeit in einem Gewerk unserer Wahl auszeichnen) entscheiden sollten. Hier waren wir erstmals nicht mehr allein. Festivalleiterin Cathrin Ehrlich sowie PR-Frau Aimée Torre Brons saßen am Tisch und hörten überwiegend zu, damit sie umgehend die Preisträger*innen kontaktieren und zur Preisverleihung am nächsten Abend (6.3.) nach Wiesbaden holen konnten. So läuft so was also!

Bevor  wir in die letzte Sitzung gingen hatten wir aber bereits einen Großteil der Entscheidungen getroffen, wir waren wirklich fleißig (Herzliches Danke an meine beiden Kollegen, die gute Energie und das Durchhaltevermögen!). Auf drei der vier Auszeichnungen hatten wir uns noch beim Dreiergespräch nach der letzten Vorstellung ziemlich sofort geeinigt. Umso länger dauerte dann die letzte noch ausstehende Kategorie, ich darf es wohl sagen, es ging hier um die Beste Darstellerin. Da hatten wir sechs Kandidatinnen, Schauspielerinnen in Haupt- und Nebenrollen, und nach langem Hin und Her waren es immer noch sechs, und nach weiterem Vernunftakt schrumpfte die Liste schließlich auf drei Namen. Nach einer Pause – es war da schon recht spät – und mit Kompromissbereitschaft stemmten wir am Ende auch diese Aufgabe, das war sehr eng. Ich kann noch anmerken, dass ich das mit den sechs Darstellerinnen schon erstaunlich und erfreulich finde, denn es gab daneben leider in einigen der zehn Filme größere Frauenfiguren, die sehr blass und dünn geschrieben waren.

Und jetzt zu den vier Preisen, die teilweise überraschte Reaktionen hervorgerufen haben, also haben wir es wohl ganz gut gemacht:

Die Preisträger*innen und unsere Begründungen

Hauptpreis Bester Film
DAS GESETZ SIND WIR erzählt mit wundervoller Leichtigkeit von zwei Figuren im Dickicht der Gesellschaft. Julia Koschitz als Maja Witt und Aljoscha Stadelmann als Klaus Burck durchstreifen im Wortsinn die Stadt, als Streifenpolizisten nämlich, auf der Suche nach Gerechtigkeit – für die Welt, aber durchaus auch für sich selbst. Wie können wir ahnen, welche Volten diese ganz andere Räuber-Und-Gendarm-Geschichte nimmt, und welche Energie die beiden Protagonisten aufbringen, den Zugriff auf diese Geschichte zu behalten – wenn wir sie zu Beginn in Uniform durch die Bremer Innenstadt staksen sehen. Bis zum Ende des Films werden wir stets auf neue davon überrascht – mal mit feinem, mal mit nicht so leisem Humor – wie Witt und Burck es schaffen, den Kopf immer wieder aus der Schlinge zu ziehen, nur um sie anderen um den Hals zu legen. So haben wir Polizei noch nicht oft im deutschen Film gesehen. Das schlaue Drehbuch sowie das beeindruckende Ensemble unterstützen den Eindruck, hier einen wirklich herausragenden Fernsehkrimi gesehen zu haben.
Herzlichen Glückwunsch an das gesamte Team!
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Team: Das Gesetz sind wir. Foto: Michael Ihle

Das Produktionsteam sind wir. Bester Film: DAS GESETZ SIND WIR. Foto: Michael Ihle

Sonderpreis
Wir, die Jury, vergeben den Sonderpreis des Deutschen Fernsehkrimi Festivals dieses Jahr an
die Regie des Eröffnungsfilms DIE GUTEN UND DIE BÖSEN, einem Tatort des Hessischen Rundfunk aus Frankfurt. Petra Katharina Wagner schafft es in unseren Augen, aus einer großen Ruhe heraus eine besondere Atmosphäre zu gestalten. Hier ist uns unter anderem die Bildgestaltung aufgefallen, auch die fein abgestimmte Musik, aber besonders das Einräumen von Platz und Vertrauen gegenüber dem gesamten Schauspielensemble. Das wirklich außergewöhnliche hier ist, dass ausnahmslos alle Figuren, unabhängig von Rollengröße, Text – oder Szenenanzahl, so zur Geltung kommen, dass sie im besten Sinne für uns Zuschauer „erleb-bar“ sind. Diese Welt mit ihren Bewohnern, die Petra Wagner in diesen 90 Minuten erzählt, wird dadurch erst lebendig, wird rund und – dreht sich!
Herzlichen Glückwunsch: Petra Wagner!

Bester Darsteller
In einem ohnehin großartigen Ensemble in DAS GESETZ SIND WIR schafft es Heiner Stadelmann in seiner Rolle als demenzkranker Vater Horst Burck unsere Aufmerksamkeit auf seine Rolle zu ziehen und der Figur eine ganz besondere Würde zu verleihen. Heiner Stadelmann hat uns in seinen wenigen Auftritten bewegt, weil er uns lächeln macht über einen Mann, nicht lachen, der einen ganz besonders schwierigen Kampf führt. Wir lassen uns ein auf diese Verletzlichkeit der Figur des Horst Burck und auf seine anhaltende Suche nach sich selbst. Heiner Stadelmann gibt uns die Möglichkeit, Anteil zu nehmen an diesem Schicksal und damit auch an jenem des Streifenpolizisten, der sein Sohn ist – einer der beiden ProtagonistInnen im Film. Dadurch lassen wir uns umso mehr ein auf das Grundthema von DAS GESETZ SIND WIR. Kriegen wir im Leben eigentlich, was wir verdienen?
Herzlichen Glückwunsch: Heiner Stadelmann!
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Beste Darstellerin
Anneke Kim Sarnau zeigt auf beeindruckende Weise, wie eine Schauspielerin mit großer Emotion und Mut zum Risiko die Integrität und Persönlichkeit ihrer Figur auch angesichts extremer Anforderungen durch Drehbuch und Regie aufrecht erhält. Katrin König im „Polizeiruf 110 – Der Tag wird kommen“ wird nicht Opfer, auch wenn sie den Kampf mit ihren inneren und äußeren Dämonen im Wechselspiel von körperlicher Vergiftung und Entzug fast zu verlieren droht. Am Ende dieser emotionalen und körperlichen Achterbahnfahrt leitet Sarnau mit einem verschmitzten Lächeln den vom Publikum sehnsüchtig erwarteten Kuss mit ihrem Ermittlungspartner ein. Souverän.
Die Jury gratuliert herzlich: Anneke Kim Sarnau!

Was läuft wann?

Wie eingangs erwähnt, am 25. März hat DAS GESETZ SIND WIR seine Fernsehpremiere, und zwar um 20.15 Uhr im ZDF. (edit: jetzt doch erst um 20.30 Uhr). Den Film gibt es auch noch eine Weile in der Mediathek (Link – Video verfügbar bis 23.06.20). ZDF-Pressemappe

Szenenbild DAS GESETZ SIND WIR

v.l. Heiner Stadelmann, Aljoscha Stadelmann, Julia Koschitz, Kasia Borek. Foto Michael Ihle.

Die anderen beiden Krimis, die in der Preisliste vorkommen, hatten auch noch keine Fernsehpremieren.
Der Tatort DIE GUTEN UND DIE BÖSEN wird am 19. April erstmals im Ersten ausgestrahlt. ARD-Pressemeldung

Der POLIZEIRUF 110: DER TAG WIRD KOMMEN wird am 14. Juni erstausgestrahlt. ARD-Pressemeldung

Was noch zu sagen bleibt

Vielen Dank an das unermüdliche Team des DFKF, die für einen reibungslosen Ablauf sorgten und sich auch nicht von den kurzfristigen Absagen Filmschaffender, die an den Wettbewerbsfilmen beteiligt waren – es gab nach jeder Vorstellung ein Filmgespräch – aus der Fassung bringen ließen. Namentlich: Cathrin Ehrlich, Festivalleitung. Tom Winter, Programm, Wettbewerb, Serien, Drehuchnachwuchs, Soziale Medien. Nicole Hauptmann, Programm, Ausstellung, Preisverleihung, Sponsoring. Ethel Dadam, Reiseorganisation, Gästebetreuung. Aimée Torre Brons, Pressearbeit, Redaktion Programmheft. Martin Ohnesorge, Festivalfotograf.

Es kamen erstaunlich viele Hunde in den Filmen vor! Direkt die ersten beiden Krimis zeigten Hunde in Nebenrollen – besonders möchte ich da Hoonah, eine Mini Australian Shepherd-Hündin erwähnen, die in DAS GESETZ SIND WIRD den Hund von Maja Witt spielte, Peggy oder Penny? Am Ende waren es glaube ich fünf oder sechs Filme mit Hunden. Zugegeben, in dem einen war es nur ein Stoffhund, aber immerhin! Es gab auch andere Verbindungen zwischen den Filmen, zum einen Schauspieler*innen, aber eher noch Themen: die ewige Frage nach dem Gut und Böse, dem Wir und Die, dem was die Polizei noch darf und was nicht mehr. Es gab auch Themen, die keiner der zehn Filme berührte, die aber in unserer realen Gesellschaft mit (Teilen) der Polizei in Verbindung stehen, aber das gehört eher nicht zu den lobenden Erwähnungen.

Stattdessen möchte ich noch die beeindruckenden Kamerafahrten in einigen Filmen erwähnen, die rasant in Szenerien einführten – und vermutlich mit Hilfe von Drohnen aufgenommen wurden.

Völlig unnötig war für meinen Geschmack die schöne junge nackte Frauenleiche im Wasser am relativen Anfang des einen Krimis. Wieder kann man da nur fragen, warum die ermordete Frau nackt sein musste, und dass sie malerisch und tot auf dem Rücken auf dem Wasser treibt war für die Handlung mMn ebenso irrelevant (an dieser Stelle ein Hinweis auf meinen Text Neue Kampagne #mehralsLeichen). Die nackte junge ermordete Frau schaffte es bedauerlicherweise auch in den Zusammenschnitt aller zehn Filme, da wird ein unnötiges Klischee bedient.

Über die gezeigte brutale Gewalt habe ich ja bereits kurz geschrieben, ein weniger muss kein weniger an Spannung bedeuten (falls das die Befürchtung ist).

Übrigens, ein paar Tage bevor wir nach Wiesbaden kamen hatte das Festival bereits begonnen, direkt zu Beginn wurde der Ehrenpreis verliehen, der ging an Matthias Brandt und Barbara Auer für ihre Rollen Hanns von Meuffels und Constanze Hermann in den drei München Polizeirufen von Christian Petzold. Die Begründung, dass die beiden „ein melancholisches Liebespaar (seien). In einer Serie. In einer Krimiserie. Und die beiden sind es so sehr, dass ihre Liebe den Krimi leuchten und strahlen lässt und über ihn als Genre hinausweist.“ hat mich doch etwas überrascht, insbesondere nach dem dritten Polizeiruf der beden (TATORTE). Ich hatte bereits in Nachgereicht: Der Polizeiruf 110 hinter der Kamera darüber geschrieben, das Verhalten von von Meuffels gegenüber seiner ehemaligen Freundin kann man auch als aufdringlich-übergriffig bezeichnen, nicht unbedingt als strahlende Liebe. Und die verheerenden Folgen für seine Kollegin Nadja Micoud sollten auch nicht so ohne weiteres übergangen werden.

Und schließlich noch unsere grundsätzliche und ziemlich frustrierte Kritik: Vier der zehn Wettbewerbsfilme hatten wir, die Jury, nach eingehenden Diskussionen komplett aus unseren Vier-Preise-Überlegungen gestrichen, sowohl für den Besten Film als auch für die drei anderen Preise. Und das obwohl wir beispielsweise für den Sonderpreis, bei dem wir über das zu berücksichtigende Gewerk selber entscheiden konnten, noch mal sechs oder sieben Gewerke für alle Filme abklapperten und auch die Besetzungen gründlich durchgingen. Das fanden wir drei schon erstaunlich und es war uns wichtig, das auch in der Preisverleihung öffentlich zu sagen.

Woran mag das liegen? Hat die Vorauswahljury schlechte Arbeit gemacht, und uns wirklich tolle Filme vorenthalten? Vermutlich nicht. War also in der Menge der 68 Filme, die für den Wettbewerb eingereicht wurden, nichts besseres zu holen? Und wenn das so ist, woran liegt das? Auch am Mangel von eingesetzten Drehuchautorinnen – dem Fehlen der Hälfte des Talents? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der inflationär steigenden Menge an Fernsehkrimis (welche Stadt hat noch keinen eigenen TATORT oder POLIZEIRUF?) bei ausdünnender Qualität? Es wird immer schneller produziert, und damit meine ich nicht nur die verkürzten Drehzeiten gegenüber den DZR vor zehn, zwanzig Jahren. Sondern auch, dass noch nicht ganz fertige Drehbücher schon in die Produktion gehen / gehen müssen. Es bleibt abzuwarten, ob das coronapandemiebedingte Innehalten beziehungsweise Aufschieben von Produktionen in besseren Drehbücher resultiert, in gründlich überarbeiteten Büchern und gründlicher ausgearbeiteten Figuren, zu weniger Klischees und Stereotypen und mehr Vielfalt in Besetzung und Plot führt. Apropos, ich fürchte ja, dass die Krimifixiertheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens immer wieder bedingt, dass gute Geschichten als Krimis erzählt werden und sie dadurch ein bisschen auf der Strecke bleiben. Wahrscheinlich sitzen jetzt schon eine Reihe von Autoren in ihren Zimmern und schreiben Bücher, die eine Pandemie, ein Lockdown, räumliche Isolation behandeln, – eingebettet in einen Mordfall mit polizeilicher Ermittlungsarbeit. Weil sie denken, dass sie den Stoff so besser untergebracht bekommen. Wenn ich diesen Text „Die Jury sind wir“ nenne, dann meine ich damit uns alle, wir alle, die wir Krimis sehen und unsere eigenen Urteile bilden, über einzelne Filme und über die Krimischwemme im Fernsehen – wollen wir das so überhaupt? Und wir, die wir in der Branche arbeiten, wollen wir die Filme so wie sie sind, die Bilder, die Figuren, die Plots? Und wenn nein, wie können wir unserem Urteil Nachdruck verleihen? Die vielen positiven Reaktionen, die ich auf dem lauten Empfang nach der Preisverleihung auf unsere Entscheidungen und Begründungen und auch auf die Kritik an dem Niveau des Wettbewerbs hörte zeigen, dass auch das krimiaffine Publikum nicht nur zufrieden ist (dieser Absatz gibt nur meine Gedanken wieder, nicht die der gesamten Jury).

Die gesamte Jury indes war sich einig, dass DAS GESETZ SIND WIR der Beste Film des Festivals war, dass Petra K. Wagner eine außerordentliche Regieleistung erbracht hat, und Heiner Stadelmann und Anneke Kim Sarnau besondere schauspielerische Leistungen gezeigt hatten. Wenn Ihr die Gelegenheit habt, schaut Euch doch die drei Filme an. Viel Spaß schon mal morgen Abend!