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Gedanken einer Schauspielerin

Alte Frauen. Sichtbarkeit. Teil III

Hier die letzte Folge meiner Alte Frauen. Sichtbarkeit.-Trilogie.

Alte Frauen, sichtbar. Im Film verjüngt.

In Teil I vom 29.10. erwähnte ich unter anderem, dass es nicht ungewöhnlich ist, Figuren in Film und Fernsehen über die Besetzung zu verjüngen, also ältere Menschen von Jüngeren spielen zu lassen. Da es dazu mehrere Nachfragen gab will ich heute noch einmal auf dieses Phänomen eingehen.

Dürfen die das überhaupt?

Eine nicht endende Diskussion kreist um die Frage, ob Schauspieler:innen eine Rolle übernehmen können, die im Gegensatz zu ihnen weiß / schwarz / braun / osteuropäisch / asiatisch / makellos / gehandicapt / jung / alt / gutaussehend / dick / schlank / heterosexuell / homosexuell / transgender / weiblich / männlich / stabil / psychotisch / depressiv / langweilig / stur / fröhlich ist oder eine andere Nationalität und Muttersprache als sie hat. Viele verneinen dies, zumindest in Bezug auf bestimmte Eigenschaften, andere sagen „Ja, denn man muss ja auch niemanden ermordet haben, um….“.

Ich finde es kommt darauf an.

Und bezüglich Alter: Ist es schlimm, wenn jemand Jüngeres für eine ältere Rolle besetzt und das höhere Alter einfach mal behauptet wird, oder wenn kurzerhand eine Figur jünger oder älter gemacht wird, damit die Wunschbesetzung passt?

Ich finde da kommt es auch darauf an.

Ausschnitte aus Gemälden von Antoine-Jean Gros und Jacques-Louis David, abgebildet sind Kaiserin Joséphine und Kaiser Napoléon

li. Joséphine Bonaparte (vermutl. 45 J.), Gemälde von Antoine-Jean Gros, Detail. re: Napoleón Bonaparte (41 J.), Gemälde von Jacques-Louis David, Detail.

Umgang mit dem Alter/n

Wenn ich einen Film oder eine Serie sehe und mir irgendwelche Konstellationen oder Figuren altersmäßig etwas seltsam erscheinen, recherchiere ich manchmal das Alter der Beteiligten, sowohl der Darsteller:innen als auch ggfs. das der historischen Figuren.

Natürlich ist es völlig in Ordnung, dass wir Schauspieler:innen nicht nur genau auf unser Alter besetzt werden. Zum einen, weil das Alter manchmal schlicht nicht so wichtig ist, zum anderen weil nicht alle Menschen eines Jahrgangs das gleiche Aussehen und die gleiche Körperlichkeit haben (siehe Fotogalerie in Teil II vom 1.11.). Außerdem gibt es noch die Maskenbildner:innen, und schließlich spielen manche Filme über einen längeren Zeitraum, d.h. die Figuren müssen altern.

Das Projekt THE CROWN geht hier ziemlich pragmatisch vor: die Haupt- und wichtigsten Nebendarsteller:innen werden alle zwei Staffeln ausgetauscht, um mit dem Tempo des realen Alterns der Figuren mitzuhalten. Wobei die Übergänge mitunter etwas ruckelig erscheinen: Zum Beginn von Staffel 1 ist Queen Elizabeth 21 Jahre alt, zum Ende von Staffel 2 ist sie 38, Schauspielerin Claire Foy war bei den Dreharbeiten 32/33. Am Anfang von Staffel 3 ist die Queen immer noch 38, die neue Schauspielerin Olivia Coleman aber bereits 45, also 12 Jahre älter als ihre Vorgängerin, und das sieht man auch. Zum Ende von Staffel 4 war die Queen 64 und Coleman 46. In Staffeln 5 und 6 übernimmt Imelda Staunton die Hauptrolle, wenn 2022 die Geschehnisse von 1992 gedreht werden ist sie genauso alt wie die Queen damals, nämlich 66.

Unstimmigkeiten verspielen sich. Bei den Urserien DALLAS und DENVER CLAN scheint es beispielsweise öfter vorgekommen zu sein, dass Schauspieler:innen pausierten oder ganz ausstiegen und durch mitunter recht anders aussehende Kolleg:innen ersetzt wurden. Das hat aber höchstens das Publikum gestört, die anderen Figuren in der Serie haben nie etwas gemerkt.

Die sehr erfolgreiche 26-teilige britische Familienserie THE FORSYTE SAGA, 1967 in schwarz-weiß gedreht, ging einen anderen Weg als THE CROWN. In den gut 40 erzählten Jahren sind immer die selben Schauspieler:innen zu sehen (Kinder und Heranwachsende ausgenommen). Als Beispiel: Joseph O‘Connor und Kenneth More spielten Vater und Sohn: „Old Jolyon“ und „Young Jolyon“ Forsyte. Die Schauspieler lagen altersmäßig 4 Jahre auseinander, die Forsyte-Figuren 41 Jahre. O‘Connor spielte die ganze Zeit „rauf“. Bei den Dreharbeiten war er unter 60, seine Figur anfangs 80 Jahre alt, sie stirbt 8 Jahre später. More war bei den Dreharbeiten um die 53 Jahre alt, er spielte „rauf und runter“, Young Jolyon ist zu Beginn von Roman und Fernsehserie 41 Jahre alt, er stirbt mit 73. Ich habe mir ein paar Folgen angeguckt, Die Verwandlungen sind glaubhaft gelungen.

Eric Porter (1928-1995) spielte mit 39 Jahren den Protagonisten Soames Forsyte (31 bis 71 Jahre alt), – gebt mal in die Bildersuche Eures Vertrauens (also nicht google) Forsyte Saga und Eric Porter ein, da könnt Ihr ihn und das beeindruckende Maskenbild von Ann Feriggi sehen. Und falls Euch Porters Gesicht gerade jetzt so kurz vor Weihnachten bekannt vorkommt: ja, er spielt in DER KLEINE LORD mit (Hallo Michaela!).

Ja, aber

Allerdings, wenn im Gegensatz zu den o.g. beiden Jolyons im Film Eltern-Kind-Konstellationen nicht glaubwürdig sind ist das eine unnötige Irritation – oder sollen manche Frauen wirklich schon mit 12 Mutter geworden sein? (z.B. in HAND AUFS HERZ). Oder wenn Altersgenoss:innen bei einem Klassentreffen gar nicht gleichaltrig wirken (siehe Sind Abiturienten dümmer?), oder Kindheitsbekannte wie in KEINOHRHASE 17 Jahre auseinander liegen. Oder Geschwister als Kinder 4 Jahre und als Erwachsene 14 Jahre Abstand haben (Mehr Menschen sehen – THE SPLIT). Oder Figuren für ihre behaupteten beruflichen Karrieren viel zu jung sind (siehe Von Schauspielerinnen und anderen berufstätigen Frauen).

Was nicht passen darf wird passend gemacht

Es ist ärgerlich, wenn eine Figur ohne Not drastisch verjüngt wird. Historische Protagonistinnen. Mehr noch, wenn es sich dabei um den weibliche Part eines Paares handelt. Warum? Weil Frauen jünger sein sollen, jünger als die Männer? So wie sie auch kleiner sein sollen? Es gibt skurrile alte Fotos z.B. von Dreharbeiten mit kleinen Schauspielern und großen Schauspielerinnen, wo in Zweieraufnahmen entweder er auf einem Hocker oder sie in einem Loch stand. Ja. Ernsthaft. (Das gibt es übrigens auch bei offiziellen royalen Hochzeitsfotos).

Filmbeispiel Eins

The FIFTH ESTATE / INSIDE WIKILEAKS – DIE FÜNFTE GEWALT (2013). Regie Bill Condon, Buch Josh Singer.

Ich meine nicht die kleine Altersverschiebung bei den beiden Hauptfiguren: Daniel Domscheit-Berg, 1978 als Daniel Berg geboren, wird gespielt vom gleichaltrigen Daniel Brühl und Julian Assange, Jahrgang 1971, vom 5 Jahre jüngeren Benedikt Cumberbatch. Sondern die Figur der Anke Domscheit-Berg, 1968 als Anke Domscheit geboren, und somit 10 Jahre älter als ihr späterer Mann Daniel. Im Film wird sie verkörpert von der Schwedin Alicia Vikander, Jahrgang 1988.

Warum? Weil der Protagonist keine ältere Frau haben darf? Wären seine Kritik an Assange, sein Handeln weniger glaubhaft gewesen, wenn er 10 Jahre jünger als seine Partnerin gezeigt worden wäre? Wären dadurch weniger Kinokarten verkauft worden? Oder gab es keine geeignete Schauspielerin, die in den späten 60ern oder frühen 70ern geboren ist? Oh, gerade fällt mir auf: ich bin nur knapp 2 Monate älter als Anke…

Und falls Ihr jetzt denkt, Das ist doch egal, es geht ja bloß um eine Nebenfigur, und ob sie jetzt älter oder jünger ist, macht doch keinen Unterschied. Tja, dann könnte sie aber doch auch älter sein.

Filmbeispiel Zwei

KITBAG – ein Film über Napoléon Bonaparte, den der britische Regisseur Ridley Scott (83) demnächst nach einem Buch von David Scarpa drehen wird. ((Ein großes Dankeschön an Nicky Clark, die darüber getwittert hat. Nicky startete 2018 die Acting Your Age-Kampagne).

Als Napoléon ist der US-Amerikaner Joaquin Phoenix (geb. 1974) gesetzt. Joséphine wird von der Britin Jodie Comer (geb. 1993) gespielt. Die beiden sind zur Zeit 47 und 28 Jahre alt, das sind 19 Jahre Altersunterschied. Ihre historischen Vorgänger lagen 6 Jahre auseinander, allerdings war sie die Ältere. Das sind mal eben 25 Jahre, die da umgeschrieben werden. Nach unten wohlgemerkt.

Scott hätte natürlich auch Isabelle Adjani anfragen können, eine brillante französische Schauspielerin, der man außerdem ihre 66 Jahre nicht ansieht. Und eine Französin im Hauptcast zu haben, die zudem schon mal preisgekrönt eine Königin gespielt hat (LA REINE MARGOT), wäre vielleicht auch nicht so schlecht gewesen. Und vielleicht sogar ein Novum, oder fällt Euch spontan ein Film ein, basierend auf einer wahren Geschichte, in dem die ältere, weibliche Hälfte eines Paares noch älter besetzt wurde?

Die 66-jährige, ebenfalls deutlich jünger aussehende costarikanische Schauspielerin Giannina Facio, die auch schon mehrfach mit Scott gedreht hat, werden wir in KITBAG wahrscheinlich zumindest in einem Cameoauftritt sehen können.

Zur historischen Einordnung: Napoléon lernte die verwitwete Joséphine de Beauharnais (geborene Marie Josèphe Rose Tascher de La Pagerie) 1795 kennen, er war 26, sie 32. Ein Jahr später heirateten sie, nach 14 Jahre Ehe kam die Scheidung – sie 47, er 41. Er starb mit 51, sie mit 50. Welchen Zeitraum ihrer Leben der Film behandeln wird weiß ich nicht. Portraits der beiden seht Ihr am Anfang vom Artikel.

Und schon wieder wird ein Ehepaar, das es wirklich gegeben hat, alterszensiert. 

Fazit?

Eine Frau älter als ihr Mann, das geht nicht im Film. Auch nicht im Jahr 2022.

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Ich lade Euch herzlich ein, mir weitere Filmbeispiele zu mailen oder in den Kommentaren zu ergänzen, ich übernehme sie dann in den Artikel, quasi als Sammelseite zum Nachschlagen. (Die Kommentarfunktion funktioniert gerade nicht richtig, was Ihr schreibt, kann leider nur ich sehen. Aber es kommt an.)

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