6. April 2022
von SchspIN
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Zum Jahresende 2021 wurde ich von der italienischen Journalistin, Soziologin und Autorin Stefania Medetti interviewt. Sie lebt aktuell in Thailand und betreibt u.a. das englischsprachige Blog The Age Buster, das sich schwerpunktmäßig mit den Themen Alter, Alterswertschätzung und Altersdiskriminierung befasst. Das Interview nebst Einleitungstext über ihre Erfahrungen in Deutschland erschien am 13. Januar 22 unter dem Titel Demand Change.
Mit Stefanias freundlicher Erlaubnis hier die deutsche Fassung. Grazie sincero!

Stefania Medetti
Demand Change – Fordert Veränderung
Nur wegen meiner Liebe zu Katzen fand ich mich an einem frostigen Valentinstagmorgen unter den hohen Bögen des Mailänder Hauptbahnhofs wieder. Ich stand vor dem Zug, der mich nach Deutschland bringen sollte, und schaute auf die Gleise, die sich außerhalb des Gebäudes in einem nebligen, blassgelben Licht erstreckten. Ich dachte an meine Großmutter, die als Fünfzehnjährige in einen Zug mit Dampflokomotive stieg, um als Dienstmädchen in die Stadt zu kommen. Zwei Generationen später, etwas älter als sie, reiste ich in die Richtung, aus der sie kam (sie wurde an der Grenze zu Österreich geboren), um als Au-pair zu arbeiten und mein Deutsch zu verbessern. Die Familie wollte eine spanische Kandidatin, aber in meinem Einführungsschreiben erwähnte ich Katzen, und das überzeugte sie, dass ich trotzdem gut zu ihnen passte. Als der Zug nach Osten und dann nach Nordosten fuhr, zogen zuerst die Ebenen und später die Weinberge vor meinem Fenster vorbei. Als der Zug die Alpen erreichte, fuhren wir durch ein enges Tal zwischen zwei hohen Bergwänden, und dann waren die Namen der Bahnschilder auf Deutsch geschrieben.
Als ich den Hauptbahnhof in München verließ, schneite es bereits. Schneeflecken sprenkelten meinen dunkelgrünen Kunstpelzmantel, als ich in ein blassgelbes Mercedes-Taxi stieg. In einer Zeit, als es noch kein Internet gab, stand die Adresse meines Ziels auf einem Zettel, den ich dem Fahrer reichte. Wir fuhren eine strenge dreispurige Straße entlang, die von zwei Reihen blattloser, hoher Pappeln gesäumt war. Das Auto hielt vor einem imposanten, modernen gotischen Gebäude, das in Hellblau und Weiß gestrichen war. Durch eine Glastür gelangte man zu einer wunderbaren, alten Holztreppe, die spiralförmig an der Gebäudewand entlanglief und bei jeder Stufe knarrte. Die Treppe umgab die Glassäule des Aufzugs, und als sich die Türen öffneten, schauten mich drei blonde Gesichter in extraklein, klein und mittelgroß neugierig an. Ihre rothaarige Mutter stellte mich den Kindern vor, zeigte mir das Haus, die Katze Mathilde (der ich diese glückliche Begegnung verdankte) und mein gemütliches Zimmer: ein riesiges Fenster mit Blick auf die Straße, ein Bett, ein Schreibtisch, ein Bücherregal an drei Seiten des Zimmers mit einem Zwischengeschoss oben und einer bauernhofähnlichen Leiter, um dorthin zu gelangen. Unter den aufmerksamen Augen der Kinder räumte ich meine Kleider in den weißen Kleiderschrank in Puppengröße. Eines der Kinder schenkte mir eine Zeichnung, die es gerade angefertigt hatte, und wir wurden sofort Freunde. Weiterlesen →